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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch dreijährige Untätigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nach Durchführung einer Verhandlung und Setzung einer knapp einwöchigen Frist zur Stellungnahme zu Länderberichten und zwischenzeitlichen Änderungen des Privat- und Familienlebens betreffend die Abweisung eines Antrags eines Staatsangehörigen des Iraks auf internationalen SchutzSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein aus Bagdad stammender irakischer Staatsangehöriger. Er gehört der arabischen Volksgruppe an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.
Am 17. Juli 2015 stellte der Beschwerdeführer im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 30. Jänner 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist, und setzte eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 4. Mai 2017 – mit Erkenntnis vom 16. September 2020 als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht führt im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer keine individuell gegen seine Person gerichtete asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen habe können. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten seien nicht gegeben.
2. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Darin bringt der Beschwerdeführer vor, dass die ihm vom Bundesverwaltungsgericht eingeräumte Frist zur Stellungnahme von fünf Werktagen zu kurz bemessen gewesen sei, zumal bereits die Wahrnehmung eines Termins mit der zugewiesenen Rechtsberatungsorganisation rund eine Woche in Anspruch nehme. Die Frist sei auch nicht ausreichend, um eine Stellungnahme zu den übermittelten Länderberichten und damit zu den Veränderungen der letzten drei Jahre im Herkunftsstaat zu verfassen. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich somit nicht ausreichend mit dem Parteivorbringen auseinandergesetzt, kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren geführt und den maßgeblichen Sacherhalt unzureichend festgestellt. Relevante Integrationsschritte des Beschwerdeführers in den letzten drei Jahren vor seiner Entscheidung habe das Bundesverwaltungsgericht daher nicht berücksichtigt. In Zusammenschau mit der über drei Jahre zurückliegenden mündlichen Verhandlung bilde die zu kurz bemessene Frist zur Einbringung einer Stellungnahme einen in die Verfassungssphäre reichenden Mangel.
3. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.
II. Erwägungen
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht hat am 4. Mai 2017 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Anschließend hat es, wie aus dem Gerichtsakt ersichtlich, über drei Jahre keine weiteren Ermittlungsschritte gesetzt. Auf entsprechende Eingaben des Beschwerdeführers vom 2. Mai 2018, vom 6. September 2018 und vom 6. November 2019, in denen er sich über den Fortgang des Verfahrens erkundigt und damit seine Bereitschaft zur Mitwirkung am Verfahren bekundet hat, hat das Bundesverwaltungsgericht nicht reagiert. Mit Schreiben vom 4. September 2020, zugestellt gemäß §21 Abs8 BVwGG am 7. September 2020, hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer ein aktuelles Länderinformationsblatt der Staatendokumentation übermittelt, eine Frist zur Stellungnahme bis zum 14. September 2020 (Einlangen beim Bundesverwaltungsgericht) eingeräumt und den Beschwerdeführer gleichzeitig ersucht, allfällige, sein Privat- und Familienleben betreffende Änderungen seit Erlassung des angefochtenen Bescheides mitzuteilen und entsprechende Bescheinigungsmittel vorzulegen. Zwei Tage nach Ablauf dieser Frist hat das Bundesverwaltungsgericht – unter Verweis darauf, dass der Beschwerdeführer keine Stellungnahme abgegeben hat – das angefochtene Erkenntnis erlassen.
2.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat, nachdem es nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung über drei Jahre aus ausschließlich ihm selbst zuzurechnenden Gründen untätig geblieben ist, eine knapp einwöchige Frist für eine Stellungnahme eingeräumt. In dieser hätte der Beschwerdeführer zu einer mehr als dreijährigen Entwicklung Stellung nehmen und entsprechende Bescheinigungsmittel für allfällige relevante Änderungen vorlegen müssen. In einem solchen Zusammenhang erweist sich die eingeräumte Frist als dermaßen kurz, dass sie den Anforderungen, denen ein Ermittlungsverfahren aus gleichheitsrechtlicher Sicht zu genügen hat, in einer Weise widerspricht, die dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und einem Ignorieren des Parteivorbringens überhaupt gleichkommt. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher sein Erkenntnis mit Willkür belastet.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
4. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Schlagworte
Asylrecht, Verhandlung mündliche, Ermittlungsverfahren, Fristen, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E3765.2020Zuletzt aktualisiert am
17.02.2021