RS Vfgh 2020/11/24 E3039/2020 ua

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Veröffentlicht am 24.11.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §34, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter betreffend eine Familie aus Afghanistan; keine ausreichende Auseinandersetzung mit der Situation Minderjähriger im Herkunftsstaat sowie mit der Unterstützungsmöglichkeit durch Familienangehörige

Rechtssatz

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) hat sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welche konkrete Rückkehrsituation Familien mit minderjährigen Kindern tatsächlich vorfinden werden. Dabei reicht die Begründung, dass diese auf den Schutz und die Fürsorge ihrer Eltern vertrauen können, nicht aus. Es bedarf Ermittlungen hinsichtlich der Frage, ob das im Herkunftsstaat bestehende Familiennetzwerk tatsächlich willens und auch in der Lage ist, die Familie zu unterstützen. Das BVwG gibt in seinem Erkenntnis weder Länderberichte zur Situation von Kindern in Afghanistan wieder noch setzt es sich konkret und nachvollziehbar damit auseinander, ob den zum Zeitpunkt der Entscheidung fünfzehn- bzw elfjährigen dritt- bzw viertbeschwerdeführenden Parteien im Fall einer Rückkehr eine Verletzung in ihren gemäß Art2 und Art3 EMRK gewährleisteten Rechten droht.

Ferner hat sich das BVwG nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Angehörigen der beschwerdeführenden Parteien tatsächlich willens und in der Lage sind, diese zu unterstützen. So stellt es in Bezug auf die Angehörigen der Erstbeschwerdeführerin fest, dass der Kontakt seit einem Jahr unterbrochen sei. Demgegenüber geht es in den rechtlichen Erwägungen davon aus, die Erstbeschwerdeführerin hätte nach wie vor einen umfangreichen familiären Anschluss in ihrer Heimat. Weiters führt es aus, der Zweitbeschwerdeführer habe zwar Kontakt zu seinen Angehörigen im Iran, sein Vater sei überdies Eigentümer eines vermieteten Textilgeschäftes und eines Hauses in der Stadt Herat. Dass dieses Haus den beschwerdeführenden Parteien bei ihrer Rückkehr als Unterkunft dienen könne oder die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien im Textilgeschäft einer Arbeit nachgehen könnten, wird vom BVwG aber gerade nicht erörtert. Vielmehr bedient sich das BVwG in den Feststellungen und der rechtlichen Beurteilung selbst Formulierungen, die darauf schließen lassen, dass die Unterstützung durch die Angehörigen mit Unsicherheit behaftet ist. Die bezughabende Beweiswürdigung ist ohne Begründungswert. Auch aus den in den Gerichts- und Verwaltungsakten befindlichen Niederschriften kann nicht geschlossen werden, dass die Familienangehörigen tatsächlich willens und in der Lage wären, die beschwerdeführenden Parteien zu unterstützen.

Die Entscheidung des BVwG ist daher jedenfalls hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien begründungslos ergangen. Dieser Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidung betreffend die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien durch und belastet auch diese mit (objektiver) Willkür.

Entscheidungstexte

  • E3039/2020 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 24.11.2020 E3039/2020 ua

Schlagworte

Asylrecht / Vulnerabilität, Kinder, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E3039.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.02.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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