TE Bvwg Beschluss 2020/12/14 W238 2182869-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.12.2020
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Entscheidungsdatum

14.12.2020

Norm

AlVG §10
AlVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §32 Abs1 Z2

Spruch


W238 2182869-3/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Claudia MARIK als Vorsitzende sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin EGGER und Mag. Robert STEIER als Beisitzer über den (als Antrag auf Wiedereinsetzung des Verfahrens in den vorigen Stand bezeichneten) Antrag von XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch XXXX , auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.02.2020, W238 2182869-1/14E, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens nach dem AlVG beschlossen:

A)       Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid vom 03.10.2017 sprach das Arbeitsmarktservice Mödling (im Folgenden: AMS) gemäß § 10 iVm § 38 AlVG den Verlust des Anspruchs der Notstandshilfe für den Zeitraum vom 06.09.2017 bis 31.10.2017 aus. Nachsicht wurde nicht erteilt. In der Begründung wurde ausgeführt, dass der damalige Beschwerdeführer (nunmehrige Antragsteller) eine von der Firma XXXX angebotene zumutbare Stelle nicht angenommen bzw. eine Arbeitsaufnahme vereitelt habe. Gründe für eine Nachsicht der Rechtsfolgen würden nicht vorliegen.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Darin brachte er insbesondere vor, dass er am 05.09.2017 von einer Mitarbeiterin der Firma XXXX angerufen und aufgefordert worden sei, sofort eine Stelle als Lagerarbeiter in Wien 23 anzutreten. Genaue Angaben über Tätigkeit und Einkommen seien bei diesem Gespräch nicht gemacht worden. Da der Beschwerdeführer an diesem Tag um 15 Uhr noch ein vielversprechendes Vorstellungsgespräch bei einer anderen Firma vereinbart habe und ihm der Anfahrtsweg in den 23. Bezirk zu weit erschienen sei, habe er den Antritt der nicht näher beschriebenen Stelle abgesagt. Seiner Beschwerde legte er u.a. seine Bewerbung bei der Firma XXXX vom 04.09.2017 und eine Absage dieser Firma vom 30.10.2017 unter Bezugnahme auf ein Bewerbungsgespräch des Beschwerdeführers am 05.09.2017 bei.

3. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 19.12.2017 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des AMS vom 03.10.2017 gemäß § 14 VwGVG iVm § 56 AlVG abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die dem Beschwerdeführer angebotene Stelle zumutbar gewesen wäre. Der Beschwerdeführer habe sich beim Dienstgeber XXXX eigenständig beworben. Der Bewerbung folgend sei dem Beschwerdeführer von der Firma eine zumutbare Beschäftigung angeboten worden; es sei ein Arbeitsbeginn am 05.09.2017 vereinbart worden. Am Tag davor habe sich der Dienstgeber über die Förderbarkeit der Beschäftigung beim AMS erkundigt und bekanntgegeben, dass der Beschwerdeführer am nächsten Tag bei der Firma anfangen würde zu arbeiten. Der Beschwerdeführer habe die Absage der Stelle mit einem Bewerbungsgespräch bei der Firma XXXX begründet. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei am 05.09.2017 von der Firma XXXX angerufen und überraschend sofort zum Dienst beordert worden, wurde vom AMS kein Glauben geschenkt. Aufgrund der Abwegigkeit des Vorbringens, der Beschwerdeführer sei zu Mittag während des Essens ohne vorherige Vereinbarung aufgefordert worden, sofort ein Dienstverhältnis als Lagerarbeiter in Wien 23 anzutreten, seien keine weiteren Erhebungen erforderlich gewesen. Der Tatbestand gemäß § 38 iVm § 10 Abs. 1 AlVG, der den Verlust des Leistungsanspruchs für acht Wochen rechtfertige, sei durch die Nichtannahme der konkret angebotenen Stelle verwirklicht worden. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht im Sinne des § 10 Abs. 3 AlVG (so insbesondere die Beendigung der Arbeitslosigkeit durch Arbeitsaufnahme innerhalb angemessener Frist) würden nicht vorliegen. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten finanziellen Schwierigkeiten seien nicht berücksichtigungswürdig.

4. Der Beschwerdeführer brachte fristgerecht einen Vorlageantrag ein.

5. Am 22.01.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, sein Vertreter und eine Vertreterin der belangten Behörde teilnahmen. Im Zuge der Verhandlung wurden auch drei Zeugen einvernommen. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgte eine mündliche Verkündung des Erkenntnisses, mit dem die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und die Beschwerdevorentscheidung mit der Maßgabe bestätigt wurde, dass der Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe gemäß § 10 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 iVm § 38 AlVG für den Zeitraum vom 06.09.2017 bis 17.10.2017 ausgesprochen und Nachsicht vom Ausschluss des Bezuges der Notstandshilfe gemäß § 10 Abs. 3 AlVG nicht erteilt wurde. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

6. Das Erkenntnis wurde nach fristgerechter Einbringung eines Ausfertigungsantrags seitens des Beschwerdeführers am 12.02.2020 zu Zahl W238 2182869-1/14E schriftlich ausgefertigt.

