Entscheidungsdatum
04.12.2020Norm
AuslBG §12bSpruch
W167 2234636-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daria MACA-DAASE als Vorsitzende und die fachkundige Laienrichterin Mag. Manuela ECKERSDORFER und den fachkundigen Laienrichter Mag. Johannes DENK als Beisitzer/in über die Beschwerde von XXXX (im Folgenden: BF), vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz nach Beschwerdevorentscheidung vom XXXX , wegen Ablehnung des Antrags auf Zulassung als sonstige Schlüsselkraft bei der XXXX (im Folgenden: M) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Am XXXX beantragte BF die Erteilung des Aufenthaltstitels Rot-Weiß-Rot-Karte gemäß § 41 Abs.2 Ziffer 2 NAG (sonstige Schlüsselkraft).
2. Die belangte Behörde wies den Antrag bzw. die Beschwerde dagegen ab (Bescheid und Beschwerdevorentscheidung).
3. Aufgrund des rechtzeitigen Vorlageantrags legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.
4. Im Rahmen des Beschwerdeverfahren gaben M und BF über Aufforderung eine gemeinsame Stellungnahme ab (OZ 8). In dieser führten sie im Wesentlichen aus, dass es für das Beschwerdeverfahren irrelevant sei, ob die M am Geschäftsleben teilnehme und ob die Einhaltung der lohn- und sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen garantiert werden könne, da sie sich nicht auf die anwendbaren Normen stütze. Gegenstand des Verfahrens sei lediglich, ob die Voraussetzungen des § 12b Z 1 AuslBG vorliegen und die Bestätigung auszustellen ist. Sie führten weiters mit näheren Ausführungen und beigelegten Unterlagen aus, dass es sich um ein Start-Up-Unternehmen handle, eine Geschäftstätigkeit bisher nicht entfaltet wurde, da es der Plan war, diese mit dem Beschwerdeführer als Angestellten aufzubauen, kein Anhaltspunkt dafür bestehe, dass die Arbeitgeberin ihren einschlägigen Verpflichtungen nicht nachkommen wird und die Gewähr gegeben erscheine, dass der Arbeitgeber die Lohn- und Arbeitsbedingungen einschließlich der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften einhalte.
5. Die belangte Behörde nahm dazu schriftlich Stellung (OZ 13). In der Stellungnahme wies die belangte Behörde auch darauf hin, RV habe in einer Verhandlung am XXXX bestätigt, dass derzeit insgesamt 6 gleichgelagerte Fälle (3 bereits beim BVwG, drei noch beim AMS) anhängig sind, in denen ein Arzt/eine Ärztin im Vertrieb von Nahrungsergänzungsmittel tätig sein soll, wobei auch in diesen Fällen die Arbeitgeberin noch keine Geschäftsaktivitäten entfaltet hat.
6. Am XXXX fand eine mündliche Verhandlung statt, an welcher der Rechtsvertreter und eine Behördenvertreterin teilnahmen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Erklärung über die Errichtung der M stammt vom XXXX , eine Gewerbeberechtigung für „Handelsgewerbe mit Ausnahme der reglementierten Handelsgewerbe“ besteht laut GISA-Auszug seit XXXX . Am XXXX wurde BF als sonstige Schlüsselkraft beantragt. Seit XXXX vertritt die nunmehrige Geschäftsführerin die M.
Der im Zeitpunkt der Antragstellung 38-jährige BF ist nach seiner Ausbildung im Herkunftsstaat Arzt und hat darüber hinaus Unterlagen über eine vierjährige Tätigkeit als Arzt im Herkunftsstaat und ein IELTS-Sprachzertifikat Englisch B2 vorgelegt.
BF soll laut Arbeitgebererklärung und Vermittlungsauftrag bezüglich eines Ersatzkraftverfahrens als Salesmanager (Kundenakquise und Vertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln und Korrespondenz XXXX ) bei M mit einem monatlichen Bruttogehalt von EUR 3.300 beschäftigt werden.
