TE OGH 2020/11/24 33R69/20i

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Veröffentlicht am 24.11.2020
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht ***** wegen des Einspruchs gegen das österreichische Patent Nr. 510824 über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der Technischen Abteilung des Patentamts vom 3.12.2019, 3 A 1951/2010-11, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Begründung

Text

1. Die Antragsgegnerin ist die Inhaberin des österreichischen Patents Nr. 510824 (Streitpatent) „Farbmischende Sammeloptik“ mit den folgenden Ansprüchen:

1.       Farb- und lichtmischende Sammeloptik, insbesonders als vollfarbtaugliches Pixel für bildgebende Anzeigetafeln im Freien, für Spotlichter oder Signalisierung, bestehend aus einer LED-Lichtquelle, sowie einem davor angeordneten Lichtleiterstab und einer Sammellinse, dadurch gekennzeichnet, dass die LED-Lichtquelle (1) mehrere LED-Kristalle (R, G, B) enthält, die Lichteintrittsfläche (3) des Lichtleiterstabes (2) vor der Lichtaustrittsfläche der LED-Lichtquelle (1) angeordnet ist und Licht jedes LED-Kristalls einfängt, dass sich der Lichtleiterstab (2) senkrecht zur Eintrittsfläche (3) erstreckt und dass sein Querschnitt konstant ist oder allmählich zunimmt, und dass der Lichtaustritt (4) des Lichtleiterstabes (2) sich im Bereich des Fokus (F) der Sammellinse (5) befindet.

2.       Sammeloptik nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Lichtleiterstab (2) eine Länge aufweist, die ein Vielfaches des Durchmessers der Eintrittsfläche (3) ist.

3.       Sammeloptik nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die LED-Kristalle unterschiedliche Farben abstrahlen.

4.       Sammeloptik nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Lichtquelle (1) eine FullColor- oder Multi-LED mit einer Anzahl von Kristallen und/oder Farben in einem gemeinsamen Gehäuse ist.

5.       Sammeloptik nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass die Lichtquelle (1) eine FullColor- oder Multi-LED mit drei Kristallen in den Grundfarben Rot, Grün und Blau ist.

6.       Sammeloptik nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Lichtquelle (1) aus mehreren LED mit einzelnen Kristallen und gleicher Abstrahlungsrichtung in dichter Anordnung besteht.

7.       Sammeloptik nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Lichtquelle (1) aus mehreren Kristallen auf einer gemeinsamen Leiterplatte in Chip-on-Board-Technik aufgebaut ist.

8.       Sammeloptik nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die LED-Kristalle an elektrisch getrennten Stromquellen betrieben werden und bei Störung eines Kreises der andere oder nächste LED-Kristall weiterleuchtet und hierdurch eine Ausfall-Sicherheit oder auch ein Farbwechsel in der Abstrahlung erzielt wird.

9.       Sammeloptik nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, dass die Lichtaustrittsflächen der LED unmittelbar an die Eintrittsfläche (3) des Lichtleiterstabes (2) angrenzen.

10.     Sammeloptik nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet, dass die Mantelfläche des Lichtleiterstabes (2) aus Ebenen gebildet ist, welche scharfkantig aneinandergrenzen und somit jeder Querschnitt die Form eines Polygons aufweist.

11.     Sammeloptik nach Anspruch 10, dadurch gekennzeichnet, dass der Lichtleiterquerschnitt ein gleichseitiges Dreieck oder regelmäßiges Sechseck, Quadrat oder Rechteck ist.

12.     Sammeloptik nach Anspruch 10 oder 11, dadurch gekennzeichnet, dass der Querschnitt des Lichtleiterstabes (2) über dessen Länge konstant bleibt oder sich allmählich erweitert.

13.     Sammeloptik nach einem der Ansprüche 1 bis 12, dadurch gekennzeichnet, dass der Lichtleiterstab (2) an allen seinen Oberflächen optisch glatt hochglanzpoliert ist und sein Material frei von lichtstreuenden Komponenten ist.

14.     Sammeloptik nach einem der Ansprüche 10 bis 13, dadurch gekennzeichnet, dass der Lichtaustritt (4) des Lichtleiterstabes (2) in seinem Umriss bereits weitgehend der auf den Kopf gestellten benötigten Lichtverteilung entspricht und das durchtretende Licht durch die vorgeschaltete Sammellinse (5) nach dem optischen Projektionsgesetz in Form des aufrechten Umrisses abgestrahlt wird.

