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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen gröblicher Verletzung der Treuepflicht durch Beteiligung an den Vergehen der versuchten Untreue und der Begünstigung eines GläubigersSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 11. November 1993 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, daß er "im September 1990 den nur kollektiv zeichnungsberechtigten Geschäftsführer der Firma R Kunststoffprodukte Gesellschaft mbH, Ing. M S dazu veranlaßte, ohne Rücksprache mit dem ebenfalls kollektiv zeichnungsberechtigten Geschäftsführer M C die Gesellschaft nicht betreffende Vertretungskosten des RA Dr. J N von zumindest S 275.000,-- mittels gerichtlichem Vergleich anzuerkennen und die exekutive Einbringung zu ermöglichen, obwohl der Disziplinarbeschuldigte davon Kenntnis hatte, daß Ing. S hiedurch seine Vertretungsvollmacht mißbräuchlich überschritt, wodurch er das Vergehen der versuchten Untreue in Form der Beteiligung nach §12 StGB begangen hat".
Hiefür wurde über den Beschwerdeführer die Disziplinarstrafe der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von vier Monaten verhängt, wobei diese Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. In Anwendung des §31 StGB wurde über ihn als Zusatzstrafe eine Geldbuße in Höhe von S 142.000,-- verhängt.
1.2. Gegen dieses Erkenntis hat der Kammeranwalt-Stellvertreter Berufung erhoben. Der Disziplinarbeschuldigte hat eine Äußerung hiezu erstattet.
1.3. Mit Bescheid vom 7. Juli 1994 gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) dieser Berufung Folge und verhängte über den Beschwerdeführer die Disziplinarstrafe der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von einem halben Jahr und eine Geldbuße von S 142.000,--. Darüber hinaus wurde ausgesprochen, daß der Verurteilte auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen habe. Die Behörde begründete ihre Entscheidung wie folgt:
"Mit Recht wird in der Berufung darauf hingewiesen, daß es sich im gegenständlichen Fall um eine äußerst gravierende Verletzung der Treuepflicht des Disziplinarbeschuldigten handelt. Dabei sei auch zu berücksichtigen, daß der vom Disziplinarbeschuldigten gestellte Exekutionsantrag beim zuständigen Bezirksgericht am 1. Oktober 1990 eingelangt und am 8. Oktober 1990 antragsgemäß bewilligt worden sei; bereits am 26. September 1990 aber habe der Disziplinarbeschuldigte bei der Bezirkshauptmannschaft und beim Handelsregister Schriftsätze auf Zurücklegung der Geschäftsführerfunktion des Ing. S eingereicht. Der Disziplinarbeschuldigte habe also gewußt, daß die Firma R-Kunststoffprodukte GmbH nur noch von M C vertreten werde. Es bestehe daher kein Zweifel darüber, daß der Disziplinarbeschuldigte seine widerrechtlichen Handlungen im vollen Bewußtsein beabsichtigt habe, der Firma R-Kunststoffprodukte GmbH einen Vermögensnachteil zuzufügen.
Diese äußerst gröbliche Verletzung der Treuepflicht des Disziplinarbeschuldigten rechtfertigt keineswegs eine bedingte Verurteilung. Auch die neben der verhängten Geldstrafe verhängte Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von 4 Monaten ist zu gering bemessen; schuldangemessen erscheint eine Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von 6 Monaten. Dabei war auch zu berücksichtigen, daß die Handlungsweise des Disziplinarbeschuldigten nicht nur den Tatbestand des Vergehens der versuchten Untreue in Form der Beteiligung nach §12 StGB, sondern auch der Begünstigung eines Gläubigers nach §158 StGB darstellt, und daß dem Disziplinarbeschuldigten bei den bereits erfolgten Verurteilungen zu DV 10/91 und DV 4/89 des Disziplinarrates der Tiroler Rechtsanwaltskammer jeweils zwei Disziplinarvergehen zur Last lagen, die überdies als einschlägig (nämlich finanzieller Art) angesehen werden müssen."
