Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks mangels Angabe der wesentlichen Entscheidungsgründe in der Niederschrift zur mündlichen VerkündungSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein irakischer Staatsangehöriger und bekennt sich zum muslimisch-schiitischen Glauben. Er stellte nach Einreise ins Bundesgebiet am 7. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er dahingehend begründete, er sei – nachdem er im Herkunftsstaat als Arzt in der Notaufnahme des Krankenhauses einen Sunniten mit Schussverletzungen behandelt habe – von bewaffneten Milizen aufgesucht, geschlagen und mit dem Tod bedroht worden.
2. Mit Bescheid vom 21. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak als unbegründet ab. Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und sprach aus, dass die Abschiebung in den Herkunftsstaat zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit am 23. Juni 2020 mündlich verkündetem und am 13. Juli 2020 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis ab. Als "Begründung" hielt das Bundesverwaltungsgericht in der Niederschrift vom 23. Juni 2020 Folgendes fest:
"Asylrelevante Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates konnten nicht festgestellt werden.
Die vom BF seit Juli 2015 gesetzten Aktivitäten in Österreich sind nicht als außergewöhnliche Integrationsbemühungen zu werten, die eine Rückkehrentscheidung unzulässig machen würden."
Mit Schreiben vom 29. Juni 2020 beantragte der Beschwerdeführer die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.
In der schriftlichen Ausfertigung vom 13. Juli 2020 führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen begründend aus, das fluchtrelevante Vorbringen habe der Beschwerdeführer widersprüchlich und in wesentlichen Punkten für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar geschildert; eine wohlbegründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung habe der Beschwerdeführer sohin nicht glaubhaft machen können. Anhaltspunkte für eine reale Gefahr der Verletzung in den gemäß Art2 und 3 EMRK sowie 6. und 13. ZPEMRK gewährleisteten Rechten sind nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer sei ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann mit abgeschlossener Ausbildung und mehrjähriger Berufserfahrung als Mediziner. Er werde bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in der Lage sein, sich mit eigener Erwerbstätigkeit ein ausreichendes Einkommen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhaltes erwirtschaften können. Ferner könne er finanzielle Unterstützung von seiner in gehobenen wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Kernfamilie erhalten. Zwar habe das Asylverfahren bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes fünf Jahre gedauert, doch sei diese lange Verfahrensdauer zu einem Teil dem Beschwerdeführer selbst zuzurechnen, zumal er zwischenzeitlich nach Schweden ausgereist sei. Auch habe der Beschwerdeführer einige nennenswerte integrative Schritte – wie etwa Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1, eine kurzzeitige Erwerbstätigkeit, zahlreiche ehrenamtliche Engagements und daraus resultierende private Bekanntschaften – gesetzt, er habe sich aber nicht um Anerkennung seiner medizinischen Ausbildung bemüht. Insgesamt könne daher nicht von einer außergewöhnlichen Integration des Beschwerdeführers ausgegangen werden. Das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen überwiege daher gegenüber dem privaten Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift wurde Abstand genommen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
4. Ein mündlich verkündetes Erkenntnis, dessen wesentliche Begründung nicht aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung hervorgeht, ist mangels Gelegenheit zur nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof schon aus diesem Grund mit Willkür belastet (vgl VfSlg 20.267/2018); dies trotz Vorliegens der schriftlichen Ausfertigung dann, wenn das mündlich verkündete Erkenntnis überhaupt nicht begründet ist (vgl VfGH 13.12.2019, E2855/2019 ua; 26.6.2020, E902/2020).
5. Das Bundesverwaltungsgericht hält in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung unter der Überschrift "Begründung" lediglich fest, es hätten keine asylrelevanten Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates festgestellt werden können. Ferner seien die vom Beschwerdeführer im Bundesgebiet seit Juli 2015 gesetzten Aktivitäten nicht als außergewöhnliche Integrationsbemühungen zu werten, die eine Rückkehrentscheidung unzulässig machen würden.
6. Damit ist es dem Bundesverwaltungsgericht aber nicht gelungen, das Mindestmaß einer für die nachprüfende Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof erforderlichen Begründung zu erreichen, trifft es doch im Hinblick auf den Asylstatus bloß eine pauschale Aussage ohne jedwede Individualisierung in Bezug auf den Beschwerdefall; mangels Begründungswert kommt dieser sohin einer Nichtbegründung gleich. Eine Begründung betreffend den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Art2 und 3 EMRK fehlt gänzlich. Lediglich betreffend Art8 EMRK findet sich ein Ansatz einer Begründung. Eine solche "Begründung" widerspricht sowohl den Anforderungen des §29 Abs2 VwGVG als auch den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen, womit das angefochtene Erkenntnis mit Willkür belastet wird.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, da der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im vollen Umfang des §64 ZPO genießt.
Schlagworte
Asylrecht, Verhandlung mündliche, Entscheidungsverkündung, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E2750.2020Zuletzt aktualisiert am
18.02.2021