RS Vfgh 2020/11/24 E473/2020

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Veröffentlicht am 24.11.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

EMRK Art8
AsylG §10, §55, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen und Erlassung einer Rückkehrentscheidung betreffend einen über 17 Jahre im Bundesgebiet lebenden Staatsangehörigen der Ukraine; keine ausreichende Berücksichtigung der dem Beschwerdeführer - trotz zweimaliger Antragstellung - nicht anzulastenden Aufenthaltsdauer sowie der Beziehung zum minderjährigen Sohn

Rechtssatz

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) verkennt, dass im Fall eines seit fast 18 Jahren bestehenden Aufenthaltes im Bundesgebiet eine Aufenthaltsbeendigung nur ausnahmsweise, bei Vorliegen besonderer Gründe im Lichte des Art8 EMRK gerechtfertigt ist. Solche, das persönliche Interesse des - strafrechtlich unbescholtenen - Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegende Umstände hat das BVwG nicht dargetan und sind auch für den VfGH nicht ersichtlich.

Das BVwG sieht den Eingriff in das Privat- und Familienleben als iSd Art8 EMRK gerechtfertigt an, da das Familienleben nicht stark ausgeprägt sei und die Integration nicht in hohem Grad bestehe. Der Beschwerdeführer hat jedoch eine in Österreich lebende Ex-Frau, mit der er weiterhin in Kontakt steht, sowie einen gemeinsamen minderjährigen Sohn, der bei der Ex-Frau lebt. Der Beschwerdeführer sieht seinen Sohn regelmäßig und unternimmt mit ihm diverse Aktivitäten. In der Zwischenzeit hat er telefonischen Kontakt mit ihm. Aus einem in der Entscheidung wiedergegebenen Auszug des Verhandlungsprotokolls ergibt sich zudem, dass der Beschwerdeführer eine österreichische Freundin hat sowie "dass die Deutschkenntnisse des BF gut sind". Da der Beschwerdeführer mangels Aufenthaltstitels keine Arbeitsbewilligung hat, arbeitet er nicht, führt aber diverse Aushilfstätigkeiten durch.

Das BVwG führt zu Recht gegen das Gewicht des persönlichen Interesses des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet ins Treffen, dass der Beschwerdeführer zwischen seinem Erst- und Zweitantrag nicht ausgereist ist. Dies ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass im Verfahren über den Erstantrag vom Zeitpunkt der Antragsstellung bis zur endgültigen rechtskräftigen Erledigung des Asylgerichtshofes acht Jahre verstrichen sind. Das zweite Verfahren hat bis zur endgültigen Erledigung weitere fünf Jahre gedauert, die Länge des Verfahrens wurde in keiner Weise durch den Beschwerdeführer verzögert. Es liegt in der Verantwortung des Staates, die Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur rechtskräftigen Entscheidung - ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass dem Beschwerdeführer die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre - wie hier beim ersten Asylverfahren acht Jahre bzw insgesamt 13 Jahre vergehen.

Weiters lässt das BVwG eine ausreichende Auseinandersetzung mit der Beziehung zum minderjährigen Sohn vermissen und lässt das Kindeswohl außer Acht, obwohl dieses besonders zu berücksichtigen ist. Nach der Rsp des VfGH sind die konkreten Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung für einen Elternteil auf das Wohl eines Kindes zu ermitteln. Eine unzureichende Berücksichtigung des Kindeswohles kann zur Fehlerhaftigkeit der Interessenabwägung und somit zu einer Verletzung des Art8 EMRK führen. An Integration bzw Familienleben hat der Beschwerdeführer außerdem gute Deutschkenntnisse, eine österreichische Freundin und eine Ex-Frau, mit der er weiterhin in Kontakt steht, aufzuweisen. Die lange Verfahrensdauer durfte zudem die Erwartung wecken, dass nicht zwangsläufig mit einer abweisenden Entscheidung zu rechnen sei.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Privat- und Familienleben, Rückkehrentscheidung, Verfahrensdauer überlange

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E473.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.02.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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