TE Vwgh Beschluss 2021/1/26 Ra 2020/14/0561

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Veröffentlicht am 26.01.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des XY, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juli 2020, L512 2177532-1/19E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Pakistans, stellte am 22. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 und brachte zusammengefasst vor, aufgrund der unsicheren Lage und der herrschenden Armut geflüchtet zu sein. Er habe die Schule nicht besuchen können, weil die Taliban Schulbesuche verboten hätten.

2        Mit Bescheid vom 23. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung. Es stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision nicht zulässig sei.

4        Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 21. September 2020, E 2553/2020-8, die Behandlung derselben ablehnte und sie aufgrund des nachträglichen Antrages mit Beschluss vom 19. Oktober 2020, E 2553/2020-10, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengengefasst vor, das Bundesverwaltungsgericht habe in Abweichung von Judikatur eine unvertretbare Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK vorgenommen und den für die Abwägung entscheidungswesentlichen Sachverhalt nicht festgestellt. Gerade ganz entscheidende und prägende Umstände des Privat- und Familienlebens des Revisionswerbers wie sein Verhältnis zur Gastfamilie und seine persönliche Verwandlung in Österreich, wo er eine besonders prägende Zeit verbracht habe, seien unberücksichtigt geblieben. Das Verwaltungsgericht habe zudem aktenwidrig ein Abhängigkeitsverhältnis des Revisionswerbers zu seiner Gastfamilie verneint.

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen worden ist - nicht revisibel (vgl. VwGH 11.11.2020, Ra 2020/14/0149, mwN).

10       Dieses Vertretbarkeitskalkül ist vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu sehen, wonach der Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nicht dazu berufen ist, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern - diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten. Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof ist nur dann unausweichlich, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. VwGH 14.12.2020, Ra 2020/20/0408 bis 0411, mwN).

11       Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 7.10.2020, Ra 2020/14/0414, mwN).

12       Die in der Revision geltend gemachten Umstände hat das Verwaltungsgericht in seinen Erwägungen hinreichend berücksichtigt. Es hat sich sowohl mit dem Bildungsweg als auch mit den in der Revision angesprochenen Bindungen des im Entscheidungszeitpunkt 22 Jahre alten Revisionswerbers zu seiner in Österreich lebenden „Gastfamilie“, bei welcher er wohne, mit der er häufig esse und bei welcher er kochen und andere Haushaltstätigkeiten lerne, auseinandergesetzt. Die Revision vermag in diesem Zusammenhang weder eine Aktenwidrigkeit in Bezug auf das im Erkenntnis verneinte Abhängigkeitsverhältnis aufzuzeigen noch darzulegen, dass die festgestellten Umstände bei der Interessenabwägung in einer den Leitlinien der Rechtsprechung widersprechenden unvertretbaren Weise gewichtet worden wären.

13       Wenn die Revision in ihrem Zulassungsvorbringen weiters geltend macht, das Bundesverwaltungsgericht sei dem Antrag des Revisionswerbers auf Einvernahme der Gasteltern als Zeugen nicht nachgekommen, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach in der Unterlassung einer Beweisaufnahme dann kein Verfahrensmangel gelegen ist, wenn das von der Partei im Beweisantrag genannte Beweisthema unbestimmt ist. Beweisanträge dürfen weiters dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel (ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung) untauglich ist. Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt aber der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 5.11.2020, Ra 2020/14/0465, mwN).

14       Eine grob fehlerhafte Beurteilung im Sinne der dargestellten Rechtsprechung vermag die Revision nicht aufzuzeigen, zumal das Bundesverwaltungsgericht die Angaben des Revisionswerbers hinsichtlich seiner privaten Interessen als wahr unterstellte, der rechtlichen Beurteilung zugrunde legte und im Detail einzelne Aspekte aufzeigte, die für eine bestehende Integration des Revisionswerbers sprechen würden. Die privaten Interessen erachtete das Bundesverwaltungsgericht jedoch als durch den unsicheren Aufenthaltsstatus relativiert, weshalb die öffentlichen Interessen an der Wahrung eines geordneten Fremden- und Aufenthaltswesens überwögen. Auch eine tragende Grundsätze des Verfahrensrechts berührende Verkennung der Begründungspflicht (vgl. dazu VwGH 7.7.2020, Ra 2020/14/0236, mwN) ist nicht ersichtlich.

15       Im Übrigen legt die Revision mit dem Zulassungsvorbringen, bei Einvernahme der Zeugen wäre das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis gekommen, dass eine tiefgreifende Integration vorliege, die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels - also auf Grund welcher Angaben der Zeugen welche (weiteren) Feststellungen zu treffen gewesen wären, die die geforderte rechtliche Beurteilung ermöglicht hätten - nicht dar (vgl. wiederum VwGH 5.11.2020, Ra 2020/14/0465).

16       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 26. Jänner 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020140561.L00

Im RIS seit

01.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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