15.     Sammeloptik nach einem der Ansprüche 12 bis 14, dadurch gekennzeichnet, dass der Lichtleiterquerschnitt die Gestalt eines Pfeiles, Kreuzes oder eines ähnlichen Symbols aufweist.

16.     Sammeloptik nach einem der Ansprüche 1 bis 15, dadurch gekennzeichnet, dass der Sammellinse optische Strukturen nachgereiht sind, durch welche die Lichtverteilung verändert oder gestreut wird.

17.     Sammeloptik nach Anspruch 16, dadurch gekennzeichnet, dass die optischen Strukturen (7) der Außenfläche (6) der Sammellinse (5) überlagert sind.

18.     Sammeloptik nach zumindest einem der Ansprüche 1 bis 17, dadurch gekennzeichnet, dass der Lichtaustritt (4) des Lichtleiterstabes (2) nur virtuell vorhanden ist und der Lichtleiterstab (2) unmittelbar in die Sammellinse (5) übergeht.

19.     Sammeloptik nach zumindest einem der Ansprüche 1 bis 18, dadurch gekennzeichnet, dass in Verlängerung des Lichtleiters (2) optisch wirksame Flächen (8, 8a) oder Oberflächenstrukturen (7) angrenzen, welche das austretende Licht durch Brechung oder Totalreflexion bündeln, ablenken oder streuen.

20.     Sammeloptik nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Lichtquelle (1) durch Verwendung von Konversionsmaterial eine Lichtaustrittsfläche mit lückenloser Anordnung von LED-Kristallen, welche örtlich unterschiedliche Farb- und Helligkeitseigenschaften besitzen, aufweist.

2. Die Antragstellerin machte im Einspruch das Fehlen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit geltend und beantragte den Widerruf des Streitpatents zur Gänze. Dabei berief sie sich auf folgende Entgegenhaltungen:

E1           US 2007/0024971 A1                             01.02.2007

E2           EP 2 163 455 A2                                17.03.2010

E3           WO 2004/057384 A1                              08.07.2004

E4          JP 2003-262795 A                               19.09.2003

E5           EP 2 211 090 A1                                28.07.2010

E6           WO 2010/113091 A1                              07.10.2010

E7           US 2009/0052189 A1                             26.02.2009

E8           WO 03/107441 A2                                24.12.2003

3. Die Antragsgegnerin beantragte, den Einspruch abzuweisen und das Streitpatent aufrechtzuerhalten.

4. Die Technische Abteilung des Patentamts (TA) gab dem Einspruch teilweise statt. Sie formulierte einen neuen Anspruch 1 mit einem aus den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 10 gebildeten Oberbegriff und einem aus dem ursprünglichen Anspruch 14 gebildeten kennzeichnenden Teil und hielt die ursprünglichen Ansprüche 11, 13 und 15–19 (unter Anpassung der Rückbeziehungen) als neue Ansprüche 2 bis 8 aufrecht. Im Übrigen widerrief sie das Streitpatent wegen des Fehlens der Neuheit oder der erfinderischen Tätigkeit. Demnach verblieben die folgenden Patentansprüche:

1.       Farb- und lichtmischende Sammeloptik, insbesonders als vollfarbtaugliches Pixel für bildgebende Anzeigetafeln im Freien, für Spotlichter oder Signalisierung, bestehend aus einer LED-Lichtquelle, sowie einem davor angeordneten Lichtleiterstab und einer Sammellinse, wobei die LED-Lichtquelle (1) mehrere LED-Kristalle (R, G, B) enthält, die Lichteintrittsfläche (3) des Lichtleiterstabes (2) vor der Lichtaustrittsfläche der LED-Lichtquelle (1) angeordnet ist und Licht jedes LED-Kristalls einfängt, wobei sich der Lichtleiterstab (2) senkrecht zur Eintrittsfläche (3) erstreckt und sein Querschnitt konstant ist oder allmählich zunimmt und sich der Lichtaustritt (4) des Lichtleiterstabes (2) sich im Bereich des Fokus (F) der Sammellinse (5) befindet, wobei die Mantelfläche des Lichtleiterstabes (2) aus Ebenen gebildet ist, welche scharfkantig aneinandergrenzen und somit jeder Querschnitt die Form eines Polygons aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass der Lichtaustritt (4) des Lichtleiterstabes (2) in seinem Umriss bereits weitgehend der auf den Kopf gestellten benötigten Lichtverteilung entspricht und das durchtretende Licht durch die vorgeschaltete Sammellinse (5) nach dem optischen Projektionsgesetz in Form des aufrechten Umrisses abgestrahlt wird.

