Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Hon.-Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Frick (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei ***** P*****, vertreten durch Gerlach Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei *****anstalt, *****, vertreten durch Dr. Anton Ehm & Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 201.949,54 EUR sA, über die Rekurse beider Streitteile gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits-
und Sozialrechtssachen vom 24. August 2020, GZ 10 Ra 40/20f-17, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 24. September 2019, GZ 8 Cga 26/19d-11, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Dem Rekurs der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind insoweit weitere Verfahrenskosten.
II. Der Rekurs der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger ist seit 8. 10. 1973 in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis, auf das die Dienstordnung A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.A) zur Anwendung gelangt, bei der Beklagten beschäftigt. Die Besetzung der ausgeschriebenen Positionen I. „Leiter/Leiterin des Geschäftsbereiches Medizinische Verwaltung (HGMB)“ und II. „Stellvertreter/Stellvertreterin des Leiters Medizinische Administration – Landesstelle Wien (WMAD)“, für die sich der Kläger jeweils beworben hatte, erfolgte aufgrund von Vorstandsbeschlüssen am 25. 2. 2016. Der Kläger kam bei beiden Besetzungsvorgängen nicht zum Zug.
[2] Der Kläger begehrt mit der am 21. 2. 2019 eingebrachten Klage die Entgeltdifferenz zum Bewerbungsfall I. von bisher 201.149,54 EUR brutto, in eventu die Entgeltdifferenz zum Bewerbungsfall II. in
Höhe von 21.642,07 EUR brutto, dies – soweit noch rekursgegenständlich – im Wesentlichen mit dem Vorbringen, dass er aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung und umfassenden Ausbildung besonders qualifiziert gewesen wäre. Der wahre Grund für seine Nichtbeachtung bei den Besetzungsvorgängen – auch schon bei früheren
Bewerbungen – sei seine fehlende Parteizugehörigkeit und der stetige Versuch, gegen den Parteiproporz aufzutreten, gewesen. Er verfüge seit 25 Jahren über kein Parteibuch und habe sich stets überparteilich verhalten. Sowohl bei der Anwendung des StellenbesetzungsG als auch im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung der Beklagten sei das Sachlichkeitsgebot beachtlich und folge aus einer Ermessensüberschreitung ein Schadenersatzanspruch. Die Beklagte habe auch die Bestimmung des § 36 Abs 4 DO.A (idF bis 31. 12. 2016) unangewendet gelassen und dadurch den Kläger geschädigt. Es liege auch ein Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung aufgrund von Weltanschauung (bewusste Nichtmitgliedschaft in einer Partei) nach dem GlBG vor. Schließlich brachte der Kläger im Hinblick auf § 36 Abs 4 DO.A (idF bis 31. 12. 2016) vor, selbst wenn man der Ansicht sein sollte, es läge kein (grund-)rechtswidriges Verhalten vor, wäre er bei objektiver Betrachtung seiner Qualifikationen für die genannten Dienstposten besser geeignet gewesen als die letztlich zum Zug gekommenen Personen. Bei Annahme zumindest gleicher Diensteigenschaften mit (näher genannten und mit ihren Qualifikationen dargestellten) Mitbewerbern wäre er aufgrund seines Dienstalters vorzuziehen gewesen.
[3] Die Beklagte wandte zusammengefasst ein, dass der Kläger bei beiden Besetzungsvorgängen nicht aus unsachlichen Überlegungen oder gar aus Willkür nicht zum Zug gekommen sei. Im ersten Besetzungsvorgang sei der Kläger an fünfter Stelle gereiht worden, weil er gegenüber den anderen BewerberInnen unterlegen gewesen sei; so auch im zweiten Besetzungsverfahren. Den Besetzungen sei jeweils ein Hearing einer Kommission vorangegangen, deren Mitglieder eine Reihung vorgenommen haben. Bei beiden Besetzungen habe sich die Beklagte im Rahmen eines sachlich ausgeübten Ermessens an der Besteignung orientiert. Der Kläger sei weder unmittelbar noch mittelbar diskriminiert worden. Die vom Kläger behauptete fehlende Parteizugehörigkeit oder das fehlende Parteibuch sei für die Auswahlentscheidung der Beklagten ohne Belang gewesen. Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche nach dem GlBG seien zudem verfristet.
