TE Vwgh Erkenntnis 2021/1/20 Ra 2019/15/0047

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Veröffentlicht am 20.01.2021
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Index

32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

EStG 1988 §124b Z53

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamtes Bregenz in 6900 Bregenz, Brielgasse 19, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 31. Jänner 2019, Zl. RV/1100394/2016, betreffend Einkommensteuer 2013 (mitbeteiligte Partei: D O in H, vertreten durch die Klement & Partner Steuerberatung KG in 6971 Hard, Hofsteigstraße 11), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Die im Jahr 1962 geborene Mitbeteiligte war - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) - im Zeitraum 2004 bis 31. August 2011 als Grenzgängerin in der Schweiz unselbständig beschäftigt. Seit 1. September 2011 ist sie im Inland nichtselbständig tätig.

2        Das in der schweizerischen gesetzlichen Altersversorgung (vgl. Schweizer Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 25. Juni 1982, im Folgenden: BVG, 2. Säule) angesparte Guthaben wurde bei Verlassen der Schweiz auf ein Freizügigkeitskonto der R Stiftung überwiesen.

3        Mit Schriftsatz vom 4. April 2013 ersuchte die Mitbeteiligte die R Stiftung um Auszahlung ihres gesamten, auf dem Freizügigkeitskonto bestehenden Guthabens zur Tilgung einer Hypothek. In der Folge wurde das Freizügigkeitskapital samt bis zum 29. April 2013 angefallener Zinsen nach Abzug der schweizerischen Quellensteuer auf ein inländisches Bankkonto der Mitbeteiligten überwiesen. Die Quellensteuer wurde der Mitbeteiligten später antragsgemäß rückerstattet.

4        Nach Wiederaufnahme des Verfahrens besteuerte das Finanzamt das ausbezahlte Freizügigkeitskapital in Höhe von umgerechnet 31.812,86 € ohne Gewährung der Drittelbegünstigung gemäß § 124b Z 53 EStG 1988.

5        In der gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid 2013 gerichteten Beschwerde brachte die Mitbeteiligte vor, sie habe hinsichtlich des seit 2011 auf einem Freizügigkeitskonto befindlichen Freizügigkeitsguthabens nur die Wahl zwischen alternativen Zeitpunkten der Auszahlung gehabt. Eine freie Wahl zwischen alternativen Ansprüchen (gemeint wohl: Auszahlung oder Bezug einer Rente) habe nicht bestanden, sodass eine begünstigte Pensionsabfindung iSd § 124b Z 53 EStG 1988 vorliege.

6        In seiner abweisenden Beschwerdevorentscheidung vertrat das Finanzamt die Ansicht, § 124b Z 53 EStG 1988 könne schon deshalb nicht zur Anwendung gelangen, weil es sich bei der R Stiftung um keine „Pensionskasse“ handle. Es liege eine von einer Bank bezogene Auszahlung vor. Die erst 51-jährige Mitbeteiligte habe die Möglichkeit gehabt, im Falle einer Wiederaufnahme einer unselbständigen Arbeit in der Schweiz das Vorsorgekapital in die Vorsorgestiftung des neuen Arbeitgebers einzubringen.

7        In ihrem Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das BFG verwies die Mitbeteiligte auf Judikatur des BFG sowie auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Dezember 2007, 2006/15/0258.

8        Im Verfahren vor dem BFG brachte das Finanzamt weitere Stellungnahmen zum strittigen Punkt der Drittelbegünstigung ein. So verwies das Finanzamt darauf, dass es primärer Zweck der Freizügigkeitsbestimmungen sei, das Austrittskapital so lange sicher in einer Freizügigkeitsstiftung zu verwahren, bis die versicherte Person das Auszahlungsalter gemäß Art. 16 der Verordnung des schweizerischen Bundesrates über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 3. Oktober 1994 (FZV) iVm Art. 13 BVG erreicht habe oder einen neuen Arbeitgeber finde und das Ansparkapital in eine neue betriebliche Pensionskasse überführt werden könne. Auch wenn die Auszahlung nach dem Reglement der Freizügigkeitsstiftung zulässig gewesen wäre, sei es vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen, mit der Bestimmung des § 124b Z 53 EStG 1988 den vorzeitigen Verbrauch des Vorsorgekapitals durch eine Steuerbegünstigung zu fördern. Zudem erscheine es als gleichheitswidrig, wenn ein „aus der Freizügigkeit bezogener Wohnraumvorbezug“ begünstigungsfähig wäre, während die für die Anschaffung und Sanierung von Wohnraum bezogene Pensionskassenabfindung im Rentenalter wegen der dann gegebenen Wahlmöglichkeit (monatlicher Rentenbezug iSd Art. 37 BVG oder Barauszahlung) nicht begünstigt wäre.

