TE Vwgh Beschluss 2021/1/20 Ra 2020/19/0381

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Veröffentlicht am 20.01.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
MRK Art3
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des G G in M, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2020, W242 2176683-2/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 12. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, über den mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 7. Februar 2019 im Beschwerdeverfahren entschieden wurde. Die dagegen erhobene Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Juni 2020, Ra 2019/20/0412, zurückgewiesen.

2        Am 17. Juli 2020 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen Folgeantrag, den er damit begründete, dass er wegen Grundstücksstreitigkeiten, fehlender verwandtschaftlicher Anknüpfungspunkte im Herkunftsland, der Sicherheitslage und der durch die Covid-19-Pandemie bedingten Situation im Falle seiner Rückkehr um sein Leben fürchte.

3        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den Antrag mit Bescheid vom 18. September 2020 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurück. Das BFA erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, sprach aus, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise und erteilte ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot.

4        Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das BVwG die dagegen erhobene Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Begründend führte das BVwG aus, dass eine relevante Änderung des vorgebrachten Sachverhaltes im maßgeblichen Zeitraum nicht festgestellt werden könne. Die nunmehr vorgebrachte Bedrohung beziehe sich im Kern auf einen behaupteten Sachverhalt, dem bereits im ersten Asylverfahren kein Glaube geschenkt worden sei. Die Covid-19-Pandemie führe für den Revisionswerber nicht zu einer Änderung der maßgeblichen Sachlage.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit zunächst vorgebracht, dass das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 68 Abs. 1 AVG abweiche, weil die geltend gemachten Neuerungen zu einer neuerlichen Sachentscheidung führen hätten müssen. Zudem habe sich BVwG nicht mit den vorgebrachten Sachverhaltsänderungen in Bezug auf die Covid-19-Pandemie auseinandergesetzt.

10       Die Rechtskraft einer früher in der gleichen Angelegenheit ergangenen Erledigung steht einer neuen Sachentscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG nur dann nicht entgegen, wenn in den für die Entscheidung maßgebenden Umständen eine Änderung eingetreten ist. Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die „entschiedene Sache“, das heißt durch die Identität der Sache, über die formell rechtskräftig abgesprochen wurde, mit der im neuerlichen Abspruch erfassten bestimmt. Identität der Sache liegt dann vor, wenn einerseits weder in der für die Vorentscheidung maßgeblichen Rechtslage noch in den für die Beurteilung der in der Vorentscheidung als maßgebend erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist (vgl. VwGH 12.12.2018, Ra 2018/19/0619, mwN).

11       Dabei entspricht es im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukommt; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen (vgl. VwGH 24.5.2018, Ra 2018/19/0187 bis 0189, mwN).

12       Vor diesem Hintergrund vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass die Annahme des BVwG, vom Revisionswerber sei keine wesentliche Änderung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes dargelegt worden, fallbezogen unvertretbar erfolgt wäre. Dies zumal sich der Revisionswerber im Wesentlichen auf schon im ersten Verfahrensgang vorgebrachte Fluchtgründe berief, denen bereits dort die Glaubwürdigkeit abgesprochen wurde. Die Revision übersieht zudem, dass das BVwG Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie traf und sich damit - vor dem Hintergrund des Kalküls der (hier verneinten) Möglichkeit einer anderen rechtlichen Beurteilung - auch im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens einer entschiedenen Sache auseinandersetzte. Die Revision vermag dem auch nicht stichhaltig entgegenzutreten, wenn sie pauschal darauf verweist, dass die vorgebrachten Sachverhaltsänderungen ein Recht auf neuerliche Sachentscheidung begründeten.

13       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiter vor, dass sich das BVwG nicht mit der Zumutbarkeit der ins Auge gefassten innerstaatlichen Fluchtalternativen in Mazar-e Sharif und Herat auseinandergesetzt habe.

14       Dem ist zu entgegnen, dass das BVwG Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in Herat und Mazar-e Sharif traf und zu dem Schluss kam, dass für den Revisionswerber als jungen, gesunden Mann im erwerbsfähigen Alter in den genannten Städten eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe. Es berücksichtigte dabei aktuelle Länderberichte, die UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 sowie die aktuellen EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan. Der Revisionswerber sei zudem nicht vulnerabel und verfüge über Familienangehörige in Österreich und im Iran, die ihn finanziell unterstützen könnten.

15       Auf Grundlage dieser Feststellungen vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass die Beurteilung des BVwG unvertretbar wäre. Es entspricht nämlich der auf vergleichbarer Sachverhaltsgrundlage ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrsche, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei und die Möglichkeit habe, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden könne, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren worden sei, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan habe, sondern im Iran aufgewachsen sei (vgl. VwGH 18.7.2019, Ra 2019/19/0197, mwN).

16       Soweit sich die Revision darauf beruft, dass es an Rechtsprechung zu Frage fehle, ob bei Asylwerbern, die keine Heimatregion im Herkunftsstaat hätten, ebenfalls eine Zumutbarkeitsprüfung durchzuführen sei, ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof diese Frage bereits dahingehend beantwortet hat, dass sich Asylwerber, die aufgrund einer möglichen asylrelevanten Verfolgung oder einer drohenden Verletzung des Art. 3 EMRK nicht auf ihre Herkunftsprovinz verwiesen werden können, nicht von jenen unterscheiden, die über keine solche verfügen. Bei Asylwerbern, die keine Herkunftsprovinz haben, ist daher ebenfalls eine Prüfung vorzunehmen, ob ihnen im Herkunftsstaat eine innerstaatliche Fluchtalternative offen steht, dies inkludiert auch eine - hier vorgenommene - Zumutbarkeitsprüfung (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0221).

17       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 20. Jänner 2021

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190381.L00

Im RIS seit

01.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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