TE Bvwg Beschluss 2020/8/12 L516 2126572-2

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Veröffentlicht am 12.08.2020
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Entscheidungsdatum

12.08.2020

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4

Spruch

L516 2126572-2/4E

BESCHLUSS

In dem amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.08.2020, Zahl 1074829102/200694765, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb XXXX , StA Pakistan, hat das Bundesverwaltungsgericht durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK beschlossen:

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs 2 AsylG nicht rechtmäßig. Der zitierte Bescheid wird daher aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger und stellte am 02.07.2020 einen ersten Folgeantrag auf internationalen Schutz.

Das BFA hob mit dem im Zuge einer Einvernahme am 10.08.2020 nach einer Befragung des Beschwerdeführers mündlich verkündeten Bescheid gemäß § 12a Abs 2 AsylG den faktischen Abschiebeschutz auf und begründete dies damit, dass die vom Beschwerdeführer angegebenen Gründe für das Verlassen seines Heimatlandes nicht glaubhaft gewesen seien.

Dagegen richtet sich die vorliegende, gem § 22 Abs 10 AsylG gesetzlich fingierte Beschwerde.

Verfahrensgang

Am 02.07.2020 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Die Erstbefragung fand dazu am 03.07.2020 Tag statt, eine Einvernahme vor BFA am 17.07.2020 und 10.08.2020.

Das Verfahren wurde nicht zugelassen.

Das BFA informierte das Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 10.08.2020 darüber, dass im gegenständlichem Verfahren mit mündlich verkündetem Bescheid vom selben Tag der faktische Abschiebeschutz gem § 12a Abs 2 AsylG aufgehoben worden sei und übermittelte gleichzeitig dem Bundesverwaltunsgericht die diesbezügliche Niederschrift sowie zunächst nur Teile der Verwaltungsakten der Behörde. Die Verwaltungsakten des BFA langten am 12.08.2020 bei der zuständigen Gerichtsabteilung ein, wovon das BFA am selben Tag verständigt wurde.

1. Sachverhalt

1.1 Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan und gehört der Volksgruppe der Paschtunen, dem Stamm der Turi sowie der schiitischen Glaubensgemeinschaft an. Er stammt aus einem Dorf in der Nähe von Parachinar in der Kurram Agency, Provinz Khyber Pakhtukhwa (bis 2018 Gebiet der FATA).

Er stellte am 24.06.2015 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesverwaltungsgericht wies diesen Antrag im Rechtsmittelverfahren nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.09.2017 mit Erkenntnis vom 24.05.2019, L512 2126572-1/32E, zur Gänze ab, erließ eine Rückkehrentscheidung und erklärte die Abschiebung nach Pakistan für zulässig. Jenes Erkenntnis wurde am 27.05.2019 dem damaligen Rechtsvertreter des Beschwerdeführers im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs übermittelt und damit zugestellt.

