TE Vwgh Erkenntnis 2021/1/18 Ra 2020/04/0133

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Veröffentlicht am 18.01.2021
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §52
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §24 Abs1
VwGVG 2014 §24 Abs4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa-Janovsky, über die Revision der Dr. E W in B, vertreten durch die Schmid & Horn Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Kalchberggasse 6-8, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 29. November 2019, Zl. LVwG 43.21-2952/2018-5, betreffend gewerberechtliche Betriebsanlagengenehmigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Liezen; mitbeteiligte Partei: T GmbH in H, vertreten durch Mag. Martin Mettler, Rechtsanwalt in 6361 Hopfgarten im Brixental, Marktgasse 11), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1        1. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2018 erteilte die Bezirkshauptmannschaft Liezen der mitbeteiligten Partei unter Vorschreibung von Auflagen die gewerberechtliche Generalgenehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines Einkaufszentrums mit zugehörigen PKW-Abstellplätzen in Form einer Gesamtanlage an einem näher bezeichneten Standort in der Gemeinde B.

2        2. Gegen diesen Bescheid erhoben die Revisionswerberin und weitere Nachbarn Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Verwaltungsgericht). Darin wurde die Durchführung einer „mündlichen Beschwerdeverhandlung“ beantragt und dazu vorgebracht, dass keine der GewO 1994 entsprechende Konkretisierung der Betriebsanlage vorliege. Auf Grund der zahlreichen Abänderungen sei nicht mit der für das Verwaltungsverfahren notwendigen Klarheit erkennbar, was überhaupt verfahrensgegenständlich sei. Die belangte Behörde hätte die mitbeteiligte Partei zu einer Konkretisierung anleiten müssen. Auch seien die Luftemissionen im Kurort B besonders kritisch zu hinterfragen. Zudem könnte die Verbringung der Küchenabluft (aus dem Gastronomiebetrieb) mit einer Lärmbeeinträchtigung verbunden sein, die nur auf Basis konkreter Angaben der mitbeteiligten Partei überprüfbar wäre. Es werde daher beantragt, dieser den Auftrag zu erteilen, die Detailplanung einschließlich der Emissionen und Immissionen aus der Küchenabluft vorzulegen. Es komme durch das Projekt der mitbeteiligten Partei zu einer Verletzung der Richtlinie für Kurorte und heilklimatische Kurorte, was auch zu Lasten der Beschwerdeführer gehe. Das führe zu einer Verschlechterung der Lebensqualität und könne letztlich sogar medizinische Konsequenzen haben. Es werde daher die Einholung eines ergänzenden Amtssachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet Luftreinhaltung bzw. Humanmedizin beantragt.

3        Auf Grund der signifikant hohen Zahl von ungewöhnlichen, äußerst bösartigen Krebserkrankungen, auf die bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren hingewiesen worden sei, werde die Einvernahme von MR Dr. H P, Distriktsarzt i. R in A, und Mag. L P, Apothekerin in B, als Zeugen sowie die Einholung einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme des humanmedizinischen Amtssachverständigen beantragt.

4        Die im Ermittlungsverfahren aufgezeigten Schallpegelspitzen bis zu 110 dB seien per se gesundheitsgefährdend. Es sei unschlüssig, dass diese Schallpegelspitzen, die die mitbeteiligte Partei selbst angeführt habe, zuletzt nicht mehr erwähnt worden seien. Man stelle daher den Antrag auf Ergänzung des schalltechnischen Amtssachverständigengutachtens dahingehend, dass der Amtssachverständige darlegen möge, warum plötzlich keine solchen Schallpegelspitzen mehr vorhanden sein sollten bzw. wie plausibel es sei, dass tatsächlich keine solchen Schallpegelspitzen auftreten würden. Weiters werde die Einholung eines humanmedizinischen Gutachtens eines Amtssachverständigen zur Schädlichkeit solcher Schallpegelspitzen beantragt.

5        Zusammenfassend sei festzuhalten, dass sich die geplante Betriebsanlage als nicht konsensfähig erweise. Der Beschwerde sei daher Folge zu geben und der angefochtene Bescheid dahingehend abzuändern, dass der Antrag der mitbeteiligten Partei abgewiesen werde, in eventu der angefochtene Bescheid aufgehoben und das Verfahren zwecks Ergänzung an die belangte Behörde zurückverwiesen werde.

6        3.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 29. November 2019 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerden - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Spruch des angefochtenen Bescheides neu gefasst und nach den Auflagen unter der Überschrift „Plan- und Beschreibungsunterlagen“ eine Reihe näher bezeichneter Projektunterlagen eingefügt wurde.

Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.

7        3.2. In der Begründung hielt das Verwaltungsgericht - nach Wiedergabe des Sachverhalts, des Verfahrensgangs und der Beschwerdevorbringen - fest, bereits im „erstinstanzlich umfassend geführten Ermittlungsverfahren“ hätten die eingeholten und in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde erörterten Gutachten aus den Fachbereichen Luftreinhaltung, Schalltechnik und Lichttechnik und das im Folgenden eingeholte, darauf basierende humanmedizinische Gutachten ergeben, dass die von der Gewerbebehörde wahrzunehmenden Schutzinteressen der Nachbarn durch das beantragte Vorhaben in der letztgeänderten Fassung vom 16. Mai 2018 nicht beeinträchtigt würden und die Beschwerdeführer keiner unzumutbaren Belästigung oder gar Gesundheitsgefährdung durch Lärm, Luftschadstoffe oder Lichtimmissionen ausgesetzt seien.