[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren und das Eventualbegehren ohne Beweisaufnahme wegen Verfristung nach § 29 Abs 1 GlBG (sechsmonatige Frist) ab. Das gesamte Vorbringen des Klägers gründe sich darauf, dass seine Weltanschauung dafür ausschlaggebend gewesen sei, dass er nicht zum Zug gekommen sei. Allgemein-schadenersatzrechtliche Bestimmungen kämen danach als Rechtsgrundlage für die geltend gemachten Ansprüche nicht in Betracht. Anhaltspunkte für einen verjährungshemmenden Tatbestand nach § 29 Abs 2 GlBG lägen nicht vor.
[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und hob das Ersturteil zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung auf. Zwar würden die Bestimmungen des GlBG und insbesondere auch dessen Klagsfristen (§§ 15, 29 GlBG) die allgemeinen schadenersatzrechtlichen Vorschriften und die allgemeinen Verjährungsvorschriften des ABGB verdrängen, sodass das Vorbringen des Klägers in Bezug auf eine mittelbare oder unmittelbare Diskriminierung aufgrund seiner Weltanschaung mittels Klage wegen § 29 GlBG nicht mehr geltend gemacht werden könne. Dem Vorbringen sei aber auch zu entnehmen, dass der Kläger den Schadenersatzanspruch auf eine unsachliche Vorgangsweise der zur Ernennung berufenen Entscheidungsträger der Beklagten und somit auf eine Verletzung des Willkürverbots gesetzt habe. Er habe der Beklagten eine willkürliche Personalentscheidung unterstellt, weil er bei beiden Besetzungsvorgängen als besser geeigneter Kandidat nicht zum Zug gekommen sei. Insoweit bedürfe es weiterer Feststellungen. Zur sechsmonatige Verjährungsfrist des § 29 Abs 1 GlBG hegte das Berufungsgericht keine unionsrechtlichen Bedenken, ließ dazu aber den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu.
[6] In seinem gegen diesen Aufhebungsbeschluss gerichteten Rekurs beantragt der Kläger, den Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht unter Überbindung seiner Rechtsansicht, wonach die streitgegenständlichen Schadenersatzansprüche der allgemeinen Verjährungsfrist von drei Jahren und nicht der Verjährungsfrist von sechs Monaten (nach dem GlBG) unterliegen, die neuerliche Entscheidung über die Rechtssache aufzutragen; in eventu, die Entscheidung des Berufungsgerichts nur in seiner rechtlichen Beurteilung zu korrigieren.
[7] Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs keine Folge zu geben.
[8] In ihrem Rekurs beantragt die Beklagte, den Aufhebungsbeschluss im Sinn einer Bestätigung der Klagsabweisung abzuändern.
[9] Der Kläger hat keine Rekursbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Rekurs des Klägers ist zulässig, jedoch nicht berechtigt. Der Rekurs der Beklagten ist unzulässig.
[11] I. Zum Rekurs des Klägers
[12] I.1. Mit dem Rekurs gegen einen Aufhebungsbeschluss kann auch allein dessen Begründung angefochten werden, ohne dass der Auftrag an das Erstgericht, das Verfahren zu ergänzen, bekämpft wird; das Rechtsmittel kann auch von der Partei erhoben werden, auf deren Berufung hin die Aufhebung erfolgt ist (RS0111502; RS0007094 [T5]; Musger in Fasching/Konecny3 IV/1 § 519 ZPO Rz 90). Der hier durch die Begründung des Aufhebungsbeschlusses materiell beschwerte Kläger (vgl RS0007094 [T5, T8]) ist danach zur Rekurserhebung berechtigt.