Der Beschwerdeführer brachte zu jenem ersten Antrag auf internationalen Schutz zusammengefasst vor, er sei geflüchtet, weil sein Heimatort von den Taliban angegriffen worden sei. Daraufhin seien sie einigen Flüchtlingszelten geflohen, wo wie ebenso von den Taliban angegriffen worden seien. 2007 habe es einen großen Angriff der Taliban auf das Heimatdorf des Beschwerdeführers gegeben. Von 2007-2010 seien alle Wege für Schiiten gesperrt gewesen. Auf dem Weg aus dem Dorf seien viele Schiiten getötet worden. Am 01.05.2009 sei der Beschwerdeführer nach Dubai gereist und sei dann dort 5 Jahre lang geblieben. Er sei nach Dubai gereist, da die Taliban in dieser Zeit viele Leute rekrutiert oder getötet hätten. Am 06.05.2014 sei er nach Pakistan zurückgekehrt. Sie seien 5 Personen gewesen. Am 08.05.2014 habe ihre Reise von Peschawar über Afghanistan begonnen. Auf dem Weg seien sie von den Taliban in XXXX am 09.05.2014 angegriffen worden. Sie seien mit dem Auto sofort umgekehrt, da der Fahrer die Taliban erkannt habe. Das Auto sei jedoch von den Taliban beschossen worden. Dabei seien zwei Personen ums Leben gekommen, der Beschwerdeführer sei schwer verletzt worden. Der Beschwerdeführer könne sich nur schwer erinnern. Die Taliban hätten die Personen in einen 2 km entfernten Wald gebracht. Als die Taliban erkannt haben, dass Leute noch am Leben waren, hätten sie mit Messern auf die Leute zugestochen. Der Beschwerdeführer sei danach bewusstlos gewesen. Er sei erst im Krankenhaus aufgewacht. Während seines Aufenthaltes im Krankenhaus seien Medien gekommen, um den Beschwerdeführer zu interviewen. Nach diesem Interview hätten die Taliban erfahren, dass der Beschwerdeführer noch am Leben sei. Am 19.05.2014 hätten die Taliban das Haus der Familie des Beschwerdeführers angegriffen bzw. überfallen. Dabei sei der Vater und die Schwester des Beschwerdeführers verletzt worden. Sie hätten nach dem Beschwerdeführer gefragt und das Haus der Familie des Beschwerdeführers angezündet. Nachdem der Beschwerdeführer 4 Monate lang im Krankenhaus gewesen sei, sei die Familie des Beschwerdeführers gemeinsam mit dem Beschwerdeführer zur den Schwiegereltern des Beschwerdeführers gezogen. Nachdem der Beschwerdeführer 6 Monate lang dort aufhältig gewesen sei, habe der Beschwerdeführer Pakistan verlassen. Für den Beschwerdeführer und seine Familie bestehe eine große Gefahr, da sie schiitische Moslems seien und die Taliban die Schiiten angreifen. Bei einer Rückkehr in seine Heimat könne sich der BF nicht frei bewegen. Wenn ihn die Taliban aufgreifen würden, würden sie ihm entweder seine Hände oder seinen Kopf abschneiden, weil er schiitischer Moslem sei.

Das Bundesverwaltungsgericht erachtete im damaligen Rechtsmittelverfahren mit näherer Begründung das Vorbringen des Beschwerdeführers zu dessen vorgebrachten Ausreisegründen für nicht glaubhaft und führte aus, dass auch kein Sachverhalt im Sinne der Art 2 und 3 EMRK vorliege sowie eine Rückkehrentscheidung im Falle des Beschwerdeführers keine Verletzung des Art 8 EMRK darstelle (BVwG 24.05.2019, L512 2126572-1/32E).

1.2 Der Beschwerdeführer führte zur Begründung des gegenständlichen Folgeantrages auf internationalen Schutz aus – zusammengefasst – mehrere Gründe an:

Er gab zunächst an, dass sich die Verhältnisse inzwischen verschlechtert hätten und die Taliban nun noch präsenter als zuvor seien und ungefähr eine Woche davor der Krieg in seinem Dorf wieder begonnen habe, die Taliban alle Schiiten töten würden (Niederschrift Erstbefragung 03.07.2020 S 3). Er erwähnte in der Einvernahme am 17.07.2020, dass während eines Telefonats mit seinem Vater in der Woche davor im Hintergrund Schüsse zu hören gewesen seien und ungefähr drei Monate zuvor der Cousin seines Vaters erschossen worden sei (Niederschrift Einvernahme 17.07.2020 S 4)

