TE Bvwg Beschluss 2020/7/21 L529 2230549-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.07.2020
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Entscheidungsdatum

21.07.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L529 2230549-1/6E

BESCHLUSS!

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.02.2020, Zahl: 209271009/190535607, RD XXXX :

A)

Der angefochtene Bescheid wird in Erledigung der Beschwerde behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang

I.1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend auch: „BF“), am XXXX in XXXX in der Türkei geboren und ein türkischer Staatsangehöriger, lebt seit 1990 in Österreich. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter (22,16) und einen Sohn (19). Seine Familie lebt ebenfalls in Österreich. Der BF ist aufgrund der langen Aufenthaltsdauer in Besitz eines unbefristeten Niederlassungsrechts (Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“). Am 10.02.2015 wurde dem BF vom Magistrat der LH XXXX der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ zuletzt bis 10.02.2020 verlängert.

I.2. Der BF wurde am 24.05.2019 festgenommen und sodann am nächsten Tag ins PAZ XXXX verbracht. In weiterer Folge wurde über ihn mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 25.05.2019 zu GZ: XXXX wegen Verdacht der §§ 107, 201 und § 107b StGB die Untersuchungshaft verhängt.

I.3. Aufgrund der Festnahme wurde dem BF vom BFA, RD XXXX , mit Schreiben vom 27.05.2019 mitgeteilt, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet wurde und beabsichtigt ist, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung sowie ein Einreiseverbot zu erlassen. Gleichzeitig wurden dem BF die aktuellen Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat Türkei übermittelt und er wurde aufgefordert, dazu sowie zu seinen persönlichen Verhältnissen innerhalb einer Frist von zwei Wochen Stellung zu nehmen.

Das Schreiben wurde dem BF am 04.06.2019 persönlich in der Justizanstalt XXXX , XXXX , zugestellt.

Der BF kam der Aufforderung in weiterer Folge nicht nach und hat keine Stellungnahme abgegeben.

I.4. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 23.10.2019 zu GZ: XXXX , wurde der BF wegen §§ 107 (1), 107 (2) 1. Fall, 205a (1), § 83 (1) StGB (gefährliche Drohung, Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung, Körperverletzung) zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon vier Monaten unbedingter Freiheitsstrafe, verurteilt. Darüber hinaus wurde ausgesprochen, dass die Vorhaft vom 24. Mai 2019, 21.50 Uhr, bis zum 8. Juli 2019, 09.45 Uhr, auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet wird.

Gleichzeitig mit dem Urteil wurde mit Beschluss angeordnet, dass dem BF (bzw. dem Verurteilten) ein Strafaufschub hinsichtlich des unbedingt zu verbüßenden Strafteils von 4 Monaten (mit Abzug der angerechneten Vorhaft) bis 20.10.2020 gewährt wird, um sich einer psychotherapeutischen Behandlung (Antiaggressionstherapie) zu unterziehen.

I.5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD XXXX , vom 13.02.2020 wurde gegen den BF sodann gemäß § 52 Abs. 5 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein für die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.) und gemäß § 55 FPG eine Frist zur freiwilligen Ausweise von zwei Wochen gewährt (Spruchpunkt IV.).

Der Bescheid wurde dem BF mittels RSa an der aktuellen Meldeadresse XXXX in XXXX am 20.02.2020 durch Verständigung über die Hinterlegung zugestellt.

I.6. Mit Verfahrensanordnung vom 17.02.2020 wurde dem BF gemäß § 52 Abs.1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich, XXXX , als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

I.7. Mit Schriftsatz vom 12.03.2020 erhob der BF, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, XXXX , gegen den erlassenen Bescheid fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Begründend führte der BF in der Beschwerde aus, dass er sich seit Beginn 1990 in Österreich aufhalte. Nach Österreich sei er gekommen, um hier zu arbeiten und habe er sogleich auch eine Anstellung gefunden. Seither sei er in seinem beinahe 30-jährigen Aufenthalt in Österreich nahezu durchgängig einer Beschäftigung im Bundesgebiet nachgegangen. Die Behörde habe ihre Entscheidung damit begründet, dass der BF eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen würde, diese Beurteilung sei jedoch nicht richtig. Die Behörde habe ihre Feststellungen ohne jegliche Grundlage getroffen. Die Behörde habe festgestellt, dass aus dem Akt keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen hervorgehen würden, jedoch gleichzeitig festgestellt, dass der BF seit 18.10.2019 in Krankengeldbezug stehe. Derzeit sei der BF in einer schlechten gesundheitlichen Verfassung, wie es auch aus dem vorgelegten Entlassungsbrief des XXXX vom 15.11.2019 hervorgehe. Er sei auch aufgrund seiner psychischen Probleme wegen depressiven Anpassungsstörungen von 17.10.2019 bis 15.11.2019 im XXXX in der Psychiatrie gewesen. Weiters sei er vor zwei Jahren an der Halsschlagader operiert worden, da diese eingeengt gewesen sei. Aus diesem Grund sei er derzeit auch nicht arbeitsfähig.

Die Behörde sei der Verpflichtung zur Ermittlung des relevanten Sachverhalts nicht ausreichend nachgekommen und sei der BF insbesondere nicht zur Einvernahme vor der erkennenden Behörde geladen worden. In Haft sei es ihm nicht möglich gewesen, eine Stellungnahme abzugeben, da er schlicht überfordert gewesen sei. Eine Befragung sei im Hinblick auf den jahrzehntelagen Aufenthalt in Österreich in jedem Fall geboten gewesen. Die Gefährlichkeitsprognose wäre von der Behörde allein aufgrund des Urteils des Landesgerichtes getroffen worden und habe sich die Behörde nicht damit beschäftigt, was der BF nach seiner Entlassung gemacht habe. Auch der Bewährungshelfer des BF, Herr XXXX von XXXX Österreich, würde in der Stellungnahme Gutes über den BF berichten. Betreuungstermine würden regelmäßig stattfinden und würde der BF das Angebot gut nützen. Ferner bemühe sich der BF, den Schaden wieder gut zu machen.

Es sei auch in keiner Weise nachvollziehbar, wie die Behörde ohne Einvernahme Feststellungen zum Privatleben sowie den Sprachkenntnissen und der Integration des BF treffen konnte. Der BF habe 30 Jahre in Österreich verbracht, hier Schwerstarbeit geleistet und sei in Österreich nachhaltig integriert und gefestigt.

Auch in der Begründung des verhängten Einreiseverbotes habe die Behörde die günstige Zukunftsprognose des BF nicht berücksichtigt. Trotz der psychischen Probleme komme der BF allen Auflagen nach und nehme auch die Therapietermine wahr. Aus diesem Grund sei auch das verhängte Einreiseverbot nicht gerechtfertigt und stelle der BF gegenwärtig keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar.

Ferner wurde der Antrag gestellt, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen. Gerade aufgrund des langjährigen Aufenthalts sei die Durchführung einer Einvernahme geboten.

Angeschlossen waren der Beschwerde:

- Vorläufiger Entlassungsbrief des XXXX , XXXX vom 15.11.2019,

- Zeitbestätigung einer „Psychosozialen Beratung im transkulturellen Kontext“ vom 16.12.2019,

- Stellungnahme des Bewährungshelfers XXXX von XXXX vom 05.03.2020,

- Zahlungsbestätigung der Beschwerdegebühr,

- Vollmacht für den Verein Menschenrechte Österreich.

I.8. Die Beschwerde samt bezughabendem Verwaltungsakt langte am 27.04.2020 beim BVwG ein und wurde sodann an die Außenstelle XXXX zuständigkeitshalber weitergeleitet.

I.9. Im bereits anhängigen Beschwerdeverfahren langten die vom BFA bei der Justizanstalt XXXX angeforderten medizinischen Unterlagen, medizinische Stellungnahme der Anstaltsärztin, Frau XXXX , bei Gericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

2. Feststellungen:

2.1. Die Identität des BF steht fest. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX in XXXX /TÜRKEI geboren. Der BF ist in der Türkei aufgewachsen. Der Beschwerdeführer hält sich seit spätestens Jänner 1990 in Österreich auf. Ab 08.01.1990 übte er erstmals eine unselbständige Erwerbstätigkeit bei XXXX , Fleischhauerei in XXXX , aus. Seither ist der Beschwerdeführer in Österreich durchgehend pflichtversichert und ging überwiegend als Arbeiter einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit nach. Bei Inhaftierung war der BF bei der XXXX beschäftigt.

Der BF ist verheiratet mit XXXX , geb. XXXX , gemeinsam haben sie einen Sohn namens XXXX , geb. XXXX , und zwei Töchter namens XXXX , geb. XXXX und XXXX , geb. XXXX . Ferner hat er eine Enkeltochter namens XXXX , geb. XXXX

2.2. Zum heutigen Tag scheint im Strafregister der Republik Österreich eine Verurteilung vom LG XXXX wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung (gefährliche Drohung, Körperverletzung und Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung) auf. Anzumerken ist dabei, dass sich die Taten gegen seine Frau und seine Kinder richteten.

Der Beschwerdeführer lebt seit seiner Haftentlassung bei seiner Schwester, XXXX , in der XXXX in XXXX .

Nach der Haftentlassung bezog der BF ab 09.07.2019 Arbeitslosengeld und seit 18.10.2019 bezieht er Krankengeld.

2.3. Die belangte Behörde hat ihre Ermittlungspflicht verletzt, indem sie es unterlassen hat, vor Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm dem Einreiseverbot eine mündliche Einvernahme mit dem BF durchzuführen.

Die lediglich durch die Behörde erfolgte schriftliche Aufforderung an den inhaftierten BF, noch dazu fast ein Jahr vor Erlassung des Bescheides, eine schriftliche Stellungnahme zu seinen privaten Umständen abzugeben, ist zur Wahrung des Parteiengehörs hier ungeeignet. Die konkrete Ausgestaltung des Privat- und Familienlebens des BF wurde nicht ausreichend ermittelt. Insbesondere ist auch unklar, ob mit den Kindern (gegebenenfalls welchen?) ein Familienleben besteht. Es wäre hier die Einvernahme des BF sowie seiner Ehegattin und seiner Kinder notwendig gewesen. Aufgrund der Vorgangsweise der belangten Behörde ist anzunehmen, dass die Behörde diese Ermittlungen auf das BVwG überwälzen wollte.

2.4. Ermittlungen der belangten Behörde zu verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen wurden gänzlich unterlassen, wären aber notwendig gewesen.

2.5. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt steht nicht fest.

3. Beweiswürdigung:

3.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

3.2. Zur Person des BF:

Die Identität des Beschwerdeführers konnte anhand des vorliegenden Identitätsdokuments, türkischer Reisepass XXXX , festgestellt werden.

Die weiteren Feststellungen hinsichtlich des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Akteninhalt bzw. den darin befindlichen Auszügen aus amtlichen Registern, namentlich aus dem ZMR, EKIS, zentralen Fremdenregister und dem Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherungsträger.

Die Behörde hat es unterlassen, die erforderlichen Ermittlungstätigkeiten durchzuführen und folglich den entscheidungserheblichen Sachverhalt festzustellen. Dem BF ist beizupflichten, dass die Behörde ihre Ermittlungspflicht dadurch verletzte, dass sie vor Erlassung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes keine Einvernahme durchführte. Die Aufforderung im Mai 2019, eine schriftliche Stellungnahme zur Abklärung der persönlichen Verhältnisse innerhalb einer Frist von zwei Wochen abzugeben, scheint dem Gericht angesichts der langen Aufenthaltsdauer des BF und der Komplexität des Falles als ungeeignete Ermittlungsmaßnahme.

Auch ist dem BF beizupflichten, dass die Feststellungen der Behörde im Bescheid zum großen Teil nur auf Mutmaßungen basieren. Es sind im vorliegenden Fall weder die familiären noch die privaten aktuellen Verhältnisse des BF feststehend. Aus dem Auszug des zentralen Melderegisters geht hervor, dass der BF seit seiner Haftentlassung am 08.07.2019 bei seiner Schwester wohnt, sodass von einem zumindest ermittlungserheblichen Privat- und Familienleben in Österreich ausgegangen werden muss. Ferner befinden sich seine Frau und seine Kinder sowie seine Enkeltochter in Österreich und wurde das finanzielle und persönliche Abhängigkeitsverhältnis der Familie nicht geklärt.

Ferner liegen dem Verwaltungsakt nun mehrere medizinische Unterlagen bei, die auf eine psychische Problematik beim BF schließen lassen.

Auch ist bei der Erlassung eines neuen Bescheides auf die Bewährung des BF seit seiner Haftentlassung einzugehen; gleiches gilt für eventuelle verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen.

Der Sachverhalt ist daher – wie angeführt – nicht geklärt.

4. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013)§ 28 VwGVG Anm. 11).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt. Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist. Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, in nunmehr ständiger Rechtsprechung, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterließ es nach Ansicht des Gerichts, notwendige Erhebungen zu dem im vorliegenden Verfahren maßgebenden Sachverhalt durchzuführen; es sah insbesondere davon ab, den BF – und auch seine nächsten Angehörigen – persönlich einzuvernehmen. Mangels Durchführung einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, wurde dem BF nicht die Gelegenheit gegeben, seine Sicht der Dinge darzulegen. Die wesentlichen Aspekte des Privat- und Familienlebens des BF sind daher ungeklärt. Von der belangten Behörde wurde nur ansatzweise ermittelt. Die Vorgangsweise der belangten Behörde lässt auch darauf schließen, dass diese – notwendigen –Ermittlungsschritte auf das BVwG übergewälzt werden sollten.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde somit im Rahmen einer ausführlichen Einvernahme des BF – sowie der engen Familienangehörigen – zu ermitteln haben, ob eine Rückkehrentscheidung in die Türkei zulässig ist. Auf welche Punkte darin einzugehen ist, wurde bereits in der Beweiswürdigung hingewiesen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung – insbesondere eine erstmalige Einvernahme – und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist – auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes – nicht ersichtlich.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Regelung des § 28 Abs. 3 VwGVG erweist sich - vor dem Hintergrund des gegenständlichen Falles - klar und eindeutig. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Einvernahme Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L529.2230549.1.00

Im RIS seit

19.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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