2.       Sammeloptik nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Lichtleiterquerschnitt ein gleichseitiges Dreieck oder regelmäßiges Sechseck, Quadrat oder Rechteck ist.

3.       Sammeloptik nach einem der Ansprüche 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass der Lichtleiterstab (2) an allen seinen Oberflächen optisch glatt hochglanzpoliert ist und sein Material frei von lichtstreuenden Komponenten ist.

4.       Sammeloptik nach einem der Ansprüche 1 oder 3, dadurch gekennzeichnet, dass der Lichtleiterquerschnitt die Gestalt eines Pfeiles, Kreuzes oder eines ähnlichen Symbols aufweist.

5.       Sammeloptik nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass der Sammellinse (5) optische Strukturen (7) nachgereiht sind, durch welche die Lichtverteilung verändert oder gestreut wird.

6.       Sammeloptik nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, dass die optischen Strukturen (7) der Außenfläche (6) der Sammellinse (5) überlagert sind.

7.       Sammeloptik nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, dass der Lichtaustritt (4) des Lichtleiterstabes (2) nur virtuell vorhanden ist und der Lichtleiterstab (2) unmittelbar in die Sammellinse (5) übergeht.

8.       Sammeloptik nach zumindest einem der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet, dass in Verlängerung des Lichtleiters (2) optisch wirksame Flächen (8, 8a) oder Oberflächenstrukturen (7) angrenzen, welche das austretende Licht durch Brechung oder Totalreflexion bündeln, ablenken oder streuen.

5. Dagegen richtet sich der Rekurs der Antragsgegnerin wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss zu ändern, den Einspruch abzuweisen und das Streitpatent im vollen Umfang aufrechtzuerhalten. Hilfsweise stellt die Antragsgegnerin einen Aufhebungsantrag und vier Eventualanträge, mit denen sie die weitgehende Aufrechterhaltung des Streitpatents anstrebt.

Die Antragstellerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass dem Rekursgericht Ausfertigungen der angefochtenen Entscheidung vorliegen, deren Seitenumbrüche voneinander abweichen. Es wird daher klargestellt, dass sich die folgenden Zitierungen auf jene Ausfertigung beziehen, die offenkundig den Parteien vorliegt. Dort endet die erste Seite mit „... Umrisses abgestrahlt wird.“, und die zweite Seite beginnt mit dem Anspruch 2 der aufrecht erhaltenen Fassung. Die letzte Seite (Seite 22) beginnt mit einem neuen Absatz: „Da der ursprüngliche Anspruch 14 ...“.

6. Die Antragsgegnerin vertritt auch im Rekurs den Standpunkt, das Streitpatent sei im vollen Umfang neu und erfinderisch. Das Rekursgericht hat dazu erwogen:

6.1 Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Den Stand der Technik bildet alles, was der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag der Anmeldung durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benützung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist (§ 3 Abs 1 PatG). Die Prüfung der Neuheit erfolgt durch einen Einzelvergleich der Merkmale eines Patentanspruchs mit dem Offenbarungsgehalt eines einzelnen im Stand der Technik offenbarten Gegenstands oder Verfahrens (Horkel/Poth in Stadler/Koller, PatG § 3 Rz 7).

6.2 Eine erfinderische Tätigkeit liegt vor, wenn sich die Neuerung für die Fachperson nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt (§ 1 Abs 1 PatG). Die erfinderische Tätigkeit fehlt aber nicht schon dann, wenn die Fachperson aufgrund des Stands der Technik zur Erfindung gelangen hätte können, sondern erst, wenn sie sie aufgrund eines hinreichenden Anlasses in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch tatsächlich vorgeschlagen hätte („could-would-approach“).

Die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit kann insbesondere nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz erfolgen, der sich in drei Phasen gliedert: a) Ermittlung des „nächstliegenden Stands der Technik“, b) Bestimmung der zu lösenden „objektiven technischen Aufgabe“ und c) Prüfung der Frage, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Stands der Technik und der objektiven technischen Aufgabe für die Fachperson naheliegend gewesen wäre (stRsp, zuletzt etwa 4 Ob 17/15a, Gleitlager; 4 Ob 80/18w, Wischkopf; 4 Ob 228/18k, Glatirameracetat). Die „objektive technische Aufgabe“ ist es, die technischen Effekte oder Wirkungen jener Merkmale, welche die beanspruchte Erfindung vom nächstliegenden Stand der Technik unterscheiden, beim nächstliegenden Stand der Technik zu erzielen (Wildhack/Groß/Müller-Huber in Stadler/Koller, PatG Nach § 3 (1) Rz 52).

