TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/27 L507 2233147-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.07.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

27.07.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §57
VwGVG §13 Abs2
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L507 2233147-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten RAe Dr. Lechenauer und Dr. Swozil, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.07.2020,
Zl. 1093624510/200475460, zu Recht erkannt:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerin, eine irakische Staatsbürgerin, stellte am 03.11.2015, nachdem sie zuvor illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist ist, einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 22.12.2016,
Zl. 1093624510-151690288/BMI-BFA_SZB_RD, wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen und der Status einer Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß
§ 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung der Beschwerdeführerin in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 06.04.2020, Zl. XXXX , mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt III. erster Satz zu lauten hat: „Eine ,Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 AsylG 2005 wird ihnen nicht erteilt.“

2. Mit Mandatsbescheid des BFA vom 10.06.2020, Zl. 1093624510/200475460, wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 57 Abs. 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG aufgetragen, binnen drei Tagen ihre Unterkunft in der Betreuungseinrichtung XXXX , durchgängig bis zu ihrer Ausreise zu nehmen.

Dieser Mandatsbescheid wurde dem Beschwerdeführer am 12.06.2020 zugestellt.

Mit im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung der Beschwerdeführerin am 12.06.2020 eingebrachtem Schriftsatz erhob die Beschwerdeführerin das Rechtsmittel der Vorstellung.

3. Nach Eingang der Vorstellung wurde am 15.06.2020 vom BFA ein Ermittlungsverfahren gemäß § 37 AVG eingeleitet und der Beschwerdeführerin im Rahmen des Parteiengehörs Gelegenheit gegeben eine schriftliche Stellungnahme zur beabsichtigten Verhängung einer Wohnsitzauflage gemäß § 57 Abs. 1 FPG abzugeben.

Die rechtsfreundliche Vertretung der Beschwerdeführerin brachte am 01.07.2020 eine schriftliche Stellungnahme dazu ein.

Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführerinnen seit dem 03.11.2015 durchgehend in Österreich aufhalte und am 10.04.2017 mit einem österreichischen Staatsangehörigen nach islamischen Ritus eine Ehe geschlossen haben. Seit 02.05.2017 sei die Beschwerdeführerin bei ihrem Ehegatten wohnhaft. Am 26.06.2018 habe eine standesamtliche Eheschließung in XXXX stattgefunden. Die Beschwerdeführerin arbeite ehrenamtlich in einem Seniorenheim und werde derzeit von ihrem Ehegatten erhalten. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin sei berufstätig und arbeite seit 25 Jahren bei einer Firma.

Die Erlassung einer Wohnsitzauflage stelle einen massiven Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin dar, insbesondere, weil einerseits das höchstgerichtliche Beschwerdeverfahren noch anhängig sei und andererseits, weil die Beschwerdeführerin seit knapp fünf Jahren ihren Lebensmittelpunkt im Bundesland XXXX habe, dort mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet sei und ein soziales Umfeld habe. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin arbeite seit Jahren als Produktionshelfer und bringe ungefähr € 2000 netto ins verdienen, sodass die Beschwerdeführerin keine finanzielle Belastung darstelle.

Die Beschwerdeführerin halte sich seit knapp fünf Jahren in Österreich auf und habe hier ihren Lebensmittelpunkt. Sie sei erst ein paar Monate unrechtmäßig in Österreich aufhältig, weshalb eine Wohnsitzauflage gegenständlich unter Berücksichtigung ihres Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK nicht im Verhältnis stehe. Dass die Beschwerdeführerin standesamtlich verheiratet sei und Familie in Österreich habe, habe das Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis schlichtweg übersehen.

Weiters wäre das gelindere Mittel etwa durch eine wöchentliche oder monatliche Meldung bei der nächstgelegenen Polizeiinspektion ausreichend und angemessen, wozu die Beschwerdeführerin auch ausdrücklich bereit sei.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 02.07.2020, Zl. 1093624510/200475460, wurde der Beschwerdeführerin aufgetragen, bis zu ihrer Ausreise durchgängig Unterkunft in der Betreuungseinrichtung XXXX , zu nehmen, dieser Verpflichtung habe der Beschwerdeführer unverzüglich nachzukommen (Spruchpunkt I.). Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen (Spruchpunkt II.).