[13] I.2. Inhaltlich ist der Kläger zusammengefasst der Ansicht, dass der Geltendmachung von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot, wie insbesondere auch der Diskriminierung wegen der Weltanschauung, nicht die sechsmonatige Verjährungsfrist nach dem GlBG entgegenstehe, wenn ein unsachlicher Bewerbungs- bzw Ernennungsvorgang nach dem Stellenbesetzungsgesetz bzw § 36 Abs 4 DO.A behauptet werde und diese Unsachlichkeit auch auf die Verletzung spezifischer Diskriminierungsverbote gestützt werde.
[14] I.2.1. Es ist nicht strittig, dass die Besetzung der verfahrensgegenständlichen Stellen nach Maßgabe des StellenbesetzungsG, BGBl I 1998/26, zu erfolgen hat. Nach § 4 Abs 1 leg cit hat das für die Besetzung zuständige Organ die Stelle ausschließlich aufgrund der Eignung der Bewerber zu besetzen. Nach § 4 Abs 2 leg cit ist die Eignung insbesondere aufgrund fachlicher Vorbildung und bisheriger Berufserfahrung der Bewerber, ihrer Fähigkeit zur Menschenführung, ihrer organisatorischen Fähigkeiten und ihrer persönlichen Zuverlässigkeit festzustellen. Wenn internationale Erfahrungen für die betreffende Stelle erforderlich sind, ist darauf besonders Bedacht zu nehmen.
[15] Weiter lautete § 36 Abs 4 DO.A idF zum 31. 12. 2016:
„Bei der Besetzung von Stellen der Gehaltsgruppen D bis G sowie III und IV ist den Angestellten des Versicherungsträgers Gelegenheit zur Bewerbung zu geben. Hierbei kommen die höhere Befähigung, die bessere Verwendbarkeit und erforderlichenfalls auch die Leitungseignung in Betracht. …“
[16] I.2.2. Wie zu 1 Ob 218/14m ausgeführt, werden „die entsprechenden Verhaltensnormen des StellenbesetzungsG als sogenannte Selbstbindungsgesetze qualifiziert. Selbstbindende Normen im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung sind ein Katalog von Verhaltenspflichten für die öffentliche Hand, von denen im Fall öffentlicher Bekanntgabe oder allgemeiner Zugänglichkeit jedermann weiß, dass die Verwaltungsorgane diese Verpflichtungen einzuhalten haben (7 Ob 159/97a; RS0110159). Die sogenannte 'Fiskalgeltung der Grundrechte' für Gebietskörperschaften ist allgemein anerkannt (7 Ob 119/09i; 3 Ob 104/10f; vgl RS0038110). Darunter versteht man, dass der Staat und die anderen Gebietskörperschaften auch dann an die Grundrechte und daher auch an das aus dem Gleichheitsgrundsatz abzuleitende Sachlichkeitsgebot (vgl RS0058455; RS0053981) gebunden sind, wenn sie nicht hoheitlich, sondern in der Rechtsform des Privatrechts handeln (RS0038110: zuletzt 7 Ob72/14k), handeln sie doch nur im öffentlichen Interesse“. Dass auch die Beklagte als privatrechtlich agierende Körperschaft (Unternehmung) öffentlichen Rechts dieser Grundrechtsbindung via Fiskalgeltung unterliegt, ist hier nicht weiter zweifelhaft. Bei der Anwendung des StellenbesetzungsG hat sie daher auch das Sachlichkeitsgebot zu beachten.
[17] I.2.3. Der Oberste Gerichtshof hat im Zusammenhang mit dem StellenbesetzungsG bereits mehrfach als Gesetzeszweck betont, dass nach diesem Gesetz der geeignetste Kandidat die Stelle erlangen soll (7 Ob 119/09i; 7 Ob 120/11i; 8 ObA 10/14z; 1 Ob 218/14m). Es entspricht auch der einhelligen Auffassung in der Literatur, dass es bei mehreren Bewerbern darauf ankommt, wer davon am besten geeignet ist (1 Ob 218/14m mwN). Ein gesetzmäßiges Vorgehen nach § 4 StellenbesetzungsG verlangt daher, dass sich die Besetzung einer ausgeschriebenen Stelle im Rahmen sachlich auszuübenden Ermessens an der Besteignung zu orientieren hat (1 Ob 218/14m Pkt 2.6.).