7. Die Antragsgegnerin wendet sich zunächst gegen die Ansicht der TA, das Dokument E1 zeige sämtliche Merkmale des unabhängigen Anspruchs 1, sodass dieser nicht neu sei (Beschlussseite [BS] 10–12). Sie ordnet diese Ausführungen dem Rekursgrund der „unrichtigen Tatsachenfeststellung“ (aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung) zu. Inhaltlich rügt sie aber ausschließlich die ihrer Ansicht nach unrichtige Beurteilung der Neuheit (§ 3 PatG) durch die TA, bedingt durch fehlende Feststellungen zu der in E1 beschriebenen Erfindung und zum Streitpatent. Die Ausführungen sind daher als Rechtsrüge zu behandeln.

7.1 Zunächst steht sie auf dem Standpunkt, bei der in E1 beschriebenen Erfindung müsse der lichtmischende Stab gerippt sein, während das Streitpatent Rippen vermeide. Die TA hat dieses Argument mit ausführlicher Begründung verworfen (BS 11–12). Das Rekursgericht teilt die Ansicht der TA: Zum einen beschreibt E1 – entgegen dem von seinem Titel erweckten ersten Anschein („Rippled Mixers for Uniformity and Color Mixing“) – drei verschiedene Ausführungsvarianten für die Manteloberfläche des Lichtleiterstabs, nämlich glatt (zB Figuren 16A, 17B), gerippt (zB Figuren 16B, 16C, 17E) sowie teilweise glatt und gerippt (zB Figuren 21A, 21B, 21C, 21D). Der Offenbarungsgehalt von E1 beschränkt sich daher nicht auf gerippte Lichtleiterstäbe. Zum anderen enthält das Streitpatent kein Merkmal, wonach die Manteloberfläche des Lichtleiterstabs Rippen vermeide (zu Anspruch 13 s unten in Punkt 8.3). Auch aus der zur Auslegung heranzuziehenden Beschreibung (vgl § 22a Abs 1 PatG) lassen sich keine Nachteile von Rippen ableiten.

7.2 Die Antragsgegnerin meint, in E1 befinde sich der Lichtaustritt – anders als beim Streitpatent – nicht im Bereich des Fokus der Projektionslinse. Tatsächlich hat der Anspruch 1 des Streitpatents zum Gegenstand, „dass der Lichtaustritt (4) des Lichtleiterstabes (2) sich im Fokus (F) der Sammellinse (5) befindet“. Auch dieses Merkmal ist aber bereits in E1 offenbart: In der Figur 29B fällt die Lichtaustrittsfläche des Lichtleiterstabs mit dem Fokus der Sammellinse zusammen. Eine Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass die Beschreibung des Streitpatents das fragliche Merkmal sogar abschwächt und sich damit begnügt, „dass die Lichtaustrittsfläche möglichst mit dem Fokus zusammenfällt bzw. im den Fokus unmittelbar umgebenden Bereich liegt“ (S 4 der Beschreibung des Streitpatents), erübrigt sich daher.

7.3 Die Antragsgegnerin bringt vor, das Streitpatent beschreibe eine Sammellinse, während E1 nichts über die optischen Eigenschaften der Linse aussage. Die Figur 29B in E1 zeige keine Sammellinse, sondern eine Linse, die mit Totalreflexion arbeite. Diesem Argument folgt das Rekursgericht nicht: Charakteristisch für eine Sammellinse ist, dass die Strahlen beim Eintreten in die Linse und beim Austreten aus der Linse gebrochen und dadurch gebündelt werden. Bei der in Figur 29B abgebildeten Linse ist dies im zentralen, achsnahen Bereich der Fall. In diesem erfolgt die Bündelung der Strahlen ausschließlich durch Brechung. Der abgebildete Kollimator ist damit im zentralen, achsnahen Bereich eine Sammellinse. Nur im achsfernen Bereich sammelt er das weit gestreute Licht zusätzlich mittels Totalreflexion. Die im Streitpatent beschriebene Sammellinse wurde damit ebenfalls bereits durch E1 vorweggenommen.