Begründend wurde unter anderem ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführerin seit dem 08.04.2020 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, in Österreich keiner geregelten Arbeit nachgehe und über keine beruflichen Bindungen in Österreich verfüge. Die Beschwerdeführerin besuche derzeit keine Bildungseinrichtungen in Österreich und sei nicht selbsterhaltungsfähig. Die Beschwerdeführerin sei nicht gewillt, sich an die österreichischen Gesetze zu halten und sei nicht rückkehrwillig. Die Beschwerdeführerin sei in Österreich derzeit weder beruflich noch familiär verankert. Seit der rechtskräftigen Entscheidung des Asylverfahrens am 08.04.2000 seien keine maßgebliche Änderungen der privaten und familiären Verhältnisse der Beschwerdeführerin hervorgekommen. Sie verfüge im Irak über familiäre Anknüpfungspunkte. Ein Bruder der Beschwerdeführerin halte sich in Österreich auf.

Des weiteren wurde im angefochtenen Bescheid beweiswürdigend folgendes wörtlich ausgeführt:

„Sofern in der Stellungnahme, eingelangt per E-Mail am 01.07.2020, moniert wird, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis zum Verfahren auf internationalen Schutz „übersehen“ hätte, dass Sie verheiratet sind, ist dazu folgendes zu sagen:

Im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts ist aus der Beweiswürdigung eindeutig ersichtlich, dass das Bundesverwaltungsgericht zu der Feststellung, dass Sie ledig sind, dadurch gekommen ist, dass Sie im Beschwerdeverfahren keinerlei Heiratsurkunden bezüglich einer standesamtlichen Trauung vorzulegen vermochten. Die nunmehrige Vorlage des Auszugs aus dem Heiratseintrag, ausgestellt durch den Standesamtsverband XXXX , vermag an den Ausführungen zu Ihrem Privat- und Familienleben im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.04.2020, XXXX jedoch nichts zu ändern, zumal es sich bei der standesamtlichen Trauung am 26.06.2018 in XXXX (vgl. Auszug aus dem Heiratseintrag vom 26.06.2018) nur um einen reinen Formalakt handelt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Erkenntnis nämlich festgestellt, dass nicht festgestellt werden kann, dass Sie mit XXXX eine umfassende Lebensgemeinschaft pflegen. Vielmehr hat sich mehr das Bild einer Wohngemeinschaft, als das Bild einer echten Lebensgemeinschaft ergeben. Ob Sie also zum Zeitpunkt der Feststellungen des BVwG in seinem Erkenntnis nur nach islamischen Recht traditionell verheiratet waren, oder tatsächlich standesamtlich verheiratet waren, ändert nichts an der Tatsache, dass Sie mit XXXX nicht sämtliche Teile des Lebens, wie es in einer echten Lebensgemeinschaft der Fall ist, teilen. Ob es sich hier nun formal um eine reine Lebensgemeinschaft handelt, oder formal um eine Ehe nach den diesbezüglichen Bestimmungen des Bürgerlichen Rechts und der sonstigen einschlägigen Rechtsnormen handelt, ändert nichts an der Tatsache, dass es sich bei näherer Betrachtung um eine Art Wohngemeinschaft handelt.

Es sei auch noch darauf verwiesen, dass Sie die von Ihnen angegebene Lebensgemeinschaft bzw. darauffolgende Ehe zu einem Zeitpunkt eingegangen sind, als Ihr Aufenthalt in Österreich ein unsicherer war und Sie zu diesem Zeitpunkt keinesfalls davon ausgehen konnten, dass Sie in Österreich ein Aufenthaltsrecht erhalten. Dies wird insbesondere dadurch verstärkt, dass Sie die traditionelle Ehe erst am 10.07.2017 eingegangen sind und die standesamtliche Ehe ca. ein Jahr später am 26.06.2018, da beide Daten nach dem Erhalt des erstinstanzlichen negativen Bescheids des BFA am 30.12.2016 erhalten haben. Ihnen, sowie Ihrem jetzigen Ehemann musste also klar sein, dass Ihr Verfahren auch in 2. Instanz negativ entschieden werden kann.