Das Bundesverwaltungsgericht stellte im Wesentlichen fest, dass sich der Beschwerdeführer nach Ausdruck des Stellenangebots am 03.08.2017 bei einem Selbstbedienungsautomaten des AMS aus eigenem für die Stelle als Lagerarbeiter bei der Firma XXXX bewarb. In weiterer Folge wurde zwischen dem potentiellen Dienstgeber und dem Beschwerdeführer ein Arbeitsbeginn am 05.09.2017 an der Adresse in XXXX vereinbart. Der Beschwerdeführer erschien nicht zum vereinbarten Arbeitsantritt. Er wurde am 05.09.2017 von einer Mitarbeiterin der Firma angerufen und aufgefordert, die Arbeit aufzunehmen. Der Beschwerdeführer kam dieser Aufforderung nicht nach und sagte den Antritt der Stelle ab. Er hatte am selben Tag um 15 Uhr ein Vorstellungsgespräch bei einer anderen Firma vereinbart, welches er auch wahrnahm. Es kam (auch dort) zu keiner Beschäftigungsaufnahme.

Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers wurde vom Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass bei ihm folgende Funktionseinschränkungen diagnostiziert wurden: Zustand nach diabetischem Ulcus cruris dext, Diabetes Mellitus II (Erstdiagnose 06.07.2018), Katarakt beidseits, Zustand nach Katarakt-OP links im November 2019, Zustand nach Katarakt-OP rechts im Dezember 2019.

Das Vorliegen gesundheitlicher Einschränkungen wurde vom Beschwerdeführer erst im Zuge seiner Stellungnahme vom 10.01.2020 behauptet und durch ärztliche Befunde vom 10.01.2019, 20.11.2019, 11.12.2019 und 17.01.2020 belegt. Die darin diagnostizierten Krankheiten bezogen sich nicht auf den verfahrensgegenständlichen Zeitraum und hatten weder eine psychische Erkrankung noch eine geistige Behinderung zum Gegenstand.

Beim Beschwerdeführer lag den weiteren Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes zufolge weder zum Zeitpunkt des Ausdrucks des gegenständlichen Stellenangebots am 03.08.2017 noch zum Zeitpunkt der möglichen Arbeitsaufnahme am 05.09.2017 eine bestätigte (dauernde oder vorübergehende) Arbeitsunfähigkeit vor. Er befand sich insbesondere nicht im Krankenstand.

Es wurde – unbeschadet der festgestellten Erkrankungen – vom Gericht nicht festgestellt, dass die angebotene Beschäftigung als Lagerarbeiter dem Beschwerdeführer aus gesundheitlicher Sicht nicht zumutbar gewesen wäre.

Die Wegzeit zwischen dem Wohnort des Beschwerdeführers und dem Arbeitsplatz betrug mit öffentlichen Verkehrsmitteln (an einem Werktag) ca. 40 Minuten in eine Richtung. Auch diesbezüglich erkannte das Bundesverwaltungsgericht keine Unzumutbarkeit der dem Beschwerdeführer angebotenen Stelle.

Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers insbesondere Folgendes aus:

„Die gesundheitlichen Einschränkungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus den in der Verhandlung vorgelegten Befunden vom 10.01.2019, 20.11.2019, 11.12.2019 und 17.01.2020 mit den in den Jahren 2018/2019 erstellten Diagnosen.

Es wurden keine medizinischen Beweismittel für das Vorliegen von Erkrankungen im verfahrensgegenständlichen Zeitraum beigebracht. Insbesondere wurde auch kein objektivierter Nachweis über das Bestehen einer psychischen Erkrankung oder einer geistigen Behinderung des Beschwerdeführers vorgelegt.

Zwar gaben die als Zeugen einvernommenen Eltern des Beschwerdeführers sowie der als Vertreter im Beschwerdeverfahren einschreitende Stiefvater des Beschwerdeführers in der Verhandlung übereinstimmend an, dass der Beschwerdeführer im verfahrensgegenständlichen Zeitraum in einem gesundheitlich schlechten Zustand gewesen sei und sich erst über mehrmalige Aufforderung seiner Familie dazu entschlossen habe, einen Arzt aufzusuchen. Weiters wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer damals vergesslich, teilweise stark verunsichert und ängstlich gewesen sei, keine öffentlichen Verkehrsmittel benützen könne und von seinen Eltern sowie seinem Stiefvater unterstützt worden sei (Begleitung zu AMS-Terminen, Unterstützung bei Bewerbungen, Hilfestellung mit PC etc.). Sein Vater beschrieb den Beschwerdeführer in der Verhandlung mehrfach als ‚patschert‘. Die Zeugen und der Stiefvater des Beschwerdeführers äußerten sogar die – weder konkretisierte noch objektivierte – Vermutung, dass der Beschwerdeführer eine geistige Beeinträchtigung aufweise.

