TE Vwgh Beschluss 2021/1/14 Ra 2020/18/0517

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Veröffentlicht am 14.01.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §45 Abs2
AVG §45 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des S A, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner, Rechtsanwalt in 8054 Seiersberg-Pirka, Haushamer Straße 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juni 2020, W195 2223252-1/16E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 8. Dezember 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er zusammengefasst an, dass er zu Unrecht wegen eines durch Grundstücksstreitigkeiten ausgelösten Mordes angezeigt worden sei und deswegen verfolgt werde. Im Laufe des Verfahrens begründete er dies damit, dass er sowie einer der Mittäter Anhänger der oppositionellen Bangladesh Nationalist Party (BNP) seien, während die Familie des Verstorbenen die Awami League (AL) unterstütze. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er von der Polizei festgenommen oder von den Familienangehörigen des Opfers getötet zu werden.

2        Mit Bescheid vom 29. Juli 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Bangladesch zulässig sei, und legte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab. Es erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Begründend stellte das BVwG - soweit für die Behandlung der vorliegenden Revision relevant - fest, dass der Revisionswerber nicht politisch verfolgt werde, ihm in Bangladesch keine behördliche Verfolgung drohe und gegen ihn auch keine Anzeigen erstattet sowie keine Ermittlungsverfahren geführt worden seien. Seine Schilderung der behaupteten Vorfälle sei widersprüchlich. So habe er zum ersten behaupteten Vorfall verschiedene Versionen vom Geschehen im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA sowie in der Beschwerdeverhandlung angegeben. Im Ergebnis sei dem Revisionswerber hinsichtlich seines Fluchtvorbringens daher die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Diese Beurteilung habe aufgrund der vom Revisionswerber vor dem BFA bzw. dem BVwG getätigten wenig substantiierten und teilweise widersprüchlichen bzw. nicht plausiblen Angaben im Rahmen der freien Beweiswürdigung vorgenommen werden können. Von einer näheren Verifizierung der vorgelegten Unterlagen bzw. von Vor-Ort-Recherchen habe daher Abstand genommen werden können. Zur Nichtgewährung subsidiären Schutzes führte das BVwG aus, dass dem Revisionswerber aus näher genannten Gründen im Falle seiner Rückkehr keine reale Gefahr der Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK drohe.

5        Gegen dieses Erkenntnis brachte der Revisionswerber zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ein, der deren Behandlung mit Beschluss vom 7. Oktober 2020, E 2667/2020-5, ablehnte und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

6        In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit im Wesentlichen geltend gemacht, das BVwG habe die vom Revisionswerber dem BFA und dem BVwG vorgelegten Unterlagen (Antrag auf Mitgliedschaft bei der BNP Chattro Dal, Ermittlungsberichte und Strafanzeigen) in seiner Beweiswürdigung nicht beachtet und nicht übersetzt. Das BVwG habe allgemein auf den Länderbericht verwiesen, wonach echte Dokumente unwahren Inhalts und Gefälligkeitsbescheinigungen problemlos gegen Zahlungen erhältlich seien. Erst durch eine Verifizierung der vom Revisionswerber vorgelegten Unterlagen bzw. durch Vornahme einer Vor-Ort-Recherche könnten gesicherte Schlussfolgerungen gezogen werden. Es liege eine antizipierende Beweiswürdigung hinsichtlich der Echtheit der vorgelegten Dokumente vor. Zudem hätte das BVwG die politische Dimension der vom Revisionswerber vorgebrachten Vorfälle näher untersuchen müssen.

7        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Der Verwaltungsgerichtshof ist nach seiner ständigen Rechtsprechung - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen zwar nicht berufen, allerdings liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 29.10.2020, Ra 2020/18/0374, mwN).

12       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen.

13       Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. zum Ganzen VwGH 1.3.2019, Ra 2018/18/0552, mwN).

