Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Versagung einer "Niederlassungsbewilligung Künstler" mangels Berücksichtigung einer zulässigen Haftungserklärung; eigenständiger Unterhaltsbegriff bei Künstlern erfordert Prüfung, ob deren Tätigkeit überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt istSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Republik China (Taiwan) und hatte in Österreich ab 14. Jänner 2012 eine Aufenthaltsbewilligung als Schüler bzw Student. Danach wurde ihm bis 27. September 2018 eine "Niederlassungsbewilligung – Künstler (nur selbständige Erwerbstätigkeit)" erteilt.
2. Mit Antrag vom 13. August 2018 beantragte der Beschwerdeführer die Verlängerung der "Niederlassungsbewilligung – Künstler". Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 6. November 2019 wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (im Folgenden: NAG) für den Zweck "Künstler" abgewiesen.
3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien mit Erkenntnis vom 17. April 2020 als unbegründet ab. Begründend führte es aus, gemäß §43a Abs1 Z2 NAG müsse der Unterhalt durch das Einkommen gedeckt sein, das der Fremde aus seiner künstlerischen Tätigkeit beziehe. Es sei daher nur das Einkommen aus selbständiger künstlerischer Tätigkeit heranzuziehen. Im Jahr 2019 habe der Beschwerdeführer Einkünfte in Höhe von € 6.407,52 gehabt, auf Grund von COVID-19 könne für das kommende Jahr bestenfalls von vergleichbaren Einkünften ausgegangen werden. Zur Sicherung des Lebensunterhaltes sei nach §11 Abs5 NAG iVm §293 ASVG ein Betrag von € 966,65 zu veranschlagen, dazu komme die Miete in Höhe von € 458,85 und SV-Beiträge in Höhe von mindestens € 130,85. Von diesen Ausgaben sei ein Betrag von € 299,95 gemäß §292 Abs3 ASVG abzuziehen. Zur Finanzierung des Aufenthaltes sei daher jedenfalls ein monatliches Einkommen von € 1.255,28 bzw € 15.063,36 für das Jahr 2020 nachzuweisen. Es könnten jedoch lediglich Einnahmen von ca € 750,– prognostiziert werden. Es handle sich bei dem Erfordernis, dass der Unterhalt durch das Einkommen aus künstlerischer Tätigkeit gedeckt werden müsse, um eine besondere Erteilungsvoraussetzung, die nicht durch eine Haftungserklärung substituiert werden könne. Die vom Beschwerdeführer vorgelegte Haftungserklärung vom 26. November 2019 sei daher unbeachtlich. Der Unterhalt des Beschwerdeführers werde nicht aus seiner künstlerischen Tätigkeit gedeckt, der angefochtene Bescheid sei daher schon aus diesem Grunde zu bestätigen gewesen.
4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, das Verwaltungsgericht Wien stütze sich auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 17.9.2019, Ra 2018/22/0264), die nicht mit dem gegenständlichen Fall vergleichbar sei, da keine Haftungserklärung abgegeben worden sei, sondern es vielmehr um den Rückgriff auf eigene Einkünfte aus Vermietung gegangen sei. Aus dieser Entscheidung lasse sich daher nicht ableiten, dass Haftungserklärungen im Anwendungsbereich des §43a Abs1 Z2 NAG unbeachtlich seien. Der Verfassungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom 11. Juni 2018, E4360/2017, ausgeführt, dass eine Haftungserklärung bei selbständigen Künstlern möglich sei; hinsichtlich der Intensität der Tätigkeit sei zu prüfen, ob die Tätigkeit des Drittstaatsangehörigen überwiegend durch die Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt sei. Das Verwaltungsgericht Wien habe die Rechtslage gröblich verkannt, es habe die gültige Haftungserklärung zu Unrecht als unbeachtlich qualifiziert und sich nicht mit der Frage, ob die Tätigkeit des Beschwerdeführers überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt sei, auseinandergesetzt.
