Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer und Mag. Martina Gradl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. W***** K***** und 2. H***** M*****, beide vertreten durch Mag. Klaus Fürlinger, Rechtsanwalt in Linz, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 8. September 2020, GZ 14 R 82/20g-17, womit das Urteil des Bezirksgerichts Linz vom 19. März 2020, GZ 35 C 27/19m-13, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das erstinstanzliche Urteil samt Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 5.367,36 EUR (darin 858,89 EUR USt und 214 EUR Gerichtsgebühren) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Der klagende Sportverein wollte in seinem neuen Sportzentrum ein Gastronomielokal eröffnen. Der Kläger und die Beklagten, die bereits in einer anderen Kantine des Klägers tätig gewesen waren, schlossen am 16. 7. 2003 über das hier streitgegenständliche Lokal einen Pachtvertrag auf unbestimmte Zeit, beginnend am 1. 4. 2004. Im Vertrag verpflichtete sich der Kläger, von seinem – beiderseits jederzeit unter Einhaltung einer zwölfmonatigen Kündigungsfrist vereinbarten – Kündigungsrecht bis Ablauf von zehn Jahren nach Unterfertigung des Pachtvertrags keinen Gebrauch zu machen; weiters wurde vereinbart, dass das von den Beklagten als Pächter anzuschaffende Inventar nach Ablauf von 15 Jahren entschädigungslos in das Eigentum des Klägers als Verpächter übergehe.
[2] Nachdem die Parteien über die zu zahlenden Betriebskosten für das Lokal in Streit geraten waren, schlossen sie am 11. 11. 2011 einen gerichtlichen Vergleich, in dem sich die Beklagten verpflichteten, das Bestandobjekt bis spätestens 31. 12. 2018 dem Kläger geräumt zu übergeben. Der Kläger nahm bei den Vergleichsverhandlungen die Position ein, dass er nach Ablauf des zehnjährigen Kündigungsverzichts (Beginn 2014) einen angemessenen Bestandzins von 2.600 EUR einheben wollte. Dies und der Streit über die Betriebskosten führten zu einem Nachtrag vom 10. 1. 2012 zum Pachtvertrag, in dem die Parteien einen Nettopachtzins von 2.600 EUR vereinbarten und den Beklagten das halbjährliche Kündigungsrecht unter Einhaltung einer sechsmonatigen Kündigungsfrist, erstmals zum 31. 12. 2014, eingeräumt wurde.
[3] Die Beklagten schlossen Vergleich und Vertragsnachtrag, weil der Kläger ab Beginn 2014 (Ablauf des Kündigungsverzichts) den Vertrag hätte kündigen dürfen und sie eine Verlängerung des Kündigungsverzichts wollten.
[4] In der Folge versuchte der Kläger, das Vereinslokal anderweitig zu verpachten. Auch die Beklagten bewarben sich neuerlich darum, vertraten jedoch die Ansicht, dass das Inventar nicht weiterverpachtet werden dürfe, sondern in ihrem Eigentum stehe, weil sie die zu Beginn des Pachtverhältnisses getroffene Vereinbarung – geringerer Bestandzins gegen Tragung der Investitionen durch die Beklagten – dadurch als nicht eingehalten ansahen, dass sie ab 1. 1. 2014 einen erhöhten Zins zu bezahlen hatten.
[5] Bei den Verhandlungen im November 2018 vereinbarten die Parteien, dass das Pachtverhältnis provisorisch über den 31. 12. 2018 hinaus verlängert werde und dass nach Errichtung eines neuen Pachtvertrags ein unbefristetes Pachtverhältnis entstehe; zudem wurde vereinbart, dass der monatliche Pachtzins ab 1. 1. 2019 wie vom Kläger gewünscht 3.000 EUR betrage. Dazu wurde schriftlich in einem Schreiben des Klägers wie folgt festgehalten:
„Betreff: Pachtverlängerung
Sehr geehrte Herrn
Aufgrund der gestrigen (26. November 2018) Gespräche teilen wir Ihnen mit, dass wir unter den gestern vereinbarten Bedingungen (lt. Audioaufzeichnung) beabsichtigen, den Pachtvertrag mit Ihnen über den 1. 1. 2019 hinaus, provisorisch, zu verlängern und nach Erstellung eines neuen Pachtvertrages in ein unbefristetes Pachtverhältnis einzugehen.