Zu Ihrem Privat- und Familienleben wird weiter angemerkt, dass sich seit der rechtskräftigen Entscheidung vom 08.04.2020, aufgrund des kurzen Zeitraum von 3 knapp 3 Monaten, keine neuen und dadurch maßgeblichen Änderungen Ihrer Privat- und Familienverhältnisse hervorgekommen sind. Daran ändern auch die in der Stellungnahme und auch die in der Urkundenvorlage, vorgelegten Empfehlungsschreiben sowie Fotos nichts. Im Erkenntnis BVwG wurde bereits über Ihr Privat- und Familienleben ausführlich abgesprochen. Zudem stellt die Anordnung der Unterkunftnahme einen wesentlich geringeren Eingriff in Ihr Privat- und Familienleben dar, als die bereits rechtskräftig für zulässig erklärte Abschiebung.“

In der rechtlichen Begründung wurde im angefochtenen Bescheid unter anderem ausgeführt, dass unter der Darlegung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin sowie der Tatsache, dass sie sich strikt weigere, der durch rechtskräftige Entscheidung auferlegten Ausreiseverpflichtung nachzukommen, nicht davon auszugehen sei, dass die Beschwerdeführerin eine wesentliche integrative Bindung zu Österreich habe. Gegenteilig weigere sich die Beschwerdeführerin vehement die ihr auferlegte Ausreiseverpflichtung zu erfüllen und zeige so ihre Einstellung gegenüber Gesetzen und Vorschriften in Österreich. Die Wohnsitzverpflichtung stelle einen wesentlichen geringeren Eingriff dar, als die bereits rechtskräftig für zulässig erklärte Abschiebung.

Somit stünde dem persönlichen Interesse der Beschwerdeführerin an einem weiteren Aufenthalt in Österreich die daraus resultierende Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen gegenüber.

5. Gegen diesen der rechtsfreundlichen Vertretung der Beschwerdeführerin am 07.07.2020 zugestellten Bescheid wurde mit Schreiben vom 14.07.2020 Beschwerde erhoben.

Begründend wurde im Wesentlichen das Vorbringen in der Vorstellung vom 12.06.2020 und der Stellungnahme vom 01.07.2020 wiederholt und darauf hingewiesen, dass eine bisherige Ausreise der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet „coronabedingt“ (Frist 22.04.2020) faktisch nicht möglich gewesen sei.

6. Die gegenständliche Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 21.07.2020 vom BFA vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1 Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige des Irak.

Die Beschwerdeführerin ist seit dem 26.06.2018 mit einem österreichischen Staatsangehörigen verheiratet und lebt mit ihrem Ehegatten seit dem 16.05.2017 in einem gemeinsamen Haushalt.

Die Beschwerdeführerin wird von ihrem Ehegatten versorgt.

Ein Bruder der Beschwerdeführerin lebt samt Familie in Österreich.

1.2. Der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin wurde Bescheid des BFA vom 22.12.2016, Zl. 1093624510-151690288/BMI-BFA_SZB_RD, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen und der Status einer Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung der Beschwerdeführerin in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 06.04.2020, Zl. XXXX , mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt III. erster Satz zu lauten hat: „Eine ,Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 AsylG 2005 wird ihnen nicht erteilt.“

Nach Abweisung der Beschwerde mit hg. Erkenntnis vom 06.04.2020 besteht gegen die Beschwerdeführerin eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung und Ausreiseverpflichtung.

Die Beschwerdeführerin kam der Ausreiseverpflichtung bislang nicht nach. Die 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise ist verstrichen.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen stützen sich auf den Akteninhalt.

