TE Bvwg Beschluss 2020/8/3 L510 2233235-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.08.2020
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Entscheidungsdatum

03.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L510 2233235-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Türkei, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.06.2020, Zl: XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführende Partei (bP), XXXX , wurde am 13.02.2018 verhaftet und danach in Untersuchungshaft genommen.

2. Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 14.03.2018 wurde die bP darüber informiert, dass für den Fall ihrer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung beabsichtigt sei, gegen sie eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot zu erlassen. Gleichzeitig wurde sie aufgefordert, sich dazu innerhalb von 10 Tagen zu äußern und konkrete Fragen zu beantworten.

3. Am 06.04.2018 langte die Stellungnahme der bP beim BFA ein. Darin führte sie aus, dass sie in Österreich über keinen Wohnsitz oder Aufenthaltstitel verfüge, sondern einen unbefristeten Aufenthaltstitel der Bundesrepublik Deutschland inne habe. Sie sei 1990 nach Deutschland gekommen und habe dort einen Asylantrag gestellt. Sie sei aus politischen Gründen geflohen, da die kurdische Bevölkerung vom türkischen Militär terrorisiert, getötet und verhaftet werde. Im April 1992 habe sie eine deutsche Staatsbürgerin geheiratet und 1995 ein unbefristetes Aufenthaltsrecht der Ausländerbehörde Bremen bekommen. In Österreich habe sie keine Familie oder Verwandte. Seit der Scheidung von ihrer Frau im Jahr 2009 wohne sie gemeinsam mit ihrer am 01.04.1995 geborenen Tochter in Bremen. Im Zeitraum von 1992 bis August 2017 habe sie unterschiedliche Berufe ausgeübt, seither sei sie arbeitslos. Sie lebe nun schon seit über 25 Jahren in Deutschland, habe sich integriert und ihr gesamtes soziales Netz befinde sich dort. Sie lege daher Einspruch ein.

4. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX 2018, XXXX , wurde die bP wegen Suchtgiftdelikten gem. § 28a Ab. 1 2. und 3. Fall und § 15 StGB iVm § 28a Abs 1 5. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt.

5. Mit Beschluss vom 20.06.2018 wurde der bP gem. § 39 SMG Strafaufschub bis 20.12.2019 gewährt und sie aus der Haft entlassen. Der Strafaufschub diente dazu, sich einer ambulanten Therapie in Form von wöchentlichen psychotherapeutischen Gesprächen, begleitender Sozialarbeit und regelmäßigen Harnkontrollen zu unterziehen.

6. Am 21.11.2018 wurde das BFA durch den Richter XXXX des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX informiert, dass die bP sich der ambulanten Suchtgiftentwöhnungstherapie unterzieht und in regelmäßigen Abständen Therapienachweise des Drogenhilfezentrums Mitte in XXXX übermittelt. Sie habe dem Gericht eine Anschrift in Bremen mitgeteilt, an der sie jederzeit erreichbar sei. Daher würde nichts dagegen sprechen, dass die Therapie in Deutschland absolviert werde.

7. Mit im Spruch angeführten Bescheid vom 18.06.2020 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.). Gem. § 10 Abs 2 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II). Gem. § 52 Abs 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gem. § 55 Abs 4 FPG wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt IV). Gem. § 18 Abs 2 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diese Entscheidung aberkannt (Spruchpunkt V). Gem. § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG wurde gegen die bP ein Einreiseverbot von acht Jahren erlassen (Spruchpunkt VI.).

8. Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Im Wesentlichen wurde dargelegt, dass die bP seit mehr als 3 Jahren in Deutschland mit einer deutschen Staatsangehörigen – also einer Unionsbürgerin – verheiratet gewesen sei. Sie habe über weite Strecken gearbeitet und beziehe derzeit Arbeitslosengeld. Sie sei somit in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Sie verfüge in Deutschland über eine unbefristete Aufenthalts- und Niederlassungserlaubnis. Die bP sei aus diesen Gründen kein Drittstaatsangehöriger iSd Art 3 Z 1 der Rückführungsrichtlinie, sondern begünstigter drittstaatsangehöriger, weshalb eine Rückkehrentscheidung unzulässig gewesen sei. Gemäß Art 13 Abs 2 Richtlinie 2004/38/EG des europäischen Parlaments und des Rates führe von Unterabsatz 2 die Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder die Beendigung der eingetragenen Partnerschaft im Sinne von Art 2 Nr. 2 Buchstabe b) für Familienangehörige eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, nicht zum Verlust des Aufenthaltsrechts, wenn die Ehe oder eingetragenen Partnerschaft im Sinne von Art 2 Nummer 2 Buchstabe b) bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens oder bis zur Beendigung der eingetragenen Partnerschaft mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens 1 Jahr im Aufnahmemitgliedstaat. Weiter ergebe sich aus dem Bescheid kein Hinweis darauf, dass die bP aufgefordert worden sei, sich iSd § 52 Abs 6 FPG unverzüglich in das Hoheitsgebiet Deutschlands zu begeben. Die bP sei trotzdem nach der Haftentlassung sofort nach Deutschland gereist und lebe seither dort. Es sei daher schon begrifflich nicht möglich, dass die sofortige Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich gewesen sei. Es hätte somit auch deswegen keine Rückkehrentscheidung erlassen werden dürfen. Die bP lebe seit 1990 in Deutschland, am 01.04.1992 habe sie eine deutsche Staatsbürgerin geheiratet, von der sie sich am 30.04.2008 habe scheiden lassen und nun zusammen mit ihrer volljährigen Tochter und deren am 28.06.2020 geborenen Kind in einem gemeinsamen Haushalt lebe, indem sie sich die Ausgaben teilen würden. Die bP sei arbeitssuchend und beziehe Arbeitslosengeld. In Deutschland habe sie eine unbefristete Aufenthalts- und Niederlassungserlaubnis. Nach ihrer Verurteilung sei die bP aus der Haft entlassen worden und habe die angeordnete Therapie absolviert. Seit dem habe sie sich wohlverhalten und sei bemüht, Arbeit zu finden. Die Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt, da keine persönliche Einvernahme stattgefunden habe und der bP im gesamten Verfahren lediglich am 21.03.2018 die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden sei, ohne Ermittlungen zur aktuellen Situation der bP anzustellen. Ebenso sei unbeachtet geblieben, dass sich die bP nunmehr schon seit ca. 30 Jahren in Deutschland aufhalte und die meiste Zeit erwerbstätig gewesen sei. Sie habe ein enges Verhältnis zu ihrer Tochter und dem Enkelkind, habe in den letzten 30 Jahren ein schützenswertes Privatleben aufgebaut, sich seit der Haftentlassung wohlverhalten und eine unbefristete Aufenthalts- und Niederlassungserlaubnis. Aufgrund dessen sei sie auch keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Es wurde die Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung und das ersatzlose Beheben des angefochtenen Bescheides beantragt. In eventu wurde der Antrag gestellt, en Bescheid ersatzlos zu beheben und zur neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuweisen, in eventu den Spruchpunkt VI zu beheben und auszusprechen, dass das Einreiseverbot ersatzlos zu beheben sei bzw. diesem eine geringere Dauer bemessen werde.

9. Die gegenständliche Rechtssache langte mit 23.07.2020 vollständig bei der Gerichtsabteilung L510 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die bP ist türkischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX geboren.

Am 01.10.1990 reiste sie in Deutschland ein, wo sie am 11.10.1990 einen Asylantrag stellte, der am 19.05.1998 abgelehnt wurde. Am 01.04.1992 schloss sie eine Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen, diese wurde am 30.04.2008 geschieden. Sie lebt zusammen mit ihrer Tochter und ihrem Enkelkind in einer Mietwohnung in einem gemeinsamen Haushalt in XXXX .

Mit 04.09.1996 erhielt die bP durch die Bundesrepublik Deutschland eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, welche mit 01.01.2005 um eine Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthaltsG erweitert wurde.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX 2018, XXXX , wurde die bP wegen Suchtgiftdelikten gem. § 28a Abs 1 2. und 3. Fall und § 15 StGB iVm § 28a Abs 1 5. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Die bP befand sich von 13.02.2018 bis 20.06.2018 in der Justizanstalt XXXX in Haft, bevor ihr gem. § 39 SMG Strafaufschub bis 20.12.2019 gewährt und sie entlassen wurde.

Am 25.03.2019 hat die bP die ambulante Rehabilitation regulär beendet.

Die bP erhält derzeit zur Sicherung seines Lebensunterhaltes EUR 1121,26 durch das Jobcenter XXXX .

2. Beweiswürdigung:

Der für diese Entscheidung relevante Sachverhalt ergibt sich aus der vorliegenden Aktenlage. Den Darlegungen in der Beschwerde zur Person der bP wurde durch das BFA nicht entgegengetreten, weshalb die oben dargelegten Feststellungen zu treffen waren.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zur Vorfrage in Bezug auf das etwaige Vorliegen eines Titels als begünstigter Drittstaatsangehöriger, wie in der Beschwerde behauptet:

Die bP schloss unbestrittener Weise am 01.04.1992 eine Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen, nachdem sie am 01.10.1990 in Deutschland eingereist war. Diese Ehe wurde am 30.04.2008 geschieden.