Eine nachvollziehbare Erklärung, warum diesbezüglich bis dato keinerlei Nachweis vorliegt (Befunde, Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses etc.), vermochten jedoch weder der Beschwerdeführer noch seine Angehörigen zu geben.

Dass beim Beschwerdeführer im verfahrensgegenständlichen Zeitraum keine bestätigte (dauernde oder vorübergehende) Arbeitsunfähigkeit vorlag, konnte festgestellt werden, weil im Hinblick auf den relevanten Zeitraum im Akt weder ärztliche Bescheinigungen einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit (Krankmeldungen) einliegen noch hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass beim Beschwerdeführer eine dauernde Arbeitsunfähigkeit vorlag.

Im verfahrensgegenständlichen Zeitraum vorgelegene Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit bzw. eine Arbeitsunfähigkeit konnten somit nicht objektiviert und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht bloß anhand der subjektiven Wahrnehmung des Beschwerdeführers, seiner Eltern und seines Vertreters im Nachhinein festgestellt werden. (…)

Hinzu kommt, dass sich der Beschwerdeführer sowohl für die verfahrensgegenständliche Stelle, die als Anforderung u.a. ‚körperliche Fitness‘ formuliert, als auch für die Stelle bei der XXXX sowie laut Verwaltungsakt am 11.09.2017 auch für eine Stelle bei der Firma XXXX aus eigenem beworben (und dort auch vorgesprochen) hat, was dagegen spricht, dass der Beschwerdeführer im verfahrensgegenständlichen Zeitraum gesundheitlich nicht in der Lage gewesen wäre, Bewerbungsaktivitäten zu setzen, Termine einzuhalten und einer Arbeit nachzugehen. Dass der Beschwerdeführer im verfahrensgegenständlichen Zeitraum aufgrund seines Gesundheitszustandes außer Stande gewesen wäre, seinen Pflichten nachzukommen, kann daraus jedenfalls nicht geschlossen werden.

Dass die Auswirkungen der beim Beschwerdeführer erst 2018/2019 diagnostizierten Krankheiten ihn am Antritt der Arbeit als Lagerarbeiter bei der Firma XXXX gehindert haben, konnte daher nicht objektiviert werden.

Schließlich konnte nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer die zugewiesene Beschäftigung als Lagerarbeiter aus gesundheitlicher Sicht nicht zumutbar gewesen wäre. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass der Beschwerdeführer der Niederschrift vom 11.09.2017 zufolge gegen die angebotene Stelle keine Einwendungen hinsichtlich körperlicher Fähigkeiten, Gesundheit und Sittlichkeit erhoben hat. In der mündlichen Verhandlung wurde die Zumutbarkeit der Beschäftigung vom Beschwerdeführer zwar ausdrücklich bestritten, jedoch mit Blick auf das Fehlen von medizinischen Beweismitteln für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum sowie seine Bewerbung für die Stelle aus Eigeninitiative nicht substantiiert dargelegt.

Aufgrund der Unmöglichkeit, Ausmaß und Auswirkungen von allenfalls beim Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Absage der Stelle am 05.09.2017 bestehenden Gesundheitseinschränkungen im Nachhinein festzustellen, scheidet auch die Einholung eines ärztlichen Gutachtens durch das erkennende Gericht aus, zumal keinerlei Befunde betreffend den verfahrensgegenständlichen Zeitraum vorgelegt wurden.“

In rechtlicher Hinsicht kam das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer die Stelle als Lagerarbeiter bei der Firma XXXX aus gesundheitlicher Sicht sowie auch hinsichtlich der täglichen Wegzeit für Hin- und Rückweg zumutbar war. Dass er am 05.09.2017 trotz telefonischer Aufforderung des potentiellen Dienstgebers nicht zum vereinbarten Arbeitsbeginn erschien, wurde vom Gericht als Vereitelungshandlung qualifiziert. Das Verhalten des Beschwerdeführers war auch kausal für das Nichtzustandekommen der Beschäftigung. Damit fand sich der Beschwerdeführer durch die Verweigerung des Arbeitsantritts ab, zumal er sich in Folge der – auch vom Beschwerdeführer unbestrittenen – telefonischen Nachfrage des potentiellen Dienstgebers am 05.09.2017 bewusst gegen die Stelle entschied, um stattdessen ein Vorstellungsgespräch bei einer anderen Firma wahrzunehmen. Es kamen im Beschwerdeverfahren auch unter Berücksichtigung der Feststellungen über den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers keine objektivierbaren Hinweise hervor, die an der grundsätzlichen Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Gewährleistung der Einhaltung von Terminen Zweifel aufkommen ließen, zumal der Beschwerdeführer noch am selben Tag ein Vorstellungsgespräch wahrnahm, offenbar ein Terminvormerksystem hatte sowie auf Unterstützung durch seine Angehörigen zurückgreifen konnte. Umstände, die als Nachsichtsgründe in Betracht kämen, kamen im Verfahren nicht hervor.

Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wurde dem Beschwerdeführer im Wege seines Vertreters am 18.02.2020 und der belangten Behörde mit Wirksamkeit vom 15.02.2020 zugestellt.

7. Mit Erledigung vom 31.03.2020, Zahl E 1075/2020-2, wurde dem Bundesverwaltungsgericht mitgeteilt, dass gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.02.2020 Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof erhoben bzw. ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Beschwerdeführung gegen eben diese Entscheidung eingebracht wurde.

8. Mit Eingabe des bevollmächtigten Vertreters des Beschwerdeführers vom 08.06.2020 wurde der im Spruch genannte, fälschlich als Antrag auf Wiedereinsetzung des Verfahrens in den vorigen Stand bezeichnete Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.02.2020 abgeschlossenen Verfahrens gestellt. Unter einem wurde die Bewilligung der Verfahrenshilfe für dieses Verfahren beantragt.

Zur Begründung des Wiederaufnahmeantrags wurde vorgebracht, dass der Vertreter und die Eltern des nunmehrigen Wiederaufnahmewerbers im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 22.01.2020 versucht hätten, glaubhaft zu machen, dass diesem aufgrund einer schweren und nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Gesundheit auf Jahre hindurch die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit bezüglich der Aufnahme einer Arbeit zur Abdeckung der täglichen Bedürfnisse gefehlt habe. Da das Gericht diesem Vorbringen nicht gefolgt sei, habe der Vertreter des Wiederaufnahmewerbers ab diesem Zeitpunkt versucht, einen Psychotherapeuten oder einen Neurologen zur Feststellung des körperlichen und geistigen Zustands des Wiederaufnahmewerbers zu finden. Der nun vorgelegte neurologische Befundbericht vom 18.05.2020 untermauere die Darstellungen der Angehörigen des Wiederaufnahmewerbers bei der mündlichen Verhandlung. Auch das AMS habe aufgrund dieses Befundberichts am 05.06.2020 bei der PVA eine Begutachtung des Wiederaufnahmewerbers gemäß § 8 AIVG zwecks Abklärung seiner Arbeitsfähigkeit mit der Fragestellung anberaumt „ob der bei dieser Begutachtung festgestellte Zustand auch schon 2017 bestanden hat“. Aus diesen Gründen werde ein „Antrag auf Wiedereinsetzung des Verfahrens in den vorigen Stand“ gestellt, Verfahrenshilfe für dieses Verfahren beantragt und die Bestellung eines gerichtlich beeideten Sachverständigen zur Feststellung des Gesundheitszustandes „zum Zeitpunkt des Vergehens der Arbeitsverweigerung im Jahr 2017“ begehrt. Diesbezüglich wurden auch Zeugenaussagen des Vertreters und der Eltern des Wiederaufnahmewerbers angeboten.

Den Anträgen wurden ein neurologischer Befundbericht vom 18.05.2020, eine Bestätigung des Facharztes für Neurologie über die Aushändigung des Befundberichts am 26.05.2020 an den Vater des Wiederaufnahmewerbers, ein Untersuchungsauftrag des AMS (Begutachtung gemäß § 8 AlVG) vom 29.05.2020, Überweisungen für Labor und Röntgen/MRT, ein Rezept sowie Schriftverkehr vom 05.05.2020 und 06.05.2020 zwischen dem Vertreter des Wiederaufnahmewerbers und einer klinischen Psychologin betreffend eine Terminanfrage beigelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle entscheidet das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 56 Abs. 2 AlVG durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und aus dem Kreis der Arbeitnehmer. Im Verfahren, dessen Wiederaufnahme begehrt wird, lag somit Senatszuständigkeit vor, weshalb der vorliegende Antrag ebenfalls der Senatsentscheidung vorbehalten ist.

Zu A) Abweisung des Wiederaufnahmeantrages:

1.2. § 32 VwGVG lautet wie folgt:

„Wiederaufnahme des Verfahrens

§ 32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn

1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder

3. das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder

4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

...“

2.1. Voraussetzung für die Wiederaufnahme des Verfahrens ist, dass die das seinerzeitige Verfahren abschließende Entscheidung mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht mehr anfechtbar, also formell rechtskräftig ist. Die Zulässigkeit und auch die Erhebung von Rechtsmitteln bei den Höchstgerichten hindern, selbst wenn der Beschwerde oder der Revision aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, nicht den Eintritt der formellen Rechtskraft (VwGH 16.09.1980, 1079/79; 23.02.2012, 2010/07/0067; 28.02.2012, 2012/05/0026).