7.4 Die Antragsgegnerin beruft sich darauf, dass es in Figur 29B schon bei einer geringfügigen Abweichung des Lichtaustritts von der Mittelachse „zu extrem divergierenden Strahlen auf der Abstrahlseite des Kollimators“ komme. Dies ist der Figur 29B aber nicht zu entnehmen, ganz im Gegenteil: Der Strahlengang der nicht auf der Achse liegenden Lichtstrahlen, der im Rekurs punktiert eingetragen ist, ist aus der Figur 29B nicht ersichtlich. Somit kann auch nicht darauf geschlossen werden, dass die nicht unmittelbar achsnahen Strahlen tatsächlich divergieren. Der in der Figur 29B abgebildete Strahlengang divergiert eindeutig nicht. Im Übrigen widmet sich der Anspruch 1 des Streitpatents gar nicht der allfälligen objektiven technischen Aufgabe, divergierende Strahlen auf der Abstrahlseite der Sammellinse zu vermeiden.

7.5 Schließlich tritt die Antragsgegnerin den Ausführungen der TA zu E1 mit dem Argument entgegen, die Linse der Figur 29B habe keinen Fokus. Auch dem vermag sich das Rekursgericht nicht anzuschließen: Der Figur 29B ist zu entnehmen, dass die Strahlen von einem gemeinsamen Punkt ausgehen, durch den Kollimator abgelenkt werden und danach parallel aus diesem wieder austreten. Der Kollimator hat damit sichtlich einen Fokus.

7.6 Zusammengefasst bedarf die Einschätzung der TA, der Anspruch 1 des Streitpatents sei im Lichte des Dokuments E1 nicht neu, keiner Korrektur.

8. Die Antragsgegnerin stellt erstmals im Rekurs vier Eventualanträge mit dem Ziel, das Streitpatent weitgehend aufrechtzuerhalten. Das Rekursgericht hegt keine Bedenken gegen die Zulässigkeit von erstmals im Rekurs gestellten Eventualanträgen, wenn sie sich zum einen an den Grundsätzen des § 104 Abs 4 PatG orientieren und zum anderen im Rekursverfahren auf der Basis des in erster Instanz ausgehend vom Parteienvorbringen ermittelten Sachverhalts abschließend beurteilen lassen (OLG Wien 34 R 16/15w). Beides ist hier der Fall, sodass die Berechtigung der Eventualanträge zu prüfen ist.

8.1 Mit dem ersten Eventualantrag will die Antragsgegnerin den ursprünglichen Anspruch 1 allein um die Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 10 erweitern und die ursprünglichen Ansprüche 2-9 und 11-20 als neue abhängige Ansprüche 2-19 aufrechterhalten. Der fragliche Anspruch 10 enthält das Merkmal, „dass die Mantelfläche des Lichtleiterstabes aus Ebenen gebildet ist, welche scharfkantig aneinandergrenzen und somit jeder Querschnitt die Form eines Polygons aufweist“. Dieses Merkmal wird aber bereits durch die Figuren 22F, 23B und 23C in E1 neuheitsschädlich vorweggenommen.

8.2 Mit dem zweiten Eventualantrag will die Antragsgegnerin den ursprünglichen Anspruch 1 nicht nur um die Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 10, sondern auch um jene des ursprünglichen Anspruchs 11 erweitern, und die ursprünglichen Ansprüche 2–9, 13–14 und 16–20 als neue abhängige Ansprüche 2-16 aufrechterhalten. Der fragliche Anspruch 11 enthält das Merkmal, „dass der Lichtleiterquerschnitt ein gleichseitiges Dreieck oder regelmäßiges Sechseck, Quadrat oder Rechteck ist“. Auch dieses Merkmal wird durch E1 vorweggenommen: So zeigen zB die Figuren 19B, 19C, 20B, 32A und 32D (annähernd) quadratische und die Figuren 16B und 16C rechteckige Lichtleiterquerschnitte. Der Querschnitt in Form eines Quadrats oder Rechtecks ist daher nicht neu. Die Vielfalt der in E1 offenbarten Querschnitte (auch runde, zB Figuren 19A, 20A, 20C) legt der Fachperson auch nahe, den Querschnitt in anderen geometrischen Formen auszubilden, etwa als Dreieck oder Sechseck. Insofern läge dem fraglichen Anspruch 11 daher keine erfinderische Tätigkeit zugrunde.

