TE OGH 2021/1/20 3Ob188/20y

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Veröffentlicht am 20.01.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie den Hofrat Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Mag. S***** O***** und 2. D***** O*****, beide vertreten durch die Harb & Postl Rechtsanwälte OG in Graz, gegen die beklagte Partei DI M***** M*****, vertreten durch die Lindner & Rock Rechtsanwälte OG in Graz, wegen 124.932,94 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 30. Juli 2020, GZ 4 R 50/20k-53, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]            Die Kläger schlossen im Jahr 2015 mit einer Bauträgerin hinsichtlich einer Eigentumswohnung einen Kauf- und Bauträgervertrag. Die Übergabe sollte spätestens am 31. 8. 2016 erfolgen. Nachdem es im Zuge der Fertigstellungsarbeiten zu Wassereintritten in der Wohnung gekommen war, beauftragten die Kläger den Beklagten als Privatsachverständigen mit der Erstattung von Befund und Gutachten, insbesondere über die Frage, ob eine Mängelbehebung und ordnungsgemäße Fertigstellung der Wohnung bis 31. 8. 2016 möglich sei. Der Beklagte verneinte dies in seinem – sich später als nicht fachgerecht erstellt und im Ergebnis auch falsch herausstellenden – Gutachten vom 7. 7. 2016. Hierauf erklärten die Kläger, um weitere Auszahlungen von Kaufpreisteilen an die Bauträgerin hintanzuhalten, vertreten durch ihren Rechtsanwalt sofort und ohne Setzung einer Nachfrist gegenüber der Bauträgerin ihren Vertragsrücktritt, den diese aber nicht akzeptierte. Nachdem zum 31. 8 .2016 augenscheinlich eine trockene Wohnung vorlag, gab der Beklagte über Ersuchen der Kläger am 2. 10. 2016 eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme ab, in der er die von der Bauträgerin vorgelegte Dokumentation der durchgeführten Trocknung in fachlicher Hinsicht in Zweifel zog und erklärte, dass „die ordnungsgemäße Fertigstellung in keinem Fall als richtig dokumentiert anzuerkennen“ sei und die Behauptungen seines Gutachtens voll und ganz aufrecht blieben. Dies führte dazu, dass sich die Kläger auf eine prozessuale Auseinandersetzung mit der Bauträgerin einließen, in der sie unterlagen.

[2]            Dabei waren sie von dem damals auf ihrer Seite als Nebenintervenient beigetretenen nunmehrigen Beklagten unterstützt worden, welcher durchgehend den Standpunkt einnahm, dass seine gutachterlichen Stellungnahmen für die nunmehrigen Kläger richtig gewesen seien, sodass diese sich nicht veranlasst sahen, von ihrem Prozessstandpunkt abzurücken.

[3]       Die Vorinstanzen gaben der auf Schadenersatz gerichteten Klage statt.

Rechtliche Beurteilung

[4]            Der Beklagte zeigt in seiner Revision keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[5]            1. Ob dem damals für die Kläger als Rechtsanwalt eingeschrittenen Mag. P***** ein Verschulden am Entstehen von Verfahrenskosten traf, weil er namens der Kläger den Rücktritt vom Vertrag gegenüber der Bauträgerin noch vor dem spätesten Übergabetermin erklärte, bedarf hier keiner Erörterung. Diesfalls träte nämlich der Fehler dieses Rechtsanwalts bloß neben jenen des Beklagten, sodass beide den Klägern solidarisch hafteten (vgl 8 Ob 136/18k = NetV 2020, 30 [Geroldinger] mwN). Wie bereits vom Erstgericht zutreffend erkannt, ist es keine atypische Folge eines unrichtigen Privatgutachtens, dass der Rechtsvertreter der Gutachtensauftraggeber unrichtige rechtliche Schlüsse aus ihm ableitet. An der Adäquanz fehlt es, wenn die Möglichkeit eines bestimmten Schadenseintritts so weit entfernt war, dass nach der Lebenserfahrung vernünftigerweise eine solche Schädigung nicht in Betracht gezogen zu werden brauchte (RIS-Justiz RS0022918 [T17]). Anders formuliert ist ein Schaden schon dann adäquat verursacht, wenn die generelle Eignung der Ursache, ihn herbeizuführen, nicht außerhalb der allgemeinen menschlichen Erfahrung liegt (RS0112489 [T1]). Dass Rechtsanwälten Fehler wie der hier allenfalls vorliegende unterlaufen, liegt nicht außerhalb aller Lebenserfahrung.

