Index
001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
GewO 1994 §13 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, den Hofrat Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa-Janovsky, über die Revision des S M in W, vertreten durch die Dr. Riess Rechtsanwälte GmbH in 1080 Wien, Zeltgasse 3/12, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 25. Juni 2020, Zl. VGW-105/020/3124/2020-2, betreffend Entziehung der Gewerbeberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien Magistratisches Bezirksamt für den 2./20. Bezirk), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 1. Der Revisionswerber wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12. Mai 2016 schuldig erkannt, am 26. November 2012 in Wien als Geschäftsführer der M&S GmbH im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einer weiteren abgesondert verfolgten Person mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, die Verfügungsberechtigten einer Versicherung durch Vortäuschung der Tatsache der Durchführung von Bauleistungen unter Verwendung falscher Beweismittel zur Auszahlung eines vermeintlichen Rechnungsbetrages in Höhe von € 19.960,-- verleitet und dadurch am Vermögen geschädigt zu haben. Er habe dadurch den Tatbestand der §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 5. Fall StGB erfüllt, weswegen über ihn eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten, nachgesehen unter Bestimmungen einer Probezeit von drei Jahren, verhängt wurde.
2 Mit Bescheid vom 16. Jänner 2020 entzog die belangte Behörde dem Revisionswerber gemäß § 87 Abs. 1 Z 1 iVm § 13 Abs. 1 Z 1 lit. b GewO 1994 die Gewerbeberechtigung zur Ausübung des „Gastgewerbes in der Betriebsart Herberge“ an einem bestimmten Standort.
3 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) die Beschwerde des Revisionswerbers gegen diesen Entziehungsbescheid ab. Die Revision erklärte es für unzulässig.
4 Neben der eingangs festgehaltenen Verurteilung stellte das Verwaltungsgericht fest, es würden zwei weitere strafgerichtliche Verurteilungen des Revisionswerbers aus den Jahren 2004 und 2005 wegen des Vergehens des Raufhandels und wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung vorliegen. In beiden Fällen sei jeweils eine bedingte Freiheitsstrafe verhängt worden. Letztlich lägen verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen unter anderem aus den Jahren 2017 und 2016 wegen Verstößen gegen das TNRSG und das AuslBG vor.
5 Ausgehend von diesen Feststellungen führte das Verwaltungsgericht in der Begründung aus, es sei im vorliegenden Fall zuzugestehen, dass der seit der Tatverwirklichung verstrichene Zeitraum den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs angesprochenen Rahmen von sieben Jahren überschreite. Jedoch handle es sich im vorliegenden Fall nicht um eine Ersttat, sondern sei der Revisionswerber bereits acht bzw. sieben Jahre vor der Begehung dieses Delikts wegen zweier Vergehen gegen Leib und Leben strafrechtlich verurteilt worden. Auch wenn es sich dort nicht um dasselbe verletzte Rechtsgut gehandelt habe, so werde die Bedeutung des Wohlverhaltens durch diesen Umstand deutlich relativiert und zeige, dass auch eine längere Zeit des Wohlverhaltens keine Gewähr dafür biete, der Revisionswerber werde sich in Zukunft rechtskonform verhalten. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der Revisionswerber überdies verwaltungsstrafrechtlich auffällig geworden sei, wobei der Verstoß gegen die Bestimmungen des AuslBG als schwerwiegende Verwaltungsübertretung gelte. Neben der Höhe der verhängten Strafe sei überdies zu werten, dass sich der Revisionswerber im Strafverfahren weder reumütig gezeigt habe noch von seiner leugnenden Haltung abgewichen sei. Besondere Umstände für die Berücksichtigung der bedingten Strafnachsicht seien nicht aufgezeigt worden. Das der gerichtlichen Verurteilung zugrunde liegende Verhalten sei bei Ausübung des verfahrensgegenständlichen Gewerbes jedenfalls denkbar und im Lichte der Gesamtbeurteilung des Persönlichkeitsbildes des Revisionswerbers keinesfalls ausgeschlossen.
6 3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis aufzuheben.
7 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, mit welcher sie - ohne nähere Begründung - beantragte, die Revision zurück- bzw. abzuweisen.
8 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 4.1. Die Revision bringt zur Zulässigkeit unter anderem vor, es sei vom Verwaltungsgerichtshof zu klären, ob bei der Erstellung der Prognose im Entziehungsverfahren wegen Vorliegen einer strafrechtlichen Verurteilung Verwaltungsübertretungen der betreffenden Person zu berücksichtigen seien. Die Revision ist in Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig.
