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22/02 Zivilprozessordnung;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Höfinger und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 26. Jänner 1996, Zl. UVS-05/K/07/01459/95, betreffend Übertretung des Wiener Parkometergesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis vom 16. Mai 1995 erkannte der Magistrat der Stadt Wien den Beschwerdeführer schuldig, ein näher bezeichnetes mehrspuriges Kraftfahrzeug am 14. Oktober 1994 um
12.56 Uhr in einer näher genannten gebührenpflichtigen Kurzparkzone abgestellt zu haben, ohne für seine Kennzeichnung mit einem für den Beanstandungszeitpunkt gültig entwerteten Parkschein gesorgt zu haben, da der Parkschein fehlte. Demnach habe der Beschwerdeführer die Parkometerabgabe fahrlässig verkürzt. Er habe dadurch den § 1 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 1 Parkometergesetz verletzt. Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über ihn gemäß § 4 Abs. 1 Parkometergesetz eine Geldstrafe von S 500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 12 Stunden) verhängt.
Dieses Straferkenntnis wurde nach einem Zustellversuch am 16. Juni 1995 beim Postamt hinterlegt. Nach dem Vermerk auf dem Rückschein wurde die Verständigung über die Hinterlegung in das Hausbrieffach eingelegt.
Am 31. August 1995 nahm der Beschwerdeführer Akteneinsicht und erhob mündlich "Einspruch" gegen dieses Straferkenntnis. Er brachte vor, ihm sei das RSb-Schriftstück nie zugestellt worden. Der Zusteller der Post habe ihm schon öfter Schriftstücke nicht ordnungsgemäß zugestellt.
Am 7. September 1995 wurde das genannte Straferkenntnis vom 16. Mai 1995 mittels RSb neuerlich zugestellt. In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, die "erste" Zustellung am 16. Juni 1995 sei nicht gesetzmäßig erfolgt und der Parkschein habe nicht gefehlt.
Über Vorhalt der belangten Behörde brachte der Beschwerdeführer schriftlich in gebrochenem Deutsch sinngemäß vor, er habe nach Erhalt der Mahnung bei der Behörde über den Stand des Verfahrens nachgeforscht. Dort habe er erfahren, daß das Straferkenntnis vom 16. Mai 1995 nach der Aktenlage bereits zugestellt war. Er könne nichts dafür, daß dieses Schriftstück nicht beim Beschwerdeführer eingelangt sei. Er berief sich auch auf den Postvorstand und die Nachforschungsabteilung der Post. Weiters heißt es in dem Schreiben, der "jüngste Briefträger" habe seit seinem Dienstbeginn schon "öfters einige Briefe oder Post" verkehrt verteilt. Dies könne auch beim "Abholungsschein" im Juni 1995 der Fall gewesen sein.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurück. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, die irrtümlich als Einspruch bezeichnete Berufung sei trotz richtiger und vollständiger Rechtsmittelbelehrung erst am 31. August 1995 mündlich bei der Erstbehörde eingebracht worden. Der Beschwerdeführer habe angegeben, das Straferkenntnis nicht erhalten zu haben. In seinem als Berufung bezeichneten Schreiben vom 18. September 1995 führe der Beschwerdeführer erneut aus, daß das Straferkenntnis nicht (ordnungsgemäß) zugestellt worden sei. Mit Vorhalt der Verspätung vom 14. Dezember 1995 sei dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu einer detaillierten Stellungnahme geboten worden, insbesondere auch, um eine allfällige Ortsabwesenheit während des Zustellungszeitraumes glaubhaft zu machen. In seinem Schreiben vom 20. Dezember 1995 führe der Beschwerdeführer unter anderem aus, daß er auf Grund einer Mahnung der Erstbehörde am 31. August 1995 Akteneinsicht genommen habe und hiebei erstmals Kenntnis vom Straferkenntnis erlangt habe, welches ihm nie zugestellt worden sei. Dies decke sich insofern mit der Aktenlage, als das RSb-Kuvert, in dem das Straferkenntnis von der Post befördert worden sei, nach Ablauf des Hinterlegungszeitraumes mit dem Vermerk "nicht behoben - zurück an den Absender" vom Postamt wieder an die Erstbehörde retourniert worden sei. Aus den auf dem Rückschein befindlichen Daten sei ersichtlich, daß nach einem erfolglosen Zustellversuch am 16. Juni 1995 die Verständigung über die Hinterlegung des gegenständlichen Straferkenntnisses beim Postamt im Hausbrieffach eingelegt worden sei. In der Stellungnahme vom 20. Dezember 1995 behaupte der Beschwerdeführer nicht konkret, daß diese Hinterlegungsanzeige nicht in sein Hausbrieffach eingelegt worden wäre und er daher vom Zustellvorgang keine Kenntnis erlangt hätte. Ebensowenig mache der Beschwerdeführer eine Ortsabwesenheit im Zustellzeitraum geltend. Seine vagen Angaben seien letztlich nicht geeignet, Zweifel an den Angaben im Zustellschein, der den Charakter einer öffentlichen Urkunde und somit erhöhte Beweiskraft besitze, zu begründen. Da ein Zustellmangel nicht hervorgekommen sei, gelte das Straferkenntnis gemäß § 17 Abs. 3 ZustG mit 16. Juni 1995 als zugestellt. Die Berufung vom 31. August 1995 sei daher als verspätet zurückzuweisen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der sowohl Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Strittig ist die Rechtmäßigkeit der Zustellung des Straferkenntnisses vom 16. Mai 1995 durch Hinterlegung am 16. Juni 1995.
Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 ZustG regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Schriftstück gemäß § 17 Abs. 1 ZustG im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
Von der Hinterlegung ist gemäß § 17 Abs. 2 ZustG der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.
Die Bestimmung, daß der Empfänger von der Hinterlegung schriftlich zu verständigen ist, bedeutet, daß eine Hinterlegung ohne schriftliche Verständigung keine Rechtswirkungen entfaltet; diesfalls kommt allenfalls § 7 zur Anwendung, nicht hingegen die Sanierungswirkung des § 17 Abs. 3, weil diese den genannten Fehler nicht erfaßt. Dies gilt auch für eine fehlerhafte Hinterlegungsanzeige. Eine Hinterlegungsanzeige ist nicht als zuzustellender normativer Akt, sondern als eine "rechtserhebliche Tatsache" zu betrachten (Walter-Mayer, Das österreichische Zustellrecht, Anm. 18 zu § 17 ZustG).
Will eine Behörde davon ausgehen, eine Sendung sei durch Hinterlegung zugestellt, so trifft sie von Amts wegen die Pflicht festzustellen, ob auch tatsächlich durch Hinterlegung eine Zustellung bewirkt wurde. Der ordnungsgemäße Zustellnachweis ist eine öffentliche Urkunde. Er macht Beweis über die Zustellung; ein Gegenbeweis nach § 292 Abs. 2 ZPO ist möglich (Ritz, BAO-Kommentar, Rz. 21 und 22 zu § 17 ZustG). Es ist Sache des Empfängers, Umstände vorzubringen, die geeignet sind, Gegenteiliges zu beweisen oder zumindest berechtigte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zustellvorganges aufkommen zu lassen (vgl. hg. Erkenntnis vom 13. November 1992, Zl. 91/17/0047).
Der Beschwerdeführer hat im Verfahren vorgebracht, weder das Straferkenntnis noch die Hinterlegungsanzeige erhalten zu haben, und hat dies - wie es nach seinen Behauptungen schon vorher wiederholt vorgekommen sein soll - mit der unrichtigen Verteilung der Post durch den Briefträger als Ursache begründet. Damit hat der Beschwerdeführer nicht nur die bloße Behauptung, es bestehe die Möglichkeit, daß der Zusteller die Hausbrieffächer verwechselt habe - dies löst keine Ermittlungspflicht der Behörde aus (vgl. Erkenntnis vom 27. September 1989, Zl. 89/02/0112) -, sondern konkrete Umstände aufgezeigt, die berechtigte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zustellvorganges aufkommen ließen. Waren - wie der Beschwerdeführer behauptet - seit Dienstübernahme seines Briefträgers "öfters einige Briefe oder Post" verkehrt verteilt, dann kann auch für den konkreten Fall nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß eine solche unrichtige Postzustellung erfolgt ist. War der nach der Beurkundung auf dem RSb in das Hausbrieffach eingelegte RSb verreiht und wurde der Beschwerdeführer dadurch von der Hinterlegung nicht verständigt, dann entfaltete die einer anderen Person zugekommene schriftliche Verständigung keine Rechtswirkung für den Beschwerdeführer.
Es wäre der belangten Behörde oblegen, in einem Beweisverfahren unter Beiziehung des Briefträgers zu prüfen, ob der Beschwerdeführer von der Hinterlegungsanzeige verständigt worden war oder nicht. Da die belangte Behörde ein solches Beweisverfahren über die rechtmäßige Zustellung des Straferkenntnisses durch Hinterlegung am 16. Juni 1995 unterließ, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einem wesentlichen Verfahrensmangel.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996170063.X00Im RIS seit
22.01.2001