Entscheidungsdatum
03.08.2020Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L524 2115769-4/8E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA Türkei, vertreten durch RA Mag. Nuray TUTUS-KIRDERE, Herrengasse 6-8/4/1, 1010 Wien und RA Mag. Leonhard KREGCJK, Florianigasse 1/12, 1080 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.05.2020, Zl. 139638210/180684133, den Beschluss:
A) Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Feststellungen:
1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 20.09.2016 über seine rechtsfreundliche Vertreterin den Antrag, ein am 14.07.2003 unbefristet erlassenes Aufenthaltsverbot auf Grund einer Änderung der Rechtslage aufzuheben. Weiters stellte der Beschwerdeführer am 21.09.2016 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG.
2. Am 16.12.2016 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt und ihm mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, die Anträge auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots und auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abzulehnen. Der Beschwerdeführer gab dazu am 28.02.2017 eine Stellungnahme ab.
3. Mit Schreiben des BFA vom 23.02.2018 wurde der Beschwerdeführer erneut vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt und ihm mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abzulehnen und eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot zu erlassen. Dazu gab der Beschwerdeführer am 13.03.2018 eine Stellungnahme ab, in der er ausführte, dass er sein Aufenthaltsrecht aus dem ARB 1/80 ableite.
4. Der Beschwerdeführer wurde mit Schreiben des BFA vom 19.03.2018 neuerlich vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt und ihm mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots abzuweisen. Dazu gab der Beschwerdeführer am 05.04.2018 eine Stellungnahme ab.
5. Am 20.07.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass ein Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots eingeleitet werde.
6. Mit Bescheid des BFA vom 25.07.2018, Zl. 139638210-161389143, wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurückgewiesen. Mit Bescheid des BFA vom 24.07.2018, Zl. 139638210-161389143, wurde dem Antrag auf Aufhebung des mit Bescheid vom 14.07.2003 verhängten Aufenthaltsverbots stattgegeben und dieses gemäß § 69 Abs. 2 FPG aufgehoben. Diese Bescheide erwuchsen in Rechtskraft.
7. Mit Bescheid des BFA vom 24.07.2018, Zl. 139638210-180684133, wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).
8. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.09.2018, L524 2115769-2/3E, stattgegeben, der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.
Dem BFA wurde aufgetragen, für die zu treffende Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Hinsichtlich der Nichtgewährung eines Durchsetzungsaufschubs wurde das BFA darauf hingewiesen, dass es nicht ausreicht, auf die Begründung für die Erlassung des Aufenthaltsverbots verwiesen.
9. Im fortgesetzten Verfahren hat das BFA die Urteile betreffend die letzten beiden Verurteilungen des Beschwerdeführers eingeholt und den Beschwerdeführer zu einer schriftlichen Stellungnahme aufgefordert. In seiner Stellungnahme brachte der Beschwerdeführer unter anderem vor, dass er wegen seiner Spielsucht kürzlich eine Therapie erfolgreich abgeschlossen habe und verwies auf einen diesbezüglichen Therapiebericht. Er sei auch seit seiner Haftentlassung im Jahr 2015 nicht mehr straffällig geworden. Hinsichtlich seines Privat- und Familienlebens verwies er darauf, dass er seit ca. Mai 2017 eine Lebensgemeinschaft mit seiner Ex-Ehefrau führe, mit der er zwei volljährige Kinder habe und beantragte deren zeugenschaftliche Einvernahme. Zudem habe er zwei uneheliche, minderjährige Kinder, die wie seine anderen Familienangehörigen österreichische Staatsbürger seien. Weiters würden noch seine Brüder mit deren Kindern in Österreich leben.
10. Mit Bescheid des BFA vom 31.01.2019, Zl. 139638210-180684133, wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).
11. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.02.2019, L524 2115769-3/3E, stattgegeben, der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.
