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19/05 MenschenrechteNorm
AsylG 2005 §8 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des I H T in E, vertreten durch Dr. Sebastian Siudak, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Blütenstraße 15/5/5.13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2020, L512 2167067-1/32E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte am 12. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen brachte er im Wesentlichen vor, er sei von Taliban entführt und bis zu seiner Befreiung durch die pakistanischen Streitkräfte festgehalten worden. Er sei in der Folge auch aufgefordert worden, sich den Taliban anzuschließen.
2 Mit Bescheid vom 24. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Die Angaben des Revisionswerbers zu seinen Fluchtgründen erachtete das BVwG nicht als glaubwürdig. Der Revisionswerber könne daher auch in seine Herkunftsprovinz zurückkehren, ohne Verfolgung befürchten zu müssen. Alternativ stehe ihm auch eine innerstaatliche Fluchtalternative in den großen Städten seines Herkunftsstaates offen. Es bestehe auch keine reale Gefahr, dass der Revisionswerber durch die Rückkehr in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK verletzt würde. Dies gelte - vor dem Hintergrund näher getroffener Feststellungen zur aktuellen Sicherheits- und Versorgungslage in Pakistan sowie zu den persönlichen Verhältnissen des Revisionswerbers - auch unter Berücksichtigung der derzeitigen Covid-19-Pandemie.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten wendet sich die Revision unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit gegen die beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG zum Fluchtvorbringen des Revisionswerbers.
9 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 25.6.2020, Ra 2020/19/0182, mwN). Das BVwG ist nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Hinblick auf unschlüssige bzw. widersprüchliche Angaben des Revisionswerbers und diverse Ungereimtheiten in dessen Ausführungen zum Ergebnis gekommen, das Fluchtvorbringen sei nicht glaubwürdig. Der Revision gelingt es nicht darzulegen, dass diese Beweiswürdigung an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leidet.
10 Darüber hinaus wird zur Zulässigkeit der Revision vorgebracht, aufgrund der Folgen der Covid-19-Pandemie wäre dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen. Das BVwG habe dazu zwar aktuelle Länderberichte zu Pakistan eingeholt, jedoch seien diese nicht vollständig. Die Wirtschaft bzw. der Arbeitsmarkt Pakistans seien beeinträchtigt. Auch die Feststellungen zu den Umständen der erforderlichen Quarantäne nach der Einreise seien ungenügend.
11 Um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 21.10.2020, Ra 2020/19/0288, mwN). Bei der Frage, ob im Fall der Rückführung eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK besteht, kommt es somit nicht darauf an, ob infolge von zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus gesetzten Maßnahmen sich die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellt, solange die Sicherung der existentiellen Grundbedürfnisse weiterhin als gegeben anzunehmen ist (vgl. VwGH 11.11.2020, Ra 2020/14/0390; sowie zu Pakistan VwGH 7.9.2020, Ra 2020/20/0314; jeweils mwN).
12 Das BVwG hat sich im vorliegenden Fall auf der Grundlage von Länderberichten mit den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in Pakistan - insbesondere den wirtschaftlichen Folgen bzw. staatlichen und privaten Hilfsprogrammen sowie dem Erfordernis und den Umständen einer Quarantäne nach der Einreise - auseinandergesetzt. Zu den persönlichen Verhältnissen des Revisionswerbers hat das BVwG festgestellt, dass der Revisionswerber ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann mit Berufserfahrung in Pakistan und Österreich sei, in seinem Herkunftsstaat über ein familiäres Netzwerk verfüge, von dem Hilfe zu erwarten sei, und Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen könne. Die Revision, die eine Unrichtigkeit dieser Feststellungen nicht aufzeigen kann, vermag nicht darzulegen, dass die auf dieser Grundlage angestellte Beurteilung des BVwG, wonach dem Revisionswerber bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keine Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK drohe, unvertretbar wäre.
13 Soweit die Revision vorbringt, das BVwG hätte weitere Ermittlungen hinsichtlich der Covid-19-Pandemie - insbesondere näher zu den Umständen der 14-tägigen Quarantäne nach der Einreise - durchführen müssen, macht sie einen Verfahrensmangel geltend. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Asylbehörden bei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen haben. Das gilt ebenso für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Auch das BVwG hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Es reicht aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen (vgl. VwGH 12.10.2020, Ra 2020/19/0230, mwN).
14 Die Revision erschöpft sich insoweit in pauschalen Behauptungen und nennt keine konkreten, vom BVwG nicht beachtete Umstände, die durch weitere Erhebungen hervorgekommen wären, aus denen sich ergeben hätte, dass dem Revisionswerber im Sinn der dargestellten Judikatur in Hinblick auf die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in seinem Herkunftsstaat die Verletzung seiner nach Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht. Es gelingt der Revision daher nicht, die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels aufzuzeigen.
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 20. Jänner 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190334.L00Im RIS seit
01.03.2021Zuletzt aktualisiert am
01.03.2021