Das beabsichtige Geschäftsfeld von M ist Nahrungsergänzungsmittel, welche insbesondere an XXXX vertrieben werden sollen. M verfügt über keinen Businessplan, sondern lediglich interne Kalkulationen, denen zu Folge das erste Jahr mit Verlust abgeschlossen wird, im zweiten Jahr dann die Anlaufverluste ausgeglichen werden und ab dem dritten Jahr mit einem Gewinn gerechnet wird.
M hat keinen Geschäftsbetrieb und dementsprechend keinen Umsatz bzw. Gewinn. Laut Eingabe OZ 8 handelt es sich bei M um ein Start-Up-Unternehmen, das seine Geschäfte erst – mit Hilfe des BF – aufbauen möchte und bisher keine Geschäftstätigkeit entfaltet hat. M verfügt über keinen Internet-Auftritt, die Adresse der M ist die Privatadresse der Geschäftsführerin. Laut Auszug aus der Bilanz 2019 (Jahresabschluss 31.12.2019) gibt es nur Umlaufvermögen aber kein Anlagevermögen. Das Eigenkapital beträgt EUR XXXX (Bilanzverlust EUR XXXX ). Die M verfügt nach eigenen Angaben über ein Geschäftskonto mit einem Guthaben von EUR XXXX (Stand: 30.09.2020).
Von der belangten Behörde wurde kein Ersatzkraftverfahren durchgeführt.
Derzeit gibt es fünf weitere Unternehmen, die exakt im gleichen Geschäftsfeld wie M tätig zu sein planen; eines dieser Unternehmen hat dieselbe Geschäftsführerin wie M. Fünf weitere gleichgelagerte Fälle sind bei der belangten Behörde bzw. beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.
2. Beweiswürdigung:
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt sowie der Verhandlung und ist unstrittig. Auch der Rechtsvertreter wies in der Verhandlung darauf hin, dass lediglich die Rechtsfrage ob bei diesem Sachverhalt eine Rot-Weiß-Rot Karte zu erteilen sei, zu beurteilen sei (OZ 14).
Hinsichtlich der vorgesehenen Tätigkeit als Sales Manager wird auch auf www.bic.at und www.berufslexikon.at hingewiesen, wonach für Tätigkeiten im Vertrieb üblicherweise eine kaufmännische bzw. wirtschaftliche Ausbildung Voraussetzung ist.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Zur Abweisung der – zulässigen - Beschwerde
3.1. Maßgebliche Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetz
Sonstige Schlüsselkräfte und Studienabsolventen
§ 12b. Ausländer werden zu einer Beschäftigung als Schlüsselkraft zugelassen, wenn sie
1. die erforderliche Mindestpunkteanzahl für die in Anlage C angeführten Kriterien erreichen und für die beabsichtigte Beschäftigung ein monatliches Bruttoentgelt erhalten, das mindestens 50 vH oder, sofern sie das 30. Lebensjahr überschritten haben, mindestens 60 vH der monatlichen Höchstbeitragsgrundlage gemäß § 108 Abs. 3 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, zuzüglich Sonderzahlungen beträgt, oder
2. […]
und sinngemäß die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 mit Ausnahme der Z 1 erfüllt sind. Bei Studienabsolventen gemäß Z 2 entfällt die Arbeitsmarktprüfung im Einzelfall.