8.3 Mit dem dritten Eventualantrag will die Antragsgegnerin den ursprünglichen Anspruch 1 um die Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 13 erweitern und die ursprünglichen Ansprüche 2–12 und 14–20 als neue abhängige Ansprüche 2-19 aufrechterhalten. Der fragliche Anspruch 13 enthält das Merkmal, „dass der Lichtleiterstab an allen seinen Oberflächen optisch glatt hochglanzpoliert ist und sein Material frei von lichtstreuenden Komponenten ist“. In der E1 wird das Material des Lichtleiterstabs als optisch durchlässig beschrieben, ohne näher darauf einzugehen. Die Funktionsweise eines Lichtleiters setzt jedoch voraus, dass die Oberflächen möglichst optisch glatt sind und das Material möglichst frei von lichtstreuenden Komponenten ist, weil beides die erwünschte Leitung des Lichts offensichtlich beeinträchtigen würde. Eine Fachperson, die sich die Aufgabe stellt, die Funktionsweise des Lichtleiters optimal zu gestalten, würde deshalb schon aufgrund ihres Fachwissens eine möglichst glatte Oberfläche und ein von lichtstreuenden Komponenten freies Material anstreben, sodass auch dem fraglichen Merkmal 13 keine erfinderische Tätigkeit zugrundeliegt.

8.4 Mit dem vierten Eventualantrag schließlich strebt die Antragsgegnerin eine Neufassung des Anspruchs 1 durch Kombination der Merkmale der ursprünglichen Ansprüche 1, 10, 11 und 13 an. Zur Vermeidung von Wiederholungen ist auf das zu 8.1 bis 8.3 Ausgeführte zu verweisen.

8.5 Das Streitpatent kann daher auch im Lichte der Eventualanträge nicht weiter aufrechterhalten werden als im angefochtenen Beschluss der TA.

9. Schließlich bringt die Antragsgegnerin vor, der ursprüngliche Anspruch 9 sei neu gegenüber E1. Er enthält das Merkmal, „dass die Lichtaustrittsflächen der LED unmittelbar an die Eintrittsfläche (3) des Lichtleiterstabes (2) angrenzen“. Die Antragsgegnerin argumentiert, in E1 werde der Übergang zwischen LED und Lichtleiterstab nur in der Figur 28 behandelt. Der Lichtübertritt erfolge nicht unmittelbar, sondern über den zwischengeschalteten Anschlussadapter 21. Das Rekursgericht folgt diesem Argument nicht: Mit der Positionsnummer 21 wird in der Figur 28 das „input face“ bezeichnet, die den LEDs zugewandte Oberfläche des Lichtleiters (also dessen Eintrittsfläche). Nach der Beschreibung zu Figur 28 können die LEDs mit der Eintrittsfläche verbunden („coupled“) werden [0300], dort ist auch von einem „coating 405“ die Rede. Das Rekursgericht geht davon aus, dass die Antragsgegnerin dies mit dem Begriff „Anschlussadapter“ meint. Allerdings sagt die Beschreibung [0300] dazu aus, dass in „bestimmten Ausführungsformen“ („certain embodiments“) ein solcher „Adapter“ („coating“) vorhanden ist, der nützlich sein kann („may be useful“, [0301]). Das Dokument E1 nimmt damit auch das Merkmal 9 des Streitpatents neuheitsschädlich vorweg. Dass in Figur 28 ein Adapter zwischengeschaltet wäre, kann nicht nachvollzogen werden.

10. Zusammengefasst gelingt es der Antragsgegnerin schon im Lichte des Dokuments E1 nicht, eine Korrekturbedürftigkeit des Beschlusses der TA aufzuzeigen. Auf ihre weiteren Argumente, die sich gegen die Ausführungen der TA zu den Patenten E4 und E5 richten (auch diese wären inhaltlich ausschließlich der Rechtsrüge zuzuordnen), ist vor diesem Hintergrund nicht mehr einzugehen. Durch die teilweise Aufrechterhaltung des Streitpatents im Umfang des neu formulierten Anspruchs 1 und der davon abhängigen neuen Ansprüche 2-8 ist die Antragsgegnerin jedenfalls nicht beschwert.

11. Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands (§ 59 Abs 2 AußStrG) beruht auf der Bedeutung von Patentansprüchen im Wirtschaftsleben.

12. Der ordentliche Revisionsrekurs war nicht zuzulassen, weil keine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG zu lösen war, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukäme.

Schlagworte

Gewerblicher Rechtsschutz – Patentrecht; Farbmischende Sammeloptik,

Textnummer

EW0001082

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2020:03300R00069.20I.1124.000

Im RIS seit

18.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.02.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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