TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/14 W209 2237595-1

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Veröffentlicht am 14.12.2020
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Entscheidungsdatum

14.12.2020

Norm

AlVG §10
AlVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §13 Abs2
VwGVG §13 Abs5

Spruch


W209 2237595-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Mag. Gabriele STRAßEGGER und Peter STATTMANN als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX XXXX , XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Mödling vom 26.11.2020 betreffend Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ihrer Beschwerde vom 05.11.2020 gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Mödling vom 13.10.2020 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid vom 13.10.2020 sprach die belangte Behörde (im Folgenden: AMS) gegenüber der Beschwerdeführerin gemäß § 38 iVm § 10 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) den Verlust des Anspruches der auf Notstandshilfe für die Zeit von 17.09.2020 bis 11.11.2020 (8 Wochen) aus. Nachsicht wurde nicht erteilt. Begründend wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin eine ihr vom AMS zugewiesene zumutbare Beschäftigung „als Mitarbeiterin im Kundenservice-Center bei XXXX vereitelt/nicht angetreten“ habe. Gründe für eine Nachsicht der Rechtsfolgen lägen nicht vor bzw. hätten nicht berücksichtigt werden können.

2. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin am 05.11.2020 binnen offener Rechtsmittelfrist Beschwerde, in der sie ausführte, dass sie sich entgegen der Ansicht des AMS auf das zugewiesene Stellenangebot beworben habe. Der Beschwerde angeschlossen war ein E-Mail des potenziellen Arbeitgebers, aus dem hervorgeht, dass sie sich bei ihm um eine Stelle beworben habe, aber nicht genommen worden sei, weil sie nicht dem Anforderungsprofil entsprochen habe, aber für eine andere Beschäftigung in Evidenz genommen werde.

3. Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 26.11.2020 schloss das AMS die aufschiebende Wirkung der o.a. Beschwerde aus und begründete dies im Wesentlichen damit, dass aufgrund der langjährigen Arbeitslosigkeit der Beschwerdeführerin und des Umstandes, dass gegen sie nunmehr bereits die vierte Sanktion gemäß § 10 AlVG verhängt worden sei, die Einbringlichkeit der Forderung (im Falle einer Rückforderung) bei vorläufiger Anweisung der Leistung gefährdet sei.

4. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin binnen offener Rechtsmittelfrist Beschwerde, die sie damit begründete, dass ihr die Fälligstellung ihres Wohnungskredits, die Abschaltung des Stroms und die Abnahme ihrer KFZ-Kennzeichen drohe, wenn ihr die Leistung nicht weiter gewährt werde.

5. Am 10.12.2020 einlangend legte das AMS die Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und teilte mit, dass es von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung in der Hauptsache nicht absehe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt sich aus dem unter Punkt I. dargestellten Verfahrensgang.

2. Beweiswürdigung:

Beweis erhoben wurde durch Einsicht in die vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I. Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

§ 56 Abs. 2 AlVG normiert, dass über Beschwerden gegen Bescheide der Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat zu entscheiden hat, dem zwei fachkundige Laienrichter, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer angehören. Gegenständlich liegt daher Senatszuständigkeit mit Laienrichterbeteiligung vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen 0sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG kann die aufschiebende Wirkung von der Behörde mit Bescheid ausgeschlossen werden, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Nach § 13 Abs. 5 VwGVG hat die Behörde die Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß Abs. 2 – sofern sie nicht als verspätet oder unzulässig zurückzuweisen ist – dem Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Das Verwaltungsgericht hat über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden und der Behörde, wenn diese nicht von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, die Akten des Verfahrens zurückzustellen.

Zur Regelung des § 13 VwGVG hat der Verwaltungsgerichtshof in Zusammenhang mit Beziehern von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung mit Erkenntnis vom 11.04.2018, Ro 2017/08/0033, zuletzt wie folgt ausgeführt:

"Die Entscheidung über Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung (VwGH 01.09.2014, Ra 2014/03/0028). [...] § 13 Abs. 2 VwGVG ermöglicht es, den in der Praxis bestehenden Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Einbringung allenfalls unberechtigt empfangener Geldleistungen zu begegnen und dem Interesse der Versichertengemeinschaft, die Einbringlichkeit von (vermeintlich) zu Unrecht gewährten Leistungen an den einzelnen Versicherten ohne Zuwarten auf eine rechtskräftige Entscheidung im Falle der Bekämpfung eines Bescheides zu berücksichtigen, indem die berührten öffentlichen Interessen mit den Interessen des Leistungsempfängers abgewogen werden. Stellt sich im Zuge dieser Interessenabwägung heraus, dass der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheids wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist, so kann die Behörde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde mit Bescheid ausschließen.