Er gab des Weiteren an, dass man in seiner Heimat glaube, er sei zum Christentum konvertiert. Dazu brachte er bei der Erstbefragung vor, seine verfeindete Gruppe, die Taliban hätten ihm gesagt, dass er aufgrund seiner Flucht nach Europa zum Christentum konvertiert sei. Inzwischen sei dies auch den Schiiten gesagt worden, sodass er nun von den Taliban, den Sunniten und den Schiiten bedroht sei. Drei Monate zuvor habe ihn ein Bekannter gefragt, ob er zum Christentum konvertiert sei (Niederschrift Erstbefragung am 20.08.2019 S 3 f). In der Einvernahme am 17.07.2020 gab er dazu an, es gebe seit längerem eine Propaganda gegen ihn, man sage, er sei jetzt Christ. Die Leute, die ihn bedroht hätten, hätten herumerzählt, auch in Moscheen, dass er Christ geworden sei. Ein Freund in Österreich habe in der Heimat dessen Familie angerufen und gehört, dass der Beschwerdeführer nun Christ sein soll und habe das auch dem Beschwerdeführer erzählt. Der Beschwerdeführer sei auch von seiner eigenen Familie danach gefragt worden und ihm sei gesagt worden, dass alle darüber sprechen. Auch die Polizei suche ihn. (Niederschrift Einvernahme 17.07.2020 S 4, 7, 8) Bei der Einvernahme am 10.08.2020 gab er an, sein Vater sei von der Polizei festgenommen und zwei Tage im Gefängnis gewesen, die Polizei habe den Vater genötigt, etwas zu unterschreiben, und ihn gefragt, ob der Beschwerdeführer wirklich die Religion gewechselt habe (Niederschrift Einvernahme 10.08.2020 S 5).

Beim Beschwerdeführer wurde in Österreich unter anderem eine Posttraumatische Belastungsstörung und der Status post 4 Suizidversuche 2020 diagnostiziert. Die aktuelle Medikation besteht in den Medikamenten Zyprexa (Neuroleptikum), Lyrica (Mittel gg Angststörung), Mirtabene (Antidepressivum) und Temesta (Angstlöser). (Medikamentenliste Anhaltezentrum, Verwaltungsverfahrensakt BFA, Aktenseite (AS) 113 ff). In der Einvernahme am 10.08.2020 gab der Beschwerdeführer an, seit ungefähr sechs Monaten psychische Probleme zu haben (Niederschrift Einvernahme 10.08.2020 S 3).

1.3 Das BFA begründete die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutz damit, dass die vom Beschwerdeführer angegebenen Gründe für das Verlassen seines Heimatlandes nicht glaubhaft seien.

Das BFA traf für diese Entscheidungen folgende Feststellungen zu den Gründen für die Anträge auf internationalen Schutz sowie zur voraussichtlichen Entscheidung im nunmehrigen Verfahren (Niederschrift Einvernahme BFA 10.08.2020, S 23 f):

„Als Grund Ihres Vorverfahrens führten Sie an, Pakistan aufgrund von Problemen mit den Taliban verlassen zu haben. Die Taliban hätten Ihr Dorf angegriffen, weshalb Sie zu einigen Flüchtlingszelten geflohen wären. Auch dort wären Sie von den Taliban bedroht worden, weswegen ihr Vater beschlossen hätte, dass Sie Ihr Heimatland verlassen sollten.

Im Zuge dieses Verfahrens gaben Sie zusammengefasst an, einen neuen Asylantrag zu stellen, da die Taliban mit welchen Sie bereits im Zuge Ihres ersten Verfahrens Probleme gehabt hätten, in Pakistan behaupten würden, dass Sie aufgrund Ihrer Flucht zum Christentum konvertiert wären. Sie wären sich sicher, dass Sie in Pakistan von den feindlichen Gruppierungen getötet werden würden. Davon erfahren hätten Sie vor drei Monaten, als Sie von einem Bekannten gefragt worden wären, ob Sie tatsächlich zum Christentum übergetreten wären. Daraufhin hätten Sie Ihre Familie angerufen, welche Ihnen bestätigt hätte, dass derartige „Gerüchte“ im Umlauf seien.

Im Zuge des gegenständlichen Folgeantrages ergab sich kein neuer objektiver Sachverhalt. Ihr neuer Antrag auf internationaler Schutz wird daher voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein.“

Die Beweiswürdigung des BFA dazu gestaltet sich dazu wörtlich wie folgt (Niederschrift zur Einvernahme 10.08.2020, S 53 f):

„In Ihren vorangegangenen Verfahren gaben Sie zusammenfassend an, Pakistan aufgrund von Problemen mit den Taliban verlassen zu haben. Die Taliban hätten Ihr Dorf angegriffen, weshalb Sie zu einigen Flüchtlingszelten geflohen wären. Auch dort wären Sie von den Taliban bedroht worden, weswegen ihr Vater beschlossen hätte, dass Sie Ihr Heimatland verlassen sollten.

