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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan; keine ausreichende Auseinandersetzung mit aktuellen Länderberichten des EASO zu Personen, die lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt habenSpruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist, und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, geboren am 1. Jänner 1998, ist Staatsangehöriger Afghanistans, stammt aus der Provinz Daikundi und ist Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischen Glaubens. Er reiste im Kleinkindalter mit seiner Familie in den Iran, wo er bis zu seiner Ausreise nach Österreich im Jahr 2015 lebte. In Österreich stellte er am 26. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz mit der Begründung, dass er mit seiner Familie Afghanistan verlassen habe, weil sein Vater Mujahed gewesen sei. Das Fluchtvorbringen wurde im Laufe des Verfahrens dahingehend gesteigert, dass der Vater des Beschwerdeführers gegen die Taliban gekämpft habe und von den afghanischen Behörden festgenommen und gefoltert worden sei. Den Iran habe der Beschwerdeführer verlassen, weil er dort als Afghane belästigt und diskriminiert worden sei. Als Nachfluchtgrund führte Beschwerdeführer zudem ins Treffen, dass er vom Glauben abgefallen sei.
2. Mit Bescheid vom 25. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung zulässig ist, und setzte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise.
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 11. Mai 2020 als unbegründet ab. Im Wesentlichen schließt das Bundesverwaltungsgericht zunächst eine asylrelevante Verfolgung mangels glaubhaften Fluchtvorbringens aus.
Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erachtet das Bundesverwaltungsgericht für nicht gegeben. Es begründet die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Wesentlichen dahingehend, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in seine Herkunftsregion, in die Provinz Daikundi, zugemutet werden könne, überdies stehe ihm auch eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazar-e Sharif zur Verfügung. Zu den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen arbeitsfähigen, gesunden, jungen Mann handle, der Dari und Farsi spreche und in einem von islamischen Werten geprägten familiären Umfeld sozialisiert worden sei. Die Familie des Beschwerdeführers sei im Iran aufhältig; dass der Beschwerdeführer über Verwandtschaft in Afghanistan verfüge, könne nicht ausgeschlossen werden. Der Beschwerdeführer habe im Iran eine Schule besucht; das Ausmaß seiner Schulbildung könne in Ermangelung entsprechender Dokumente nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer habe im Iran als Hilfsarbeiter (nach Angaben des Beschwerdeführers als Schweißer) Berufserfahrung erlangt und habe sich während seines Aufenthaltes in Österreich Fähigkeiten im Rahmen eines "DJ-Workshops" und eines "Kompetenzworkshops" angeeignet, die bei der Arbeitsplatzsuche im Herkunftsstaat hilfreich seien. Das Bundesverwaltungsgericht kommt zum Schluss, dass das Zurückgreifen auf seine Schulbildung und die im Jugendalter im Iran erlangte Berufserfahrung als Hilfsarbeiter in Zusammenschau mit seiner in Österreich erlangten Bildung und Berufserfahrung im Ehrenamt das wirtschaftliche Überleben des Beschwerdeführers sichern würde. Im Rahmen seiner Beweiswürdigung hält das Bundesverwaltungsgericht Folgendes fest:
"Unter Bezugnahme auf 'EASO Country Guidance: Afghanistan Guidance note and common analysis, Juni 2019' zu im Iran geborenen/lange im Iran aufh[ä]ltig gewesenen Afghanen ist zu sagen, dass nach Prüfung des Einzelfalls für den BF keine Schwierigkeiten bestehen werden, in Afghanistan Fuß zu fassen und eine Berufstätigkeit zur Sicherung seines Unterhalts zu finden: der BF ist des Schreibens und Lesens mächtig und verfügt über eine Schulbildung. Schulbildung und Beherrschen der Schrift ist in Afghanistan laut Länderbericht angesichts der hohen Analphabetenrate nicht für jedermann erreichbar, sodass der BF einen Wettbewerbsvorteil am Arbeitsmarkt genießt, wenn er sich um eine Erwerbstätigkeit bewirbt, um damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Laut dem Beweismittel 'Resümee und Portfolio 'Kompetenzworkshops' des Ausbildungszentrums Wien' kann der BF gut zuhören und sich in Probleme anderer hineinversetzen. Er hat die Arbeitsaufträge gründlich, gewissenhaft, vollständig und verlässlich erfüllt, hält sich an Regeln und Absprachen, sodass dem BF sehr gute Eigenschaften bescheinigt werden, welche er für Bewerbungen am Arbeitsmarkt in Afghanistan in die Waagschale werfen kann (allenfalls mit Übersetzung dieses Dokuments in Dari).[…] Für den Fall, dass weder ihm wohlgesonnene Verwandtschaftsmitglieder, noch die Mitglieder der Volksgruppe willens sind, […] [dem Beschwerdeführer] bei der Wiederansiedelung ein Netzwerk zu bilden, so ist zu sagen, dass der BF sich bei Paschtunen auf die Gastfreundschaft Melmastiya aus dem Paschtunwali berufen wird können: Gastfreundschaft ist ein wesentlicher Aspekt des Paschtunwali, dem Kodex der Paschtunen. […] [D]ie Gastfreundschaft des Paschtunwali Melmastiya [bedeutet], allen Besuchern Gastfreundschaft und tief empfundenen Respekt entgegenzubringen, unabhängig von Rasse, Religion, nationaler Zugehörigkeit und wirtschaftlichem Status und ohne Erwartung einer Belohnung oder von Vorteilen. Melmastiya verlangt auch, dass dem Gast Sicherheit gewährt wird. Die Paschtunen sind mit 40% der Bevölkerung Afghanistans die Mehrheitsethnie und leben auch in Herat und Mazar-e Sharif, sodass der BF sich dort bei Mitgliedern der Mehrheitsethnie der Paschtunen auf die Gastfreundschaft des Paschtunwali berufen wird können.[…]"
In der rechtlichen Beurteilung zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führt das Bundesverwaltungsgericht unter Verweis auf seine Feststellungen aus, dass betreffend das Alter, die Sprachkenntnisse, den Gesundheitszustand, die Bildung, die Arbeitsfähigkeit und die in Afghanistan möglichen Unterstützungsmöglichkeiten des Beschwerdeführers die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben seien.
4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat die Verwaltungsakten und das Bundesverwaltungsgericht die Gerichtsakten vorgelegt. Von der Erstattung einer Äußerung bzw einer Gegenschrift wurde Abstand genommen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan richtet, begründet:
1.1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
1.2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:
1.2.1. Das Bundesverwaltungsgericht verweist im Rahmen seiner Feststellungen zunächst allgemein auf das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 13.11.2019", auf die "UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018" und auch auf die "EASO, Country Guidance Afghanistan Juni 2019".
1.2.2. Aus der "EASO Country-Guidance vom Juni 2019", auf die sich das Bundesverwaltungsgericht bezieht, geht hervor, dass für jene Gruppe von Rückkehrern nach Afghanistan, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben, eine innerstaatliche Fluchtalternative dann nicht in Betracht komme, wenn am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme kein Unterstützungsnetzwerk für die konkrete Person vorhanden sei, das sie bei der Befriedigung grundlegender existenzieller Bedürfnisse unterstützen könne, und dass es einer Beurteilung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien bedürfe: Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person bzw Verbindungen zu Afghanistan sowie sozialer- und wirtschaftlicher Hintergrund, insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung einschließlich Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans (vgl VfGH 12.12.2019, E3369/2019).