[18] I.2.4. Der potenzielle Bewerber um eine Stelle hat kein subjektives Recht auf Einhaltung allfälliger Ausschreibungspflichten (RS0127362). Ungeachtet des Umstands, dass das StellenbesetzungsG auch keinen subjektiven Anspruch auf Einstellung vermittelt und es jedenfalls öffentlichen Interessen (Transparenz bei der Stellenbesetzung im staatsnahen Unternehmensbereich) dient, schützt das StellenbesetzungsG auch die Interessen von Bewerbern, um diese ua vor unsachlichen Besetzungsentscheidungen zu bewahren. Der Schutzzweck der Norm kann damit einen Schadenersatzanspruch zugunsten des bestqualifizierten Bewerbers auslösen, wenn die Stelle aus unsachlichen Gründen mit einem anderen Kandidaten besetzt wurde (RS0127362 [T1]; 8 ObA 25/16h; vgl auch RS0031143).
[19] I.2.5. Ist ein/e Arbeitnehmer/in wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgebots des § 17 Abs 1 Z 5 GlBG (Beförderungsdiskriminierung) nicht beruflich aufgestiegen, sieht § 26 Abs 1 Z 5 GlBG die Möglichkeit von Schadenersatzansprüchen vor.
[20] Zum Verhältnis der allgemeinen schadenersatzrechtlichen Vorschriften zu jenen des Gleichbehandlungsgesetzes wurde klargestellt, dass die Bestimmungen des GlBG zu den allgemeinen schadenersatzrechtlichen Vorschriften im Derogations-verhältnis stehen, weil es sich beim GlBG nicht nur um die spätere Regelung, sondern zugleich auch um die lex specialis handelt. Die schadenersatzrechtlichen Bestimmungen des GlBG sind auch als abschließende Regelungen zum Ausgleich von Beeinträchtigungen aufgrund von Diskriminierungen im Anwendungsbereich des GlBG zu sehen (8 ObA 76/12v; dort zur Frage eines allgemeinen Schadenersatzanspruchs aus Fürsorgepflichtverletzung wegen vermeintlich auch geschlechts- und altersdiskriminierender Kündigung einer Arbeitnehmerin).
[21] Im Hinblick auf das StellenbesetzungsG im Besonderen wurde in 1 Ob 218/14m ausgeführt, der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen, die aus einer Verletzung des StellenbesetzungsG abgeleitet werden, können auch nicht die Regeln des GlBG oder des B-GlBG entgegengehalten werden. Weder aus dem GlBG noch aus dem B-GlBG lässt sich ableiten, dass diese Gesetze außerhalb ihres Anwendungsbereichs (Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Orientierung) sonstige Schadenersatzansprüche wegen einer unterlassenen Postenvergabe abschließend regelten bzw sonstigen Schadenersatzregeln derogiert hätten. Gegen eine derartige materielle Derogation spricht auch der unterschiedliche Normzweck des StellenbesetzungsG (Grundsatz der Transparenz und Besteignung) im Vergleich zur ratio legis der genannten Gleichbehandlungsgesetze (Unterbindung von Diskriminierung aus bestimmten Gründen).