Im Zuge dieses Verfahrens gaben Sie zusammengefasst an, einen neuen Asylantrag zu stellen, da die Taliban mit welchen Sie bereits im Zuge Ihres ersten Verfahrens Probleme gehabt hätten, in Pakistan behaupten würden, dass Sie aufgrund Ihrer Flucht zum Christentum konvertiert wären. Sie wären sich sicher, dass Sie in Pakistan von den feindlichen Gruppierungen getötet werden würden. Davon erfahren hätten Sie vor drei Monaten, als Sie von einem Bekannten gefragt worden wären, ob Sie tatsächlich zum Christentum übergetreten wären. Daraufhin hätten Sie Ihre Familie angerufen, welche Ihnen bestätigt hätte, dass derartige „Gerüchte“ im Umlauf seien.

Nach gesamtheitlicher Abwägung ist anzuführen, dass sich ihr Parteienbegehren im zweiten – gegenständlichen – Antrag mit dem im ersten deckt. So baut das Vorbringen, die Taliban würden verbreite, dass Sei zum Christentum konvertiert wären, auf den bereits in Ihrem Vorverfahren (VZ: 1500730788) behandelten und gewürdigten Sachverhalt auf.

Dai Sie Ihr Vorbringen im gegenständlichen Asylverfahren auf ein bereits rechtskräftig als unglaubwürdig qualifiziertes Vorbringen stützen, kann kein neuer Sachverhalt vorliegen, weil jeder Sachverhalt, welcher auf dieses unglaubwürdige bzw. mit diesem im Zusammenhang stehende Vorbringen aufbaut, nach den Denkgesetzen der Logik ebenfalls als unglaubwürdig zu werten ist und der darin behauptete Sachverhalt in der Tatsachenwirkung nicht existiert.

Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass Sie diesen gegenständlichen Antrag auf int. Schutz aus den Gründen stellen, welche auf die bereits im Zuge des ersten Verfahrens genannten Gründe aufbauen. Vielmehr ergibt sich der Eindruck, dass es sich bei Ihrem aktuellen Fluchtvorbringen um ein rein gedankliches Konstrukt handelt, um einer vermeintlichen Abschiebung entgegen zu wirken.“

Zur Lage im Herkunftsstaat verwies das BFA darauf, dass die herangezogenen Quellen, soweit sich das BFA auf Quellen älteren Datums beziehe, „aufgrund der sich nicht geänderten Verhältnisse nach wie vor als aktuell bezeichnet werden können.“ (Niederschrift Einvernahme 10.08.2020 S 55)

1.4 Die jüngsten im mündlich verkündeten Bescheid angeführten Länderfeststellungen zur Lage in Pakistan stammen vom 09.08.2019. Weder im mündlichen verkündeten Bescheid noch im gegenständlichen Verwaltungsverfahrensakt finden sich Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vom 26.06.2018 und 11.12.2018, aus denen laut BFA (Niederschrift zur Einvernahme 10.08.2020, S 52) hervorgehen soll, dass die Versorgung mit den vom Beschwerdeführer benötigten Medikamenten/Wirkstoffen in Pakistan gewährleistet wäre.