Dieses Provisorium ist notwendig, da die Erstellung eines neuen Pachtvertrages durch unsere Anwälte bzw die Prüfung durch die Anwälte des Pächters über den 31. 12. 2018 hinausgehen kann.
Wird das nicht vereinbart, ist das Pachtverhältnis am 31. 12. 2018 aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs aus dem Jahr 2012 automatisch beendet.?
[6] Auf demselben einseitigen Dokument unterfertigten die Beklagten folgende, unter der Unterschrift der Vereinsorgane des Klägers, befindliche Erklärung:
„Wir sind bereit, die gestern (26. November 2018) besprochenen Bedingungen (lt. Audioaufzeichnung) für einen provisorischen Pachtvertrag ab 1. 1. 2019 zu akzeptieren und diese in einen neuen Pachtvertrag festzulegen.?
[7] Die Beklagten zahlten ab 1. 1. 2019 monatlich statt 3.000 EUR nur 2.600 EUR an Pachtzins.
[8] Im Dezember 2018 erteilte der Kläger dem Klagevertreter den Auftrag, den Vertrag auszuhandeln. Im März 2019 haben sich die Rechtsvertreter der Streitteile erstmals zu einem persönlichen Gespräch betreffend das Pachtverhältnis getroffen. Schriftliche Vertragsentwürfe wurden im Mai 2019 versendet, worauf die Beklagten mit Schreiben vom 3. 6. 2019 antworteten.
[9] In der Folge ist jedoch keine Einigung zustande gekommen; die Verhandlungen betreffend ein neues Pachtverhältnis sind mit Ende August 2019 endgültig gescheitert. Die Beklagten wollten keinen entschädigungslosen Übergang von Inventar an den Kläger akzeptieren, wobei die Vertragsentwürfe einen solchen für später angeschaffte Gegenstände nicht mehr vorgesehen hätten. Der Kläger wollte keinen Kündigungsverzicht abgeben; ein solcher war aber den Beklagten wichtig, da sie bis zu ihrem Pensionsantrittsalter das Bestandverhältnis weiterführen wollten.
[10] Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger die Übersendung des Pachtvertragsentwurfs hinausgezögert hat, um in den Genuss des Eigentumsübergangs zu kommen.
[11] Nach Scheitern der Verhandlungen wollte der Kläger mehrfach erreichen, dass die Beklagten über die Räumung des Lokals verhandeln, was sie jedoch ablehnten. Aufgrund des Räumungsvergleichs vom 11. 11. 2011 wurde vom Kläger zu keiner Zeit Exekution geführt. Die Beklagten haben den Bestandgegenstand nicht geräumt und betreiben das Lokal nach wie vor.
[12] Der Kläger begehrte mit Klage vom 7. 10. 2019 die Räumung wegen titelloser Benützung.
[13] Die Beklagten brachten vor, das Pachtverhältnis sei einvernehmlich faktisch fortgesetzt worden. Der Räumungstitel sei verjährt. Das Bestandverhältnis sei stillschweigend erneuert worden.
[14] Das Erstgericht gab der Räumungsklage statt. Ob Pacht oder Miete vorliege, sei irrelevant, weil ein Räumungsvergleich auch im MRG-Regime zulässig sei. Eine stillschweigende Erneuerung iSd §§ 1114 f ABGB habe nicht stattgefunden. Die Rechtsvermutung des § 569 ZPO sei durch die Vertragsverhandlungen widerlegt. Mit einem Zuwarten von 38 Kalendertagen bis zur Klage hätte der Kläger angesichts der mehrfachen Versuche, die Beklagten zum Auszug zu bewegen, es nicht dabei bewenden lassen, dass die Beklagten das Bestandobjekt weiter benützt hätten; sie benützten es somit titellos.