9        Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das BFG der Beschwerde statt. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ließ das BFG nicht zu.

10       Begründend verwies es u.a. auf die Bestimmung des Art. 30c Abs. 1 BVG, wonach der Versicherte bis drei Jahre vor Entstehung des Anspruchs auf Altersleistungen von seiner Vorsorgeeinrichtung einen Betrag für Wohneigentum zum eigenen Bedarf geltend machen könne. Nach Art. 2 Abs. 1 des Schweizer Bundesgesetzes über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (FZG) hätten Versicherte, welche die Vorsorgeeinrichtung verließen, bevor ein Vorsorgefall eintrete (Freizügigkeitsfall), Anspruch auf eine Austrittsleistung. Gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a FZG könnten Versicherte - vorbehaltlich Art. 25f FZG - die Barauszahlung der Austrittsleistung verlangen, wenn sie die Schweiz endgültig verließen. Art. 25f Abs. 1 lit. a FZG bestimme, dass Versicherte die Barauszahlung nach Art. 5 Abs. 1 lit. a im Umfang des bis zum Austritt aus der Vorsorgeeinrichtung erworbenen Altersguthabens nach Art. 15 BVG nicht verlangen könnten, wenn sie nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft für die Risiken Alter, Tod und Invalidität weiterhin obligatorisch versichert seien.

11       Im Revisionsfall habe die Mitbeteiligte die Austrittsleistung zur Tilgung einer Hypothek verwendet. Dies sei nur insofern von Bedeutung, als die auszahlende Stelle die Sperrklausel für den obligatorischen Anteil der Austrittsleistung als nicht anwendbar erachtet habe, wobei irrelevant sei, ob dies wegen der im Inland weiter bestehenden obligatorischen Versicherung (im Hinblick auf Art. 25 f Abs. 1 lit. a FZG) zu Recht oder Unrecht erfolgt sei. Faktum sei, dass auf Grund der Beendigung des Vorsorgeverhältnisses mit der beruflichen Pensionskasse kein Wahlrecht zwischen Rente und Kapital bestanden habe, sodass die Beschwerdeangelegenheit nicht anders zu behandeln sei, als jene (im Einzelnen angeführten) Rechtssachen, in denen der Verwaltungsgerichtshof die Auszahlung von Austrittsguthaben dem Begriff „Pensionsabfindung“ iSd § 124b Z 53 EStG 1988 subsumiert habe.

12       Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision des Finanzamtes. Die Revision sei zulässig, weil der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung noch nie mit der Frage befasst worden sei, ob das mittels „Wohnraumvorbezug“ zur Auszahlung gebrachte obligatorische Vorsorgekapital als begünstigte Pensionsabfindung iSd § 124b Z 53 EStG 1988 behandelt werden dürfe.

13       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14       Die Revision ist aus dem wiedergegebenen Grund zulässig. Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. März 2020, Ra 2019/15/0043, betraf nach der darin erfolgten Sachverhaltsschilderung zwar auch den „Vorbezug für Wohneigentum“, doch erfolgte keine Auseinandersetzung mit der gegenständlichen Streitfrage, weil das angefochtene Erkenntnis des BFG bereits aus einem anderen Grund aufzuheben war.

15       Mit BGBl. I Nr. 54/2002 wurde in § 124b Z 53 EStG 1988 ein Satz (dritter Satz) angefügt und dadurch normiert, dass Pensionsabfindungen von Pensionskassen auf Grund gesetzlicher oder statutenmäßiger Regelungen ab dem Jahr 2001 zu einem Drittel steuerfrei sind.

16       In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (927 BlgNR 21. GP 2) wird hiezu ausgeführt:

„Ausländische gesetzliche Regelungen bzw. die darauf beruhenden Statuten der ausländischen Pensionskassen sehen vielfach Pensionsabfindungen vor. Eine Übertragung des abzufindenden Barwertes in eine inländische Pensionskasse ist nicht möglich. Diese Problematik trifft insbesondere Grenzgänger, die in diesen Fällen keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung haben. Es wäre daher unbillig, Pensionsabfindungen in diesen Fällen zur Gänze tarifmäßig zu versteuern.“

17       Zweck dieser Bestimmung ist es also, eine tarifmäßige Besteuerung von Pensionsabfindungen zu vermeiden, wenn keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme dieser Abfindung besteht (vgl. VwGH 22.11.2018, Ra 2018/15/0086).

18       Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgeführt hat, setzt § 124b Z 53 EStG 1988 voraus, dass (insbesondere bei ausländischen Pensionskassen im Hinblick auf die dortige gesetzliche Situation) den Anspruchsberechtigten keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung eingeräumt ist (vgl. VwGH 24.5.2012, 2009/15/0188; 26.11.2015, 2013/15/0123).