Entscheidungen eines Verwaltungsgerichtes werden mit ihrer Erlassung rechtskräftig. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.02.2020 wurde mit seiner Zustellung rechtskräftig (vgl. dazu etwa VwGH 26.11.2015, Ro 2015/07/0018; 19.01.2016, Ra 2015/01/0070; 24.05.2016, Ra 2016/03/0050; 31.01.2017, Ra 2017/03/0001).

2.2. Der Einschreiter stellte am 08.06.2020 den vorliegenden, fälschlich als Antrag auf Wiedereinsetzung des Verfahrens in den vorigen Stand bezeichneten Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.02.2020, W238 2182869-1/14E, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens.

Nach dem Rechtsgrundsatz „falsa demonstratio non nocet“ (vgl. dazu Rummel in Rummel, ABGB I3, Rz 6 zu § 871 ABGB) kann es der wirksamen Einbringung des vorliegenden Wiederaufnahmeantrags keinen Abbruch tun, wenn der objektive Erklärungswert der Eingabe vom davon abweichenden – für das Gericht klar erkennbaren – Willen abweicht. Gegenständlich hegt das Gericht angesichts der Begründung der Eingabe vom 08.06.2020 keinen Zweifel daran, dass der (durch seinen Stiefvater vertretene) Antragsteller die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Beschwerdeverfahrens anstrebt.

Für die Beurteilung der Frage, ob eine Vollmacht auch für andere Verfahren über bereits schwebende oder erst später anhängig werdende Rechtsangelegenheiten als erteilt anzusehen ist, ist es entscheidend, ob ein so enger Verfahrenszusammenhang besteht, dass von derselben Angelegenheit oder Rechtssache gesprochen werden kann (VwGH 03.07.2001, 2000/05/0115).

Ein derartiger enger Verfahrenszusammenhang zwischen dem rechtskräftig abgeschlossenen Beschwerdeverfahren und dem gegenständlichen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist angesichts der einheitlichen Zielrichtung beider Verfahren (Aufhebung der nach § 10 AlVG verhängten Sanktion) anzunehmen. Zudem liegt mit der im Beschwerdeverfahren seitens des damaligen Beschwerdeführers seinem Stiefvater am 10.01.2020 erteilten Vollmacht eine Parteienerklärung vor, die so gedeutet werden kann, dass auch das Wiederaufnahmeverfahren von der Vertretungsbefugnis des für das Erstverfahren Bevollmächtigten erfasst sein soll, zumal dem Stiefvater des nunmehrigen Wiederaufnahmewerbers mit der Vollmacht die Vertretung beim Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens ausdrücklich „in allen Belangen“ erteilt wurde.

Ausgehend von der (dem Akteninhalt nach nachvollziehbaren) Einlassung des Antragstellers, wonach der neurologische Befundbericht vom 18.05.2020 seinem Vater erst am 26.05.2020 übergeben wurde, sowie der Datierung des der PVA erteilten Untersuchungsauftrags vom 29.05.2020 ist die in § 32 Abs. 2 VwGVG geforderte Frist von zwei Wochen ab Kenntniserlangung des Wiederaufnahmegrundes erfüllt, weshalb der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens als rechtzeitig eingebracht anzusehen ist.

3.1. In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 der Beilagen, XXIV. GP) wurde festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen aufgrund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs. 1 bis 3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können.

In diesem Sinne sprach der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 28.06.2016, Ra 2015/10/0136, aus, dass die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet sind und daher auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden kann.

3.2. Der gegenständliche Antrag zielt darauf ab, das mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.02.2020 rechtskräftig abgeschlossene Verfahren aufgrund neuer Beweismittel (über den Gesundheitszustand des Wiederaufnahmewerbers) iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG wiederaufzunehmen.

Der vom Wiederaufnahmewerber vorgelegte neurologische Befundbericht vom 18.05.2020 enthält nach Wiedergabe der Anamnese sowie des neurologischen und des psychopathologischen Status die Diagnosen „Persönlichkeitsakzentuierung (Z 73) DD: Gemischte Persönlichkeitsstörung“, „Mild Cognitiv Impairment DD Incipiente sDAT“, „Agoraphobie (F40.8)“ und „NIDDM“, schlägt als weitere Untersuchungen Schädel-MRT, CV Duplex, Labor und psychologische Testung vor und empfiehlt als Therapien Paroxat 10 mg Tb, psychotherapeutisches Setting, Metformin und Trajento weiter wie bisher und Stellung eines Antrags auf Berufsunfähigkeitspension. Im Zusammenhang mit der diagnostizierten Agoraphobie wurde im Befundbericht festgehalten, dass dem Wiederaufnahmewerber „das Erreichen einer Arbeitsstelle mit öffentlichen Verkehrsmitteln aktuell nicht zumutbar [ist]“