[15] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Es vertrat rechtlich die Auffassung, der Fall sei mit 1 Ob 223/08p nicht zu vergleichen. Es wäre „auch im Lichte der Dokumentation des Beendigungswillens“ am Kläger gelegen gewesen, den Räumungstitel innerhalb der Frist des § 575 ZPO zu nutzen und zumindest einen Exekutionsantrag einzubringen, wenngleich dieser nicht unbedingt sofort in Vollzug zu setzen gewesen wäre. Dass in der Vereinbarung vom 27. 11. 2018 festgehalten werde, dass das Pachtverhältnis am 31. 12. 2018 aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs aus dem Jahr 2012 automatisch beendet sei, habe keine weitere konstitutive Wirkung, sondern diene der bloßen Klarstellung. Auch durch die Unterlassung alsbaldiger Exekutionsführung iSd § 575 Abs 3 ZPO trete keine Änderung der materiell-rechtlichen Beziehungen ein, ein beendetes Bestandverhältnis bleibe daher beendet, der frühere Bestandnehmer sei weiterhin zur Zurückstellung der Bestandsache iSd § 1109 ABGB verpflichtet. Der Räumungstitel habe zum 30. 7. 2019 seine Durchsetzbarkeit verloren. Bereits am 21. 6. 2019 sei ein positiver Abschluss der Vertragsverhandlungen höchst ungewiss gewesen. Darüber hinaus sei nach den Feststellungen und dem Prozessstandpunkt der Kläger, wonach der erhöhte Mietzins im Wesentlichen nicht strittig gewesen sei, davon auszugehen, dass die Beklagten nach dem Scheitern der Verhandlungen keinen Räumungswillen gehabt hätten. Zu § 1114 Satz 3 ABGB iVm § 569 ZPO fordere die Rechtsprechung, dass das die Rechtsvermutung widerlegende Verhalten eindeutig sein müsse, sodass etwa allein die Aufnahme von Verhandlungen über die Verlängerung des Vertrags nicht zur Widerlegung der Rechtsvermutung ausreiche. Weiters müsse auch nach einer eindeutigen Ablehnung der Vertragsverlängerung zwar nicht unbedingt innerhalb der in § 569 ZPO genannten, aber doch zumindest in angemessener Frist die Räumungsklage erhoben werden. Hier seien die Vertragsverhandlungen zum 29. 8. 2019 endgültig gescheitert; der festgestellte mehrfache Versuch, sich gütlich über die Räumung zu einigen, sei angesichts des Umfangs der letztlich gescheiterten Verhandlungen davor überflüssig gewesen und habe sich auch nicht als unmissverständliche Willenserklärung der Beendigung geeignet. Daher sei die mehr als fünf Wochen nach dem Scheitern der Vertragsverhandlungen erhobene Klage nicht in angemessener Frist eingebracht worden. Im Übrigen sei das Bestandverhältnis zu diesem Zeitpunkt mehr als neun Monate beendet gewesen. Dem stehe auch die Feststellung nicht entgegen, wonach nicht festgestellt werden könne, dass das Pachtverhältnis einvernehmlich faktisch fortgesetzt worden sei, weil es sich dabei nicht um eine Feststellung, sondern um eine rechtliche Beurteilung handle.
[16] Das Berufungsgericht traf eine 30.000 EUR übersteigende Bewertung des Entscheidungsgegenstands und ließ die ordentliche Revision nicht zu.
[17] In seiner Revision beantragt der Kläger, das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[18] Die Beklagten beantragen in der ihnen vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
[19] Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[20] Der Kläger bringt in seiner Revision zusammengefasst vor, er habe klar seinen Willen geäußert, nur unter der Voraussetzung der Einigung auf neue Bedingungen einen neuen Pachtvertrag abzuschließen; dies beinhalte zwingend die Ablehnung der Fortsetzung des bisherigen Pachtverhältnisses zu den bisherigen Bedingungen und schließe eine stillschweigende Erneuerung aus. Aus dem Unterbleiben einer Räumungsexekution während der Dauer der Vertragsverhandlungen sei nichts Gegenteiliges zu schließen. Auch das Scheitern der Verhandlungen über die neuen Konditionen habe nicht zur Folge, dass Gespräche danach über die Räumung sinnlos wären oder dass die Versuche, eine gütliche Einigung betreffend die Räumung zustande zu bringen, an der unmissverständlichen Willenserklärung zur Beendigung etwas ändern würden. Nach dem Scheitern der Verhandlungen sei in den Wochen bis zur Klage keine stillschweigende Erneuerung des Bestandvertrags durch ein „Bewenden-Lassen“ als besonderer Fall stillschweigender Willenserklärung erfolgt.
