TE Bvwg Beschluss 2020/8/4 L524 2225026-2

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Veröffentlicht am 04.08.2020
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Entscheidungsdatum

04.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L524 2225026-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.06.2020, Zl. 161382907/190884580, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt befristetem Einreiseverbot, den Beschluss:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 29.08.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 03.10.2019, Zl. 161382907-190884580/BMI-BFA_WIEN_AST_04, abgewiesen und gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie ein zehnjähriges Einreiseverbot verhängt.

Gegen die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz erhob der Beschwerdeführer keine Beschwerde. Diesbezüglich erwuchs der Bescheid des BFA daher in Rechtskraft. Gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines befristeten Einreiseverbots erhob der Beschwerdeführer Beschwerde.

Mit „Erkenntnis“ des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.11.2019, L504 2225026-1/3E, wurde der Bescheid [hinsichtlich der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines befristeten Einreiseverbots] behoben und an das BFA zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückverwiesen. Dem BFA wurde aufgetragen, nicht bloß die Daten der zehn Verurteilungen des Beschwerdeführers aneinanderzureihen, sondern die zehn Urteil beizuschaffen und im Bescheid nachvollziehbar das diesen Verurteilungen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild darzustellen. Außerdem wurde dem BFA eine ergänzende Einvernahme des Beschwerdeführers zu den privaten und familiären Anknüpfungspunkten, insbesondere in Bezug auf die Lebensgefährtin und die vier gemeinsamen Kinder sowie eine zeugenschaftliche Einvernahme der Lebensgefährtin bzw. Mutter der gemeinsamen vier Kinder aufgetragen.

Mit Bescheid des BFA vom 24.06.2020, Zl. 161382907/190884580, wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).

Gegen die Spruchpunkte II. bis VI. dieses Bescheides richtet sie die fristgerecht erhobene Beschwerde.

Das BFA hat die Mutter der gemeinsamen vier Kinder nicht als Zeugin einvernommen, sondern ihr nur ein Schreiben mit wenigen Fragen zur schriftlichen Beantwortung geschickt. Das BFA hat zwar die zehn Urteile beigeschafft, aber im Bescheid das diesen Verurteilungen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild nicht dargestellt, sondern diesbezüglich bloß auf den Akt verwiesen. Das BFA hat im Bescheid erneut nur die Daten zu den Verurteilungen aneinandergereiht.

II. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem Bescheid des BFA vom 03.10.2019, dem „Erkenntnis“ des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.11.2019, L504 2225026-1/3E, der schriftlichen „Zeugeneinvernahme“, dem angefochtenen Bescheid vom 24.06.2020, Zl. 161382907/190884580 und der Beschwerde.

III. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zurückverweisung an das BFA:

1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 10.09.2014, Ra 2104/08/0005; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

2. Aus folgenden Gründen muss angenommen werden, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt wurde:

Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist nämlich (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FrPolG 2005, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. E 12. November 2015, Ra 2015/21/0101; E 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0198). Das gilt aber nicht nur für die Rückkehrentscheidung und für das in § 9 Abs. 1 BFA-VG weiters ausdrücklich genannte Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FrPolG 2005, sondern auch für das – nur bei gleichzeitiger Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässige – Einreiseverbot iSd § 53 FrPolG 2005, in dessen Abs. 2 und 3 in Bezug auf die Bemessung der Dauer auch die Abwägung nach Art. 8 EMRK angesprochen wird (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289 unter Hinweis auf VwGH 03.09.2015, Ra 2015/21/0111; 30.06.2016, Ra 2016/21/0179).

In Bezug auf die für ein Einreiseverbot zu treffende Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier: "schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit") gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289, mwN). Dabei ist – abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Revisionswerbers – darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist. Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen (vgl. VwGH 06.11.2018, Ra 2018/18/0203 unter Hinweis auf VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0002, mwN).

Es ist auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289). Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109; 31.8.2017, Ra 2017/21/0120).

Im Rahmen der zu treffenden Feststellungen kann es fallbezogen mitunter aber auch nicht ausreichend sein, die im Urteilstenor des Strafgerichts zum Ausdruck kommenden Tathandlungen wiederzugeben, sondern es sich als notwendig darstellen, darüber hinausgehende Feststellungen zu treffen, um die Gefährdungsprognose in einer dem Gesetz entsprechenden Weise vornehmen zu können (vgl. VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 unter Hinweis auf VwGH 03.04.2009, 2008/22/0913; 24.11.2009, 2009/21/0267; 31.05.2011, 2008/22/0831; 05.07.2011, 2008/21/0131, jeweils mwN).