[22] I.2.6. Deshalb ist aber auch in der vorliegenden Konstellation keine solche materielle Derogation durch das GleichbehandlungsG gegeben, weil ein auf eine Verletzung des StellenbesetzungsG gestützter Schadenersatzanspruch nicht unter generelleren Voraussetzungen als jener des GleichbehandlungsG auf den Ausgleich einer Diskriminierung abzielt, sondern vielmehr darauf, dass die Stellenbesetzung nicht mit der bestgeeigneten Person im Sinn des StellenbesetzungsG erfolgt ist. Zweifellos wäre dabei eine Ermittlung der bestgeeigneten Person, die auch auf diskriminierenden Gründen beruht, im Hinblick auf das dem StellenbesetzungsG inhärente Sachlichkeitsgebot unsachlich. Ist aber auch hier ein Derogationsverhältnis zu verneinen, wird die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aus einer Verletzung des StellenbesetzungsG auch verjährungsrechtlich nicht von § 29 Abs 1 GlBG verdrängt, wenn der Ermittlung der Besteignung unter Umständen auch ein vom GlBG erfasster diskriminierender Umstand zugrunde lag. Ein anderes Verständnis hätte auch Wertungswidersprüche zur Folge, weil sonst die besonders geregelten Diskriminierungsgründe des GlBG bei Prüfung der Unsachlichkeit einer Stellenbesetzung nach Ablauf der Sechsmonatsfrist des § 29 GlBG unbeachtlich würden, vom GlBG nicht erfasste Motive der Ungleichbehandlung hingegen nicht.
[23] I.2.7. Das ändert aber nichts daran, dass der Kläger für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch nachzuweisen hat, dass er tatsächlich der am besten qualifizierte Bewerber war und bei rechtmäßiger Vorgangsweise mit der ausgeschriebenen Funktion betraut worden wäre. Dabei genügt nicht schon ein bloßer Vergleich mit den Qualifikationen des bestellten Bewerbers, sondern es muss auf das fiktive Ergebnis eines rechtmäßigen Bestellungsverfahrens Bedacht genommen werden (jüngst 9 ObA 75/20z mwN). In diesem Zusammenhang wurde bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Frage, welcher Kandidat als besser geeignet befunden wird, nach § 4 Abs 2 StellenbesetzungsG nicht nur von leichter vergleichbaren Kriterien wie Ausbildung und Berufserfahrung abhängt, sondern wesentlich auch von weniger leicht messbaren Faktoren wie Fähigkeit zur Menschenführung, organisatorischen Fähigkeiten und persönlicher Zuverlässigkeit. Die Bewertung dieser Faktoren muss innerhalb einer sachlich begründbaren Bandbreite dem Entscheidungsträger überlassen bleiben (siehe 8 ObA 25/16h; 9 ObA 75/20z).
[24] I.2.8. Davon ausgehend werden im fortzusetzenden Verfahren daher noch Feststellungen zur behaupteten Verletzung des Besteignungsgebots im dargelegten Sinn zu treffen sein.
[25] I.3. Der Kläger erachtet darüber hinaus die sechsmonatige Verjährungsfrist des § 29 Abs 1 GlBG für Ansprüche nach § 26 Abs 5 GlBG (Diskriminierung bei der Beförderung) als europarechtswidrig, weil damit gegen die unionsrechtlichen Prinzipien der Effektivität und Gleichwertigkeit verstoßen werde.
[26] I.3.1. Bereits in der Entscheidung 9 ObA 44/06w wurde zur Frage, ob eine sechs Monate dauernde Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche wegen Diskriminierung bei einer Beförderung (dort noch § 10b GlBG aF) gegen die gemeinschaftsrechtlichen Prinzipien der Effektivität und Gleichwertigkeit (EuGH C-326/96 Levez; C-78/98 Preston ua) verstößt, ausgeführt, „dass auch die österreichische Rechtsordnung gerade im Arbeitsrecht die Frist des § 1489 ABGB unterschreitende Verjährungsfristen kennt (§ 1162d ABGB, § 34 AngG, § 34 GAngG § 38 LandarbG und § 44 SchauspG). Auch das unter dem Blickwinkel der Effektivität zu prüfende Merkmal einer übermäßig erschwerten Rechtsdurchsetzung ist der inländischen Rechtsordnung nicht fremd. Derartige Erschwerungen werden regelmäßig im Zusammenhang mit Verfallsklauseln in Kollektivverträgen geprüft (RS0034533), wobei Fristen in der Dauer von sechs Monaten regelmäßig als ausreichend bewertet wurden“. Die Bedenken, die auch aktuell von einem Teil der Lehre geteilt werden (Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG § 15 Rz 7; Klete?ka in Rebhahn GlBG § 15 Rz 2 ff; Windisch-Graetz in ZellKomm3 GlBG § 15 Rz 2), konnten in 9 ObA 44/06w aber auf sich beruhen, weil in jenem Fall selbst bei Annahme eines Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtliche Grundsätze die kurzen Fristen mangels horizontaler Drittwirkung weiterhin anzuwenden waren.