Beschäftigungsbewilligung
Voraussetzungen
§ 4. (1) Einem Arbeitgeber ist auf Antrag eine Beschäftigungsbewilligung für den im Antrag angegebenen Ausländer zu erteilen, wenn die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes die Beschäftigung zulässt (Arbeitsmarktprüfung), wichtige öffentliche und gesamtwirtschaftliche Interessen nicht entgegenstehen und
1. […],
2. die Gewähr gegeben erscheint, dass der Arbeitgeber die Lohn- und Arbeitsbedingungen einschließlich der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften einhält,
3. bis 11 […]
Prüfung der Arbeitsmarktlage
§ 4b. (1) Die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes (§ 4 Abs. 1) lässt die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung zu, wenn für die vom beantragten Ausländer zu besetzende offene Stelle weder ein Inländer noch ein am Arbeitsmarkt verfügbarer Ausländer zur Verfügung steht, der bereit und fähig ist, die beantragte Beschäftigung zu den gesetzlich zulässigen Bedingungen auszuüben. Unter den verfügbaren Ausländern sind jene mit Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, EWR-Bürger, Schweizer, türkische Assoziationsarbeitnehmer (§ 4c) und Ausländer mit unbeschränktem Arbeitsmarktzugang (§ 17) zu bevorzugen. Der Prüfung ist das im Antrag auf Beschäftigungsbewilligung angegebene Anforderungsprofil, das in den betrieblichen Notwendigkeiten eine Deckung finden muss, zu Grunde zu legen. Den Nachweis über die zur Ausübung der Beschäftigung erforderliche Ausbildung oder sonstige besondere Qualifikationen hat der Arbeitgeber zu erbringen.
Anlage C
Zulassungskriterien für sonstige Schlüsselkräfte gemäß § 12b Z 1
Kriterien
Punkte
Qualifikation
maximal anrechenbare Punkte: 30
abgeschlossene Berufsausbildung oder spezielle Kenntnisse oder Fertigkeiten in beabsichtigter Beschäftigung
20
allgemeine Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120
25
Abschluss eines Studiums an einer tertiären Bildungseinrichtung mit dreijähriger Mindestdauer
30
ausbildungsadäquate Berufserfahrung
maximal anrechenbare Punkte: 20
Berufserfahrung (pro Jahr)
Berufserfahrung in Österreich (pro Jahr)
2
4
Sprachkenntnisse Deutsch
maximal anrechenbare Punkte: 15
Deutschkenntnisse zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau (A 1)
Deutschkenntnisse zur vertieften elementaren Sprachverwendung (A 2)
Deutschkenntnisse zur selbständigen Sprachverwendung (B 1)
5
10
15
Sprachkenntnisse Englisch
maximal anrechenbare Punkte: 10
Englischkenntnisse zur vertieften elementaren Sprachverwendung (A 2)
Englischkenntnisse zur selbständigen Sprachverwendung (B 1)
5
10
Alter
maximal anrechenbare Punkte: 15
bis 30 Jahre
bis 40 Jahre
15
10
Summe der maximal anrechenbaren Punkte
Zusatzpunkte für Profisportler/innen und Profisporttrainer/innen
90
20
erforderliche Mindestpunkteanzahl
55
3.2. Für den Beschwerdefall bedeutet das:
BF erfüllt, wie bereits die belangte Behörde festgestellt hat, die Mindestpunkteanzahl von 55 Punkte (konkret sind dem BF 30 Punkte aufgrund seiner Qualifikation, 8 Punkte für ausbildungsadäquate Berufserfahrung, 10 Punkte für die Sprachkenntnisse und 10 Punkte für das Alter anzurechnen, insgesamt daher 58 Punkte) und das Mindestgehalt (EUR 3.222,-- im Jahr 2020, im Beschwerdefall: EUR 3.300,--).
M hat unstrittig keinen Geschäftsbetrieb und möchte diesen erst mit Hilfe der beantragten sonstigen Schlüsselkraft (BF) aufbauen.
Die Rot-Weiß-Rot-Karte sonstige Schlüsselkraft ermöglicht, dass eine drittstaatsangehörige Arbeitskraft für eine/n inländische/n Arbeitgeber/in tätig werden kann, wenn die erforderlichen Voraussetzungen (§ 12b Z 1 AuslbG in Verbindung mit § 4 Abs1 AuslB) vorliegen.
Der Prüfung der Arbeitsmarktlage (§ 4b Absatz 1 AuslBG) ist das im Antrag angegebene Anforderungsprofil, das in den betrieblichen Notwendigkeiten eine Deckung finden muss, zu Grunde zu legen. „Betriebliche Notwendigkeit“ setzt aber das Vorhandensein einer betrieblichen Tätigkeit voraus, die durch Besetzung der im Anforderungsprofil beschriebenen Stelle weiterhin gesichert werden soll. Bei M kann derzeit mangels Geschäftstätigkeit keine betriebliche Tätigkeit und damit auch keine betriebliche Notwendigkeit für die Einstellung eines Salesmanagers erkannt werden.
