TE Vwgh Erkenntnis 1989/4/18 88/04/0112

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Veröffentlicht am 18.04.1989
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Index

GewerbeO
40/01 Verwaltungsverfahren
50/01 Gewerbeordnung

Norm

AVG §59 Abs1
GewO 1973 §359 Abs1
GewO 1973 §80 Abs1
GewO 1973 §81 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Mag. Kobzina und die Hofräte Dr. Griesmacher, Dr. Weiss, DDr. Jakusch und Dr. Gruber als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Füszl, über die Beschwerde 1) des Ing. HU und 2) der MU, beide in L und vertreten durch Dr. Bruno Binder und Dr. Helmut Blum, Rechtsanwälte in Linz, Wischerstraße 30, gegen den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in Angelegenheit der Genehmigung der Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage (weitere Partei: JK in L), zu Recht erkannt:

Spruch

Gemäß § 42 Abs. 5 zweiter Satz VwGG wird in Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG 1950 der Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 31. Juli 1984, Zl. V/1-BA-8477, mit dem über die Berufung der Beschwerdeführer gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 12. Juni 1984, Zl. 12-B-8349, gemäß § 66 Abs. 4 AVG 11950 entschieden wurde, behoben, und die Angelegenheit zur Durchführung einer Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zweiter Instanz verwiesen.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 9.520,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten genehmigte mit Bescheid vom 12. Juni 1984 auf Antrag des JK „gemäß §§ 81, 74 Abs. 2 und 77 Abs. 1 der Gewerbeordnung 1973 in Verbindung mit § 27 Abs. 3 des Arbeitnehmerschutzgesetzes nach Maßgabe der mit einem Hinweis auf diesen Bescheid versehenen Projektsunterlagen und der Beschreibung in der beiliegenden Abschrift der Verhandlungsschrift vom 19. Dezember 1983, die Änderung bzw. Erweiterung der im Standort D Nr. 9, Gemeinde L, bestehenden Tischlereibetriebsanlage durch Errichtung und Betrieb einer Werkshalle mit Lackierraum, eines überdachten Holzlagerplatzes sowie einer Heizungsanlage mit Spänesilo auf den Grundstücken Nr. nn/4 und nn/5 der KG. L.“ Weiters wurde ausgesprochen, gemäß den §§ 77 und 359 Abs. 1 GewO 1973 werde vorgeschrieben, daß die in der vorgenannten Verhandlungsschrift, welche einen wesentlichen Bestandteil dieses Bescheides bilde, enthaltenen Auflagen vor Aufnahme des Betriebes der erweiterten Anlage erfüllt bzw. während des Betriebes eingehalten würden. Zusätzlich seien noch folgende Auflagen zu erfüllen bzw. einzuhalten:

„36) Im Freien dürfen keine lärmintensiven Arbeiten (z.B. Betrieb von Kettensägen) durchgeführt werden.

37) Lärmintensive Arbeiten dürfen in den Werkshallen nur bei geschlossenen, ins Freie führenden Toren und Türen in der Zeit von 6.00 bis 22.00 Uhr durchgeführt werden.“

Einer dagegen erhobenen Berufung des Erstbeschwerdeführers gab der Landeshauptmann von Niederösterreich mit Bescheid vom 31. Juli 1984 keine Folge und bestätigte den erstbehördlichen Bescheid.

Einer seitens beider Beschwerdeführer dagegen erhobenen Berufung gab der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten mit Bescheid vom 11. Jänner 1985 insofern Folge, als der angefochtene Bescheid bzw. der ihm zugrundeliegende Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 12. Juni 1984 wie folgt abgeändert werde:

„1) Der Punkt 6) der Auflagen wird durch folgende Auflagen ersetzt:

a) In der Dachfläche der neuen Halle sind drei Lüftungsöffnungen für die Zuluft vorzusehen, welche mit Schalldämpfern zu versehen sind. Die Schalldämmung muß einen solchen Wert haben, daß der zu erwartende Immissionswert beim Nachbarn U von 40 dB nicht verändert wird.

b) Diejenigen Flächen, die an der westlichen Außenwand der Halle II als Fensterwand situiert sind, sind als Sichtflächen ins Freie auszugestalten.

2) Die Punkte 22) und 31) der Auflagen haben nunmehr zu lauten:

22) Bei Vollbetrieb der Anlage dürfen die folgenden Emissionsgrenzwerte im Abluftstrom nicht überschritten werden:

a) Gesamtemission an gas- und dampfförmigen

organischen Verbindungen ... 250 mg/m3;

b) davon Toluol, Xylol und Methylazetat

nicht mehr als zusammen ... 150 mg/m3,

sämtliche Werte bezogen auf 0° C und 1012 mbar.