Aus dem vorgelegten Untersuchungsauftrag vom 29.05.2020 geht hervor, dass bei der PVA unter Bezugnahme auf die Diagnosen im neurologischen Befundbericht eine Begutachtung des Wiederaufnahmewerbers am 05.06.2020 gemäß § 8 AIVG mit der Fragestellung anberaumt wurde, „ob Arbeitsfähigkeit vorliegt und … ob der bei dieser Begutachtung festgestellte Zustand auch schon 2017 bestanden hat“. Daraufhin allenfalls erstellte Gutachten wurden vom Wiederaufnahmewerber im vorliegenden Verfahren nicht vorgelegt und auch nicht (innerhalb der in § 32 Abs. 2 VwGVG vorgesehenen Frist) zum Gegenstand eines weiteren Wiederaufnahmeantrags gemacht.

Weiters legte der Wiederaufnahmewerber Überweisungen für Labor und Röntgen/MRT, ein Rezept für Paroxat 10 mg sowie Schriftverkehr vom 05.05.2020 und 06.05.2020 zwischen dem Vertreter des Wiederaufnahmewerbers und einer klinischen Psychologin betreffend eine Terminanfrage vor.

Nach ständiger – auf § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG übertragbarer – Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG nur auf solche Tatsachen d.h. Geschehnisse im Seinsbereich (vgl. VwGH 15.12.1994, 93/09/0434; 04.09.2003, 2000/17/0024) oder Beweismittel, d.h. Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen (vgl. VwGH 16.11.2004, 2000/17/0022; 24.04.2007, 2005/11/0127), gestützt werden, die erst nach Abschluss eines Verfahrens hervorgekommen sind und deshalb von der Partei ohne ihr Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten.

Es muss sich also um Tatsachen und Beweismittel handeln, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde („nova reperta“), nicht aber um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel („nova producta“ bzw. „nova causa superveniens“).

Gutachten von Sachverständigen, die erst nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides eingeholt wurden, sind nicht neu hervorgekommen, sondern neu entstanden und können damit auch nicht als neue Beweismittel Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sein (VwGH 10.05.1996, 94/02/0449; 21.04.1999, 99/03/0097; 02.07.2007, 2006/12/0043). Nur wenn ein Sachverständiger Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden, erst nach Rechtskraft des Bescheides „feststellt“ oder wenn ihm solche Daten erst später zur Kenntnis kommen, können diese bzw. die daraus resultierenden neuen Befundergebnisse, die sich auf die zuvor bestandenen Tatsachen beziehen, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen als neue Tatsachen einen Grund für eine Wiederaufnahme darstellen (VwGH 18.01.1989, 88/03/0188; 04.08.2004, 2002/08/0074; 25.07.2007, 2006/11/0147). Einen Wiederaufnahmegrund können aber nur neue Befundergebnisse bzw. neue konkrete sachverständige Tatsachenfeststellungen in einem Gutachten bilden und nicht auch ein Irrtum des Sachverständigen (VwGH 07.09.2005, 2003/08/0093; 16.10.2007, 2004/18/0376), d.h. geänderte sachverständige Schlussfolgerungen aus eben den festgestellten Tatsachen (vgl. dazu Hengstschläger/Leeb AVG § 69 Stand 01.01.2020, Rdb Rz 33).

Neu entstandene Beweismittel, wie etwa Sachverständigengutachten, kommen demnach als Wiederaufnahmegrund dann in Betracht, wenn sie sich auf „alte“ – d.h. nicht erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene – Tatsachen beziehen (vgl. Hengstschläger/Leeb AVG § 69 Stand 01.01.2020, Rdb Rz 35 mit Hinweis auf VwGH 02.06.1982, 81/03/0151; 05.10.1988, 88/18/0236; 19.04.2007, 2004/09/0159).

Zwar handelt es sich bei dem vom Wiederaufnahmewerber vorgelegten neurologischen Befundbericht vom 18.05.2020 nicht um ein Sachverständigengutachten iSd AVG. Dasselbe gilt für den Untersuchungsauftrag an die PVA und die weiteren vorgelegten Unterlagen.

Dennoch sind Rechtsprechung und Lehre zum Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes nach Ansicht des erkennenden Gerichtes zumindest insoweit auf den vorliegenden Fall übertragbar, als der Wiederaufnahmewerber mit Blick auf die Begründung seines Antrags und des im Rahmen der Verhandlung erstatteten – vom Gericht jedoch nicht festgestellten – Vorbringens zu seinem Gesundheitszustand der Auffassung ist, dass in den nunmehr vorgelegten Beweismitteln bereits zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bestandene Tatsachen erwiesen werden (sollen).