[27] I.3.2. Hier ist, wie bereits vom Berufungsgericht ausgeführt, in Bezug auf die Beklagte als „staatliche Einrichtung“ eine direkte Richtlinienwirkung nicht von vornherein auszuschließen. Die für die Ansprüche des Klägers wegen Beförderungsdiskriminierung aufgrund der Weltanschauung einschlägige Gleichbehandlungsrahmen RL 2000/78/EG sieht jedoch keine Fristen für die Geltendmachung von Ansprüchen wegen Verletzung dieser Rechte vor. Aus den folgenden Erwägungen ist hier auch nicht ersichtlich, dass die nationale Regelung gegen die unionsrechtlichen Prinzipien der Effektivität und Gleichwertigkeit verstoßen würde.
[28] I.3.3. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung von gerichtlichen Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, mangels einer unionsrechtlichen Regelung dieses Bereichs Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten. Diese Verfahren dürfen jedoch nicht ungünstiger gestaltet sein als bei entsprechenden Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und sie dürfen die Ausübung der durch die Gemeinschaftsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität; s nur EuGH 1. 12. 1998, C-326/96 Levez Rn 18 uva, s die Nw bei Hopf/Mayr/Eichinger, § 15 GlBG E 1.). Das nationale Gericht hat die Gleichwertigkeit der betreffenden Klagen unter dem Gesichtspunkt ihres Gegenstands, ihres Rechtsgrundes und ihrer wesentlichen Merkmale zu prüfen (EuGH 16. 5. 2000, C-78/98, Preston ua Rn 49).
[29] I.3.4. Zutreffend hat schon das Berufungsgericht eine Gleichwertigkeit von Schadenersatzklagen nach dem StellenbesetzungsG (bzw der DO.A) und jenen nach dem GleichbehandlungsG verneint. Die beiden Gesetze haben unterschiedliche Anwendungsbereiche (das Stellen-besetzungsG ist auf die Stellenbesetzung im staatsnahen Unternehmensbereich beschränkt) und verfolgen unterschiedliche Normzwecke (StellenbesetzungsG: Schaffung von Transparenz und Ermittlung der Besteignung; GleichbehandlungsG: Unterbindung von Diskriminierung aus bestimmten Gründen). Daran anknüpfend sind auch die Grundlagen, Ziele und Voraussetzungen für Schadenersatzansprüche nach dem StellenbesetzungsG und dem GleichbehandlungsG unterschiedlich gelagert: Eine Klage nach dem StellenbesetzungsG dient nicht der Verfolgung eines Schadenersatzanspruchs wegen einer Diskriminierung, insbesondere nicht der Entschädigung für die durch die Diskriminierung aus einem bestimmten Grund erlittene persönliche Beeinträchtigung. Während ein Kläger im Rahmen des StellenbesetzungsG nach dem Regelbeweismaß seine Besteignung nach sachlichen Kriterien nachzuweisen hat (wofür es idR der Beschaffung von Vergleichsdaten bedarf), erfordert eine Klage aufgrund einer Diskriminierung nach dem GlBG eine Glaubhaftmachung des Diskriminierungstatbestands mit der Folge, dass die Beklagte die Beweislast für die höhere Wahrscheinlichkeit trifft, dass ein anderes von ihr glaubhaft gemachtes Motiv für die unterschiedliche Behandlung ausschlaggebend war (§ 26 Abs 12 GlBG). Neben den unterschiedlichen Regelungsbereichen und Normzwecken bestehen mit der Absenkung des Beweismaßes nach dem GlBG daher auch andere Beweislasten. Es liegt damit keine Gleichwertigkeit der Klagen vor.