Mit 04.09.1996 erhielt die bP durch die Bundesrepublik Deutschland eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, welche mit 01.01.2005 um eine Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthaltsG erweitert wurde. Sie ist somit Inhaber eines unbefristeten deutschen Aufenthaltstitels.

Wenn in der Beschwerde näher begründet wird, dass eine Scheidung mit der deutschen Staatsbürgerin nicht mit dem Verlust des Aufenthaltsrechts verbunden ist, wenn die Ehe oder eingetragenen Partnerschaft bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens oder bis zur Beendigung der eingetragenen Partnerschaft mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens 1 Jahr im Aufnahmemitgliedstaat, so wird dem seitens des BVwG beigepflichtet.

Dies manifestiert sich jedoch auch bereits in der seitens der deutschen Behörden der bP verliehenen unbefristeten Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthaltsG. Es wird somit nicht in Abrede gestellt, dass die bP Inhaber dieses Titels ist.

Alleine daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die bP kein Drittstaatsangehöriger iSd Art 3 Z 1 der Rückführungsrichtlinie („Drittstaatsangehörige“: alle Personen, die nicht Unionsbürger im Sinne von Artikel 17 Absatz 1 EG-Vertrag sind und die nicht das Gemeinschaftsrecht auf freien Personenverkehr nach Artikel 2 Absatz 5 des Schengener Grenzkodex genießen), sondern begünstigter Drittstaatsangehöriger ist, da die Exgattin der bP als deutsche Staatsbürgerin in Deutschland kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat.

Die bP ist somit nicht als begünstigter Drittstaatsangehöriger zu bezeichnen, somit hat das BFA richtigerweise § 52 FPG angewendet.

Zur Darlegung in der Beschwerde, dass das BFA § 52 Abs 6 anzuwenden gehabt hätte:

Als Staatsangehöriger der Türkei ist die bP Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG. Wie bereits ausgeführt, kommt ihr die Stellung eines begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG nicht zu, weil die Ex-Gattin nicht von ihrem unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht Gebrauch gemacht hat.

Die bP ist Inhaber eines gültigen Reisepasses und eines von der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Aufenthaltstitels. Sie durfte sich daher gemäß § 31 Abs 1 Z 3 FPG iVm Art 21 SDÜ bei Erfüllung der Einreisevoraussetzungen des Art 5 Abs 1 lit a, c und e SDÜ bis zu drei Monate lang im österreichischen Bundesgebiet aufhalten. Durch ihre Verletzung der Suchtmittelvorschriften, erfüllte sie die Voraussetzung des Artikel 5 Abs 1 lit e nicht mehr, da sie hierfür keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die nationale Sicherheit oder die internationalen Beziehungen einer der Vertragsparteien darstellen durfte. Aufgrund ihrer Drogendelinquenz hielt sie sich von da an somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Da die bP Inhaber eines unbefristeten deutschen Aufenthaltstitels ist, kommt die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach Maßgabe des § 52 Abs 6 FPG in Frage (vgl VwGH 29.05.2018, Ra 2018/21/0060). Nach dieser Bestimmung hat sich ein nicht rechtmäßig in Österreich aufhältiger Drittstaatsangehöriger, der im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates ist, unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Seine Ankunft dort hat er in geeigneter Weise nachzuweisen. Eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 FPG ergeht nur dann, wenn er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommt oder seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist (Gachowetz/Schmidt/Simma/Urban, Asyl- und Fremdenrecht im Rahmen der Zuständigkeit des BFA, 270). Dabei kommt es nicht schlichtweg auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit an, sondern darauf, ob angesichts einer solchen Gefährdung die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen aus dem Bundesgebiet erforderlich ist (VwGH 03.07.2018, Ro 2018/21/0007).

§ 52 Abs 6 FPG setzt Art 6 Abs 2 der Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG) um, der vorsieht, dass ein Drittstaatsangehöriger, der sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhält und über einen gültigen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaats verfügt, zunächst dazu zu verpflichten ist, unverzüglich in diesen Mitgliedstaat zurückzukehren. Erst wenn der Drittstaatsangehörige dieser Verpflichtung nicht nachkommt oder seine sofortige Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit geboten ist, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Absatz 1 zu erlassen. Wie in weiterer Folge noch begründet wird, war gegenständlich somit eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs 6 iVm § 52 Abs 1 zu erlassen, welche jedoch aufgrund der zwischenzeitig erfolgten Ausreise nicht mehr auf § 52 Abs 1 Z 1 FPG zu stützen ist, sondern die weitere Rechtsgrundlage in § 52 Abs 1 Z 2 FPG findet.