Dem BFA wurde aufgetragen, für die zu treffende Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Der Therapiebericht des Beschwerdeführers ist einzuholen und widerspruchsfreie Feststellungen zu einer etwaigen Therapie des Beschwerdeführers sind zu treffen. Auch hinsichtlich des Privat- und Familienlebens sind widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen und mittels der beantragten Zeugeneinvernahme ist festzustellen, mit wem der Beschwerdeführer in Lebensgemeinschaft lebt, zumal die Angaben in der Einvernahme vom 20.07.2018 jenen in der Stellungnahme vom 13.12.2018 widersprechen. Ebenso sind zur Unterhaltspflicht betreffend seine minderjährigen Kinder Feststellungen zu treffen, die nicht dem Akteninhalt widersprechen.
Ausdrücklich wurde angeführt, dass das BFA auf Basis der Strafurteile konkrete Feststellungen zu treffen hat. Erst anhand solcher konkreter Feststellungen ist es möglich, eine Gefährdungsprognose vorzunehmen. Dabei ist insbesondere auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten – und nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung – sowie auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Außerdem wurde ausdrücklich die Notwendigkeit der Einholung des Therapieberichts und einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit diesem angeordnet.
12. Der Beschwerdeführer übermittelte dem BFA am 19.09.2019 eine Stellungnahme und legte den Therapiebericht vom 27.02.2019 vor. Hinsichtlich des Privat- und Familienlebens wird ein neues Vorbringen erstattet und die Einvernahme seiner jetzigen Lebensgefährtin und seiner volljährigen Kinder beantragt.
13. Mit Bescheid des BFA vom 06.05. 25.05.2020, Zl. 139638210/180684133, wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.). Einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt VI.).
14. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.
15. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.07.2020, L524 2115769-4/3Z, wurde der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. stattgegeben und dieser Spruchpunkt ersatzlos aufgehoben.
II. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus den Schreiben des BFA an den Beschwerdeführer, den Bescheiden, den Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts, der Stellungnahme des Beschwerdeführers und dem vorgelegten Verwaltungsakt.
III. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Zurückverweisung an das BFA:
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 10.09.2014, Ra 2014/08/0005; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Vorweg ist festzuhalten, dass mit dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009, klargestellt wurde, dass die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auch gegen jene Personen in Betracht kommt, die eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 innehaben. Die Ausführungen in der Beschwerde, die sich auf die Erlassung eines Aufenthaltsverbots beziehen, gehen daher ins Leere.
Aus folgenden Gründen muss angenommen werden, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt wurde:
Das BFA geht von einem unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers aus und beabsichtigte, darauf aufbauend, gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung samt befristetem Einreisverbot zu erlassen.
1. Voraussetzung, um über die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG abzusprechen ist, dass der Beschwerdeführer unrechtsmäßig im Bundesgebiet aufhältig ist. Das BFA führt im Bescheid zwar aus, dass der Beschwerdeführer auch nach der Aufhebung des Aufenthaltsverbots unrechtmäßig in Österreich aufhältig sei, legt aber nicht einmal ansatzweise dar, wie es zu dieser Ansicht gelangte. Auch aus dem vorgelegten Akteninhalt ergeben sich dahingehend keine Ermittlungen durch das BFA.
Das BFA hat daher Ermittlungen zu tätigen, ob der Beschwerdeführer (wieder) über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 verfügt und daher rechtmäßig aufhältig ist, oder ob er über keine solche Aufenthaltsberechtigung verfügt und daher unrechtmäßig aufhältig ist. Dazu wird das BFA auch Ausführungen im Bescheid zu tätigen haben.
Wenn der Beschwerdeführer unrechtmäßig aufhältig ist, hat es Ermittlungen hinsichtlich der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG anzustellen. Im angefochtenen Bescheid wurde zwar abgesprochen, dass kein solcher Aufenthaltstitel erteilt werde, es lassen sich aber dem Akteninhalt keiner Ermittlungen des BFA dahingehend entnehmen. Im angefochtenen Bescheid wird auch nur der diesbezügliche Gesetzestext zitiert, ohne aber jeglichen Bezug zum Fall des Beschwerdeführers herzustellen. Das BFA hat jegliche Ermittlungen unterlassen und wird diese daher, wenn der Beschwerdeführer unrechtmäßig in Österreich aufhältig ist, nachzuholen haben.
2. Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist nämlich (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FrPolG 2005, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101; 20.10.2016, Ra 2016/21/0198). Das gilt aber nicht nur für die Rückkehrentscheidung und für das in § 9 Abs. 1 BFA-VG weiters ausdrücklich genannte Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FrPolG 2005, sondern auch für das – nur bei gleichzeitiger Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässige – Einreiseverbot iSd § 53 FrPolG 2005, in dessen Abs. 2 und 3 in Bezug auf die Bemessung der Dauer auch die Abwägung nach Art. 8 EMRK angesprochen wird (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289 unter Hinweis auf VwGH 03.09.2015, Ra 2015/21/0111; 30.06.2016, Ra 2016/21/0179).
3. Hinsichtlich des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers hat das BFA keine Ermittlungen angestellt. So ist die Intensität des Privat- und Familienlebens zu seinen Kindern ungeklärt und die Feststellung im Bescheid, er führe eine Lebensgemeinschaft zudem aktenwidrig, da der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom September 2019 eine Lebensgemeinschaft gar nicht behauptet hat. Das BFA stützt sich in seiner Begründung auf eine Einvernahme im Juli 2018 und führt Widersprüche zur Stellungnahme vom Dezember 2018 an, geht aber nicht auf die aktuellere Stellungnahme vom September 2019 ein. Die wenigen Ausführungen des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme vom September 2019 sind aber auch nicht ausreichend, um konkrete Feststellungen zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers treffen zu können. Zudem sind die Ausführungen im angefochtenen Bescheid auch widersprüchlich, etwa wenn auf Seite 11 angeführt wird, dass der Beschwerdeführer mit seiner Ex-Ehegattin in Lebensgemeinschaft lebt und auf Seite 119 ausgeführt wird, dass er nicht mit seiner Familie, sondern mit einer Lebensgefährtin zusammenlebe. Zum Privat- und Familienleben hat das BFA notwendige Ermittlungen gänzlich unterlassen. Weshalb das BFA die in der Stellungnahme beantragten Einvernahmen des Beschwerdeführers selbst, seiner Lebensgefährtin und seiner Kinder nicht durchgeführt hat, wird im angefochtenen Bescheid nicht einmal dargelegt. Es sind auch keinerlei Ermittlungsschritte des BFA zwischen dem Einlangen der Stellungnahme im September 2019 und der Bescheiderlassung im Mai 2020 erkennbar.
Der angefochtene Bescheid lässt auch das gebotene Maß an Sorgfalt vermissen. Anstatt – nach einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren – die für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots notwendigen Feststellungen zu treffen, trifft das BFA in seinem 129 Seiten umfassenden Bescheid auf mehr als 100 Seiten Feststellungen zur Lage in der Türkei, die weitgehend völlig irrelevant für den hier vorliegenden Fall sind. In den Bescheid wurden veraltete Ausführungen zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers hineinkopiert (was auch an den unterschiedlichen Schriftarten im Bescheid erkennbar ist), die schon für den Bescheid vom Jänner 2019 herangezogen wurden. Eine Auseinandersetzung mit der aktuelleren Stellungnahme von September 2019 nimmt das BFA nicht einmal im Ansatz vor.
Das BFA hat daher Ermittlungen und Feststellungen zum Privat- und Familienleben zu treffen. Dabei kann es sich als notwendig erweisen, den Beschwerdeführer und die beantragten Zeugen einzuvernehmen.
4. In Bezug auf die für ein Einreiseverbot zu treffende Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier: "schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit") gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289, mwN). Dabei ist – abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Revisionswerbers – darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist. Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen (vgl. VwGH 06.11.2018, Ra 2018/18/0203 unter Hinweis auf VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0002, mwN).
Es ist auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289). Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109; 31.8.2017, Ra 2017/21/0120).
Im Rahmen der zu treffenden Feststellungen kann es fallbezogen mitunter aber auch nicht ausreichend sein, die im Urteilstenor des Strafgerichts zum Ausdruck kommenden Tathandlungen wiederzugeben, sondern es sich als notwendig darstellen, darüber hinausgehende Feststellungen zu treffen, um die Gefährdungsprognose in einer dem Gesetz entsprechenden Weise vornehmen zu können (vgl. VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 unter Hinweis auf VwGH 03.04.2009, 2008/22/0913; 24.11.2009, 2009/21/0267; 31.05.2011, 2008/22/0831; 05.07.2011, 2008/21/0131, jeweils mwN).
