TE Vfgh Erkenntnis 1995/9/25 B2568/94, B2569/94, B2570/94

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Veröffentlicht am 25.09.1995
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §5

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mangels Vorliegen einer ortsüblichen Unterkunft; Unterlassen der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den jeweils angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer bevollmächtigten Vertreter die mit je 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführer (seit September 1991 in Österreich lebende Eheleute und ihre minderjährige Tochter, nach der Aktenlage Staatsangehörige der jugoslawischen Föderation) beantragten am 6. April 1994 die Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligungen. Der Landeshauptmann von Wien gab diesen Anträgen mit drei Bescheiden unter Berufung auf §5 Abs1 AufG nicht statt; eine Bewilligung dürfe insbesondere nicht erteilt werden, wenn eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist. Da nach den Angaben der Beschwerdeführer die ihnen zur Verfügung stehende Wohnung mit einer Nutzfläche von 44 m2 von insgesamt 5 Personen bewohnt werde, sei - unter Zugrundelegung eines Mindestbedarfes von 10 m2 Nutzfläche pro Person - im Falle der Beschwerdeführer eine für Inländer ortsübliche Unterkunft nicht gegeben.

Die gegen diese Bescheide eingebrachten Berufungen wies der Bundesminister für Inneres mit Bescheiden vom 14. Oktober 1994 ab.

2. Gegen diese drei Berufungsbescheide richten sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerden, mit denen die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) sowie eine Rechtsverletzung wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die Aufhebung der Bescheide begehrt wird.

3. Der belangte Bundesminister für Inneres hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die Abweisung der Beschwerden beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1. Die angefochtenen Bescheide greifen in das den Beschwerdeführern gemäß Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 der EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nicht nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, sondern auch dann wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

2. Die Beschwerdeführer wurden in diesem Recht durch die bekämpften Bescheide verletzt, weil der belangten Behörde bei der Anwendung des Gesetzes in die Verfassungssphäre reichende Fehler unterlaufen sind. Sie hat sich nämlich lediglich auf eine Aussage im Erkenntnis VfSlg. 11044/1986 berufen, die die Einreise eines Fremden nach Österreich und dessen lediglich kurzfristigen Aufenthalt im Inland betraf, und sich hinsichtlich der Interessenabwägung auf die Aussage beschränkt, daß private Bindungen in Österreich bestehen. Damit hat sie die gebotene Interessenabwägung in Wahrheit nicht vorgenommmen.

Die angefochtenen Bescheide waren aus diesem Grund aufzuheben.

3. Beizufügen bleibt, daß auf die von den Beschwerdeführern geltend gemachten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §5 Abs1 AufG hier nicht im einzelnen einzugehen war; es genügt der Hinweis auf das Erk. B2259/1994 vom 16. März 1995, in dem der Gerichtshof die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit dieser Gesetzesvorschrift dargetan hat.

III.        Die Kostenentscheidung

gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von je 3.000 S enthalten.

IV.                                 Diese Entscheidung konnte

gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B2568.1994

Dokumentnummer

JFT_10049075_94B02568_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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