31) Im Abluftstrom des Späneabscheiders dürfen max. 150 mg/m+3 staubförmige Stoffe enthalten sein.“

Dieser Bescheid ist zufolge einer seitens beider Beschwerdeführer erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. September 1987, Zl. 85/04/0050, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben worden. In den Entscheidungsgründen dieses Erkenntnisses - auf die im übrigen in Ansehung des bis dahin gegebenen Verwaltungsgeschehens verwiesen wird - wurde unter Bezugnahme auf die Bestimmungen der §§ 74 Abs. 2, 77 Abs. 2, 80 Abs. 1 und 81 Abs. 1 GewO 1973 - in deren Fassung vor der Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. Nr. 399 - sachverhaltsbezogen ausgeführt, aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten ergebe sich in Übereinstimmung mit dem Vorbringen der mitbeteiligten Partei, daß die seinerzeit im Jahre 1975 von der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten genehmigte Betriebsanlage durch einen Großbrand Ende des Jahre 1984 größtenteils vernichtet worden sei. Die Schallpegelmessungen durch die belangte Behörde am 18. Dezember 1984 seien zu einer Zeit durchgeführt worden, als die Werkshalle I „im Aufbau befindlich“ gewesen sei und es sei u.a. der Leerlauf einer Vierseitenhobelmaschine berücksichtigt worden, die „in einer provisorischen Halle“ aufgestellt gewesen sei. Ausgehend davon wurde u.a. ausgeführt, in diesem Zusammenhang stelle sich unter Berücksichtigung des erwähnten Brandes vorerst die Frage, ob im vorliegenden Fall überhaupt eine Entscheidung über die Änderung einer genehmigten Anlage gemäß § 81 GewO 1973 zulässig gewesen sei, weil eine solche das Vorhandensein einer bestehenden, genehmigten Anlage voraussetze. Im Hinblick darauf aber, daß der erwähnte Brand sich Ende 1984 ereignet und der angefochtene Bescheid der belangten Behörde am 11. Jänner 1985 ergangen sei, sei es evident, daß die 3-Jahres-Frist des § 80 Abs. 1 GewO 1973 zur Zeit des Ergehens des angefochtenen Bescheides noch nicht habe abgelaufen sein können, sodaß auch die seinerzeitige, aus dem Jahre 1975 stammende Genehmigung der Betriebsanlage zufolge der brandbedingten Betriebsunterbrechung nicht habe erloschen sein können. Es liege somit in der Behandlung des gegebenen Falles nach § 81 GewO 1973 durch die belangte Behörde keine inhaltliche Rechtswidrigkeit. Dabei falle auf, daß sich die belangte Behörde unter Außerachtlassung der Bestimmung des § 81 letzter Satz GewO 1973 mit der Frage, ob sich die beantragten Änderungen auf die bereits genehmigte Anlage auswirken könnten, nicht auseinandergesetzt habe. Daß die geplante Änderung, nämlich die Errichtung einer weiteren Werkshalle mit Lackierraum, eines überdachten Holzlagerplatzes und einer Heizanlage mit Spänesilo durchaus auch Änderungen im Ausmaß der Emissionen der bestehenden konsensmäßig betriebenen Anlage zur Folgen haben könnte, erscheine jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen und es wäre daher Aufgabe der belangten Behörde gewesen, sich über die Frage dieser allfälligen Auswirkungen Klarheit zu verschaffen. Die von der belangten Behörde vertretene Rechtsmeinung, es gehe vorliegendenfalls nur um die neuen Anlagenteile, lasse die Bestimmung des § 81 letzter Satz GewO 1973 außer acht. Solcherart habe die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid bereits dadurch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet. Dieser sei daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben gewesen. Des weiteren enthält dieses Erkenntnis unter Hinweis auf verfahrensökonomische Erwägungen Ausführungen zu der dargestellten Normenlage in Ansehung der sachverhaltsmäßig festzustellenden Immissionen einer geänderten Betriebsanlage und die sich im Hinblick darauf ergebenden Fragen der rechtlichen Beurteilung in Ansehung der Zumutbarkeit derartiger Immissionen für Nachbarn ausgehend von den entsprechenden Darlegungen im hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Juni 1981, Slg. N.F. Nr. 10482/A, die - wenn nicht zufolge gänzlichen oder teilweisen Nichtmehrbestehens der ursprünglichen Anlage oder deren Einrichtungen nicht die Genehmigung im Sinne des § 80 Abs. 1 GewO 1973 erloschen sein sollte - zu beachten sein würden.

Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. September 1987, Zl. 85/04/0050, wurde der belangten Behörde am 11. November 1987 zugestellt. Am 16. Mai 1988 (Datum der Postaufgabe) brachten die Beschwerdeführer die Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 132 B-VG ein, weil über ihre Berufung in dem durch das vorbezeichnete Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. September 1987 in das Berufungsstadium zurückgetretene Verwaltungsverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden wurde. Da die Beschwerdeführer einen Rechtsanspruch auf Erledigung ihrer Berufung hatten und die belangte Behörde unter Verletzung ihrer Entscheidungspflicht nicht innerhalb der im § 27 VwGG bestimmten Frist von sechs Monaten, gerechnet von dem Tage, an dem das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. September 1987 bei ihr einlangte, entschieden wurde, ist die Beschwerde zulässig.

Da die belangte Behörde auch innerhalb der ihr gemäß § 36 Abs. 2 VwGG eingeräumten und in der Folge mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. September 1988 um sechs Monate bis Ablauf des 8. März 1989 verlängerten Frist keinen Ersatzbescheid erlassen hat, hatte somit gemäß § 42 Abs. 5 VwGG der Verwaltungsgerichtshof anstelle des säumigen Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Berufungen der Beschwerdeführer zu entscheiden.

Der Gerichtshof hat hierüber erwogen:

Gemäß § 81 Abs. 1 GewO 1973 (in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. Nr. 399) bedarf, wenn es zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen erforderlich ist, auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen. Diese Genehmigung hat auch die bereits genehmigte Anlage so weit zu umfassen, als es wegen der Änderung zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen gegenüber der bereits genehmigten Anlage erforderlich ist.

Ausgehend davon ist im Hinblick auf den bereits im aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. September 1987, Zl. 85/04/0050, angeführten, sich aus der Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens ergebenden Umstand, daß die seinerzeit im Jahre 1975 von der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten genehmigte Betriebsanlage durch einen Großbrand Ende des Jahres 1984 größtenteils vernichtet wurde, nunmehr vorweg zu prüfen, ob durch dieses Ereignis eine im Sinne der Bestimmung des § 80 Abs. 1 GewO 1973 - und zwar in Ansehung einer Tatbestandsverwirklichung durch Fristablauf vor dem 1. Jänner 1989 nach dieser Gesetzesbestimmung in ihrer Fassung vor der Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. Nr. 399 - für die Annahme des Erlöschens der Genehmigung der Betriebsanlage tatbestandsmäßige Unterbrechung des Betriebes der Anlage eingetreten ist, wobei in diesem Zusammenhang ausschließlich die dem ursprünglichen Genehmigungsbescheid entsprechende Anlage - nicht aber etwa auch konsenslose Änderungen - als maßgebend anzusehen ist.

Sollte sich bei dieser Prüfung ein Erlöschen der Genehmigung der Betriebsanlage ergeben, würde schon aus diesem Grund eine rechtliche Grundlage für den Antrag auf „Änderung der Betriebsanlage“ gemäß § 81 Abs. 1 GewO 1973 fehlen (arg.: .... bedarf auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage ....).

Erst wenn nach sachverhaltsmäßiger und rechtlicher Prüfung dieser Frage ein Erlöschen der Betriebsanlagengenehmigung nicht anzunehmen ist, wird eine Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit des vorliegenden Änderungsantrages insbesondere unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen der §§ 81 Abs. 1 und 77 GewO 1973 in ihrer auch im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung durch die Gewerbeordnungsnovelle 1988 unter Beiziehung eines gewerbetechnischen und eines ärztlichen Sachverständigen vorzunehmen sein.

Ausgehend davon erweisen sich aber die Feststellungen in dem mit Berufung bekämpften Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 31. Juli 1984 nicht als ausreichend, ebenso wie auch insbesondere im Hinblick auf die dargestellte, bei einer neuerlichen Entscheidung wahrzunehmende nunmehrige Rechtslage, die bereits im aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. September 1987, Zl. 85/04/0085, angeführten ergänzenden Erhebungsergebnisse der belangten Behörde.

Mit Rücksicht darauf stellt sich der dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Sachverhalt schon insoweit als so mangelhaft dar, daß die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Der mit Berufung der Beschwerdeführer angefochtene Bescheid war daher § 66 Abs. 2 AVG 1950 zu beheben und die Angelegenheit zur Durchführung einer Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an den Landeshauptmann von Niederösterreich zu verweisen.

Für das fortgesetzte Verfahren wird ferner auf das sich im Hinblick auf die Darlegungen im hg. Erkenntnis vom 19. Juni 1986, Zl. 86/04/0007, ergebende Erfordernis der Anführung allenfalls erforderlicher Auflagen im Bescheidspruch hingewiesen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den über den aus diesem Titel zuerkannten Betrag hinausgehenden geltend gemachten Stempelgebührenaufwand.

Wien, am 18. April 1989

Schlagworte

Inhalt des Spruches Allgemein Angewendete Gesetzesbestimmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1989:1988040112.X00

Im RIS seit

22.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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