Das BFA trifft im gesamten Bescheid keine Feststellungen zur Art und Schwere der den strafrechtlichen Verurteilungen zu Grunde liegenden Straftaten, sondern stellt bloß auf die Tatsache der Verurteilung ab. Das BFA führt nur die Eintragungen im Strafregisterauszug des Beschwerdeführers dar und verweist ansonsten auf die im Akt befindlichen „Strafdokumente“. Dies genügt aber nicht, um eine Gefährdungsprognose vornehmen zu können. Im Bescheid wird nicht auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abgestellt. Dem BFA wurde schon im ersten Rechtsgang vom Bundesverwaltungsgericht aufgetragen, derartige Feststellungen zu treffen.

Dem BFA wurde auch im ersten Rechtsgang eine ergänzende Einvernahme des Beschwerdeführers zu den privaten und familiären Anknüpfungspunkten, insbesondere in Bezug auf die Lebensgefährtin und die vier gemeinsamen Kinder sowie eine zeugenschaftliche Einvernahme der Lebensgefährtin bzw. Mutter der gemeinsamen vier Kinder aufgetragen. Entgegen dieses Auftrags hat das BFA aber die Mutter der gemeinsamen vier Kinder nicht als Zeugin einvernommen, sondern ihr nur ein Schreiben mit wenigen Fragen zur schriftlichen Beantwortung geschickt. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Zeugeneinvernahme. Zudem widersprechen die Angaben der Mutter der gemeinsamen vier Kinder den Angaben des Beschwerdeführers in seiner davor stattgefundenen Einvernahme, etwa in Bezug auf die Häufigkeit der Kontakte zu seinen Kindern. Weshalb das BFA im Bescheid den Angaben der Mutter der gemeinsamen vier Kindern folgt, nicht jedoch den anderslautenden Angaben des Beschwerdeführers, wird im Bescheid nicht dargelegt. Da das BFA weder eine Zeugeneinvernahme durchgeführt hat noch auf eine Klärung der widersprüchlichen Angaben hingewirkt hat, hat es die notwendigen Ermittlungen unterlassen.

Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln in Bezug auf verschiedene grundlegende Fragen. Damit hat das BFA im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt und Ermittlungen unterlassen, damit diese vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführt werden. Auf Grund der dargestellten Mängel ist es nicht möglich, den maßgeblichen Sachverhalt festzustellen.

Das BFA hat daher im fortgesetzten Verfahren auf Basis der strafgerichtlichen Urteile die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und dem sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbild festzustellen. Dazu ist es erforderlich, sich mit dem Inhalt der Strafurteile auseinanderzusetzen. Ein bloßes Aufzählen der Verurteilung ist nicht ausreichend, ebenso wenig wie ein bloßer Verweis auf die im Akt befindlichen Urteile. Es bedarf konkreter Feststellungen zum Gesamtverhalten des Beschwerdeführers. Schließlich sind zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auf Basis ergänzender Ermittlungen nach Durchführung der schon im ersten Rechtsgang aufgetragenen Zeugeneinvernahme konkrete und vor allem widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem weil das Ermittlungsverfahren nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

Die Begründung des angefochtenen Bescheides ist nicht bloß dürftig, sondern erweist sich als weitgehend oberflächlich und dem zu beurteilenden Fall überhaupt nicht gerecht werdend. Der Bescheid besteht nämlich aus einer Aneinanderreihung von floskelhaften Textbausteinen, die jeglichen Bezug zum konkreten Fall vermissen lassen. Über weite Strecken enthält der Bescheid auch irrelevante Feststellungen zur Lage in der Türkei.

In der Gesamtschau ist der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Zurückverweisung an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides im Vergleich zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht unter dem Aspekt der Raschheit und der Kostenersparnis der Vorzug zu geben. Das behördliche Verfahren erweist sich aus den dargelegten Gründen insgesamt als so mangelhaft, dass von dem in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingeräumten Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung Gebrauch zu machen war (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Der Bescheid war daher nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung an das BFA ergeht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Schlagworte

Begründungsmangel Einvernahme Ermittlungspflicht Gefährdungsprognose Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Privat- und Familienleben Straftat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L524.2225026.2.00

Im RIS seit

19.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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