Die Feststellungen zum Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich, zum Ausgang des Verfahrens über seinen Antrag auf internationalen Schutz, zum Bestehen einer Rückkehrentscheidung sowie einer Ausreiseverpflichtung und zum Verbleib der Beschwerdeführerin in Österreich nach Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise ergeben sich unstrittig aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung zur Eheschließung der Beschwerdeführerin ergibt sich aus dem Auszug aus dem Heiratseintrag des Standesamtsverbandes XXXX vom sechsten 20.06.2018. Aus dem Auszug aus dem zentralen Melderegister vom 24.07.2020 ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin seit dem 16.05.2017 in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten lebt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur anzuwendenden Rechtslage:

Die maßgeblichen Bestimmungen des § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG lauten:

"Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.“

Die maßgebliche Bestimmung des § 57 FPG lautet:

„Wohnsitzauflage

§ 57. (1) Einem Drittstaatsangehörigen, gegen den eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und dessen Aufenthalt im Bundesgebiet nicht geduldet (§ 46a) ist, kann aufgetragen werden, bis zur Ausreise in vom Bundesamt bestimmten Quartieren des Bundes Unterkunft zu nehmen, wenn

1. keine Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 gewährt wurde oder

2. nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird.

(2) Bei der Beurteilung, ob bestimmte Tatsachen gemäß Abs. 1 Z 2 vorliegen, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Drittstaatsangehörige

1. entgegen einer Anordnung des Bundesamtes oder trotz eines nachweislichen Angebotes der Rückkehrberatungsstelle ein Rückkehrberatungsgespräch (§ 52a Abs. 2 BFA-VG) nicht in Anspruch genommen hat;

2. nach Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise seinen Wohnsitz oder den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts gewechselt und das Bundesamt davon nicht in Kenntnis gesetzt hat;

3. an den zur Erlangung einer Bewilligung oder eines Reisedokumentes notwendigen Handlungen im Sinne der § 46 Abs. 2 und 2a nicht mitwirkt;

4. im Rahmen des Asylverfahrens, des Verfahrens zur Erlassung der Rückkehrentscheidung oder des Rückkehrberatungsgesprächs erklärt hat, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen;

5. im Asylverfahren oder im Verfahren zur Erlassung der Rückkehrentscheidung über seinen Herkunftsstaat oder seine Identität getäuscht oder zu täuschen versucht hat.

(3) - (5) ...

(6) Die Wohnsitzauflage gemäß Abs. 1 oder Abs. 3 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) anzuordnen. In diesem sind dem Drittstaatsangehörigen auch die Folgen einer allfälligen Missachtung zur Kenntnis zu bringen.“

3.2. Zu A) Behebung des Bescheides:

3.2.1. Die Wohnsitzauflage gemäß § 57 kann in zeitlicher Hinsicht als Anschlussstück zur Anordnung der Unterkunftnahme nach § 15b AsylG sowie als Ergänzung zur Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 FPG und allfällig damit verbundene Auflagen gemäß § 56 gesehen werden.

In Abs. 2 werden jene Tatsachen näher definiert und demonstrativ aufgezählt, welche im Sinne des Abs. 1 Z 2 die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird. Ein Hinweis auf die mangelnde Bereitschaft zur Ausreise ist naturgemäß dann gegeben, wenn der Drittstaatsangehörige selbst angibt, dass er nicht bereit ist, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Es kann des Weiteren davon ausgegangen werden, dass er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird, wenn er ein ihm angebotenes oder angeordnetes Rückkehrberatungsgespräch zum Zweck der freiwilligen Ausreise nicht wahrnimmt. Ebenso wird davon auszugehen sein, dass der Drittstaatsangehörige nicht bereit ist auszureisen, wenn er während einer gewährten Frist zur freiwilligen Ausreise nicht ausgereist ist und anschließend seinen Wohnsitz bzw. den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts ändert, ohne das Bundesamt hiervon in Kenntnis zu setzen. Ferner kann von mangelhafter Bereitschaft zur Ausreise ausgegangen werden, wenn der betreffende Drittstaatsangehörige es unterlässt, an der Beschaffung von für die Ausreise erforderlichen Dokumenten mitzuwirken oder ein vorhandenes Reisedokument vernichtet oder sich dessen auf sonstige Weise entledigt. Hat der Drittstaatsangehörige bereits im Verfahren über seine Identität getäuscht oder zu täuschen versucht und damit die Beschaffung von für die Ausreise erforderlichen Dokumenten erschwert bzw. verhindert, wird ebenfalls von einer mangelnden Bereitschaft zur Ausreise auszugehen sein.