[21] Dazu wurde erwogen:
[22] 1. Ist schon nach den Klagebehauptungen das Bestehen oder Nichtbestehen eines Bestandvertrags im Rahmen des Räumungsstreits strittig, etwa weil der Räumungsanspruch wegen titelloser Benützung nach dem Klagevorbringen auf die Rechtsunwirksamkeit oder die Beendigung von Mietverträgen über die vom Räumungsbegehren erfassten Objekte gestützt wurde, hängt die Zulässigkeit der Revision nicht vom Streitwert ab (6 Ob 163/20v mwN).
[23] 2.1. Nach § 575 Abs 2 ZPO – einer rein verfahrensrechtlichen Bestimmung (RS0123438; Weixelbraun in Fasching/Konecny3 § 575 ZPO [2019] Rz 4 ff [insb 7/1] mwN) – treten eine gerichtliche Kündigung oder ein Auftrag zur Übergabe oder Übernahme des Bestandgegenstands, wider welche nicht rechtzeitig Einwendungen erhoben wurden, desgleichen die über solche Einwendungen ergangenen rechtskräftigen Urteile, vorbehaltlich des über den Kostenersatz ergangenen Ausspruchs, außer Kraft, wenn nicht binnen sechs Monaten nach dem Eintritt der in diesen Aufträgen oder im Urteil für die Räumung oder Übernahme des Bestandgegenstands bestimmten Zeit wegen dieser Räumung oder Übernahme Exekution beantragt wird.
[24] 2.2. Dieser bloße Fristablauf bewirkt aber keine Erneuerung des Bestandvertrags; das Bestandverhältnis bleibt beendet und der Bestandnehmer ist zur Rückstellung (§ 1109 ABGB) verpflichtet (vgl RS0020831). Der Räumungsanspruch muss allerdings neuerlich im Wege der Kündigung, eines Antrags nach § 567 ZPO oder einer Klage – nunmehr wegen titelloser Benützung – geltend gemacht werden (vgl 3 Ob 232/13h mwN).
[25] Ob Neuabschluss oder Erneuerung des Bestandvertrags zustande gekommen sind, kann daher nicht aus § 575 ZPO abgeleitet, sondern nur aus dem über die bloße Unterlassung des rechtzeitigen Exekutionsantrags hinausgehenden Verhalten und den Erklärungen der Parteien nach Eintritt der Vollstreckbarkeit beurteilt werden (RS0020831 [T1]; Höllwerth in
H. Böhm/Pletzer/ Spruzina/Stabentheiner, GeKo Wohnrecht I § 1114 ABGB [2017] Rz 6). Nur ein Verhalten, das über die bloße Unterlassung des rechtzeitigen Exekutionsantrags hinausgeht, kann iSd § 863 ABGB als Vertragsverlängerung anzusehen sein (vgl Lovrek in Rummel/Lukas
ABGB4 § 1115 [2017] Rz 17 f mwN).
[26] 2.3. Bei der Annahme der Schlüssigkeit eines Verhaltens ist im Hinblick auf einen rechtsgeschäftlichen Willen gemäß § 863 ABGB Vorsicht geboten und ein strenger Maßstab anzulegen (RS0014146; RS0014157; RS0013947; RS0014420). Die Beurteilung der Konkludenz von Willenserklärungen im Einzelfall wirft im Fall einer im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifenden krassen Fehlbeurteilung eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0043253 [T7, T8]).
[27] Ein solcher Fall liegt hier vor.
[28] 3.1. Nach § 1114 ABGB kann der Bestandvertrag nicht nur ausdrücklich, sondern auch stillschweigend erneuert werden. Ist im Vertrag eine vorläufige Aufkündigung bedungen worden, so wird er durch die Unterlassung der gehörigen Aufkündigung stillschweigend erneuert. Ist keine Aufkündigung bedungen worden, so geschieht eine stillschweigende Erneuerung, wenn der Bestandnehmer nach Verlauf der Bestandzeit fortfährt, die Sache zu gebrauchen oder zu benützen, und der Bestandgeber es dabei bewenden lässt.