Voraussetzung dafür ist, dass sich die bP nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde. Ausweislich der Materialien (ErläutRV 1803 BlgNR 24. GP 64) wurde der Rückkehrentscheidungstatbestand nach § 52 Abs 1 Z 2 FPG zu dem Zweck geschaffen, dass sich ein Drittstaatsangehöriger nicht durch eine Ausreise der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entziehen können soll. Das betrifft neben der schon erwähnten zeitlichen Komponente einer Rückkehrentscheidung nach § 12a Abs 6 AsylG 2005 (siehe auch § 11 Abs. 1 Z 3 NAG idF des FrÄG 2015) in erster Linie ein an die Verhängung einer Rückkehrentscheidung anknüpfendes Einreiseverbot, da ein solches ohne Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden darf (VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151, Rn. 15). (VwGH, 21.12.2017, Ra 2017/21/0234).

Im vorliegenden Fall teilte das BFA der bP am 14.03.2018 mit, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm mit einem Einreiseverbotes für den Fall der Verurteilung geplant sei und gab ihr die Möglichkeit, innerhalb von zehn Tagen ihr Recht auf Parteiengehör mittels Stellungnahme wahrzunehmen. Die Einleitung des Rückkehrentscheidungsverfahren stellt sich somit als rechtzeitig dar.

Aufgrund der gravierenden und grenzüberschreitenden ausgeführten Suchtgiftdelinquenz der bP (Handel mit Suchtgift in einem die Grenzmenge mehrfach übersteigenden Ausmaß) sind die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 2 iVm Abs 6 FPG erfüllt, ohne dass sie zuvor zur unverzüglichen Rückkehr nach Deutschland verpflichtet werden musste, weil aufgrund der besonders hohen Sozialschädlichkeit ihres Verhaltens ihre sofortige Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung geboten war. Sie reiste offensichtlich ausschließlich zur Begehung von Straftaten in das Bundesgebiet ein, wobei sie eine sehr große Menge Suchtgift einführte, um es hier gewinnbringend zu verkaufen. Bei Suchtgiftdelinquenz handelt es sich nach der Rechtsprechung des VwGH um ein besonders verpöntes Fehlverhalten, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist (z.B. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0249). Diese Verurteilung wegen schwerwiegender Suchtgiftkriminalität indizierte, dass von ihr eine signifikante Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausging, die seine sofortige Ausreise notwendig machte.

Somit waren die Bestimmungen des § 52 Abs 1 Z 2 iVm Abs 6 FPG anzuwenden, ohne dass das BFA, wie in der Beschwerde dargelegt, die bP zur unverzüglichen Rückkehr nach Deutschland verpflichten musste.

Zu A) Behebung des bekämpften Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2). Gemäß § 28 Abs 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Ab. 1 Z 1 B-VG wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes [VwGH] zu § 28 VwGVG verlangt es das in § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH v. 17.03.2016, Zl. Ra 2015/11/0127; v. 29.04.2015, Zl. Ra 2015/20/0038; v. 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 RS29).

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Eine Rückkehrentscheidung, die in das Privat-oder Familienleben eingreift, ist gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG (nur) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele (nationale Sicherheit, öffentliche Ruhe und Ordnung, wirtschaftliches Wohl des Landes, Verteidigung der Ordnung, Verhinderung von strafbaren Handlungen, Schutz der Gesundheit und der Moral sowie der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten ist. Dabei ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198).

Daraus ergibt sich, dass von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme abzusehen wäre, wenn sie gegen Art 8 EMRK verstoßen würde. In dem Bescheid geht das BFA davon aus, dass „keine verfahrensrelevanten familiären oder sozialen Bindungen zum Bundesgebiet bestehen“, da die bP kein Familienleben oder Privatleben sowie keine Integrationsschritte im Bundesgebiet angeführt habe. Dieser Ansicht folgt das BFA auch noch in seiner Beschwerdevorlage. Dieser Feststellung ist jedoch zu entgegnen, dass eine Auseinandersetzung mit dem Privat- und Familienleben der bP in Deutschland gänzlich unterblieben ist und sie diesbezüglich auch gar nicht befragt wurde. Vielmehr wurde bei der Möglichkeit zur Stellungnahme am 14.03.2018 lediglich nach in Österreich lebenden Familienangehörigen gefragt.