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 24/2020 lauten – auszugsweise – wie folgt:
"Begriffsbestimmungen
§2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
[…]
15. Haftungserklärung: die von einem österreichischen Notar oder einem inländischen Gericht beglaubigte Erklärung Dritter mit mindestens fünfjähriger Gültigkeitsdauer, dass sie für die Erfordernisse einer Unterkunft und entsprechender Unterhaltsmittel aufkommen und für den Ersatz jener Kosten haften, die einer Gebietskörperschaft bei der Durchsetzung einer Rückkehrentscheidung, eines Aufenthaltsverbotes, einer Ausweisung, einer Zurückschiebung, der Vollziehung der Schubhaft oder als Aufwendung für den Einsatz gelinderer Mittel, sowie aus dem Titel der Sozialhilfe oder eines Bundes- oder Landesgesetzes, das die Grundversorgungsvereinbarung nach Art15a B-VG, BGBl I Nr 80/2004, umsetzt, entstehen, und die Leistungsfähigkeit des Dritten zum Tragen der Kosten zum Zeitpunkt der Erklärung nachgewiesen wird;
[…]
[…]
4. Hauptstück
Allgemeine Voraussetzungen
Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel
§11. (1) […]
(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn
1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;
2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;
3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;
4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;
5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;
6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß §9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I Nr 68/2017, rechtzeitig erfüllt hat, und
7. in den Fällen der §§58 und 58a seit der Ausreise in einen Drittstaat gemäß §58 Abs5 mehr als vier Monate vergangen sind.
(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs1 Z3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs2 Z1 bis 7 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl Nr 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
4. der Grad der Integration;
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(4) […]
(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs2 Z4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des §293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl Nr 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in §292 Abs3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§2 Abs4 Z3) oder durch eine Haftungserklärung (§2 Abs1 Z15) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß §291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.
(6) Die Zulässigkeit, den Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des Abs2 Z2 und 4 mit einer Haftungserklärung (§2 Abs1 Z15) erbringen zu können, muss ausdrücklich beim jeweiligen Aufenthaltszweck angeführt sein.
(7) […]
[…]
'Niederlassungsbewilligung – Künstler'
§43a. (1) Drittstaatsangehörigen kann eine 'Niederlassungsbewilligung – Künstler' ausgestellt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
1. im Fall der Unselbständigkeit eine schriftliche Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß §20d Abs1 Z6 AuslBG vorliegt oder
2. im Fall der Selbständigkeit deren Tätigkeit überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt ist, sofern ihr Unterhalt durch das Einkommen gedeckt wird, das sie aus ihrer künstlerischen Tätigkeit beziehen.
(2) Eine Haftungserklärung ist zulässig. §47 Abs5 gilt sinngemäß."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Verwaltungsgericht Wien bei seiner Entscheidung unterlaufen:
3.1. Gemäß §43a Abs1 NAG ist für die Erteilung der "Niederlassungsbewilligung – Künstler" jedenfalls Voraussetzung, dass die Voraussetzungen des ersten Teiles des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes erfüllt werden. Zudem muss bei der selbständigen Tätigkeit als Künstler gemäß §43a Abs1 Z2 NAG die Tätigkeit überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt und der Unterhalt durch das Einkommen gedeckt sein, das aus der künstlerischen Tätigkeit bezogen wird. Nach §43a Abs2 NAG ist eine Haftungserklärung bei einer "Niederlassungsbewilligung – Künstler" zulässig.
3.2. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in seiner Entscheidung vom 11. Juni 2018, E4360/2017, ausgesprochen, dass §43a Abs2 NAG zweifelsfrei festlegt, dass eine Haftungserklärung sowohl bei unselbständigen Künstlern als auch bei selbständigen Künstlern zulässig ist. Gemäß §43a Abs1 Z2 NAG soll eine "Niederlassungsbewilligung – Künstler" nur jenen selbständigen Künstlern gewährt werden, deren künstlerische Tätigkeit eine gewisse Intensität erreicht; dies nimmt der Gesetzgeber an, wenn der Unterhalt durch das Einkommen gedeckt ist. Da §43a Abs2 NAG die Abgabe einer Haftungserklärung für zulässig erklärt, bleibt – wird eine Haftungserklärung für einen selbständigen Künstler abgegeben – hinsichtlich der Intensität der Tätigkeit lediglich zu prüfen, ob die Tätigkeit des Drittstaatsangehörigen überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt ist.