2. Beweiswürdigung

2.1 Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus den vom BFA vorgelegten und unverdächtigen Verwaltungsverfahrensakten zu den Anträgen des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowie aus den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes zum Vorverfahren. Die Feststellungen zu den Angaben des Beschwerdeführers im vorangegangenen sowie gegenständlichen Verfahren, zur Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes im Vorverfahren sowie zur Begründung des BFA für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes ergeben sich konkret aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes sowie den im Akt einliegenden Niederschriften, wobei zu den jeweiligen Feststellungen die entsprechenden Fundstellen angeführt sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Unrechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes (§12a AsylG)

3.1 Gemäß § 12a Abs 2 AsylG kann das BFA den faktischen Abschiebeschutz eines Fremden, der einen Folgeantrag gestellt hat und bei dem die Voraussetzungen des § 12a Abs 1 AsylG 2005 nicht erfüllt sind, aberkennen, wenn drei Voraussetzungen gegeben sind: Erstens muss gegen den Fremden eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FrPolG 2005 vorliegen; zweitens muss die Prognose zu treffen sein, dass der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und drittens darf die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 MRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen (VwGH 18.09.2019, Ra 2019/18/0338).

3.2 Aufrechte Rückkehrentscheidung

3.2.1 Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.05.2019 zum ersten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde auch 27.05.2019 dem damaligen Rechtsvertreter des Beschwerdeführers im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs übermittelt und damit zugestellt. Seit dieser Erlassung sind keine 18 Monate vergangen, der Beschwerdeführer hat zwischenzeitlich auch nicht das österreichische Bundesgebiet verlassen und das gegenständliche Folgeverfahren wurde auch nicht zugelassen, sodass die Rückkehrentscheidung noch aufrecht ist.

3.3 Keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts?

3.3.1 Der Beschwerdeführer begründete den gegenständlichen Folgeantrag unter anderem zusammengefasst damit, dass man in seiner Heimat glaube, er sei zum Christentum konvertiert, da dies von den Taliban verbreitet worden sei; auch sein Vater sei deshalb von der Polizei zwei Tage festgehalten und zum Beschwerdeführer befragt worden (im Detail oben 1.2).

Soweit das BFA seine Entscheidung – ausschließlich – damit begründet, dass kein neuer Sachverhalt vorliegen könne, weil jeder Sachverhalt, welcher auf dieses unglaubwürdige bzw mit diesem im Zusammenhang stehende Vorbringen aufbaue, nach den Denkgesetzen der Logik ebenfalls als unglaubwürdig zu werten sei und der darin behauptete Sachverhalt in der Tatsachenwirkung nicht existiere, lässt das BFA die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes außer Acht. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind jedoch die von einem Asylweber behaupteten Geschehnisse, die sich nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet haben sollen, daraufhin zu überprüfen, ob sie einen "glaubhaften Kern" aufweisen oder nicht. Dass das neue Vorbringen in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den im Erstverfahren nicht geglaubten Behauptungen stand, ändert an diesem Umstand nichts. Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der behaupteten neuen Tatsachen argumentativ von Bedeutung sein, macht eine Beweiswürdigung des neuen Vorbringens aber nicht von vornherein entbehrlich oder gar - in dem Sinn, mit der seinerzeitigen Beweiswürdigung unvereinbare neue Tatsachen dürften im Folgeverfahren nicht angenommen werden - unzulässig. Könnten die behaupteten neuen Tatsachen, gemessen an der dem rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes zu Grunde liegenden Rechtsanschauung im Vorverfahren, zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, so bedürfte es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit (vgl VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0025).

Daher bedeutet der Umstand, dass die im Erstverfahren vorgebrachten Verfolgungshandlungen dort als unglaubhaft bewertet wurden, nicht zwangsläufig, dass die neu vorgebrachten Verfolgungshandlungen ohne weiter Auseinandersetzung automatisch ebenso unglaubhaft sein müssen.

