TE Vfgh Beschluss 2007/6/21 V9/07 ua

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Veröffentlicht am 21.06.2007
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83 Natur- und Umweltschutz
83/01 Natur- und Umweltschutz

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
ImmissionsschutzG-Luft (IG-L) §10, §11, §13, §14
Verordnung LGBl für Wien 47/2005 betreffend Maßnahmen zur Verringerung der Immission der Luftschadstoffe PM10 und NO2 nach dem ImmissionsschutzG-Luft (IG-L-Maßnahmenkatalog 2005) §4
Verordnung LGBl für Wien 15/2006 betreffend Abänderung des IG-L- Maßnahmenkatalogs 2005

Leitsatz

Zurückweisung von Individualanträgen eines selbständigen Frächtersauf Aufhebung von Geschwindigkeitsbeschränkungen in Wien sowieAusnahmen von denselben aufgrund des Immissionsschutzgesetzes-Luftmangels Legitimation; bloß wirtschaftliche Betroffenheit desAntragstellers durch die für alle Straßenverkehrsteilnehmer geltendenVerkehrsbeschränkungen; Denkunmöglichkeit einer Betroffenheit durchAusnahmen von den Geschwindigkeitsbeschränkungen

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Mit den auf Art139 Abs1 letzter Satz B-VG gestützten Anträgen begehrt der Antragsteller, §4 der Verordnung des Landeshauptmannes von Wien, mit der Maßnahmen zur Verringerung der Immission der Luftschadstoffe PM10 und NO2 nach dem Immissionsschutzgesetz-Luft getroffen werden (IG-L-Maßnahmenkatalog 2005), LGBl. für Wien 47/2005, und die Verordnung des Landeshauptmannes von Wien, mit der der IG-L-Maßnahmenkatalog 2005 geändert wird, LGBl. für Wien 15/2006, jeweils zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben.

2. Die mit den in Rede stehenden Anträgen bekämpften Verordnungen stützen sich auf die §§10, 11, 13 und 14 IG-L, BGBl. I 115/1997 idF BGBl. I 34/2003.

2.1. §4 der Verordnung des Landeshauptmannes von Wien, mit der Maßnahmen zur Verringerung der Immission der Luftschadstoffe PM10 und NO2 nach dem Immissionsschutzgesetz-Luft getroffen werden (IG-L-Maßnahmenkatalog 2005), LGBl. für Wien 47/2005, lautet wie folgt:

"Maßnahmen für den Verkehr

§4

(1) Im Sanierungsgebiet gilt eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h. Ausgenommen von dieser Bestimmung sind Autobahnen und Autostraßen.

(2) Die Geschwindigkeitsbeschränkung gemäß Abs1 gilt nicht, wenn nach anderen Rechtsvorschriften eine niedrigere oder dieselbe Höchstgeschwindigkeit angeordnet ist.

(3) Die Geschwindigkeitsbeschränkung gemäß Abs1 gilt nicht für Einsatzfahrzeuge gemäß §2 Abs1 Z25 Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960)."

2.2. Die Verordnung des Landeshauptmannes von Wien, mit der der IG-L-Maßnahmenkatalog 2005 geändert wird, LGBl. für Wien 15/2006, lautet wie folgt:

"Artikel I

Die Verordnung des Landeshauptmannes von Wien, mit der Maßnahmen zur Verringerung der Immission der Luftschadstoffe PM10 und NO2 nach dem Immissionsschutzgesetz - Luft getroffen werden (IG-L-Maßnahmenkatalog 2005), LGBl. Nr. 47/2005, wird wie folgt geändert:

§4 Abs1 lautet:

'(1) Im Sanierungsgebiet gilt eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h. Ausgenommen von dieser Bestimmung sind Autobahnen und Autostraßen sowie folgende Straßenzüge:

1.

B1 Hadikgasse - Wientalstraße (von Hütteldorfer Brücke bis Albert-Schweitzer-Gasse und B1 Wientalstraße

(von Albert-Schweitzer-Gasse bis Auhofstraße)

2.

B7 Brünner Straße (von Hochfeldstraße bis Landesgrenze)

3.

B8 Wagramer Straße (von Bettelheimstraße bis westliche Landesgrenze und von Friedhofweg bis östliche Landesgrenze)

4.

B17 Triester Straße (von B225 Wienerbergstraße bis Auf- bzw. Abfahrtsrampen der A2 Südautobahn Höhe Liesingbach)'

Artikel II

Diese Verordnung tritt mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft.