3.3. Nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG setzt die Wiederaufnahme des Verfahrens voraus, dass die bei Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhandenen, neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweise „ohne Verschulden der Partei“ unbekannt geblieben sind und daher unverschuldet von ihr im Verfahren nicht geltend werden konnten (Hengstschläger/Leeb AVG § 69 Stand 01.01.2020, Rdb Rz 36 mit Hinweis auf VwGH 28.07.1994, 94/07/0097; 28.03.1995, 94/19/0139; 14.11.2012, 2010/08/0165).

Unter Verschulden iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Verschulden iSd § 1294 ABGB zu verstehen (Hengstschläger/Leeb AVG § 69 Stand 01.01.2020, Rdb Rz 37 mit Hinweis auf VwGH 09.06.1994, 94/06/0106; 22.06.1995, 95/06/0087; 24.02.2004, 2002/01/0458). Es kommt nicht auf den Grad des Verschuldens an – auch leichte Fahrlässigkeit genügt (VwGH 19.03.2003, 2000/08/0105; 14.12.2015, Ra 2015/09/0076) – und es ist ohne Belang, ob die Partei das Alleinverschulden oder nur ein Mitverschulden trifft (VwGH 30.04.1991, 89/08/0188). Richtmaß für die Beurteilung des Verschuldens ist der Grad des Fleißes und der Aufmerksamkeit, welcher bei gewöhnlichen Fähigkeiten aufgewendet werden kann (§ 1297 ABGB; vgl. VwGH 25.11.1994, 94/19/0126; 10.10.2001, 98/03/0259). Verschulden setzt Vorwerfbarkeit voraus, d.h. es stellt auf die persönliche Eigenart jener Person ab, die das zu beurteilende Verhalten gesetzt hat. Dieser kann nur dann ein Vorwurf gemacht werden, wenn sie nach ihren subjektiven Fähigkeiten in der Lage war, die Tragweite ihres Verhaltens zu erkennen und dementsprechend zu handeln. Daher trifft eine Partei kein Verschulden iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG, wenn sie aufgrund ihrer geistigen und körperlichen Fähigkeiten im Verfahren nicht in der Lage gewesen ist, die nunmehr im Wiederaufnahmeverfahren behaupteten neuen Tatsachen und Beweise der Behörde an die Hand zu geben (VwGH 30.06.1998, 98/05/0033).

Hat die Partei eine Tatsache oder ein Beweismittel im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht nicht geltend gemacht, obwohl ihr dies bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit möglich gewesen wäre, liegt ein ihr zurechenbares Verschulden vor, das eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließt (Hengstschläger/Leeb AVG § 69 Stand 01.01.2020, Rdb Rz 38 mit Hinweis auf VwGH 21.09.1995, 95/07/0117; 09.10.2001, 2001/05/0138; 22.12.2005, 2004/07/0209). Bei einem solchen (Mit-)Verschulden kann sich die Partei nicht darauf berufen, dass das Verwaltungsgericht seinerseits der Ermittlungspflicht im Hauptverfahren nicht in gebotener Weise entsprochen und deshalb einen unrichtigen Sachverhalt festgestellt hat (VwGH 28.07.1994, 94/07/0097; 08.04.1997, 94/07/0063). Es kommt nicht auf ein Verschulden des Verwaltungsgerichtes am Ausbleiben gebotener Ermittlungsschritte im Verfahren an, dessen Wiederaufnahme begehrt wird, sondern darauf, dass die Partei hinsichtlich der rechtzeitigen Geltendmachung der für ihren Verfahrensstandpunkt sprechenden Umstände kein Verschulden trifft (vgl. VwGH 28.07.1994, 94/07/0094; 28.06.2006, 2006/08/0194). Diesbezügliche Versäumnisse der Partei, wie z.B. die Unterlassung möglicher Beweisanträge (VwGH 18.10.1990, 90/09/010) oder der Einholung eines Gutachtens (VwGH 15.07.2003, 2003/05/0070; 28.02.2005, 2001/03/0450) oder der (fristgerechten) Vorlage eines ärztlichen Attestes (VwGH 07.03.1990, 90/03/0023), sind ihr als Verschulden zuzurechnen und schließen daher eine Wiederaufnahme nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG aus.

Es ist Sache des Wiederaufnahmewerbers darzutun, dass die von ihm behaupteten neuen Tatsachen oder Beweismittel im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ohne sein Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten (Hengstschläger/Leeb AVG § 69 Stand 01.01.2020, Rdb Rz 38 mit Hinweis auf VwGH 23.03.1977, 1341/75).