3.3.2 Das BFA hat es des Weiteren unterlassen, sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen, wonach sich die Verhältnisse inzwischen verschlechtert hätten und die Taliban nun noch präsenter als zuvor seien und der Krieg in seinem Dorf wieder begonnen habe, die Taliban alle Schiiten töten würden, dass während eines Telefonats mit seinem Vater in der Woche davor im Hintergrund Schüsse zu hören gewesen seien und ungefähr drei Monate zuvor der Cousin seines Vaters erschossen worden sei. Die jüngsten im mündlich verkündeten Bescheid angeführten Länderfeststellungen zur Lage in Pakistan stammen vom 09.08.2019 und nehmen somit keinen Bezug auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachte aktuelle Lage. So kam es beispielsweise im Mai 2020, Juni 2020 und Juli 2020 zu Anschlägen und Auseinandersetzungen in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers (https://www.dawn.com/news/1554708/at-least-1-injured-in-explosion-at-imambargah-in-lower-kurram; https://www.thenews.com.pk/print/676666-cop-among-two-injured-in-parachinar-blast; Dawn 29.06.2020, Kurram tribesmen clash over land ownership (https://www.dawn.com/news/1565825)

3.3.3 Beim Beschwerdeführer wurden schließlich unter anderem eine Posttraumatische Belastungsstörung und der Status post 4 Suizidversuche 2020 diagnostiziert und die aktuelle Medikation besteht in den Medikamenten Zyprexa (Neuroleptikum), Lyrica (Mittel gg Angststörung), Mirtabene (Antidepressivum) und Temesta (Angstlöser).

Weder im mündlichen verkündeten Bescheid noch im gegenständlichen Verwaltungsverfahrensakt des BFA finden sich die vom BFA im mündlich verkündeten Bescheid erwähnten Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vom 26.06.2018 und 11.12.2018, aus denen laut BFA hervorgehen soll, dass die Versorgung mit den vom Beschwerdeführer benötigten Medikamenten/Wirkstoffen in Pakistan gewährleistet wäre. Damit ist es dem Bundesverwaltungsgericht nicht möglich, die Entscheidung in der vom Gesetz geforderten Weise einer nachprüfenden Kontrolle zu unterziehen.

3.3.4 Aus den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 22 BFA-VG 2014 und 12a Abs. 2 und 22 Abs 10 AsylG 2005 ergibt sich insgesamt das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, dass die beschleunigte Abwicklung des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht in erster Linie anhand des Ergebnisses der vom BFA bis dahin vorgenommenen Ermittlungen zu erfolgen hat. Lässt dieses Ermittlungsergebnis aber die einwandfreie Beurteilung im Rahmen der Grobprüfung nicht zu, sondern bedarf es dafür erheblicher ergänzender Ermittlungen, kann diese von der Behörde zu vertretende Mangelhaftigkeit nicht zum Nachteil des Fremden ausschlagen (VwGH 12.12.2018, Ra 2018/19/0010)

Im vorliegenden Fall lässt das Ermittlungsergebnis des BFA die vom Verwaltungsgerichtshof geforderte einwandfreie Beurteilung im Rahmen der Grobprüfung aus den soeben dargestellten Gründen nicht zu.

Da fallbezogen das BFA eine individuelle und schlüssige beweiswürdigende Auseinandersetzung mit sämtlichen neuen Vorbringen des Beschwerdeführers im gegenständlichen Folgeverfahren und eine Heranziehung aktueller Länderfeststellungen unterlassen hat und nicht entsprechend der soeben zitierten Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes daraufhin geprüft hat, ob dieses einen "glaubhaften Kern" aufweist oder nicht, erweist sich der Sachverhalt als mangelhaft und es kann daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht die Prognose getroffen werden, dass der Antrag wegen entschiedener Sache voraussichtlich zurückzuweisen sein wird.

3.4 Da somit nicht sämtliche Voraussetzungen des § 12a Abs 2 erfüllt sind, ist die vom BFA mit dem mündlich verkündeten Bescheid vom 10.08.2020 verfügte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtmäßig.

3.5 Gemäß § 22 Abs 1 zweiter Satz BFA-VG war ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden.

Zu B)

Revision

3.6 Die Revision ist nicht zulässig, da die Rechtslage klar ist bzw durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.

3.7 Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

aktuelle Länderfeststellungen aufrechte Rückkehrentscheidung Erkrankung faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung nicht rechtmäßig Folgeantrag mangelnde Sachverhaltsfeststellung medizinische Versorgung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L516.2126572.2.00

Im RIS seit

19.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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