Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Mag. Stefan Lichtenegger, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Christoph Erler, Rechtsanwalt in Wien, wegen 4.371,21 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Juni 2020, GZ 7 Ra 27/20x-31, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Der Revisionsgrund des § 503 Z 4 ZPO liegt nur dann vor, wenn ausgehend vom festgestellten Sachverhalt aufgezeigt wird, dass dem Berufungsgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts ein Rechtsirrtum unterlaufen ist (RIS-Justiz RS0043312).
[2] Die in der außerordentlichen Revision der Klägerin als fehlend monierten, „begehrten“ Feststellungen gehen überwiegend nicht über den vom Erstgericht ohnedies festgestellten Sachverhalt hinaus, sondern unterscheiden sich davon nur in Nuancen der zielorientierten Formulierung. Soweit die gewünschten Tatsachenfeststellungen von den getroffenen abweichen, liegt ein in dritter Instanz unzulässiger Versuch vor, die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen zu bekämpfen.
[3] Es werden aber auch keine sekundären Feststellungsmängel, die dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zuzuordnen wären, geltend gemacht. Inwiefern die Frage, welches Unternehmen die Lohnverrechnung für die Dienstnehmer der Beklagten durchgeführt hat, entscheidungserhebliche Bedeutung hätte, führt auch die Revision nicht aus.
[4] 2. Ob einem Standort Betriebsqualität zukommt (hier: im Sinn des § 45a AMFG), kann nur anhand einer Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls beantwortet werden, deren Beurteilung mangels darüber hinausgehender rechtlicher Bedeutung die Revisionszulässigkeit nicht begründet (RS0051131; 9 ObA 74/12s).
[5] Die Klägerin stellt die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die vier Filialgeschäfte der Beklagten in Österreich nach dem festgestellten Sachverhalt keinen einheitlichen Betrieb im Sinne der Massen-entlassungsRL 98/59/EG gebildet haben, nicht in Frage.
[6] Sie vertritt vielmehr den Standpunkt, dass das Unionsrecht nur einen Mindestschutz gewähren wolle und daher unabhängig davon auch eine Prüfung der Betriebseigenschaft nach dem nationalen österreichischen Arbeitsverfassungsrecht erforderlich sei, wenn dieses im Ergebnis für die Klägerin günstiger wäre. Diese Prüfung führe zu dem Ergebnis, dass den Filialen der Beklagten nicht das erforderliche Mindestmaß an Selbstständigkeit, insbesondere in technischer Hinsicht, eingeräumt gewesen sei, um sie als getrennte Betriebe anzusehen.
[7] 3. Der Betriebsbegriff der Betriebsverfassung findet im Arbeitsrecht keine schematische bzw generelle Anwendung. Eine analoge Heranziehung des § 34 Abs 1 ArbVG und der dazu ergangenen Rechtsprechung hängt von der nach Gesetzeslage und Interessenlage vorzunehmenden Wertung ab, inwieweit der Betriebsbegriff der Betriebsverfassung auf andere Gesetze anwendbar ist (RS0051058).
[8] Während es der Zweck des Arbeitsverfassungsgesetzes ist, durch den Begriff des Betriebs solche Einheiten zu bilden, in deren Rahmen es der Betriebsvertretung möglich ist, eine wirksame Tätigkeit zu entfalten und insbesondere ihre Mitwirkungsrechte auch tatsächlich auszuüben, ist es der teleologische Zweck des § 45a AMFG, in Umsetzung der unionsrechtlichen MassenentlassungsRL die sozioökonomischen Auswirkungen der Kündigung einer großen Zahl von Arbeitnehmern in einer bestimmten örtlichen und sozialen Umgebung zu begrenzen.
[9] 4. Davon abgesehen wird nach der Rechtsprechung die für den arbeitsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff zu verlangende organisatorisch-technische Einheit nicht entscheidend beeinträchtigt, wenn bestimmte administrative, kaufmännische oder wirtschaftliche Agenden für eine Reihe von Betriebsstellen in einer Zentrale gemeinsam geführt werden. Insbesondere geht der Betriebscharakter nicht deshalb verloren, weil die Personalangelegenheiten für mehrere Betriebe gemeinsam von der Unternehmensspitze bearbeitet werden (RS0051151; zur Relevanz räumlicher Entfernung vgl 9 ObA 143/95).
[10] Wenn hier die Vorinstanzen auf Grundlage der Feststellungen davon ausgegangen sind, dass die jeweils im Zuständigkeitsbereich verschiedener Standorte des Arbeitsmarktservice gelegenen Verkaufsfilialen der Beklagten jeweils organisatorisch getrennte Einheiten gebildet haben, die keinen einheitlichen Betrieb im Sinn des § 45a AMFG darstellten, hält sich diese Beurteilung im Übrigen auch im Rahmen der ständigen Rechtsprechung zu § 34 ArbVG.
Textnummer
E130729European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:008OBA00087.20G.0128.000Im RIS seit
22.02.2021Zuletzt aktualisiert am
21.06.2021