Das AuslBG, aber auch das NAG, setzen betreffend die Rot-Weiß-Rot-Karte sonstige Schlüsselkraft voraus, dass ein inländischer Arbeitgeber vorhanden ist, welcher eine Geschäftstätigkeit bereits ausübt. Dass es nach dem Willen des Gesetzgebers ausreichend ist, die Geschäftstätigkeit überhaupt erst durch die Einstellung der beantragten sonstigen Schlüsselkraft aufzunehmen, kann nicht unterstellt werden, zumal beispielsweise eine eigene Rot-Weiß-Rot-Karte für Start-up-Gründer vorgesehen ist (vergleiche § 41 NAG und § 24 Absatz 2 AuslBG, wobei es hierbei um beispielsweise um innovative Produkte handeln muss). Somit geht die Argumentation des RV ins Leere, dass es sich bei der M um ein Start-up handle.
Festgehalten wird auch, dass eine regionale Bedeutung, eine Stärkung des Wirtschaftsstandorts Österreich oder ein gesamtwirtschaftlicher Nutzen (wie beispielsweise Sicherung oder Schaffung von Arbeitsplätzen) im Beschwerdefall nicht ersichtlich ist.
Darüber hinaus wird festgehalten, dass § 4 Absatz 1 Ziffer 4 AuslBG als eine der Voraussetzungen vorsieht, dass die Gewähr gegeben erscheint, dass der Arbeitgeber die Lohn- und Arbeitsbedingungen einschließlich der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften einhält.
Anders als vom RV angenommen ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts hier eine Prognoseentscheidung betreffend die Zuverlässigkeit des Arbeitgebers zur treffen (vergleiche dazu beispielsweise VwGH 21.01.1994, 93/09/0406). Im Beschwerdefall liegen jedoch Umstände vor, welche dies als zweifelhaft erscheinen lassen (vergleiche VwGH 06.06.2001, 98/09/0016): Weder wurde bis dato eine Geschäftstätigkeit entfaltet, noch liegt ein Businessplan (ggf. unter der Berücksichtigung, dass mehrere weitere Unternehmen ebenfalls planen in diesem Geschäftsfeld tätig zu sein) vor, noch ist auch nach den Angaben von M in den ersten beiden Jahren mit einem Gewinn zu rechnen. Somit scheint es zweifelhaft, dass die vorgesehene Entlohnung – welche dem gesetzlich festgelegten Mindestentgelt für über 30-Jährige im Jahr 2020 (EUR 3.222,-- brutto pro Monat zuzüglich Sonderzahlungen) entspricht – dem BF für den zweijährigen Zeitraum der beantragten Rot-Weiß-Rot-Karte ausgezahlt werden könnte.
Somit liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Rot-Weiß-Rot-Karte sonstige Schlüsselkraft schon aus diesem Grund nicht vor. Der Antrag war daher abzuweisen.
Zu B) Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es fehlt soweit ersichtlich an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob die Voraussetzungen für die Zulassung einer Schlüsselkraft auf Unternehmensseite erfüllt sein können, wenn das Unternehmen bis dato keine Geschäftstätigkeit entfaltet hat und erst die beantragte Schlüsselkraft eine Geschäftstätigkeit aufbauen soll, und wenn für den Zeitraum des Aufbaus der Geschäftstätigkeit die Einhaltung der lohn- und sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen (insbesondere Zahlung des Entgelts und Abfuhr der Sozialversicherungsbeiträge) beispielsweise mangels eines entsprechenden Gewinns nicht gewährleistet erscheint.
Schlagworte
Geschäftstätigkeit Revision zulässig Rot-Weiß-Rot-Karte SchlüsselkraftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W167.2234636.1.00Im RIS seit
22.02.2021Zuletzt aktualisiert am
22.02.2021