Derartigen Länderberichten, wie insbesondere auch den Richtlinien des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (United Nations High Commissioner for Refugees – UNHCR), ist bei der Beurteilung der Situation im Rückkehrstaat bei der Prüfung, ob dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist, besondere Beachtung zu schenken (vgl VfGH 12.12.2019, E2692/2019; 12.12.2019, E3369/2019; 4.3.2020, E4399/2019 jeweils mwN; vgl auch VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 17.12.2019, Ra 2019/18/0278 ua). Das bedeutet insbesondere, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit den aus diesen Länderberichten hervorgehenden Problemstellungen im Hinblick auf eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan, und zwar in Bezug auf die konkrete Situation des Beschwerdeführers, auseinanderzusetzen hat.
1.2.3. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt in seiner Entscheidung auf die vom Beschwerdeführer im Herkunftsstaat und im Bundesgebiet erlangte Bildung und Berufserfahrung Bezug und leitet daraus ab, dass der Beschwerdeführer dadurch in der Lage sei, sein wirtschaftliches Überleben im Falle der Rückkehr zu sichern. Nach den getroffenen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes hat sich der Beschwerdeführer im Rahmen seiner schulischen Ausbildung – deren Ausmaß nicht näher festgestellt werden konnte – die Fähigkeiten des Lesens und Schreibens angeeignet. Die Berufserfahrung des Beschwerdeführers erschöpft sich in Hilfsarbeitertätigkeiten, die der Beschwerdeführer als Minderjähriger im Iran geleistet hat und in der Absolvierung eines "DJ-Workshops" und eines "Kompetenzworkshops" im Bundesgebiet. Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt es diesbezüglich zu prüfen, inwieweit der Beschwerdeführer damit über einen solchen Bildungsstand und über eine solche Berufserfahrung verfügt, die begründet vermuten lässt, dass er sich auch in seiner konkreten Rückkehrsituation selbst erhalten kann. Darüber hinaus bezieht sich das Bundesverwaltungsgericht auf die Tatsache, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen jungen, arbeitsfähigen Mann handle, der der Landessprache mächtig und in seiner afghanischen Familie (im Iran) sozialisiert worden sei. Das Bundesverwaltungsgericht führt zum Vorliegen eines (familiären) Unterstützungsnetzwerkes des Beschwerdeführers zunächst aus, dass sich dessen Familie im Iran aufhalte, trifft in weiterer Folge jedoch – ohne nähere Begründung – die Annahme, dass es nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan über Verwandte verfüge. Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes erschöpfen sich in diesem Zusammenhang in der bloßen Annahme des Vorhandenseins eines familiären Unterstützungsnetzwerkes, ohne sich näher mit dem tatsächlichen Vorhandensein eines solchen bzw mit dessen Unterstützungsfähigkeit und -willigkeit auseinanderzusetzen. Für den Fall, dass dem Beschwerdeführer weder durch Verwandtschaftsmitglieder noch durch Mitglieder der Volksgruppe Unterstützung angedeihe, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Gastfreundschaft der Paschtunen. Die diesbezüglichen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes beziehen sich auf die allgemeine Beschreibung des "Paschtunwali" – das Gewohnheitsrecht, das die geistige Lebenseinstellung der Paschtunen widerspiegle und als wesentlichen Aspekt auch die Gastfreundlichkeit gegenüber Fremden beinhalte, die in einem Siedlungsgebiet dieser Volksgruppe leben würden. Aus diesen allgemeinen Ausführungen leitet das Bundesverwaltungsgericht das Vorliegen eines Unterstützungsnetzwerkes für den Beschwerdeführer ab, ohne darzulegen, inwieweit ihm als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, der seit dem Kleinkindalter nicht mehr in Afghanistan lebt, Unterstützung durch die Paschtunen zukommen kann.