Schon im vorangegangenen Verfahren (betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots) wurde dem BFA aufgetragen, für die zu treffende Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Ausdrücklich wurde angeführt, dass das BFA sämtliche Urteile beischaffen und auf Basis dieser Urteile konkrete Feststellungen zu treffen hat. Erst anhand solcher konkreter Feststellungen ist es möglich, eine Gefährdungsprognose vorzunehmen. Dabei ist insbesondere auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten – und nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung – sowie auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen.
Solche Feststellungen sind auch – wie sich aus der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt – für die Erlassung eines Einreiseverbots notwendig. Das BFA hat keine Feststellungen zur Art und Schwere der Straftaten und dem sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbild getroffen. Das BFA weigert sich standhaft, ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren zu führen, was sich daraus ergibt, dass die Bescheidbegründung betreffend die Erlassung des Aufenthaltsverbots wortident in der Begründung des gegenständlichen Bescheides betreffend die Erlassung des Einreiseverbots wiederzufinden ist. Die Begründung für die Erlassung des Aufenthaltsverbots war schon derart oberflächlich und dem zu beurteilenden Fall nicht gerecht werdend, dass der Bescheid behoben und zur Erlassung eines neuen Bescheides – nach Durchführung der aufgetragenen Ermittlungen – an das BFA zurückverwiesen werden musste. Wenn das BFA nunmehr eine identische Begründung für die Erlassung des Einreiseverbots heranzieht, ist offenkundig, dass diese die Erlassung des Einreiseverbots nicht zu begründen vermag. Damit liegt auch auf der Hand, dass das BFA sämtliche Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
Obwohl das BFA schon in den vorangegangenen Verfahren darauf hingewiesen wurde, werden im angefochtenen Bescheid weiterhin die Phantasiebegriffe der „schweren“ und „kleineren“ Verurteilung verwendet, anstatt gesetzliche Definitionen zu gebrauchen.
Das BFA hat daher nach der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes konkrete Feststellungen zu den einzelnen, den Verurteilungen des Beschwerdeführers zu Grunde liegenden Straftaten zu treffen (vgl. dazu VwGH 15.10.2015, Ra 2015/21/0133). Erst anhand solcher konkreter Feststellungen ist es möglich, eine Gefährdungsprognose vorzunehmen. Dabei ist insbesondere auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten – und nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung – sowie auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Es ist nicht ausreichend, die bloße Tatsache der Verurteilung anzuführen, ohne sich mit den zugrundeliegenden Straftaten und dem sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild zu befassen.
Das BFA wird auch darzulegen haben, inwiefern Verurteilungen, die im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits acht bis 22 Jahre zurückliegen, die Erlassung eines zehnjährigen Einreiseverbots rechtfertigen sollen.
5. Im Wesentlichen wurde die Begründung des Bescheides vom 31.01.2019 betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots als Begründung des nunmehrigen Bescheides vom 25.05.2020 für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots herangezogen.
Das BFA ist offenkundig nicht willig, ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren zu führen, sondern möchte vielmehr, dass dieses (erst) vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführt wird.
In der Gesamtschau ist der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Zurückverweisung an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides im Vergleich zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht unter dem Aspekt der Raschheit und der Kostenersparnis der Vorzug zu geben. Das behördliche Verfahren erweist sich aus den dargelegten Gründen insgesamt als so mangelhaft, dass von dem in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingeräumten Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung Gebrauch zu machen war (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung mit der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes übereinstimmt.
Schlagworte
Aktenwidrigkeit Begründungsmangel Ermittlungspflicht Gefährdungsprognose Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Privat- und Familienleben rechtmäßiger Aufenthalt StraftatEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L524.2115769.4.01Im RIS seit
19.02.2021Zuletzt aktualisiert am
19.02.2021