Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Februar 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Abdul N***** wegen Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Z 2, Abs 4 erster Fall FPG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 2. Oktober 2020, GZ 96 Hv 85/20b-161, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen rechtskräftigen Freispruch von weiteren gleichartigen Tatvorwürfen enthält, wurde Abdul N***** der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, Z 2, Abs 4 erster Fall FPG (I./ bis IV./) sowie eines solchen Verbrechens nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, Abs 4 erster Fall FPG (V./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in Wien gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB) und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung die rechtswidrige Einreise oder Durchreise von Fremden syrischer und irakischer Herkunft in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union mit dem Vorsatz gefördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, wobei er die Taten zu I./ bis IV./ in Bezug auf mindestens drei Fremde beging, indem er nachstehende Schleppungen organisierte, koordinierte und Fahrer anwarb, und zwar
I./ kurz vor oder am 26./27. November 2019 betreffend vier Fremde von Kroatien über Slowenien nach Österreich oder Italien, wobei der von ihm als Fahrer angeworbene Abdel Z***** verspätet am vereinbarten Treffpunkt ankam und niemanden mehr antraf;
II./ kurz vor oder am 30. November/
1. Dezember 2019 betreffend vier Fremde von Ungarn nach Österreich;
III./ kurz vor oder am 4./5. Dezember 2019 betreffend vier Fremde von Ungarn nach Österreich;
IV./ kurz vor oder am 12./13. Dezember 2019 betreffend vier Fremde von Ungarn nach Österreich;
V./ zwischen Ende Dezember 2019 und Mitte Februar 2020 betreffend den irakischen Staatsangehörigen Raid A***** vom Irak nach Österreich, wobei dieser nicht nach Österreich gelangte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Entgegen der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) ist der als „Scheinbegründung“ kritisierte Schluss vom äußeren Tatgeschehen und von Schilderungen des Zeugen Abdel Z***** (ua betreffend dessen Fuhrlohn pro geschleppter Person zu I./-IV./ – US 8 f, 14, 18 f) sowie der Zeuginnen Lubna A***** und Alyaa Al***** (ua betreffend Geldforderungen und Übergabemodalitäten zu V./ – US 10 f, 16 ff) auf den Bereicherungsvorsatz des Angeklagten (US 18 f) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS-Justiz RS0116882).
[5] Die in diesem Zusammenhang erhobene Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermisst Feststellungen zur Gesamthöhe des jeweiligen Schlepperlohns, zu vom Angeklagten mit den Geschleppten getroffenen Vereinbarungen bezüglich seines Anteils daran und zur Angemessenheit des Fuhrlohns des die Fahrten durchführenden Abdel Z*****. Sie legt allerdings nicht dar (RIS-Justiz RS0116565), weshalb Strafbarkeit wegen Schlepperei eine tatsächlich eingetretene Bereicherung voraussetzen sollte (RIS-Justiz RS0131308 [T2]) und inwiefern sich der Täter bei einem – (wie hier) nicht Befördern, sondern – Fördern der Ein- und Durchreise (durch Organisations- und Koordinierungstätigkeiten [US 7–10, 22]) auf einen Vergleich mit einem „adäquaten Fuhrlohn“ eines von ihm eingesetzten Fahrers sollte berufen können (RIS-Justiz RS0130267 [T3]). Im Übrigen ging das Erstgericht explizit davon aus, dass der Angeklagte für seine Eigenleistungen jedenfalls einen 700 Euro (den jeweiligen Fuhrlohn des Fahrers) übersteigenden Betrag pro geschleppter Person zu erhalten trachtete, während die Geschleppten der Vereinigung insgesamt jeweils bis zu 12.000 Euro pro Person zu bezahlen hatten (US 7, 10, 12, 17, 19).
[6] Hinsichtlich des in Frage gestellten Vorliegens des Bereicherungsvorsatzes „zum Zeitpunkt des Förderns“ lässt die Beschwerde prozessordnungswidrig die dazu in subjektiver Hinsicht getroffenen Urteilskonstatierungen („Bei seinen Handlungen“ [US 11]) außer Acht (RIS-Justiz RS0099810).
[7] In Bezug auf I./ bis IV./ behauptet die Mängelrüge Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) der für die Feststellung der Tatbegehung jeweils in Bezug auf vier Fremde (US 8) dargelegten Gründe. Indem sie vernachlässigt, dass der Schöffensenat diesen Umstand nicht nur auf Angaben des Abdel Z***** zur vereinbarten Anzahl der pro Fahrt von ihm zu transportierenden Fremden, sondern auch auf die damit übereinstimmende Anzahl der am 13. Dezember 2019 aufgegriffen Geschleppten (IV./; vgl US 9) stützte (US 14), orientiert sie sich nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS-Justiz RS0119370). Der vermeintliche Widerspruch zwischen in der Rechtsmittelschrift wiedergegebenen – im Übrigen auf die Anzahl der letztlich (mangels Antreffens der zu Schleppenden am Abholort) „leer“ durchgeführten (Rück-)Fahrten bezogenen – Angaben des genannten Zeugen wurde der Beschwerde zuwider (Z 5 zweiter Fall) ohnehin erörtert (US 15).
[8] Mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird kein Begründungsmangel iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO dargetan (RIS-Justiz RS0102162).