[30] I.3.5. Auch aus dem Effektivitätsgebot resultiert kein für den Kläger günstigeres Ergebnis: Es ist nicht ersichtlich, warum im Rahmen einer – gesetzlich oder kollektivvertraglich in vielen Zusammenhängen akzeptierten – Sechs-Monatsfrist eine Klagsführung „praktisch unmöglich“ oder „übermäßig erschwert“ würde. In erster Instanz wurde dazu auch kein Vorbringen erstattet. Das Rekursvorbringen des Klägers, sein Vorgesetzter habe ihm zugesagt, wegen einer Gehaltserhöhung mit dem Generaldirektor zu sprechen, er habe die Möglichkeit einer gütlichen Einigung nicht durch eine vorherige Beschwerde bei der Gleichbehandlungskommission gefährden wollen, ist eine unzulässige Neuerung.
[31] I.4. Im Ergebnis ist der Rekurs des Klägers daher nicht berechtigt.
[32] I.5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO. Auch wenn ein Rekurs im Endergebnis ohne Erfolg geblieben ist, sind die Rekurskosten als weitere Verfahrenskosten zu erklären, wenn das Rechtsmittel die Klärung einer weiteren Frage bewirkt hat (RS0036035). Das ist hier der Fall.
[33] II. Rekurs der Beklagten
[34] Die Beklagte richtet sich gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts, weil aus einer Analyse des Klagsvorbringens hervorgehe, dass der Kläger seine Ansprüche substantiiert nur auf Diskriminierungstatbestände gestützt habe (fehlende Parteizugehörigkeit; sein Versuch, gegen den Parteiproporz aufzutreten; Erfolg jener Mitbewerber mit Naheverhältnis zu einer politischen Partei; Weltanschauung; ihm sei lediglich fehlendes Parteibuch im Weg gestanden); deren Geltendmachung sei aber nach dem GlBG verfristet.
[35] Damit wird von der Beklagten keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt. Ob nämlich im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt. Auch ob das bisher erstattete Vorbringen so weit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht beziehungsweise wie weit ein bestimmtes Vorbringen einer Konkretisierung zugänglich ist, ist eine Frage des Einzelfalls (RS0042828). Die
Auslegung des Parteienvorbringens im Einzelfall wirft aber – abgesehen von Verstößen gegen Denkgesetze oder Unvereinbarkeit mit dem Wortlaut – keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 oder § 528 Abs 1 ZPO auf (RS0042828 [T31]).
[36] Hier hat das Berufungsgericht zurecht darauf hingewiesen, dass der Kläger sein Begehren von Beginn an auf seine im Vergleich zu den Mitbewerbern bessere Qualifikation stützte, die aber aufgrund der unsachlichen Vorgangsweise der Beklagten nicht zum Tragen gekommen sei (s zB ON 6 S 14 ff). Die Prüfung der Besteignung des Klägers ist aber Voraussetzung für einen auf die Verletzung des Sachlichkeits- und Besteignungsgebots des StellenbesetzungsG gestützten Schadenersatzanspruch, auf den sich der Kläger auch bei Erörterung des Rechtsgrundes berufen hat (ON 10 S 2). Das Verständnis des Berufungsgerichts vom Klagsvorbringen ist danach nicht weiter korrekturbedürftig.
[37] Der Rekurs der Beklagten ist daher mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) zurückzuweisen.
Textnummer
E130675European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00107.20F.0127.000Im RIS seit
18.02.2021Zuletzt aktualisiert am
12.10.2021