Für den Landeshauptmann:

Sima

Amtsführende Stadträtin"

3. Zur Antragslegitimation bringt der Antragsteller vor:

"Der Antragsteller ist selbstständiger Frächter eines Fuhrparks mit 2 Sattelzügen in Wien. Sein Unternehmen hat den Sitz im 'Sanierungsgebiet' der gegenständlichen Verordnungen. Sein Unternehmen hat einen Jahresumsatz von rund EUR 150.000,--. Die Sattelzüge fahren einige Strecken in Wien, die durch die Verordnungen betroffen sind bis zu zehn mal am Tag, und zwar hauptsächlich für den Bereich Lebensmittellogistik. Das erfordert just-intime-Lieferungen. Seit Inkrafttreten der Geschwindigkeitsbeschränkungen im Sanierungsgebiet erleidet der Antragsteller Zeitverluste von 10 % bis 15 % pro Fahrt. Das bedeutet, dass er bestimmte Fuhren nicht mehr innerhalb der vorgesehenen Ladefenster erledigen kann und oft erst drei Stunden später seine Fuhre ausladen kann. Auf diese Weise verliert er andere Aufträge. Der Verdienstentgang beträgt zwischen EUR 200,-- und EUR 600,-- pro Tag.

Durch die Verordnungen des Antragsgegners kommt es zu einem erheblichen Eingriff in die Erwerbsausübung des Antragstellers. Somit muss die gesamte Administration umgestellt werden, was mit einer erheblichen Kostensteigerung verbunden ist. Die angestellten Fahrer müssen auch teilweise neue Routen wählen, um den Zeitverlust durch die Geschwindigkeitsbeschränkung wieder aufzuholen. Dazu kommen erhöhte Spritkosten, einerseits durch die km/h Beschränkung, andererseits durch Umwege, die gemacht werden müssen. Es kommt daher zu noch längeren Verzögerungen und somit wirtschaftlichen Nachteilen des Antragstellers.

Durch die angefochtenen Verordnungen wird dem Antragsteller eine Rechtspflicht auferlegt, die in seine Rechtssphäre unmittelbar und aktuell eingreift. Für den Fall eines Zuwiderhandelns muss der Antragsteller mit der Verhängung einer Verwaltungsstrafe rechnen, was diesem aber nicht zumutbar ist. Es steht dem Antragsteller auch ein anderer zumutbarer Weg nicht zur Verfügung, um sich gegen diese rechtswidrigen Verordnungen zur Wehr setzen zu können. Die Antragslegitimation ist daher gegeben."

3.1. In der Sache bringt der Antragsteller vor, dass keine Statuserhebung durchgeführt worden sei und auch kein Sachverständigengutachten zu der Frage vorliege, ob eine Geschwindigkeitsbeschränkung überhaupt den gewünschten Erfolg bewirke. Die Voraussetzungen für die Erlassung der bekämpften Verordnungen seien daher nicht erfüllt. Im Übrigen habe der Antragsgegner selbst eingeräumt, dass die 50 km/h Beschränkung zwei Jahre getestet und danach überprüft werde, ob sich die Feinstaubbelastung gesenkt habe.

Die bekämpfte Geschwindigkeitsbeschränkung beruhe lediglich auf Vermutungen und Spekulationen. Dies zeige allein der Umstand, dass fünf Monate nach der 47. Verordnung aus 2005 mit der

15. Verordnung aus 2006 die Maßnahmen ohne wissenschaftliche Grundlage teilweise wieder geändert worden seien. Es liege die Vermutung nahe, dass die Änderung auf Grund des politischen Druckes durchgeführt worden sei.

Da der Erfolg einer Geschwindigkeitsbeschränkung zur Feinstaubreduzierung nie bewiesen worden sei und die zuständige Behörde nicht wisse, ob der gewünschte Erfolg tatsächlich eintreten werde, stehe die Maßnahme mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand in keinem Verhältnis zum angestrebten Erfolg. Zur Feinstaubbelastung komme es vor allem in den Winter- und Frühjahrsmonaten durch das verstärkte Streuen von Rollsplitt. Nach Auffassung des Antragstellers könnten gerade in diesem Bereich, etwa durch die Beschaffung neuer Kehrmaschinen, wirksame Maßnahmen zur Feinstaubreduktion gesetzt werden, deren Aufwand nicht in einem unverhältnismäßigen Verhältnis zum Erfolg stünde.

Nachdem keine vorgegebene Definition des angestrebten Erfolges im konkreten Einzelfall vorliege, sei die Maßnahme im Hinblick auf die Kosten, aber insbesondere auch im Hinblick auf den Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers unverhältnismäßig. Eine Geschwindigkeitsbeschränkung stelle einen Eingriff in ein bestehendes Recht dar, der nur im unbedingt erforderlichen Ausmaß erfolgen dürfe. Insbesondere für den Wirtschaftsverkehr bringe dieser Eingriff erhebliche Konsequenzen mit sich. Auf Höhe und Dauer der zu erwartenden Entwicklung der Immissionen sei offenkundig nicht Bedacht genommen worden, zumal etwa keinerlei Unterschied zwischen den Jahreszeiten bei der angeordneten Maßnahme gemacht worden sei.