Wenn das Bundesverwaltungsgericht auf dieser Basis den Schluss zieht, dass dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e Sharif in zumutbarer Weise zur Verfügung stehe und daran die Herausforderungen bei einer Rückkehr von Menschen, die nie in Afghanistan gelebt haben, insbesondere im Zusammenhang mit fehlenden sozialen Netzwerken, nichts ändern würden, nimmt es eine so qualifiziert fehlerhafte Beurteilung des dargestellten Sachverhaltes, insbesondere der "EASO Country-Guidance vom Juni 2019" vor, dass der Fehler in die Verfassungssphäre reicht:
Nach der maßgeblichen Berichtslage müssen nämlich zu den vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Umständen (wie sie für alleinstehende, gesunde Männer im erwerbsfähigen Alter, die in Afghanistan aufgewachsen sind oder längere Zeit dort gelebt haben, eine innerstaatliche Fluchtalternative unter anderem in Herat oder Mazar-e Sharif zumutbar erscheinen lassen) für Rückkehrer wie den Beschwerdeführer, der seit dem frühen Kindesalter außerhalb Afghanistans gelebt hat, qualifizierte Umstände, insbesondere im Hinblick auf Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person sowie Bildungs- und Berufserfahrung einschließlich Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans, hinzutreten, um von einer im Hinblick auf Art2 und 3 EMRK zumutbaren Rückkehrsituation ausgehen zu können (vgl jüngst VfGH 6.10.2020, E2795/2019; 6.10.2020, E1887/2020; 7.10.2020, E2273/2020; siehe zudem 12.12.2019, E2692/2019; VfGH 12.12.2019, E3369/2019; 4.3.2020, E4399/2019; weiters etwa VfGH 26.2.2020, E188/2020; 9.6.2020, E3835/2019; 14.7.2020, E4666/2019; vgl in diesem Sinn etwa auch VwGH 28.8.2019, Ra 2018/14/0308; 17.12.2019, Ra 2019/18/0405 sowie VwGH 28.1.2020, Ra 2019/18/0204). Rückkehrer, die nie, nur im Kleinkindalter oder nur sehr kurze Zeit selbst in Afghanistan gelebt haben, stehen nämlich gegenüber solchen, die in Afghanistan aufgewachsen sind, bei der Sicherung ihrer grundlegenden existenziellen Bedürfnisse vor besonders kritischen Herausforderungen, mit denen sich die Behörde und das Bundesverwaltungsgericht auseinanderzusetzen haben (der Verfassungsgerichtshof sieht sich daher auch angesichts anderer Einzelfallentscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes – siehe etwa VwGH 12.12.2019, Ra 2019/01/0243; 12.3.2020, Ra 2019/01/0347 – nicht dazu veranlasst, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen).
Solche Umstände liegen jedoch im Hinblick auf den Beschwerdeführer, der weder über ein Unterstützungsnetzwerk in Afghanistan noch über eine besondere Ausbildung oder eine entsprechende Berufserfahrung verfügt, die seine Selbsterhaltungsfähigkeit in Afghanistan nahelegen, nach den Feststellungen und Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht geht vielmehr von einem Personenprofil des Beschwerdeführers aus, das sich auf alleinstehende, gesunde Männer im erwerbsfähigen Alter bezieht, die in Afghanistan aufgewachsen sind, und lässt dieses auch für die maßgebliche Situation des Beschwerdeführers, der allerdings im Iran aufgewachsen ist, ausreichen. Damit verkennt es aber die spezifische Situation, wie sie sich für den Beschwerdeführer als Rückkehrer nach Afghanistan in den Neuansiedlungsgebieten Herat oder Mazar-e Sharif ergibt, in qualifizierter Weise.
1.2.4. Indem das Bundesverwaltungsgericht somit die maßgeblichen Anforderungen, die das Personenprofil des Beschwerdeführers nach der Länderberichtslage erfüllen muss, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in die Städte Herat oder Mazar-e Sharif ausgehen zu können, grundsätzlich verkennt, belastet es sein Erkenntnis im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten – und daran anknüpfend die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bzw der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise – mit Willkür.
2. Die Behandlung der Beschwerde wird im Übrigen, soweit damit die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist, und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E2304.2020Zuletzt aktualisiert am
17.02.2021