Im vorliegenden Fall erweisen sich die vom Wiederaufnahmewerber neu vorgelegten Beweismittel in Form eines neurologischen Befundberichts, eines Untersuchungsauftrags, sowie von Zuweisungen zu Röntgen/MRT und eines Rezepts (zum Nachweis von bereits zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bestandenen Tatsachen) schon deshalb als ungeeignet, eine Wiederaufnahme zu rechtfertigen, weil dem Wiederaufnahmewerber die Vorlage aussagekräftiger medizinischer Beweismittel im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durchaus möglich und zumutbar gewesen wäre.

Dass der Wiederaufnahmewerber nach seinen geistigen und körperlichen Fähigkeiten im Beschwerdeverfahren in der Lage war, dem Bundesverwaltungsgericht die nunmehr im Wiederaufnahmeverfahren vorgelegten Beweismittel vor Schluss des Beweisverfahrens und Erlassung des Erkenntnisses an die Hand zu geben, erweist schon der Umstand, dass der auch damals vertretene Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 22.01.2020 ärztliche Befunde vom 10.01.2019, 20.11.2019, 11.12.2019 und 17.01.2020 in Vorlage brachte, durch die der Zustand nach diabetischem Ulcus cruris dext, Diabetes Mellitus II (Erstdiagnose 06.07.2018), Katarakt beidseits, Zustand nach Katarakt-OP links im November 2019 und Zustand nach Katarakt-OP rechts im Dezember 2019 belegt wurden.

Anhand der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Beweismittel ergaben sich jedoch weder eine psychische Erkrankung bzw. eine geistige Behinderung des Wiederaufnahmewerbers noch – wie im Wiederaufnahmeantrag vorgebracht – eine fehlende Einsichts- und Urteilsfähigkeit bezüglich der Aufnahme einer Arbeit (im verfahrensgegenständlichen Zeitraum der vorgeworfenen Vereitelungshandlung).

Im Übrigen räumte der Vertreter des Wiederaufnahmewerbers im Antrag unter Verweis auf entsprechenden Schriftverkehr mit einer klinischen Psychologin aus Juni 2020 ein, dass er erst nach Erlassung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes versucht habe, ein psychotherapeutisches Gutachten über den Gesundheitszustand des Wiederaufnahmewerbers zu veranlassen.

Da den Wiederaufnahmewerber – wie dargelegt – ein Verschulden daran trifft, trifft, dass er die neu vorgelegten Beweismittel nicht bereits im früheren Beschwerdeverfahren erstellen ließ und dem Gericht zur Kenntnis brachte, fehlt es schon insoweit an einer Voraussetzung für die Stattgabe des Wiederaufnahmeantrags.

3.4. Angesichts dieses Ergebnisses erübrigt sich eine nähere Prüfung dahingehend, ob die nunmehr vorgelegten Beweismittel, welche im Wesentlichen den im Mai/Juni 2020 erhobenen Gesundheitszustand des Wiederaufnahmewerbers zum Gegenstand haben, bereits zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung (im Jahr 2017) bestandene Tatsachen zu belegen vermögen und darüber hinaus nach ihrem objektiven Inhalt auch geeignet wären, dass es im wiederaufzunehmenden Verfahren bei ihrer Zugrundelegung voraussichtlich zu einer im Hauptinhalt des Spruchs anderslautenden Entscheidung gekommen wäre.

3.5. Aus den dargelegten Erwägungen sind die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG nicht erfüllt, weshalb der gegenständliche Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens spruchgemäß abzuweisen war.

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ergeht – angesichts der hierfür bestehenden Einzelrichterzuständigkeit – gesondert.

3.6. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung

Da die Sachlage aufgrund der Aktenlage als erklärt erscheint, konnte eine mündliche Erörterung der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gemäß § 24 VwGVG unterbleiben. Im vorliegenden Fall liegen keine widersprechenden prozessrelevanten Behauptungen vor, die es erforderlich machen würden, dass sich das Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien verschafft. Vielmehr ist die hier zu beantwortende Frage, ob ein Wiederaufnahmegrund iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG vorliegt, im Wesentlichen rechtlicher Natur. Ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde vom vertretenen Antragsteller auch nicht gestellt. Dem Entfall der Verhandlung stehen im Ergebnis weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen (vgl. VwGH 07.08.2017, Ra 2016/08/0140).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die hier anzuwendenden Regelungen erweisen sich als klar und eindeutig (vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053). Im Übrigen ergeht die vorliegende Entscheidung in Anlehnung an die oben zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 69 AVG bzw. § 32 VwGVG. Die fallbezogene Beurteilung, dass dem Wiederaufnahmewerber die Geltendmachung der neu vorgelegten Beweismittel im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren möglich und zumutbar gewesen wäre, ist nicht revisibel (VwGH 04.10.2018, Ra 2018/18/0463).

Schlagworte

Gesundheitszustand nova producta Wiederaufnahmeantrag Wiederaufnahmegrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W238.2182869.3.01

Im RIS seit

22.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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