19       Im Erkenntnis vom 5. März 2020, Ro 2019/15/0003, hat der Verwaltungsgerichtshof zu einem die liechtensteinische Gesetzeslage betreffenden Fall ausgesprochen, entscheidend sei, ob der Vorsorgeschutz mit späteren Rentenanspruch durch eine entsprechende Disposition über die Freizügigkeitspolice hätte aufrecht erhalten werden können. Dass die spätere Rentenleistung nicht von der Vorsorgeeinrichtung des früheren Arbeitgebers, sondern von einem „privaten Versicherungsunternehmen“ erfolgt, steht der Annahme eines Wahlrechtes nicht entgegen, sofern ein Verbleib innerhalb des ausländischen Vorsorgesystems trotz Beendigung der Auslandstätigkeit möglich war und daraus ein späterer Rentenbezug hätte erfolgen können (zur schweizerischen Rechtslage vgl. VwGH 5.3.2020, Ra 2019/15/0043).

20       Im vorliegenden Fall hat die mitbeteiligte Partei nach den unstrittigen Sachverhaltsfeststellungen des BFG einen „Vorbezug“ gemäß Art. 30c Schweizer BVG (zur Schaffung von Wohnungseigentum) in Anspruch genommen. Das BFG hat diesen „Vorbezug“ als Pensionsabfindung iSd § 124b Z 53 EStG 1988 behandelt.

21       Dagegen wendet sich das revisionswerbende Finanzamt mit dem Vorbringen, das BFG habe den „Wohnraumvorbezug“ undifferenziert mit einer finalen Auszahlung des überobligatorischen Austrittsguthabens gleichgesetzt. Im Revisionsfall habe die seinerzeit 51-jährige Mitbeteiligte das auf dem Freizügigkeitssperrkonto geparkte Obligatorium ungeachtet dessen zur Auszahlung gebracht, dass gemäß Art. 16 Abs. 1 Schweizer FZV Altersleistungen von Freizügigkeitspolicen und -konten frühestens fünf Jahre vor bzw. spätestens fünf Jahre nach Erreichen des Rentenalters (frühestens mit Erreichen des 59. Lebensjahres) ausbezahlt werden dürfen. Darüber hinaus habe die Auszahlung gegen Art. 25f Schweizer FZG verstoßen. Zudem stelle der Wohnraumvorwegbezug keine endgültige Abfindung eines Pensionsanspruches dar, weil der bezogene Betrag gemäß Art. 30d Abs. 1 BVG in bestimmten Fällen (z.B. Veräußerung des Wohnungseigentums) an die Vorsorgeeinrichtung zurückbezahlt werden müsse und der Versicherte den bezogenen Betrag gemäß Art. 30d Abs. 2 BVG unter Beachtung bestimmter Bedingungen jederzeit zurückbezahlen und im Idealfall dadurch sogar wieder zu rentenanspruchsbegründendem Vorsorgekapital gelangen könne.

22       Das BFG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der revisionsgegenständliche „Vorbezug“ seinem Wesen nach einer endgültigen Abfindung von Pensionsansprüchen (bzw. -anwartschaften) gleichzuhalten ist. Dies wäre jedoch schon deshalb erforderlich gewesen, weil - worauf der Revisionswerber zutreffend hinweist - Art. 30d BVG in bestimmten Fällen eine Rückzahlungsverpflichtung des „Vorbezuges“ vorsieht und überdies dem Versicherten nach derselben Bestimmung (grundsätzlich) das Recht eingeräumt ist, den bezogenen Betrag „jederzeit“ zurückzuzahlen. Sollte diese Möglichkeit auch Personen in der Lage der Mitbeteiligten (als ehemalige Grenzgängerin) offenstehen (bzw. gestanden sein), läge eine „Abfindung“ iSd § 124b Z 53 EStG 1988 schon deshalb nicht vor, weil im Zeitpunkt der Auszahlung nicht feststeht, dass mit der Inanspruchnahme des Vorbezuges ein finales Verlassen des schweizerischen Vorsorgesystems erfolgt ist.

23       Für den Fall, dass der Mitbeteiligten mit Inanspruchnahme des „Vorbezuges“ eine Rückkehr in das schweizerische Vorsorgesystem nicht mehr möglich gewesen sein sollte, ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes weiters zu prüfen, ob der Vorsorgeschutz mit späterem Rentenanspruch durch eine entsprechende Disposition über die Freizügigkeitsleistung in der Schweiz hätte aufrecht erhalten werden können (vgl. u.a. VwGH 23.1.2020, Ra 2018/15/0107; 5.3.2020, Ra 2019/15/0043; 21.4.2020, Ra 2019/15/0064).

24       Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 20. Jänner 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019150047.L00

Im RIS seit

23.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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