Das Tatbestandsmerkmal "Gefahr im Verzug" bringt zum Ausdruck, dass die Bestimmung (der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung) nur das Eintreten erheblicher Nachteile für eine Partei bzw. gravierender Nachteile für das öffentliche Wohl verhindern soll (vgl. Hengstschläger/Leeb, Rz 31 zu § 64 AVG; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2, § 13 VwGVG K 12).

Um die vom Gesetzgeber außerdem geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können (vgl. zur Interessenabwägung nach § 30 Abs. 2 VwGG VwGH 14.02.2014, Ro 2014/02/0053), hat ein Notstandshilfebezieher insbesondere die nicht ohne weiteres erkennbaren Umstände, die sein Interesse an einer Weitergewährung untermauern, sowie die in seiner Sphäre liegenden Umstände, die entgegen entsprechender Feststellungen des AMS für die Einbringlichkeit einer künftigen Rückforderung sprechen, spätestens in der Begründung (§ 9 Abs. 1 Z 3 VwGVG) seiner Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darzutun und zu bescheinigen, zumal das Verwaltungsgericht gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden hat.

Ein im öffentlichen Interesse gelegener Bedarf nach einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ist im Allgemeinen insbesondere bei der Verhängung einer Sperrfrist mangels Arbeitswilligkeit gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG (iVm § 38 AlVG) gegeben, deren disziplinierender Zweck weitgehend verloren ginge, wenn sie erst Monate nach ihrer Verhängung in Kraft treten würde. Die Interessenabwägung kann vor allem dann zu Gunsten einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ausschlagen, wenn für den Fall einer vorläufigen Weitergewährung einer Leistung die Einbringlichkeit des Überbezuges gefährdet ist. Ob eine solche Gefährdung vorliegt, hat das AMS zu ermitteln und gegebenenfalls auf Grund konkret festzustellender Tatsachen über die wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Partei festzustellen (Müller in Pfeil AlVG-Komm Rz 3f und 19 zu § 56). Wirkt der Notstandshilfebezieher an den Feststellungen über die Einbringlichkeit nicht mit, kann von einer Gefährdung derselben ausgegangen werden (Müller in Pfeil AlVG-Komm Rz 19 zu § 56). Eine maßgebliche Gefährdung der Einbringlichkeit des Überbezuges wäre allerdings dann nicht anzunehmen, wenn die prima facie beurteilten Erfolgsaussichten der Beschwerde eine Rückforderung der weiter gezahlten Notstandshilfe unwahrscheinlich machen (vgl. zur Erfolgsprognose VwGH 09.05.2016, Ra 2016/09/0035).“

Nach den vom AMS vorgelegten Verwaltungsakten sind die Erfolgsaussichten der Beschwerde gegen den Bescheid vom 13.10.2020 nach dem ersten Anschein nach als gut – und daher eine Rückforderung der weiter gezahlten Notstandshilfe als unwahrscheinlich – einzuschätzen. So legte die Beschwerdeführerin mit der Beschwerde ein E-Mail des potenziellen Arbeitgebers vor, aus dem hervorgeht, dass sie sich bei ihm um eine Stelle beworben hat, aber nicht in die engere Auswahl genommen wurde, weil sie nicht dem Anforderungsprofil entsprach, aber für eine andere Beschäftigung in Evidenz genommen wurde. Demnach hat sich die Beschwerdeführerin offenbar fristgerecht auf das Stellenangebot beworben und dabei keine Verhalten gesetzt, das ursächlich für das Nichtzustandekommen der Beschäftigung war. Anhaltspunkte, dass sich das E-Mail des potentiellen Arbeitgebers nicht auf das verfahrensgegenständliche Stellenangebot bezog, liegen nach der Aktenlage nicht vor. Dementsprechend ist vorläufig davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin das ihr zur Last gelegte Verhalten – nämlich den „Nichtantritt“ bzw. die „Vereitelung“ der ihr zugewiesenen Beschäftigung – tatsächlich gar nicht gesetzt hat.

Damit ist im Lichte der o.a. Judikatur fallgegenständlich jedenfalls nicht von einer maßgeblichen Gefährdung der Einbringlichkeit des Überbezuges auszugehen.

Andere Anhaltspunkte, denen zufolge die aufschiebende Wirkung der Beschwerde der Verhinderung gravierender Nachteile für das öffentliche Wohl dienen könnte, sind nach der Aktenlage nicht ersichtlich.

Somit war der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben.

Eine mündliche Verhandlung konnte entfallen, weil das Bundesverwaltungsgericht nach der Regelung des § 13 Abs. 5 VwGVG verpflichtet ist, über die Beschwerde "ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden", was impliziert, dass grundsätzlich keine mündliche Verhandlung durchzuführen ist (vgl. VwGH 09.06.2015, Ra 2015/08/0049).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung Erfolgsaussichten Interessenabwägung Notstandshilfe Rückforderung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W209.2237595.1.00

Im RIS seit

22.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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