Die Frage nach dem Eingriff in das Privat- und Familienleben eines Drittstaatsangehörigen darf jedoch nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt werden, sondern ist auch die Situation in anderen Mitgliedsstaaten in den Blick zu nehmen. Dies folgt unzweifelhaft daraus, dass Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot grundsätzlich auf das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten bezogen sein soll (VwGH vom 15.12.2011, 2011/21/0237, VwGH vom 26.03.2015, 2013/22/0284).

Die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, eine Prüfung des Privat- und Familienleben der bP in Deutschland durchzuführen, sich damit näher auseinanderzusetzen und danach eine Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden vorzunehmen. Insbesondere da die bP bereits seit 30 Jahren in Deutschland aufhältig ist und laut Beschwerdeangaben, denen seitens des BFA nicht entgegengetreten wurde, dort mit ihrer Tochter und ihrem Enkelkind ein Familienleben führt. Auch wäre das bisherige Verhalten der bP nach ihrer Haft in der Entscheidung mit zu berücksichtigen gewesen. Die diesbezüglichen Ermittlungen und Feststellungen fanden jedoch lediglich in dem Umfang statt, dass die bP in Österreich kein Privat- oder Familienleben vorgebracht habe.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die einmalige Einräumung der Möglichkeit einer Stellungnahme am 14.03.2018 in Hinblick auf die Bescheiderlassung vom 18.06.2020 als unzureichend dar, da die Behörde eben die Entwicklung des Privat- und Familienlebens der letzten Jahre nicht in ihre Überlegungen aufnehmen und bei der Entscheidung berücksichtigen konnte.

Notwendige weitere Ermittlungsschritte hinsichtlich des Privat- und Familienlebens und eine Auseinandersetzung mit diesen in Bezug auf Deutschland wurden jedenfalls unterlassen.

Die belangte Behörde hat im fortgesetzten Verfahren weitere Erhebungen und eine ergänzende Befragung durchzuführen sowie den Eingriff in das Privat- und Familienleben der bP in Hinblick auf ihre Verhältnisse in Deutschland zu beurteilen.

Wie die vorherigen Ausführungen zeigen, wurde der maßgebliche Sachverhalt vom BFA nicht festgestellt. Dieser ist weder dem gegenständlich angefochtenen Bescheid, noch dem vorliegenden Akteninhalt zu entnehmen. Das BFA hat dadurch, dass wesentliche Punkte des Privat- und Familienlebens der bP nicht bzw. nicht ausreichend berücksichtigt wurden, essentielle Ermittlungen unterlassen, weswegen im gegenständlichen Fall entsprechend der Rechtsprechung des VwGH zu § 28 Abs. 3 VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) davon auszugehen ist, dass genau solch gravierende Ermittlungslücken vorliegen, die zur Zurückweisung an die Verwaltungsbehörde (BFA) berechtigen, zumal das Vorliegen eines entscheidungsrelevanten Sachverhaltes nicht abschließend beurteilt werden kann, ohne sich mit dem gesamten Sachverhalt auseinandergesetzt zu haben.

Da im gegenständlichen Fall das den Kern des Vorbringens betreffende Ermittlungsverfahren vor das Bundesverwaltungsgericht verlagert wäre, käme dies einer Delegation des Verfahrens an das BVwG gleich. Es liegt nicht auf der Hand, dass die Ermittlungen und Entscheidung in der Sache durch das Bundesverwaltungsgericht rascher durchgeführt werden könnten oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wären.

Das BFA hat somit die aufgezeigten Mängel zu beheben bzw. den maßgeblichen Sachverhalt in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren festzustellen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und der Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG an das BFA zurückzuverweisen.

Falls das BFA in weiteren Verfahren zur Ansicht gelangen sollte, dass die Voraussetzungen für die Verhängung eines Einreiseverbotes nicht vorliegen sollten, so hat das BFA auch zu prüfen, ob überhaupt eine Rückkehrentscheidung zu treffen ist, da Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 FPG nach § 12a AsylG 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht bleiben, es sei denn, es wurde ein darüber hinausgehender Zeitraum gemäß § 53 Abs 2 und 3 FPG festgesetzt. Würde kein über den Zeitpunkt der Ausreise der bP hinausgehendes Einreiseverbot verhängt werden, wäre die Frist von 18 Monaten bereits abgelaufen.

Entfall der mündlichen Verhandlung:

Eine Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist (§ 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG). Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC] entgegenstehen (§ 24 Abs.4 VwGVG).

Aufgrund der Behebung des angefochtenen Bescheides konnte eine Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Privat- und Familienleben in einem anderen Mitgliedstaat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L510.2233235.1.00

Im RIS seit

19.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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