3.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Bezugnahme auf dieses Erkenntnis in seiner – im Zuge einer Amtsrevision gegen die verfahrensgegenständliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes – ergangenen Entscheidung vom 9. September 2020, Ra 2020/22/0121, Folgendes ausgeführt: Die besondere Erteilungsvoraussetzung des §43a Abs1 Z2 NAG, wonach der Unterhalt durch das Einkommen aus künstlerischer Tätigkeit gedeckt sein solle, verweise nicht auf die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des §11 Abs2 Z4 bzw Abs5 NAG betreffend ausreichende Unterhaltsmittel (deren Vorliegen sich an den Richtsätzen des §293 ASVG orientiere). §11 Abs5 und §43a Abs1 Z2 NAG verfolgten unterschiedliche Ziele und das Erfordernis der Unterhaltungsdeckung im Sinne des §43a Abs1 Z2 NAG sei unabhängig von §11 Abs5 NAG zu beurteilen. Im Rahmen des §43a Abs1 Z2 NAG sei somit zu prüfen, ob die Tätigkeit des Drittstaatsangehörigen überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt sei. Dieses aus künstlerischer Tätigkeit erwirtschaftete Einkommen müsse grundsätzlich geeignet sein, den Unterhalt des Drittstaatsangehörigen zu decken, es sei jedoch nicht an den Richtwerten des §293 ASVG zu messen und eröffne einen Spielraum, um allenfalls eine ungleiche Intensität der künstlerischen Tätigkeit aus besonderen Gründen berücksichtigen zu können.
3.4. Das Verwaltungsgericht Wien hat seine Entscheidung ausschließlich damit begründet, dass das Einkommen des Beschwerdeführers seinen gemäß §11 Abs5 NAG iVm §293 ASVG berechneten Unterhalt nicht decke, da auf Grund dieser Berechnung ein monatliches Einkommen von € 1.255,28 nachzuweisen sei. Es handle sich bei dem Erfordernis, dass der Unterhalt durch das Einkommen aus künstlerischer Tätigkeit gedeckt werden müsse, um eine besondere Erteilungsvoraussetzung, die nicht durch eine Haftungserklärung substituiert werden könne. Die vom Beschwerdeführer vorgelegte Haftungserklärung vom 26. November 2019 sei daher unbeachtlich und die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
3.5. Dabei verkennt das Verwaltungsgericht Wien jedoch die Rechtslage entsprechend der oben dargestellten Rechtsprechung des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes (VfGH 11.6.2018, E4360/2017; VwGH 9.9.2020, Ra 2020/22/0121). Demnach ist der Unterhaltsbegriff des §43a Abs1 Z2 NAG nicht im Sinne des Unterhalts im Sinne des §11 Abs5 NAG zu verstehen. Das Verwaltungsgericht hätte sich daher mit der Intensität der künstlerischen Tätigkeit auseinanderzusetzen gehabt und prüfen müssen, ob die Tätigkeit des Drittstaatsangehörigen im Sinne der oben dargelegten Ausführungen überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt ist sowie ob besondere Gründe vorliegen, die im Rahmen des – bei §43a Abs1 Z2 NAG bestehenden – Spielraumes zu berücksichtigen sind. Da das Verwaltungsgericht Wien diese Prüfung unterlassen hat und ausschließlich auf den Unterhalt im Sinne des §11 Abs5 NAG abgestellt hat, ist die Entscheidung mit Willkür behaftet.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
Schlagworte
Fremdenrecht, UnterhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E1377.2020Zuletzt aktualisiert am
17.02.2021