4. Der Landeshauptmann hat eine Äußerung zum Gegenstand erstattet, auf die der Antragsteller replizierte. Die Akten des Verordnungsverfahrens wurden vorgelegt.

5. Der zur Vertretung der Verordnung als oberste Verwaltungsbehörde des Bundes zuständige Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft hat keine Äußerung abgegeben.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit des Antrages erwogen:

1. Zum Antrag, §4 der Verordnung des Landeshauptmannes von Wien, mit der Maßnahmen zur Verringerung der Immission der Luftschadstoffe PM10 und NO2 nach dem Immissionsschutzgesetz-Luft getroffen werden (IG-L-Maßnahmenkatalog 2005), LGBl. für Wien 47/2005, zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben:

1.1. Gemäß Art139 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 15.527/1999, 16.425/2002 und 16.426/2002).

1.2. Der Antragsteller betreibt ein im Sanierungsgebiet gelegenes Transportunternehmen und bringt auf das Wesentliche zusammengefasst vor, dass durch die in Rede stehende Geschwindigkeitsbeschränkung Zeitverluste zwischen 10 % und 15 % pro Fahrt entstünden und in der Folge "just-in-time Lieferungen" nicht mehr innerhalb der vorgesehenen Zeitfenster erledigt werden könnten. Oft könne eine Fuhre erst drei Stunden später ausgeladen werden, was dazu führe, dass das Unternehmen andere Aufträge verliere. Insgesamt betrage der Verdienstentgang zwischen € 200,-- und € 600,-- pro Tag. Auf Grund der Geschwindigkeitsbeschränkung sei es außerdem erforderlich, die gesamte Administration umzustellen, was ebenfalls mit erheblichen Kosten (neue Routen, erhöhte Spritkosten) verbunden sei.

1.3. Mit Blick auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist dieses Vorbringen nicht geeignet, eine aktuelle Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen des Antragstellers darzulegen, da sich die in Rede stehende Verkehrsbeschränkung als solche nicht an den Antragsteller als Gewerbetreibenden, sondern an alle Straßenverkehrsteilnehmer richtet. Die geschilderten nachteiligen wirtschaftlichen Auswirkungen der bekämpften Bestimmung erweisen sich daher lediglich als faktische Reflexwirkungen einer an sämtliche Verkehrsteilnehmer gerichteten Geschwindigkeitsbeschränkung (VfSlg. 11.623/1988, 16.219/2001 mwN, 16.364/2001 ua).

Auch wenn der Antragsteller als Betreiber eines Transportunternehmens im Sanierungsgebiet durch die bekämpfte Beschränkung stärker berührt werden sollte als andere Verkehrsteilnehmer, genießt sein Interesse an der Teilnahme am Gemeingebrauch (d.i. am öffentlichen Verkehr auf der öffentlichen Straße) rechtlichen Schutz nur in dem Rahmen, der diesem Gemeingebrauch jeweils allgemein (für alle Verkehrsteilnehmer in gleicher Weise) gezogen ist (vgl. VfSlg. 9309/1981, 10.096/1984, 13.317/1992, 14.677/1996, 16.364/2001). Besondere Umstände, die es erlauben würden, einen aktuellen Eingriff in eine rechtlich geschützte Interessensphäre anzunehmen - wie etwa das Verbot des Anfahrens eines Warenumschlagplatzes (VfSlg. 8984/1980) oder die Sperre der Zufahrt zu einem Grundstück (VfSlg. 9089/1981) - sind im vorliegenden Fall nicht zu erkennen.

Die bekämpfte Verordnungsbestimmung greift demnach nicht in eine rechtlich geschützte Position des Antragstellers ein, weshalb der in Rede stehende Antrag bereits aus diesem Grunde zurückzuweisen war.

2. Zum Antrag, die Verordnung des Landeshauptmannes von Wien, mit der der IG-L-Maßnahmenkatalog 2005 geändert wird, LGBl. für Wien 15/2006, zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben:

Mit der zitierten Verordnung wurden näher bezeichnete Straßenzüge von der mit §4 IG-L-Maßnahmenkatalog 2005, LGBl. für Wien 47/2005, festgelegten Geschwindigkeitsbeschränkung ausgenommen. Es ist daher bereits aus diesem Grunde denkunmöglich, dass diese Verordnung nachteilig in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreift. Ein Eingriff in eine rechtlich geschützte Position des Antragstellers liegt aber auch aus den unter Punkt 1.3. dargelegten Gründen nicht vor.

3. Beide Anträge waren daher mangels Antragslegitimation der einschreitenden Partei gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Straßenpolizei,Geschwindigkeitsbeschränkung, Umweltschutz, Ausnahmeregelung - Regel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:V9.2007

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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