TE Vfgh Erkenntnis 2020/11/24 E2408/2020

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Veröffentlicht am 24.11.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks; mangelhafte Auseinandersetzung mit dem als unglaubwürdig eingestuften Fluchtvorbringen; keine Durchführung einer mündlichen Verhandlung; Ausführungen ohne Begründungswert und weitgehende Übernahme des angefochtenen behördlichen Bescheids

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.640,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein am 14. Mai 1990 geborener Staatsangehöriger des Irak, der der Volksgruppe der Araber angehört und sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam bekennt. Er stammt aus Bagdad, wo er bis zu seiner Ausreise lebte. Am 16. Jänner 2020 wurde der Beschwerdeführer am Bahnhof in Nickelsdorf überprüft. Im Zuge dieser Kontrolle stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend führte der Beschwerdeführer zu diesem Antrag im Wesentlichen aus, dass er von der irakischen Regierung verfolgt werde, weil er an Demonstrationen für Menschenrechte teilgenommen habe. Zudem sei er auch von den Milizen bedroht worden und werde von diesen gesucht, weil er und seine Frau einem Freund dabei geholfen hätten, die Tochter des Chefs der Milizen gegen dessen Willen zu heiraten. Die Tochter sei schließlich mit dem Freund des Beschwerdeführers durchgebrannt.

2. Mit Bescheid vom 26. März 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß §46 FPG zulässig sei. Gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

3. Die gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 4. Juni 2020 als unbegründet ab. In seiner Entscheidung verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Ergebnisse des behördlichen Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen und die Beweiswürdigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Die im angefochtenen Bescheid enthaltene Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers wird wortwörtlich wiedergegeben. Ergänzend hält das Bundesverwaltungsgericht fest, dass in der Beschwerde die Beweiswürdigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nicht substantiiert bekämpft worden sei. Dem Beschwerdeführer sei es somit nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen. Ebenso wenig seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gegeben.

4. Gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. Juni 2020 richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes auf Textbausteine und nicht nachvollziehbare Spekulationen beschränke, die zudem aktuellen Länderinformationen widersprechen würden. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich weiters in seiner Beweiswürdigung keineswegs mit den relevanten Länderinformationen zum Irak und nur unzureichend mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die Bedrohung durch die Milizen auseinandergesetzt. Die Frage, ob eine Rückführung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat im Lichte des Art3 EMRK zulässig sei, sei nicht ausreichend behandelt worden und das Verfahren daher mangelhaft.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift wurde jedoch abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechts-lage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung unterlaufen:

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht verweist in seinem Erkenntnis auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen und die Beweiswürdigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Die im Bescheid getroffenen Länderfeststellungen werden im Erkenntnis gerafft wiedergegeben. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich ausdrücklich den getroffenen Feststellungen und der Beweiswürdigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl an. In der Beschwerde sei der Beweiswürdigung "nicht in substantiierter Weise entgegengetreten" worden. Demnach seien die Schilderungen des Beschwerdeführers unstimmig und somit unglaubwürdig.

3.2. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich in seinem Erkenntnis zur Gänze auf die Ergebnisse des behördlichen Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen und die Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides. Es trifft weder eigene (aktuelle) Länderfeststellungen im Hinblick auf die Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers noch führt es eine mündliche Verhandlung durch, auf Basis derer es eigene Feststellungen bzw eine entsprechende Beweiswürdigung vornehmen hätte können.

3.3. Den in Erwiderung auf die Beschwerde ergänzend aufgenommenen Ausführungen zur Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers kommt angesichts der mangelhaften Argumentation kein Begründungswert zu:

"Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beschwerde darauf reduziert, das Vorbringen des Beschwerdeführers lediglich zu wiederholen. Den in der Beweiswürdigung des BFA aufgeworfenen Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten wurde hingegen nicht in substantiierter Weise entgegengetreten.

