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16 MedienrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Legitimation von für die inkriminierte Sendung verantwortlichen ORF-Bediensteten zur Beschwerdeführung vor dem Verfassungsgerichtshof; Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Feststellung der Rundfunkkommission hinsichtlich einer Verletzung des Objektivitätsgebotes durch die Verlesung eines offenen Briefes eines Schriftstellers in einer Kultursendung; Unterlassung jeglicher Ermittlungstätigkeit infolge der Anmaßung der Stellung eines Strafgerichts durch die Rundfunkkommission; keine Zuständigkeit der Kommission zur Beurteilung der Frage des Vorliegens eines MedieninhaltsdeliktesSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen des Beschwerdevertreters die mit 19.800 S bestimmten Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Mit Bescheid der Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes (RFK) vom 8. Juli 1994, GZ 576/3-RFK/94, wurde einer Beschwerde des Dr. F L nach §27 Rundfunkgesetz (RFG) Folge gegeben und festgestellt, daß durch die Moderation und die Veröffentlichung eines "offenen Briefs" des Schriftstellers Gerhard Roth in der Sendung K1 im ersten Fernsehprogramm des Österreichischen Rundfunks (ORF) am 15. Mai 1994 das RFG in seinem §2 verletzt wurde.
1.1.2. In der Begründung dieses Bescheids heißt es (auf S 6 bis 8) ua. wörtlich:
"... Der Programmauftrag des ORF ist innerhalb der bestehenden Gesetze zu erfüllen; jede Verletzung straf- oder zivilrechtlicher Vorschriften verletzt immer auch das RFG (RFK 17.12.1982 RfR 1983, 14). Die inkriminierten Textpassagen des offenen Briefs erfüllen im einzelnen und im Gesamtzusammenhang den Tatbestand der üblen Nachrede nach §111 StGB ... (Es) war zu erkennen, daß sowohl die Eingangsmoderation selbst als auch die Verlesung des offenen Briefs gegen das Objektivitätsgebot nach §2 RFG verstoßen."
1.2.1. Dagegen ergriffen Bedienstete des ORF, nämlich der Programmintendant "Fernsehen" W L und der Hauptabteilungsleiter "Kultur und Musik" K L, eine - gemeinsam ausgeführte - Beschwerde nach Art144 (Abs1) B-VG an den Verfassungsgerichtshof; darin wurde geltend gemacht, die Beschwerdeführer seien durch den angefochtenen Verwaltungsakt in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, und zwar im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG iVm Art2 StGG), im Recht auf freie Meinungsäußerung (Art10 EMRK) und im Recht auf Freiheit des künstlerischen Schaffens (Art17a StGG), verletzt worden. Zugleich wurde die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheids begehrt.
1.2.2.1. Die RFK als belangte Behörde legte die Administrativakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
1.2.2.2. Hingegen brachte Dr. F L als Beteiligter des verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens eine Gegenschrift ein, in der er für die Zurückweisung, hilfsweise für die Abweisung der Beschwerde eintrat.
2. Über die Beschwerde wurde erwogen:
2.1.1. Die RFK ist eine nach Art133 Z4 B-VG eingerichtete Verwaltungsbehörde. Ihre Entscheidungen unterliegen nach §29 Abs5 RFG nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg.
Der administrative Instanzenzug ist darum ausgeschöpft (vgl. zB VfSlg. 8320/1978, 8906/1980).
2.1.2. Der Beteiligte des verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens wendete ein, die den Verfassungsgerichtshof anrufenden Bediensteten des ORF (Programmintendant und Hauptabteilungsleiter) seien nicht beschwerdelegitimiert, denn gemäß §30 Abs1 RFG komme im Verfahren vor der Kommission auf Seite des ORF nur dem Generalintendanten Parteistellung zu.
Dem ist zu entgegnen, daß sich die Legitimation zur Beschwerdeführung gegen einen - die Verletzung des RFG feststellenden - Bescheid der RFK nicht nur aus §30 Abs1 RFG ableitet; vielmehr sind nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs auch die für die inkriminierte Sendung verantwortlichen ORF-Bediensteten (hier unbestrittenermaßen (jedenfalls auch) W L und K L) zur Beschwerdeführung vor dem Verfassungsgerichtshof legitimiert (vgl. VfSlg. 12086/1989 S 625, VfGH 26.9.1994 B1705/93-10).
2.1.3. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Beschwerde zulässig.
2.2.1. Die beiden Beschwerdeführer sind im Recht, wenn sie der Sache nach rügen, daß der angefochtene Bescheid mit objektiver Willkür belastet sei.
Nach §27 Abs1 RFG hat die Kommission - soweit dafür nicht eine andere Verwaltungsbehörde oder ein Gericht zuständig ist - über die Verletzung von Bestimmungen "dieses Bundesgesetzes", di. das RFG, zu entscheiden. Darüber setzte sich die Behörde vollkommen hinweg, wenn sie sich zur (ausschließlichen) Beantwortung der Frage berufen hielt, ob den in Betracht kommenden Rundfunkbediensteten ein gerichtlich strafbarer Tatbestand (Üble Nachrede nach §111 StGB) zur Last falle: Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 12022/1989 aussprach, hat die RFK im Verfahren nach §27 RFG keineswegs, und zwar auch nicht als Vorfrage, zu prüfen, ob Rundfunkbedienstete ein Medieninhaltsdelikt verantworten - darüber hat nur das Strafgericht, gegebenenfalls nach Aufnahme des Wahrheitsbeweises zu befinden -; die Kommission hat einzig und allein die Verletzung/Nichtverletzung des RFG festzustellen. Im übrigen wäre selbst die zuständige Strafbehörde bei Anwendung einer Strafnorm aus verfassungsrechtlichen Gründen gehalten, den (von der belangten Behörde zu Unrecht offengelassenen) Umstand, daß das inkriminierte Verhalten vom Schutzbereich des Art17a StGG erfaßt sei, abwägend zu berücksichtigen (s. VfSlg. 11567/1987).
2.2.2. Da sich die Kommission nach dem Gesagten, von einer verfehlten Rechtsauffassung ausgehend, im Ergebnis die Stellung eines Strafgerichts anmaßte, unterließ sie in der hier allein entscheidenden Frage, ob nämlich durch die inkriminierten Vorgänge das RFG verletzt wurde, in Wahrheit jegliche Ermittlungen und Feststellungen, sodaß der angefochtene Bescheid das durch Art7 Abs1 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht verletzt. Damit ist die Sachentscheidung der Administrativbehörde aber noch nicht vorherbestimmt. Die Kommission wird vielmehr auf Grund der Ergebnisse des nachzuholenden Ermittlungsverfahrens die Frage, ob das Objektivitätsgebot verletzt sei, unter Bedachtnahme auf das Recht nach Art17a StGG eigenständig prüfen und in diesem Zusammenhang mit in Betracht ziehen müssen, daß nicht jedwede Äußerung eines Schriftstellers dem verfassungsrechtlichen Begriff des künstlerischen Schaffens unterfällt.
2.2.3. Demgemäß war der Bescheid der RFK in Stattgebung der Beschwerde als verfassungswidrig aufzuheben.
2.3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953; in den Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.300 S enthalten.
2.4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / Legitimation, Rundfunk, Beschwerdeverfahren (Rundfunk), Strafrecht, Strafprozeßrecht, Objektivitätsgebot (Rundfunk), Ermittlungsverfahren, Behördenzuständigkeit, Rundfunkkommission, VfGH / Begründungsstil, Bindung (der Verwaltungsbehörden an VfGH), KunstfreiheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:B1883.1994Dokumentnummer
JFT_10049075_94B01883_00