RS Vfgh 2020/11/24 E2575/2019

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Veröffentlicht am 24.11.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen minderjährigen Staatsangehörigen von Afghanistan; keine ausreichende Auseinandersetzung mit den Anforderungen an die Rückkehr von Personen, die lange Zeit außerhalb des Herkunftsstaates gelebt haben, im Hinblick auf Länderberichten des EASO

Rechtssatz

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) bescheinigt dem minderjährigen (mj) Beschwerdeführer ein besonders hohes Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit, das es darauf zurückführt, dass der mj Beschwerdeführer auf sich allein gestellt nach Österreich gekommen sei, hier ein selbständiges Leben führe und sich durch den langjährigen Schulbesuch in Pakistan und Österreich ein für Afghanistan überdurchschnittliches Wissen angeeignet habe, und kommt zum Ergebnis, dass sich der mj Beschwerdeführer auch ohne spezifische Berufsausbildung und Ortskenntnisse auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan werde behaupten können.

Das BVwG lässt gänzlich außer Acht, dass der mj Beschwerdeführer in Afghanistan nie die Schule besucht hat, ihm jegliche Berufserfahrung fehlt und er den weit überwiegenden Teil seines siebzehnjährigen Lebens außerhalb Afghanistans verbracht hat und in Afghanistan auf kein einschlägiges Unterstützungsnetzwerk zugreifen kann oder dort über sonstige Bindungen verfügt.

Von Rückkehrern nach Afghanistan, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben, bedarf es qualifizierter Umstände, insbesondere im Hinblick auf Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis sowie Bildungs- und Berufserfahrung einschließlich Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans, um von einer im Hinblick auf Art2 und Art3 EMRK zumutbaren Rückkehrsituation ausgehen zu können. Für den VfGH ist nicht ersichtlich, auf Grund welcher Umstände dem mj Beschwerdeführer, der seit seinem frühen Kindesalter außerhalb Afghanistans gelebt hat und der in Afghanistan weder über ein einschlägiges Unterstützungsnetzwerk noch sonstige Bindungen am Zielort verfügt, der keine Ortskenntnisse besitzt und dem jegliche Berufserfahrung fehlt, eine Rückkehr in die Neuansiedlungsgebiete Herat und Mazar-e Sharif zumutbar sein soll. Dass der mj Beschwerdeführer ein junger, gesunder Mann im erwerbsfähigen Alter ist, der mit der Landessprache und den afghanischen kulturellen Gepflogenheiten vertraut ist, genügt den sich hier stellenden besonderen Anforderungen an eine zumutbare Rückkehr ebensowenig wie eine sich in Österreich zeigende Selbstständigkeit des mj Beschwerdeführers.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht / Vulnerabilität, Entscheidungsbegründung, Kinder, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E2575.2019

Zuletzt aktualisiert am

19.02.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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