10 4.2. Nach § 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 ist die Gewerbeberechtigung von der Behörde zu entziehen, wenn auf den Gewerbeinhaber die Ausschlussgründe des § 13 Abs. 1 oder 2 GewO 1994 zutreffen und nach der Eigenart der strafbaren Handlung und nach der Persönlichkeit des Verurteilten die Begehung der gleichen oder einer ähnlichen Straftat bei der Ausübung des Gewerbes zu befürchten ist.
11 Gemäß § 13 Abs. 1 Z 1 lit. b iVm Z 2 GewO 1994 sind natürliche Personen von der Ausübung eines Gewerbes ausgeschlossen, wenn sie von einem Gericht wegen einer sonstigen strafbaren Handlung zu einer drei Monate übersteigenden Freiheitsstrafe oder zu einer Geldstrafe von mehr als 180 Tagessätzen verurteilt worden sind und die Verurteilung nicht getilgt ist.
12 4.3. Der Revisionswerber wendet sich gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Prognoseentscheidung. Diesbezüglich macht er geltend, es sei eine bedingte Haftstrafe verhängt worden, die seiner strafgerichtlichen Verurteilung zugrunde liegende Straftat würde Jahre zurückliegen. Die vom Verwaltungsgericht zur Entkräftung des Wohlverhaltens herangezogenen Verurteilungen seien bereits seit etwa sechs Jahren getilgt. Diese könnten daher die Vermutung, der mittlerweile 64 Jahre alte Revisionswerber könnte trotz achtjährigem Wohlverhalten einschlägig rückfällig werden, nicht begründen. Zudem unterliege das Verwaltungsgericht einem Irrtum, wenn es davon ausgehe, dass die Entziehung davon abhänge, dass die betreffende Person sich künftig wohlverhalten werde. Vielmehr müsse die Begehung einer gleichen oder ähnlichen Straftat - also ein gegen dasselbe Rechtsgut gerichtetes Delikt - zu befürchten sein.
13 4.4. Vorweg ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach es für den Entziehungstatbestand des § 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 erforderlich ist, dass die Gewerbebehörde auf Grundlage des Verhaltens in der Vergangenheit eine begründete und nachvollziehbare Prognose über das zukünftige Verhalten einer Person anstellt. Die Prognose nach § 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 setzt daher die Feststellung der Tathandlungen voraus, die der (den Ausschlussgrund nach § 13 Abs. 1 GewO 1994 bildenden) Verurteilung konkret zugrunde gelegen sind und von denen die Gewerbebehörde in Bindung an die rechtskräftige Verurteilung bei ihrer Prognose auszugehen hat (vgl. VwGH 12.6.2013, 2013/04/0064).
14 Ausgehend von dieser Rechtsprechung ist fallbezogen festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht zu dem Schluss gekommen ist, dass die strafrechtlichen Verurteilungen aus den Jahren 2004 und 2005 sowie die verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen dazu führen müssten, das bereits lang andauernde Wohlverhalten des Revisionswerbers in Hinblick auf die anzustellende Prognose zu relativieren.
15 Voranzustellen ist, dass die Erstellung einer Prognose, die für die Frage der Berechtigung der Entziehung der Gewerbeberechtigung anzustellen ist, von den Umständen des Einzelfalles abhängt, die jeweils einer Gesamtbetrachtung zu unterziehen sind. Auch eine schematische Festlegung betreffend die Dauer des erforderlichen Wohlverhaltens ist in diesem Zusammenhang nicht angebracht, weil auch diese immer im Kontext zu den anderen jeweils vorliegenden Umständen zu betrachten ist.
16 Es ist dem Verwaltungsgericht nicht darin zu widersprechen, dass grundsätzlich nicht nur andere als die Anlass gebende strafrechtliche Verurteilung sondern auch die verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen als einzelfallbezogene Umstände in die Prognose einfließen dürfen. Vor dem Hintergrund der oben wiedergegebenen Rechtsprechung ist dazu jedoch hier festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht zu den in die Prognoseentscheidung einbezogenen strafrechtlichen Verurteilungen keine Feststellungen zu den zugrunde liegenden Tathandlungen getroffen hat, sodass eine Überprüfung der vom Verwaltungsgericht gezogenen Schlussfolgerung nicht möglich ist. Dasselbe trifft auf die vom Verwaltungsgericht festgestellten verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen zu. Ohne Feststellungen zu den den jeweiligen Strafen zugrunde liegenden Tathandlungen kann eine Gewichtung dieser Umstände nicht vorgenommen werden.
17 4.5. Aufgrund des oben Gesagten liegen im vorliegenden Fall sekundäre Feststellungsmängel vor, die eine abschließende rechtliche Beurteilung verhindern. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
18 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung.
Wien, am 18. Jänner 2021
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020040124.L00Im RIS seit
31.03.2021Zuletzt aktualisiert am
31.03.2021