TE Vwgh Beschluss 2021/1/21 Ra 2020/20/0444

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Veröffentlicht am 21.01.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art2
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des O A in D, vertreten durch Dr. Eva Jana Messerschmidt, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Salztorgasse 2/Top 6, (Einvernehmensrechtsanwalt gemäß § 14 EIRAG: Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11), gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. April 2020, L504 2120411-1/35E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein aus Bagdad stammender irakischer Staatsangehöriger, stellte am 20. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2        Mit Bescheid vom 13. Jänner 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis - mit einer hier nicht wesentlichen Maßgabe - als unbegründet ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Gericht für nicht zulässig.

4        Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 22. September 2020, E 1418/2020-8, ab und trat diese mit Beschluss vom 2. November 2020, E 1418/2020-10, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesverwaltungsgericht habe seiner Begründungspflicht nicht entsprochen und es habe amtswegige Ermittlungspflichten verletzt. Es sei der genaue Inhalt eines vom BFA geführten Telefonats mit einem Mitarbeiter des Unternehmens, bei dem der Revisionswerber im Irak beschäftigt gewesen sei, nicht wiedergegeben worden. Es fehlten diverse Angaben, die erforderlich seien, um die Glaubwürdigkeit der Ausführungen der befragten Auskunftsperson zu beurteilen. Das Gericht habe - betreffend die vom Revisionswerber geschilderten fluchtauslösenden Ereignisse - die ihm zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft und keine aktuelle „ACCORD-Anfrage“ eingeholt sowie - betreffend die Versorgungslage im Irak - keine aktualisierten Länderberichte angefordert. Entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts habe sich die Lage im Herkunftsstaat des Revisionswerbers seit Durchführung der Verhandlung schon im Hinblick auf den Ausbruch der Covid-19 Pandemie entscheidungswesentlich geändert. Hinsichtlich der vom Gericht angeführten Recherchen, die ergeben hätten, dass die für den Revisionsfall maßgebliche Berichtslage im Wesentlichen unverändert geblieben sei, mangle es an einer exakten Quellenangabe. Zudem lasse das angefochtene Erkenntnis eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Risikoprofil des Revisionswerbers, mit der Sicherstellung dessen existenzieller Grundversorgung und der angespannten Sicherheitslage im Irak vermissen. Schließlich wendet sich der Revisionswerber gegen die im angefochtenen Erkenntnis vorgenommene Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK.

9        Der Verwaltungsgerichtshof ist - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 4.11.2020, Ra 2020/20/0366, mwN). Dass die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts an einem derart gravierenden Mangel litte, zeigt die Revision nicht auf.

10       Der Inhalt des Telefonats, das im Zuge der Einvernahme des Revisionswerbers durch das BFA geführt wurde, wurde von der Behörde in der über die Parteienvernehmung angefertigten Niederschrift festgehalten. Entgegen dem Revisionsvorbringen ging das Bundesverwaltungsgericht auch auf die „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen“ vom Mai 2019 ein und kam auf Basis nachvollziehbarer Überlegungen zum Ergebnis, dass im Fall der Rückkehr des Revisionswerbers keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende asylrelevante Verfolgung oder Gefährdung zu erwarten sei.

11       Abgesehen davon, dass anhand des Zulässigkeitsvorbringens eine grob fehlerhafte Beurteilung des Verwaltungsgerichts bezüglich des Umfangs der im Revisionsfall konkret gebotenen, amtswegig durchzuführenden Ermittlungen nicht ersichtlich ist (vgl. zur einzelfallbezogenen Beurteilung amtswegiger Ermittlungspflichten und dem diesbezüglichen Prüfkalkül des Verwaltungsgerichtshofs etwa VwGH 16.10.2020, Ra 2020/20/0344, mwN), legt die Revision die Relevanz der von ihr geltend gemachten Verfahrensmängel nicht dar.

12       Werden Verfahrensmängel - wie hier Begründungs- und Ermittlungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (siehe auch dazu VwGH 16.10.2020, Ra 2020/20/0344, mwN).

13       Die Ausführungen der Zulässigkeitsbegründung bieten keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Revisionswerber bei seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat mit einer Lage konfrontiert wäre, in der eine reale Gefahr („real risk“) für die Befriedigung seiner existentiellen Grundbedürfnisse sowie eine drohende Verletzung seiner durch Art. 2 und Art. 3 EMRK garantierten Rechte zu gewärtigen wäre (vgl. dazu VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0188, mwN). Die von der Revision zitierten Berichte über die Sicherheits- und Versorgungslage im Südirak, den durch die Pandemie bedingten Abzug der Soldaten der deutschen Bundeswehr aus dem Irak sowie über die Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf die dortige Situation von Demonstranten und gleichgeschlechtlichen Paaren lassen einen konkreten Bezug zur den Revisionswerber betreffenden Rückkehrsituation nicht erkennen.

14       Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 3.12.2020, Ra 2020/20/0392, mwN). Betreffend die für die Interessenabwägung entscheidungswesentlichen Gesichtspunkte zeigt der Revisionswerber eine Fehlbeurteilung des Verwaltungsgerichts jedenfalls nicht auf.

15       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 21. Jänner 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020200444.L00

Im RIS seit

08.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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