[29] Nach § 569 ZPO („Stillschweigende Erneuerung des Bestandvertrages“) sind Bestandverträge, welche durch den Ablauf der Zeit erlöschen, ohne dass es behufs Auflösung des Vertrags oder Verhinderung seiner stillschweigenden Erneuerung einer Aufkündigung bedarf, dadurch, dass der Bestandnehmer fortfährt, den Bestandgegenstand zu gebrauchen oder zu benützen, und der Bestandgeber es dabei bewenden lässt, nur dann als stillschweigend erneuert anzusehen, wenn binnen vierzehn Tagen nach Ablauf der Bestandzeit weder vom Bestandgeber eine Klage auf Zurückstellung, noch vom Bestandnehmer auf Zurücknahme des Bestandgegenstands erhoben wird.
[30] 3.2. Nach § 1115 ABGB
geschieht eine stillschweigende Erneuerung des Bestandvertrags unter den nämlichen Bedingungen, unter welchen er vorher geschlossen war, doch erstreckt sie sich bei Pachtungen nur auf ein Jahr. Es wird dadurch somit kein neuer Vertrag abgeschlossen, sondern der alte Vertrag ohne inhaltliche Änderung des Vertragsverhältnisses verlängert, der für die Regelung des Verhältnisses zwischen den Vertragsparteien auch weiterhin maßgebend bleibt. Die ursprünglichen Vertragsbestimmungen einschließlich des Bestandzinses, der Nebenabreden, wie etwa Kündigungsbeschränkungen, oder die Vereinbarung eines Weitergaberechts bleiben weiter gültig (RS0020837, RS0020864; Höllwerth in GeKo Wohnrecht I § 1115 ABGB [2017] Rz 3 f mwN).
[31] 3.3. Die in den §§ 1114 f ABGB, § 569 ZPO aufgestellte Vermutung über die Erneuerung des Bestandvertrags wird durch jeden Vorgang widerlegt, durch den ein Vertragspartner seinen Willen, die stillschweigende Erneuerung des Vertrags zu verhindern, durch unverzügliche, nach außen erkennbare eindeutige Erklärungen oder Handlungen so deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass bei objektiver Würdigung kein Zweifel an seiner ernstlichen Ablehnung der Vertragserneuerung aufkommt und für den Bestandnehmer in unzweideutiger Weise zum Ausdruck gebracht wird, dass der Bestandgeber nicht gewillt sei, das Bestandverhältnis über einen bestimmten Termin hinaus fortzusetzen (RS0020790; RS0033050; RS0020804). Es bedarf auch nicht der Einbringung einer Räumungsklage, um eine stillschweigende Erneuerung des befristeten Bestandverhältnisses hintanzuhalten, wenn der betreffende Vertragspartner seinen Willen so deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass bei objektiver Würdigung kein Zweifel an seiner ernstlichen Ablehnung einer Vertragserneuerung aufkommen kann (vgl RS0033050 [T2]).
[32] 4.1. Nach den unangefochtenen Feststellungen haben die Parteien im November 2018 vereinbart, dass das Pachtverhältnis provisorisch über den 31. 12. 2018 hinaus verlängert werden und nach Errichtung eines neuen Pachtvertrag ein unbefristetes Pachtverhältnis entstehen soll. Weiters steht unangefochten fest, dass ein solcher neuer Pachtvertrag hier nicht zustande kam, zumal die Parteien inhaltlich – etwa in Bezug auf Inventar und Kündigungsverzicht – keine Einigung erzielten. Der Kläger wiederum hat in der Vereinbarung vom November 2018 darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass kein neuer Pachtvertrag zustande komme, das ursprüngliche Pachtverhältnis nicht fortgesetzt werde.
[33] Damit hat der Kläger in hinreichendem zeitlichen Zusammenhang zum Endtermin 31. 12. 2018 (vgl RS0020804) unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, dass ihm an einer Fortsetzung des bisherigen Vertrags über dieses Datum hinaus nicht gelegen ist (vgl RS0020764 [T6, T7]), sondern lediglich eine Überbrückungsregelung für die Dauer von Neuvertragsverhandlungen getroffen wird. Dies kann nach dem objektiven Erklärungswert auch nicht dahin verstanden werden, dass schon ab 1. 1. 2019 und unabhängig vom Ausgang der erst begonnenen Verhandlungen über einen neuen Pachtvertrag bereits ein solcher zustande gekommen wäre. Bei objektiver Würdigung des Verhaltens des Klägers besteht kein Zweifel an seiner ernstlichen Ablehnung einer Vertragserneuerung (vgl RS0020764 [T8]), womit sich auch die Deutung seines Verhaltens iSd §§ 1114 f ABGB, § 569 ZPO verbietet (vgl Höllwerth in GeKo Wohnrecht I § 1114 ABGB [2017] Rz 21 mit weiteren Beispielen aus der Rsp).