[6]            2. Wer einen Rechtsanwalt bestellt oder zur Verfahrenshilfe zugewiesen erhält, darf annehmen, dass dieser im besonderen Maße geeignet ist, ihn vor Nachteilen zu schützen, und dass er auch alle nach der Rechtsordnung erforderlichen Schritte zur Verwirklichung dieses Ziels unternehmen werde (1 Ob 620/87; 8 Ob 555/91; RS0038724). Dies gilt nicht, wenn deutliche Indizien für ein Fehlverhalten des Anwalts sprechen, die dem Klienten in Verbindung mit der nach § 1304 ABGB aufzuwendenden Sorgfalt in die Augen fallen müssten (RS0038724 [T3]).

[7]       Dass den Klägern eine allfällige Verfrühung ihres Vertragsrücktritts als solche auffallen musste und ihnen daher ein Eigenverschulden zur Last fiel, ist zu verneinen.

[8]            3. Der Beklagte vertritt die Ansicht, das aus seiner Sicht beim Rechtsanwalt der Kläger vorliegende Verschulden (verfrühter Vertragsrücktritt) sei den Klägern zuzurechnen, weil dieser deren Erfüllungsgehilfe gewesen sei.

[9]            Der Beklagte wird von den Klägern ex contractu in Haftung gezogen. Bei einer vertraglichen Haftung ist dem Geschädigten nach ganz herrschender Auffassung ein Mitverschulden von Gehilfen analog § 1313a ABGB zuzurechnen (zB 4 Ob 204/08s = ecolex 2009/110 [Klete?ka] = ZVR 2010/8 [Huber]; 1 Ob 1/09t = Zak 2009, 176 [Klete?ka]; RS0026766; Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1304 Rz 29; Karner in KBB6 § 1304 ABGB Rz 7 ua). Wer als Gehilfe im Sinn der Bestimmung betrachtet wird, beurteilt der Oberste Gerichtshof wie bei der Gehilfenzurechnung auf Schädigerseite (zB 1 Ob 1/09t; RS0026751). Weil § 1313a ABGB voraussetzt, dass sich der Schädiger des Gehilfen, dessen Verhalten er sich zurechnen lassen muss, „zur Erfüllung bedient“, ist auch dem Geschädigten ein Gehilfenverhalten nur dann nach § 1313a ABGB als Mitverschulden zuzurechnen, wenn er sich des Gehilfen dazu bedient, Verpflichtungen oder Obliegenheiten aus einer Sonderverbindung mit dem Schädiger wahrzunehmen, etwa solche zur Mitwirkung (5 Ob 16/13h = ecolex 2013/387 [Wilhelm] = ZVB 2013/87 [Oppel]; 4 Ob 88/13i = immolex 2014/27 [Stadlmann]; RS0021766 [T3]; RS0026766 [T8]; Schacherreiter in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.07 § 1304 Rz 6). Beim Vertragsrücktritt war der Rechtsanwalt in keiner Weise im Rahmen der Abwicklung der Vertragsbeziehung zwischen den Klägern und dem Beklagten tätig, weshalb diese für einen ihm dabei allfällig unterlaufenen Fehler auch nicht analog § 1313a ABGB einzustehen haben.

[10]           Dass die Voraussetzungen einer anderen Zurechnungsnorm als § 1313a ABGB erfüllt wären (vgl Geroldinger, Der mutwillige Rechtsstreit [2017] 634 ff), behauptet der Beklagte nicht.

[11]     4. Die Frage, ob der Geschädigte seine Schadensminderungspflicht verletzt hat, kann regelmäßig nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden und bildet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (RS0027787). Eine dabei den Vorinstanzen unterlaufene korrekturbedürftige Fehlbeurteilung wird in der außerordentlichen Revision nicht aufgezeigt.

[12]           Die außerordentliche Revision ist mangels einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Textnummer

E130685

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0030OB00188.20Y.0120.000

Im RIS seit

18.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

07.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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