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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des H V, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. März 2020, I403 2210843-1/25E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo, stellte am 26. Juni 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, er habe im Mai 2016 an einer Demonstration gegen die Regierung bzw. den Präsidenten seines Herkunftsstaates teilgenommen, im Zuge derer er festgenommen worden sei, er sei aber nicht politisch tätig gewesen. Die Polizei habe ihn misshandelt und eingesperrt. Er habe jedoch aus dem Gefängnis fliehen können.
2 Mit Bescheid vom 15. November 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Demokratische Republik Kongo zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
3 Mit Erkenntnis vom 6. März 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. August 2019, Ra 2019/19/0143, wurde dieses Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Das BVwG habe es unterlassen, Feststellungen zur Lage in der Demokratischen Republik Kongo zu treffen. Die aus dem Bescheid des BFA übernommenen Länderberichte hätten sich - offenbar in Verkennung, dass es sich um verschiedene Staaten handle - ausschließlich auf die Republik Kongo bezogen. Im Übrigen seien unter Berücksichtigung der mangelhaften Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes durch das BFA die Voraussetzungen eines Entfalls der mündlichen Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA-VG nicht vorgelegen (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2019/19/0143).
5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
6 Begründend erwog das BVwG, dass das Vorbringen des Revisionswerbers betreffend eine Verfolgung in seinem Herkunftsstaat durch die Sicherheitsbehörden nicht glaubhaft sei. In seinen beweiswürdigenden Erwägungen stützte sich das BVwG zusammengefasst auf näher dargelegte Divergenzen, Unstimmigkeiten und Steigerungen im Fluchtvorbringen des Revisionswerbers. Zudem hielt es fest, dass der Revisionswerber nach eigenen Angaben nicht politisch tätig sei. Zur allgemeinen Situation in der Demokratischen Republik Kongo stellte es fest, dass im Jänner 2019 der Kandidat der Oppositionspartei Félix Tshisekedi zum Sieger der Präsidentschaftswahlen vom Dezember 2018 erklärt worden sei. Dies sei der erste friedliche Machtwechsel seit 50 Jahren gewesen. Mit Amtsantritt Tshisekedis sei eine beachtliche Öffnung des politischen Raums einhergegangen. Insgesamt habe die politische Repression nach der Machtübernahme Tshisekedis stark abgenommen, auch wenn es noch immer vereinzelt Übergriffe von Sicherheitsbeamten auf Demonstranten gebe. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten legte das BVwG dar, dass keine reale Gefahr einer Verletzung der Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK und kein Hinweis auf das Vorliegen einer existenzbedrohenden Notlage in der Hauptstadt Kinshasa bestünden, aus der der gesunde, erwerbsfähige, gut gebildete und über Berufserfahrung verfügende Revisionswerber stamme und in der seine Familie, der es gut gehe, lebe. Es sei davon auszugehen, dass der Revisionswerber in der Lage sein werde, sich eine grundlegende Existenz zu sichern. Er sei auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht, da ein solcher in Kinshasa nicht bestehe.
7 Gegen dieses Erkenntnis brachte der Revisionswerber zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ein, der deren Behandlung mit Beschluss vom 22. September 2020, E 1611/2020-10, ablehnte und sie mit Beschluss vom 27. Oktober 2020, E 1611/2020-12, über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
8 Die vorliegende außerordentliche Revision bringt im Wesentlichen vor, das BVwG habe die Aussagen des Revisionswerbers vor dem Hintergrund der Lage in der Demokratischen Republik Kongo in einer unvertretbaren Weise gewürdigt. Näher genannte Schlussfolgerungen des BVwG würden bereits nach denklogischen Erwägungen einer Überprüfung nicht standhalten. Indem das BVwG die Aussagen des Revisionswerbers nicht anhand von Länderberichten auf seine Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit überprüft, sondern lediglich auf nicht näher belegte Annahmen gestützt habe, habe es das Amtswegigkeitsprinzip verletzt. Überdies rügt die Revision ein Fehlen von Länderfeststellungen zur allgemeinen Sicherheits-, Menschenrechts- und Versorgungslage in Bezug auf die Herkunftsprovinz des Revisionswerbers Kinshasa. Es sei aus dem Erkenntnis nicht ersichtlich, worauf sich die Annahme des BVwG, dem Revisionswerber drohe bei seiner Rückkehr keine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK, stütze.
9 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 Die Revision wendet sich zunächst gegen die Beweiswürdigung des BVwG. In diesem Zusammenhang ist auf die ständige hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach der Verwaltungsgerichtshof zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 29.10.2020, Ra 2020/18/0374, mwN).
14 Im vorliegenden Fall führte das BVwG eine mündliche Verhandlung durch, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffte, und setzte sich mit dessen Fluchtvorbringen auseinander. In der Beweiswürdigung des angefochtenen Erkenntnisses legte das BVwG im Einzelnen offen, aufgrund welcher Überlegungen es dem Vorbringen des Revisionswerbers die Glaubhaftigkeit versagte. Es berief sich in diesem Zusammenhang auf mehrere, näher dargestellte Abweichungen, Unplausibilitäten und Steigerungen in den Aussagen des Revisionswerbers.