[34] 4.2. Aus dem festgestellten Verhalten des Klägers für einige Wochen nach dem Scheitern der Neuvertragsverhandlungen kann ebenfalls weder auf eine Erneuerung des Vertrags noch auf einen sonstigen konkludenten Vertragsschluss geschlossen werden. Warum das unangefochten festgestellte wiederholte Bemühen, die Bestandnehmer zur freiwilligen Räumung des Objekts zu bewegen, anders als dahin verstanden werden könnte, gerade keinen Vertrag mit den Beklagten zu haben und zu wollen, ist nicht nachvollziehbar; die gegenteilige Rechtsauffassung des Berufungsgerichts ist nicht vertretbar. Dass bereits am 21. 6. 2019 (Blg ./N) ein positiver Abschluss der Vertragsverhandlungen höchst ungewiss gewesen sei, wie das Berufungsgericht meint, hat zudem keine Grundlage in den Feststellungen.
[35] 4.3. Dass das Berufungsgericht Beweisrügen der Beklagten nicht erledigt hat, steht dieser Beurteilung nicht entgegen:
[36] Wie schon das Berufungsgericht zutreffend erkannte, ist die Wendung des Erstgerichts, wonach nicht festgestellt werden könne, dass das Pachtverhältnis einvernehmlich faktisch fortgesetzt wurde, keine Tatsachenfeststellung, sondern der rechtlichen Beurteilung zuzuordnen.
[37] Die Feststellung, wonach aufgrund des Räumungsvergleichs per Ende 2018 beide Streitteile davon „ausgingen“, dass eine Verlängerung des Pachtverhältnisses einer beiderseitigen Einigung bedürfe, hat angesichts des klaren Wortlauts des Vergleichs für die Frage der Erneuerung des Bestandvertrags keine Bedeutung. Anstelle dieser und der weiteren Feststellung, wonach den Beklagten klar gewesen sei, dass mit Unterfertigung der Vereinbarung vom 27. 11. 2018 kein neues Pachtverhältnis entstehe, sondern dass sie zu Vertragsanträgen des Klägers noch jederzeit „Nein“ sagen könnten, hatten die Beklagten die Ersatzfeststellung begehrt, sie wollten ihre Gastronomie über den 31. 12. 2018 hinaus fortführen und hätten daher die Vereinbarung vom 27. 11. 2018 unterfertigt. Abgesehen davon, dass es sich dabei nicht um eine zu den angefochtenen Feststellungen im Widerspruch stehende Ersatzfeststellung handelt (und die Beweisrüge damit insofern nicht gesetzmäßig ausgeführt wurde), würde auch diese Wunschfeststellung der oben dargelegten rechtlichen Beurteilung, wonach die objektive Würdigung des Verhaltens des Klägers entscheidend ist, nicht entgegenstehen. Zudem ist – wie ebenfalls bereits dargelegt – weder allein der Wille des Erklärenden noch die subjektive Auslegung des Erklärungsempfängers, sondern der objektive Empfängerhorizont maßgebend (RS0014160 [T4, T37]), der hier im Gesamtzusammenhang eine rechtliche Deutung dahin, dass jedenfalls eine bereits am 27. 11. 2018 vereinbarte Verlängerung des Vertrags vorläge, nicht zulässt. Der von den Beklagten schon in ihrer Berufung dem Erstgericht (und nunmehr der Revision) gemachte Vorwurf, die angeblich unstrittig feststehende Vertragsverlängerung übergangen zu haben, geht damit ins Leere.
[38] 5. Zusammengefasst ist das Räumungsbegehren des Klägers mangels Benützungstitels der Beklagten berechtigt; das erstgerichtliche Urteil war daher zur Gänze wiederherzustellen.
[39] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.
Textnummer
E130703European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00190.20Z.0126.000Im RIS seit
19.02.2021Zuletzt aktualisiert am
20.04.2021