1.4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
1.5. Die OBDK als belangte Behörde hat die Akten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie beantragt, der Beschwerde keine Folge zu geben.
2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
2.1.1. Der Beschwerdeführer behauptet zunächst, durch die Rechtsansicht der Disziplinarbehörde, sie sei an das strafgerichtliche "Erkenntnis" des Landesgerichtes Innsbruck vom 22. Mai 1992 gebunden, in seinen durch Art6 EMRK sowie durch Art7 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein und bringt hiezu im wesentlichen vor:
"Die Ausführung der Disziplinarbehörde, an das strafgerichtliche Erkenntnis gebunden zu sein, verstößt gegen ... Verfassungsrecht. Durch diese Bindungswirkung hat die belangte Behörde die Sachverhaltsfeststellung des Strafgerichtes übernommen, ohne selbst eine umfassende Beweiswürdigung vorzunehmen und mir die Möglichkeit zu geben, die disziplinären Vorwürfe mittels angebotener Zeugen zu entkräften. ...
Zufolge der behaupteten Bindung der belangten Behörde an die Entscheidung des Strafgerichtes wurde ich auch in dem Recht gemäß Artikel 6 Abs3 litd MRK verletzt, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken. Sowohl das Strafgericht als auch die Disziplinarbehörde erster und zweiter Instanz haben sich über dieses mir zustehende Recht verfassungswidrig hinweggesetzt. ...
Zufolge zu Unrecht behaupteter Bindungswirkung an das strafgerichtliche Erkenntnis hat es die belangte Behörde und Disziplinarbehörde erster Instanz unterlassen, ein Ermittlungs- und Beweisverfahren unter Beiziehung sämtlicher Zeugen in entscheidenden Punkten durchzuführen und hat insbesondere mein Vorbringen hinsichtlich meiner Tätigkeit für die Gesellschaft unbeachtet gelassen."
2.1.2. Diese Ausführungen sind schon vom Ansatz her verfehlt.
Der Beschwerdeführer hat nämlich, worauf er zu verweisen ist, gegen das Erkenntnis des Disziplinarrates der Tiroler Rechtsanwaltskammer keine Berufung erhoben. Der Ausspruch über die Schuld des Beschwerdeführers ist damit mangels Anfechtung durch ihn, wie im Erkenntnis erster Instanz ausgesprochen, rechtskräftig geworden, sodaß sich die belangte Behörde - worauf sie in ihrer Gegenschrift zutreffend verweist - damit nicht mehr zu befassen hatte. Die belangte Behörde konnte es demnach auch unterlassen, auf die Frage einer Bindung des Disziplinarrates an ein strafgerichtliches Urteil einzugehen. Soweit sich die Ausführungen des Beschwerdeführers auf die rechtskräftig gewordenen Spruchteile des erstinstanzlichen Bescheides beziehen, können sie daher nicht Gegenstand einer Beurteilung im Rahmen des verfassungsgerichtlichen Verfahrens sein.
2.2.1. Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, er sei dadurch, daß nicht der gemäß §47 Z2 DSt legitimierte Kammeranwalt, sondern sein Stellvertreter Berufung erhoben habe, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
2.2.2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 11405/1987, 13280/1992).
All dies ist nicht der Fall. Daß sich die belangte Behörde die Zuständigkeit zur meritorischen Erledigung zu Unrecht angemaßt hätte, weil die Berufung der Kammeranwaltschaft von einem hiezu nicht Befugten erhoben und deshalb von der OBDK nicht zu beachten gewesen wäre, trifft nicht zu: Gemäß §10 DSt kann sich der Kammeranwalt durch einen seiner Stellvertreter vertreten lassen. Warum dieser im gegenständlichen Fall zur Einbringung der Berufung nicht befugt gewesen sein sollte - wie der Beschwerdeführer behauptet - ist dem Verfassungsgerichtshof unerfindlich.
Eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter hat somit nicht stattgefunden.
2.3. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.
3. Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Bescheid Rechtskraft, Rechtskraft Bescheid, BehördenzuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:B1767.1994Dokumentnummer
JFT_10049075_94B01767_2_00