15 Entgegen dem Revisionsvorbringen traf das BVwG auch Feststellungen zu den Demonstrationen und den Folgen einer Teilnahme an solchen unter der Amtszeit des ehemaligen Präsidenten und würdigte das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers vor dem Hintergrund aktueller Länderinformationen, die von Jänner bzw. Februar 2020 datierten. Begründend erwog das BVwG, dass die letzte umfassende Aktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation am 8. Mai 2017 erfolgt sei, es im Herkunftsstaat des Revisionswerbers jedoch im Jänner 2019 zu einem entscheidenden Wandel gekommen sei, weshalb es sich auf aktuellere Quellen von Human Rights Watch und dem deutschen Auswärtigen Amt stütze. Auf der Grundlage dieser Berichte wies das BVwG darauf hin, dass nicht verkannt werde, dass sich die Demokratische Republik Kongo in einer Übergangsphase befinde und der ehemalige Präsident noch immer über Macht verfüge. Allerdings gehe aus den Länderfeststellungen hervor, dass sich die Lage entspannt habe und Repressionen gegen Oppositionelle stark abgenommen hätten. Der Revisionswerber sei auch nicht politisch tätig.
16 Wenn das BVwG vor dem Hintergrund dieser dem Revisionswerber in der Beschwerdeverhandlung auch vorgehaltenen Entwicklung der politischen Lage von keiner konkreten individuellen Bedrohung des Revisionswerbers in seinem Herkunftsstaat ausging, kann ihm nach dem Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes im Ergebnis keine unvertretbare Beurteilung vorgeworfen werden.
17 Soweit die Revision rügt, dass zur Sicherheits- und Menschenrechtslage in Kinshasa, der Herkunftsprovinz des Revisionswerbers, keine näheren Länderinformationen getroffen worden seien und auf einen näher genannten EASO-Bericht von Dezember 2019 verweist, wonach es in der jüngeren Vergangenheit in Kinshasa zu Übergriffen im Rahmen regierungskritischer Demonstrationen bis hin zu willkürlichen Festnahmen und Misshandlungen gekommen sei, zeigt sie damit nicht auf, welche (ergänzenden) Feststellungen im Hinblick auf die Sicherheits- und Menschenrechtslage in Kinshasa zu treffen gewesen wären und weshalb diese zu einem anderen, für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis hätten führen können. Das BVwG stellte nämlich fest, dass es noch immer vereinzelt Übergriffe von Sicherheitsbeamten auf Demonstranten gebe, der Revisionswerber jedoch nicht politisch tätig sei und eine Verfolgung der kongolesischen Behörden bei seiner Rückkehr nicht glaubhaft sei. Vor diesem Hintergrund wird nicht dargelegt, inwiefern das BVwG im Revisionsfall bei Berücksichtigung des genannten Berichts zu einer anderen Entscheidung in Bezug auf Asyl oder subsidiären Schutz hätte gelangen können.
18 Die Revision moniert weiters, die Feststellung des BVwG, wonach die Stadtbevölkerung in der Millionenstadt Kinshasa immer weniger in der Lage sei, mit städtischer Kleinstlandwirtschaft die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln zu sichern, stehe im Widerspruch zur Beurteilung des BVwG, dass in Kinshasa keine allgemeine existenzbedrohende Notlage herrsche. Diesbezüglich ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK nicht ausreicht, um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, sondern eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen ist (vgl. VwGH 6.11.2020, Ra 2020/18/0375, mwN). Dazu hat das BVwG im Revisionsfall festgestellt, dass die Musterfarm N’Sele bei Kinshasa maßgeblich zur Versorgung der Hauptstadt beitrage und darüber hinaus landwirtschaftliche Produkte aus den Nachbarprovinzen eingeführt würden. Zudem lebe die Familie des gesunden, erwerbsfähigen, gut gebildeten und über Berufserfahrung verfügenden Revisionswerbers in der Hauptstadt Kinshasa. Der Familie gehe es laut seiner Aussagen gut. Eine Unschlüssigkeit der Beurteilung des BVwG, dass im Falle einer Rückkehr des Revisionswerbers in seine Herkunftsprovinz solch exzeptionelle Umstände nicht vorlägen, ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich.
19 Soweit die Revision schließlich rügt, die Feststellungen zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat des Revisionswerbers entstammten einem nicht öffentlich zugänglichen Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes, der nach Schluss des Ermittlungsverfahrens unter Verletzung des Grundsatzes des Parteiengehörs in das Erkenntnis aufgenommen worden sei, ist darauf hinzuweisen, dass die Feststellungen zur politischen Lage im Herkunftsstaat dem Revisionswerber im Wesentlichen bereits in der Verhandlung zur Kenntnis gebracht wurden und zudem auch auf den öffentlich zugänglichen Jahresbericht 2019 von Human Rights Watch gestützt wurden.
20 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss im Übrigen in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung auch deren Relevanz dargetan werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 18.2.2020, Ra 2020/18/0032, mwN).
21 In der Revision werden vor diesem Hintergrund keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 18. Jänner 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180521.L00Im RIS seit
01.03.2021Zuletzt aktualisiert am
01.03.2021