Diesen oben dargestellten beweiswürdigenden Ausführungen des BFA wurde in der Beschwere entgegengehalten, nach Wiederholung des bisherigen Vorbringens, dass es das BFA unterlassen habe, auf die individuelle Situation des Beschwerdeführers einzugehen. Im Übrigen wurde vollinhaltlich auf das bisherige Vorbringen des Beschwerdeführers verwiesen. Im gegenständlichen Fall erscheine es jedenfalls möglich, dass bei ordnungsgemäßer Durchführung des Ermittlungsverfahrens durch das BFA Umstände hervortreten hätten können, die eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes bewirken könnten. Abschließend wurde um Anberaumung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung ersucht, damit der Beschwerdeführer seine eigene Fluchtgeschichte noch einmal ausführlich vor einem unabhängigen Gericht vorbringen und glaubhaftmachen könne.

In der Beschwerde wurde lediglich auf das bisherige Vorbringen verwiesen, ohne im Einzelnen auf die Widersprüche einzugehen. Vielmehr wurde darauf hingewiesen, dass es das BFA unterlassen habe, ausreichende Ermittlungen durchzuführen. Was konkret nicht ermittelt worden sei, wurde jedoch nicht dargetan. Auch ist nicht klar, welche Umstände im Zuge von behördlichen Ermittlungen hervorkommen könnten, die eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes bewirken könnten. Überdies wurde apodiktisch die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung gefordert, in welcher der Beschwerdeführer seine eigene Fluchtgeschichte noch einmal ausführlich vor einem unabhängigen Gericht vorbringen und glaubhaftmachen könne. Was er zur Untermauerung seines Vorbringens noch darzulegen vermöge, wurde jedoch nicht ausgeführt. Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes läuft ein allgemeines Vorbringen, das aus Mutmaßungen besteht, auf einen unzulässigen, Erkundungsbeweis hinaus, zu dessen Aufnahme das VwG nicht verpflichtet ist (vgl E 30. September 1999, 98/02/0114; E 30. März 2001, 2000/02/0255; E 20. April 2004, 2003/02/0243; E 27. Februar 2007, 2007/02/0018; E 15. Oktober 2013, 2009/02/0377).

Substantiierte Ausführungen finden sich in der Beschwerde nicht. Auch wurde nichts dargetan, was das Vorbringen des Beschwerdeführers untermauern könnte. Die Beschwerde ist somit nicht geeignet der Beweiswürdigung des BFA in substantiierter Form entgegenzutreten."

3.4. Die Ausführungen zur Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens im Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, denen sich das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich anschließt und die es im angefochtenen Erkenntnis wörtlich wiedergibt, stellen ebenfalls keine substantiierte Begründung dar. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stützte sich im Wesentlichen darauf, dass die Angaben in der Einvernahme von der Aussage in der Erstbefragung abweichen würden. Allerdings gab der Beschwerdeführer sowohl bei der Erstbefragung als auch in der späteren Einvernahme gleichbleibend an, im Irak an Demonstrationen teilgenommen zu haben und zudem von den Milizen bedroht worden zu sein. Im Übrigen bestimmt §19 Abs1 AsylG 2005 ausdrücklich, dass die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat (vgl auch VfGH 19.11.2015, E1600/2014; 24.9.2019, E159/2019; 21.9.2020, E4498/2019).

3.5. Die Begründung der angefochtenen Entscheidung erweist sich – insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Bundesverwaltungsgericht keine mündliche Verhandlung durchgeführt hat – als unzureichend und nicht nachvollziehbar. Letztlich läuft die vom Bundesverwaltungsgericht gewählte Begründungstechnik, einerseits ausschließlich auf die verwaltungsbehördliche Begründung zu verweisen und andererseits der Beschwerde fehlende Substanz zu unterstellen, auf eine bloße Plausibilitätskontrolle hinaus. Dies entspricht nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstinstanzlich entscheidenden) Gerichtes. Das angefochtene Erkenntnis ist daher insgesamt mit Willkür belastet (vgl VfSlg 18.614/2008; 18.861/2009; 7.3.2017, E2100/2016; VfGH 9.6.2017, E3235/2016; 11.6.2019, E39/2019; 3.10.2019, E1533/2019; 24.2.2020 E3429/2019; 21.9.2020, E4498/2019).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des Internationalen Abkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevor-bringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– enthalten sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E2408.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.02.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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