Hinsichtlich der zweiten Fallkonstellation nach Abs. 1 Z 2 liegt eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vor, wenn anzunehmen ist, dass der Drittstaatsangehörige weiterhin nicht ausreisen wird (zumal er dies bereits während der Frist für die freiwillige Ausreise nicht getan hat). Das bloße unrechtmäßige Verbleiben im Bundesgebiet sowie ein länger andauernder unrechtmäßiger Aufenthalt, ohne dass bereits eine entsprechende Entscheidung vorliegt, die eine Ausreiseverpflichtung auferlegt oder feststellt, und unabhängig davon, ob die Einreise bereits unrechtmäßig oder rechtmäßig erfolgte, stellt nach ständiger Rechtsprechung des VwGH eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar (VwGH 02.06.2000, 2000/19/0081; 23.03.200 I, 2000/19/0042; 02.06.2000, 2000/19/0081; 23.03.2001, 2000/19/0042). Dies muss umso mehr gelten, wenn bereits eine im Wege eines rechtsstaatlichen Verfahrens getroffene Entscheidung vorliegt, die eine Ausreiseverpflichtung feststellt oder auferlegt, und der Drittstaatsangehörige dieser Verpflichtung auch nach Ablauf einer ihm eingeräumten Frist für die freiwillige Ausreise nicht nachkommt bzw. die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ihr weiterhin nicht nachkommen wird. Weiters ergibt sich aus dieser Rechtsprechung, dass das beharrliche unrechtmäßige Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger andauernder unrechtmäßiger Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellt und der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (VwGH 31.10.2002, 2002/18/0190; 15.12.2015, Ra 2015/19/0247). Daher ist in diesen Fällen von einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auszugehen, wodurch die Erlassung der Wohnsitzauflage mittels Mandatsbescheides gerechtfertigt ist.

Die Erlassung einer Wohnsitzauflage soll jedoch nicht systematisch erfolgen, sondern hat jedenfalls abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls zu ergehen. Dabei sind insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie Art. 8 EMRK – insbesondere im Hinblick auf das Bestehen familiärer Strukturen, die Wahrung der Familieneinheit und die besonderen Bedürfnisse von Minderjährigen auch im Sinne der Jugendwohlfahrt – zu berücksichtigen. Die Wohnsitzauflage soll daher als ultima ratio nur dann angeordnet werden, wenn der Drittstaatsangehörige seiner Verpflichtung zur Ausreise bislang nicht nachgekommen ist und aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls anzunehmen ist, dass er auch weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird.

3.2.2. Die belangte Behörde weist im angefochtenen Bescheid wiederholt darauf hin, dass gegen den Beschwerdeführer eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung besteht, er die Frist zur freiwilligen Ausreise ungenützt ließ und sich unrechtmäßig im Bundesgebiet befindet. Dass dieses Verhalten alleine ausreicht, eine Wohnsitzauflage zu erlassen ergibt sich weder aus dem Gesetzestext noch aus den oben dargestellten Erläuterungen zum FRÄG 2017 betreffend
§ 57 FPG. Zur Erlassung einer Wohnsitzauflage als ultima ratio bedarf es konkreter Umstände des Einzelfalles, die zur Annahme führen, dass der Drittstaatsangehörige weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird.

Eine Begründung für die Erlassung einer Wohnsitzauflage und eine Darstellung der konkreten Umstände ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen.

Die belangte Behörde legt im angefochtenen Bescheid unter Berufung auf das hg. Erkenntnis vom 06.04.2020 mehrfach dar, dass die Beschwerdeführerin keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich habe. Sie blendet dabei völlig aus, dass die Beschwerdeführerin seit dem 26.06.2018 mit einem österreichischen Staatsangehörigen verheiratet ist und mit diesem seit dem 16.05.2017 in einem gemeinsamen Haushalt lebt.