14       Soweit die Revision rügt, die vorgelegten Dokumente des Revisionswerbers seien gänzlich unbeachtet geblieben und nicht übersetzt worden, ist ihr entgegenzuhalten, dass sich das BVwG sehr wohl mit den dem BFA vorgelegten und von diesem übersetzten Unterlagen auseinandersetzte. Dazu hielt das BVwG fest, der Antrag auf Mitgliedschaft bei der BNP Chattro Dal habe bereits für das BFA keinerlei Aussagekraft über die Mitgliedschaft des Revisionswerbers bei der BNP gehabt. Der Revisionswerber habe näher befragt zu seinen Tätigkeiten und Aufgaben in der Partei keine konkreten Angaben machen und keinen Mitgliedsausweis der Partei vorlegen können. In dem - bereits vom BFA einer Übersetzung zugeführten - Erstinformationsbericht werde der Revisionswerber namentlich nicht genannt. Im - ebenfalls übersetzten - Ermittlungsschreiben werde der Revisionswerber als Beschuldigter angeführt, jedoch sei dieses Schreiben, wie aus der Anmerkung des Dolmetschers hervorgehe, grammatikalisch falsch und fehlerhaft, was den Schluss zulasse, dass die Dokumente gefälscht seien. Abgesehen davon habe der Revisionswerber keinerlei Details zu den vorgelegten Dokumenten anführen können, was ein weiterer Hinweis dafür sei, dass sein Fluchtvorbringen nicht der Wahrheit entspreche.

15       Das BVwG hat sich somit nicht, wie die Revision vermeint, auf die Zitierung der im Länderbericht enthaltenen Passagen zu der in Bangladesch bestehenden Möglichkeit der Fälschung von Dokumenten beschränkt, sondern sich vielmehr im Einzelnen mit dem Beweiswert der vorgelegten Urkunden auseinandergesetzt und deren Beweiskraft fallspezifisch ermittelt (vgl. VwGH 10.1.2020, Ra 2019/18/0026, mwN).

16       Wenn in der Revision die fehlende Übersetzung der in der Beschwerdeverhandlung vorgelegten Dokumente betreffend den zweiten Vorfall, der sich den Angaben des Revisionswerbers zufolge im Jahr 2019 ereignet habe, moniert wird, ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der vor dem BVwG durchgeführten Verhandlung die vom Revisionswerber in bengalischer und englischer Sprache vorgelegten und zum Akt genommenen Beweismittel im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Bengalisch erörtert wurden. Zudem begründete das BVwG, weshalb den Unterlagen, zu denen der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung näher befragt und ihm dabei die Gelegenheit zur Erörterung ihres Inhalts gegeben wurde, kein maßgeblicher Beweiswert beigemessen wurde.

17       Das BVwG führte aus, dass auch der zweite Vorfall und die darauf aufbauende Anzeige den Schilderungen des Revisionswerbers zufolge eine Grundstücksstreitigkeit gewesen sei. Überdies sei es dem Revisionswerber nicht gelungen, die beiden Vorfälle nicht miteinander zu vermengen. Da er erkannt habe, dass er bei dem zweiten Vorfall nicht anwesend habe sein können, weil er sich in Österreich befunden habe, habe er sich als „ausländischer Financier“ dargestellt. Es sei jedoch nicht nachvollziehbar, wieso gegen ihn eine Anzeige in dieser Rolle eingebracht worden sei, obwohl der Anzeiger nach Auskunft des Revisionswerbers gar nicht gewusst habe, dass letzterer in Österreich sei. Dies verdeutliche die Widersprüchlichkeit der Ausführungen und letztlich die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens.

18       Das BVwG setzte sich mit den vom Revisionswerber vorgelegten Anzeigen aber auch inhaltlich auseinander. Es hielt zunächst fest, dass die Grundlage der vom Revisionswerber vorgelegten Anzeigen der Vorwurf einer strafbaren Handlung, nicht jedoch eine politische Zugehörigkeit sei. Es sei auf Basis der getroffenen Länderfeststellungen - auch wenn das politische und rechtsstaatliche System Bangladeschs nicht mitteleuropäischen Standards entspreche - in Bangladesch nicht von einer generellen Schutzunfähigkeit des Staates oder einer flächendeckenden Inhaftierung oder Benachteiligung von Sympathisanten der BNP lediglich aufgrund ihrer politischen Gesinnung auszugehen. Zudem bestehe ein gerichtlicher Rechtsschutz. Dem Vorbringen des Revisionswerbers sprach das BVwG sodann aufgrund dessen näher dargelegten widersprüchlichen und teilweise gesteigerten Angaben nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffte, die Glaubwürdigkeit ab.

19       Entgegen dem Revisionsvorbringen setzte sich das BVwG dabei auch mit der vom Revisionswerber behaupteten „politischen Dimension“ seines Vorbringens eingehend auseinander. Dazu führte es aus, die Darstellung des Revisionswerbers, dass er sowie der Angreifer ein Naheverhältnis zur BNP hätten und der Verstorbene zur AL, erkläre die behauptete politische Dimension nicht. Der Revisionswerber habe auf die Frage, was mit den anderen Angezeigten passiert sei, geantwortet, dass „einige im Gefängnis seien, einige einen Anwalt hätten, die einen seien bei der AL, die anderen bei der BNP, manche hätten einen Vergleich gemacht.“ Aus den Aussagen des Revisionswerbers lasse sich keine parteipolitische Dimension des Vorfalles, sondern lediglich ein Nachbarschaftsstreit wegen Grundstücksangelegenheiten erkennen, den der Revisionswerber in eine politische Verfolgungshandlung einzurahmen versuche. Auch die zweite behauptete Anzeige von 2019 betreffe wieder eine Grundstücksstreitigkeit. Die Ausführungen des Revisionswerbers, dass ihm ein Mord wegen seiner Mitgliedschaft in der BNP angelastet werde, seien nicht substantiiert gewesen.

20       Der Revision gelingt es vor diesem Hintergrund nicht aufzuzeigen, dass die Beweiswürdigung des BVwG in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre. Sie zeigt auch nicht auf, dass amtswegige Ermittlungen, wie etwa Recherchen vor Ort, fallbezogen „erforderlich“ im Sinne des § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 gewesen wären (vgl. VwGH 11.11.2020, Ra 2020/18/0432, mwN).

21       Sofern die Revision eine Verletzung des Parteiengehörs vorbringt, da pauschal von der Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers ausgegangen worden sei, ohne ihm die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach sich das Recht auf Parteiengehör auf den von der Behörde festzustellenden maßgeblichen Sachverhalt bezieht. Die Beweiswürdigung im Sinn des § 45 Abs. 2 AVG, also die Frage aus welchen Gründen die Behörde welchen Beweismitteln zu folgen gedenkt, zählt aber nicht zu den Ergebnissen des Beweisverfahrens (vgl. VwGH 30.7.2020, Ra 2019/20/0383, mwN).

22       Wenn die Revision geltend macht, dem Revisionswerber sei ein viel zu hohes Maß an Bescheinigungsverpflichtung auferlegt worden, übersieht sie außerdem, dass das BVwG dem Vorbringen bereits aufgrund von näher genannten Widersprüchen und Steigerungen und nicht aufgrund einer mangelnden Mitwirkung des Revisionswerbers die Glaubwürdigkeit abgesprochen hat.

23       Die Revision rügt schließlich unter Verweis auf hg. Rechtsprechung zur Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative, das BVwG habe sich nicht ausreichend mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass der Revisionswerber im Falle einer Rückkehr einer staatlichen, ausschließlich auf politisch motivierten Falschanzeigen beruhenden Verfolgungsgefahr sowie einer Inhaftierung ausgesetzt wäre und somit eine Auswirkung auf die Lebenssituation des Revisionswerbers nach wie vor bestehe. Diesbezüglich genügt der Hinweis, dass sich die Revision damit vom festgestellten Sachverhalt entfernt und schon aus diesem Grund keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dargelegt wird.

24       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

25       Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 14. Jänner 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180517.L00

Im RIS seit

01.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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