8        Das gegenständliche Vorhaben stelle sich unter Berücksichtigung sämtlicher vorliegender Beweisergebnisse bereits durch die belangte Behörde als detailliert und abschließend geprüft dar. Da die lediglich allgemein behauptete Mangelhaftigkeit des von der belangten Behörde äußerst gewissenhaft geführten Verfahrens und des angefochtenen Bescheides nicht gegeben sei und eine Verletzung der Beschwerdeführer in der von der GewO 1994 eingeräumten Rechte nicht vorliege, sei den Beschwerden keine Folge zu geben gewesen. Lediglich der Vollständigkeit halber habe das Verwaltungsgericht (um auch die für die Beschwerdeführer bestehenden Unklarheiten abschließend ausräumen zu können) den Spruch hinsichtlich der mit Genehmigungsvermerk versehenen Projektunterlagen durch Auflistung derselben konkretisiert.

9        Die Voraussetzungen für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung lägen im gegenständlichen Fall vor, weil der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt sei. Es stellten sich keine Sachfragen, die nicht schon bis ins Detail geprüft worden wären und die Rechtsfragen seien bereits durch die bisherige Rechtsprechung beantwortet. Die Beschwerden würden keine Rechts- oder Tatsachenfragen von solcher Art aufwerfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte kein anderes Entscheidungsergebnis bringen können.

10       4. Gegen diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

11       Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der die kostenpflichtige Zurück-, in eventu Abweisung der Revision beantragt wird.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12       1. Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen.

13       2. Die Revision erweist sich in Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig und auch berechtigt.

14       Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann eine mündliche Verhandlung ungeachtet eines Parteienantrages unterbleiben, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) entgegenstehen (vgl. VwGH 27.2.2017, Ra 2016/06/0147).

15       Wie der Verwaltungsgerichtshof - unter Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR - bereits ausgesprochen hat, gibt es Verfahren, in denen eine Verhandlung nicht geboten ist, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten sind, sodass eine Verhandlung nicht notwendig ist und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden kann. Jedenfalls dann, wenn der Sachverhalt vor dem Verwaltungsgericht konkret - und nicht nur allgemein inhaltsleer - bestritten wird, kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass das Verwaltungsgericht ausschließlich rechtliche Fragen zu behandeln hat (vgl. VwGH 2.11.2016, Ra 2016/06/0088, mwN).

16       Will das Verwaltungsgericht von der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung abweichend andere wesentliche Sachverhaltsfeststellungen treffen, hat es - ungeachtet eines Parteiantrags - eine mündliche Verhandlung durchzuführen und dabei die bereits von der Verwaltungsbehörde insbesondere im Rahmen einer mündlichen Verhandlung aufgenommenen Beweismittel neuerlich aufzunehmen. Dies gilt - so der Verwaltungsgerichtshof - gleichsam für den Fall, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht strittig ist. Es gehört gerade im Fall zu klärender bzw. einander widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen, um sich als Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. VwGH 18.9.2019, Ra 2018/04/0197, sowie VwGH 13.9.2016, Ra 2016/03/0085, und VwGH 30.1.2019, Ra 2019/03/0131, alle mwN).

17       Im vorliegenden Fall bekämpfte die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde konkret die Sachverhaltsfeststellungen der Behörde, indem sie zum einen die mangelnde Bestimmtheit des beantragten Vorhabens rügte. Dem trug das Verwaltungsgericht insofern Rechnung, als es - wenn auch nur, „um die für die Beschwerdeführer bestehende Unklarheiten abschließend ausräumen zu können“ - im Spruch des angefochtenen Bescheides eine (umfangreiche) Auflistung der maßgeblichen Projektunterlagen ergänzte. Zum anderen rügte die Revisionswerberin in der Beschwerde Mängel des schalltechnischen Gutachtens des Amtssachverständigen und beantragte entsprechende Ergänzungen dieses Gutachtens sowie die Einholung eines humanmedizinischen Gutachtens. Ergänzende Ermittlungen begehrte die Revisionswerberin zudem bezüglich des Vorbringens, es gäbe eine hohe Zahl von ungewöhnlichen, äußerst bösartigen Krebserkrankungen. In diesem Zusammenhang beantragte sie die Einvernahme näher bezeichneter Personen als Zeugen sowie die Einholung einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme des humanmedizinischen Amtssachverständigen.

In der Beschwerde wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausdrücklich beantragt.

18       Ausgehend von diesen - nicht schon von vornherein von der Hand zu weisenden - Beschwerdevorbringen kann im vorliegenden Fall von einem geklärten Sachverhalt nicht die Rede sein. Schon allein das Aufzeigen eines Mangels oder von Widersprüchen in Gutachten ist jedenfalls geeignet, die Tatsachenfeststellungen der Behörde substantiiert zu bestreiten, sofern die Behörde - wie im gegenständlichen Fall - ihre Entscheidung auch auf diese Gutachten stützt (vgl. nochmals VwGH Ra 2016/06/0088). Zudem ist die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgenommene umfangreiche Ergänzung des Spruchs des angefochtenen Bescheids als ein Beleg dafür anzusehen, dass auch das Verwaltungsgericht selbst eine nähere Konkretisierung des beantragten Vorhabens für geboten erachtete.

19       3. Das Verwaltungsgericht hat demnach gegen die Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung verstoßen. Bereits aus diesem Grund war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

20       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. Jänner 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020040133.L00

Im RIS seit

31.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

31.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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