Unabhängig davon, ob diese Lebensgemeinschaft zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehegatten als „Wohngemeinschaft“ oder als „eheliche Lebensgemeinschaft“ zu sehen oder zu werten ist, übersieht die belangte Behörde im gegenständlichen Fall völlig, dass die Erlassung einer Wohnsitzauflage nur als „ultima ratio“ abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit anzuordnen ist.

Dem wird die Begründung des angefochtenen Bescheides in keiner Weise gerecht. Abgesehen davon, dass die hg. Entscheidung vom 06.04.2020 auf der zum Entscheidungszeitpunkt – vor dem Hintergrund der standesamtlichen Eheschließung der Beschwerdeführerin am 26.06.2018 – unrichtigen Feststellung beruht, dass die Beschwerdeführerin in Österreich nur „traditionell“ verheiratet sei, bleibt das BFA eine ausreichende Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit schuldig. Die Erteilung der Wohnsitzauflage in Form der unverzüglichen Verlegung des Wohnsitzes von der ehelichen Wohnung der Beschwerdeführerin in XXXX unter Aufgabe der familiären und privaten Bindungen stellt für die Beschwerdeführerin einen gravierenden Eingriff dar. Dem wird die vom BFA gewählte Begründung, dass die privaten Interessen der Beschwerdeführerin an einem weiteren Aufenthalt in Österreich jedenfalls in den Hintergrund zu treten haben, zumal der Beschwerdeführerin und ihrem Ehegatten der unsichere Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich zum Zeitpunkt der Eheschließung bekannt sein musste, jedenfalls nicht gerecht. Ausgehend davon, dass die Beschwerdeführerin durchgehende Meldungen an ihren Wohnsitzen aufweist und seit 02.05.2017 in der genannten Gemeinde lebt und für die Behörden der Aktenlage zufolge bisher ohne Weiteres erreichbar war, hätte es im vorliegenden Fall einer besonderen Begründung bedurft, weshalb nunmehr die Verlegung in eine vom bisherigen Wohnort weit entfernte „Rückkehrberatungseinrichtung“ als „ultima-ratio-Maßnahme“ geboten war. Der Hinweis des BFA auf die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z 2 FPG, woraus sich eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ergebe, genügt dafür fallbezogen angesichts der starken Verankerung der Beschwerdeführerin in ihrer Wohnsitzgemeinde nicht.

Mangels Vorliegens der Voraussetzungen für die Erlassung einer Wohnsitzauflage, war der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben.

3.2.3. Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen und dies mit einem überwiegenden öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug des Bescheides begründet. Das öffentliche Interesse sei bereits durch die Regelung der Wohnsitzauflage mittels sofort durchsetzbaren Mandatsbescheides indiziert, zudem würden diese Interessen in Hinblick auf die Ausreise in Erfüllung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme überwiegen.

Gemäß § 22 Abs. 3 1. Fall VwGVG kann das Verwaltungsgericht Bescheide gemäß § 13 VwGVG – ein solcher liegt in Hinblick auf Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides vor – auf Antrag einer Partei – ein solcher wurde in der Beschwerde gestellt – aufheben oder abändern, wenn es die Voraussetzungen der Zuerkennung bzw. des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung anders beurteilt oder wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über den Ausschluss bzw. die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde maßgebend waren, wesentlich geändert haben.

Mangels festgestellter Verwirklichung der Voraussetzungen für die Wohnsitzauflage und der dieser immanenten „Gefahr im Verzug“ war der angefochtene Bescheid auch im Umfang der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt II.) zu beheben.

3.3. Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Im gegenständlichen Verfahren konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, da das Bundesverwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Z 1 Halbsatz VwGVG als gegeben erachtet, zumal bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war.

3.4. Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen sind aufgrund der klaren Rechtslage nicht hervorgekommen.

Schlagworte

Einzelfallprüfung ersatzlose Behebung Interessenabwägung Privat- und Familienleben private Interessen Wohnsitzauflage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L507.2233147.1.00

Im RIS seit

19.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten