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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 Satz3Leitsatz
Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Versagung eines Aufenthaltstitels betreffend einen an einer nicht heilbaren Krankheit leidenden Staatsangehörigen von Saudi Arabien; keine ausreichende Interessenabwägung beim Vorliegen eines Erteilungshindernisses sowie mangelhafte Berücksichtigung der BehinderungRechtssatz
Der VfGH hat in VfSlg 20282/2018 darauf hingewiesen, dass gemäß §11 Abs3 NAG trotz Nichterfüllung der Voraussetzung der Selbsterhaltungsfähigkeit der Aufenthaltstitel zu erteilen ist, wenn dies auf Grund des Art8 EMRK geboten ist, und dabei betont, dass auch eine Behinderung einen Umstand darstellen kann, der gemäß §11 Abs3 NAG als Aspekt des Privat- und Familienlebens zu berücksichtigen ist. Dem Verwaltungsgericht Wien (VGW - LVwG) ist nicht entgegenzutreten, wenn es für den Beschwerdeführer vom Fehlen der Voraussetzung der Selbsterhaltungsfähigkeit iSd §11 Abs2 Z4 iVm Abs5 NAG ausgeht. Daher prüft das VGW in weiterer Folge, ob trotz Vorliegens dieses Erteilungshindernisses (und gegebenenfalls des Erteilungshindernisses des §11 Abs2 Z2 NAG) dem Beschwerdeführer gemäß §11 Abs3 NAG ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist, weil dies zur Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens iSd Art8 EMRK geboten ist.
Angesichts des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers ("dass eine sein gesamtes restliches Leben notwendige, indizierte und hinreichende medizinische Versorgung [laufende Untersuchungen, Behandlungen, Medikamente] im Hinblick auf seine außergewöhnliche Erkrankung im Herkunftsland nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit als gewährleistet anzusehen ist. Da auch im Rahmen der medizinischen Prognose über den weiteren Krankheitsverlauf von zeitnahen, lebensbedrohlichen Folgen der Erkrankung ausgegangen wurde, bestünde für den BF die reale Gefahr einer rapiden, lebensgefährlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustands.") ist nicht nachvollziehbar, wie das VGW im Rahmen der nach §11 Abs3 NAG gebotenen Abwägung zu der Schlussfolgerung kommen kann, dass für den Beschwerdeführer in Saudi-Arabien die Möglichkeit medizinischer Versorgung bestünde. Eine Begründung dafür gibt das VGW nicht.
Wenn das VGW weiters für seine Entscheidung auf fehlende Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers abstellt, weil er keine Initiative zum Erlernen der deutschen Sprache zeige und von sich aus keine Kontakte zu Selbsthilfegruppen oder sozialen Einrichtungen suche, ohne sich dabei mit der amtsärztlichen Feststellung auseinanderzusetzen, dass es dem Beschwerdeführer aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist, sich Deutschkenntnisse auf B1-Niveau anzueignen und ohne darauf Bezug zu nehmen, dass es dem Beschwerdeführer auf Grund seines Gesundheitszustandes nur schwer möglich ist, die Wohnung zu verlassen, übersieht das VGW die durch Art7 Abs1 Satz 3 B-VG gebotene Bedeutung der Behinderung des Beschwerdeführers für die Auslegung des Art8 EMRK und damit des §11 Abs3 NAG. Schließlich geht das VGW - ausgehend von seiner allerdings nicht nachvollziehbar dargelegten Prämisse, der Beschwerdeführer könne von Familienangehörigen in Saudi-Arabien versorgt werden - in keiner Weise auf die Frage ein, inwieweit der Beschwerdeführer im Lichte des Art8 EMRK auf die Pflege und Betreuung seines Vaters und seines Bruders angewiesen ist.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Fremdenrecht, Behinderte, Privat- und FamilienlebenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E1089.2020Zuletzt aktualisiert am
18.02.2021