[9] Letztlich betrifft der Umstand, ob es nur zu I./ oder auch bei einer weiteren der zu I./ bis IV./ inkriminierten Fahrten wegen Versäumnissen des Fahrers zu einem „Leertransport“ kam, keine für den Schuldspruch oder die Subsumtion betreffend den Organisator der geplanten Reisebewegungen entscheidende Tatsache (vgl RIS-Justiz RS0127813; auch US 15, 20, 22).
[10] Der Einwand (Z 5 zweiter Fall) fehlender Berücksichtigung der für die konstatierte Rechtswidrigkeit der zu V./ geplanten Einreise und für die Höhe des dafür vereinbarten Entgelts (US 10) relevanten Depositionen der Zeuginnen Lubna A***** und Alyaa Al***** übergeht die gerade darauf bezogenen Erwägungen (US 17), wonach (nur) die eine angeblich legale Einreise betreffenden Aussageteile als nicht überzeugend gewertet wurden. Solcherart ist die Rüge auch in diesem Punkt nicht gesetzmäßig ausgeführt (neuerlich RIS-Justiz RS0119370). Dass dem Angeklagten die gesamte Höhe des zu V./ vereinbarten Entgelts von 12.000 Euro als Gewinn (Reinerlös) verbleiben sollte, wurde von den Tatrichtern ohnehin nicht angenommen (vgl US 10 iVm 18 f), sodass die Angaben der Zeuginnen zu angeblich im Preis inkludierten Hotel- und Flugkosten sowie Bearbeitungsgebühren keiner gesonderten Erörterung bedurften.
[11] Soweit die Beschwerde eine Feststellung, „der Angeklagte hätte sich auf längere Zeit einer kriminellen Vereinigung angeschlossen“, als undeutlich und unzureichend begründet (Z 5 erster und vierter Fall) kritisiert, geht sie schon mangels einer solchen Konstatierung ins Leere (vgl dagegen US 7, 11, 13, 18 zum vorsätzlichen Anschluss an eine auf zumindest mehrere Monate angelegte Vereinigung und deren Ausrichtung).
[12] Die Subsumtionsrüge (Z 10) wendet sich gegen die Qualifikation nach § 114 Abs 4 erster Fall FPG und bestreitet das Vorliegen eines auf längere Zeit angelegten Zusammenschlusses, weil Sachverhaltsannahmen zu Gründungszeitpunkt, Art, Umfang, Aufbau und „Dauer“ der Organisation sowie „deren konkrete Planungsaktivitäten“ fehlen. Weshalb es derartiger Feststellungen über die getroffenen hinaus (wonach sich der Angeklagte einer auf zumindest mehrere Monate angelegten und aus einer Vielzahl von Personen bestehenden Vereinigung anschloss, die darauf ausgerichtet war, dass von ihren Mitgliedern Fremde rechtswidrig aus dem arabischen Raum nach Österreich transportiert werden [US 7; siehe auch US 13 f]) bedurft hätte, wird nicht aus dem Gesetz abgeleitet dargelegt (RIS-Justiz RS0116565; vgl im Übrigen Plöchl in WK² StGB § 278 Rz 5 ff, RIS-Justiz RS0087910 [T5] und RS0125232 [T4]).
[13] Die Annahme gewerbsmäßiger Begehung betreffend bestreitet der Beschwerdeführer die Erfüllung eines der – alternativen (vgl Jerabek/Ropper in WK² StGB § 70 Rz 2/1 und 13/1) – Kriterien des § 70 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StGB, insbesondere den Einsatz eines besonderen Mittels, übergeht allerdings die Feststellungen zur innerhalb der Frist des § 70 Abs 3 StGB gelegenen Vorverurteilung. Weshalb trotz dieser Konstatierungen § 70 Abs 1 Z 3 zweiter Fall StGB nicht verwirklicht sein soll (vgl aber US 6, 21 f), legt die Beschwerde einmal mehr nicht dar. Ebenso vernachlässigt das Feststellungen zu „Höhe und Dauer des fortlaufenden Einkommens“ vermissende Vorbringen die zur gewerbsmäßigen Absicht getroffenen Konstatierungen (US 11, 18 f; RIS-Justiz RS0099810).
[14] Betreffend I./ und V./ behauptet der Beschwerdeführer, es sei lediglich von Versuch auszugehen (der Sache nach Z 11 zweiter Fall [vgl RIS-Justiz RS0122138]). Er erklärt allerdings nicht (vgl aber RIS-Justiz RS0116565), weshalb es bei § 114 FPG für die Unterscheidung von Versuch und Vollendung darauf ankommen soll, dass eine Durch- oder Einreise gelingt, und weshalb nicht bereits das (bloße) Fördern einer solchen zur Tatbestandsverwirklichung ausreichen soll (RIS-Justiz RS0127813).
[15] Indem die Rüge die im Urteil konstatierten Förderungshandlungen des Angeklagten (Koordination und Organisation der Schleppungen in mehreren Ländern, etwa durch Anwerben und Beauftragen eines Fahrers, Übermittlung der GPS-Standortdaten der zu schleppenden Personen an diesen [US 7 f] und Besprechung der geplanten Vorgehensweise mit Auftraggebern und Schleppungswilligen [US 10]) negiert, verfehlt sie weiters den – im Urteilssachverhalt gelegenen – Bezugspunkt materiell-rechtlicher Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810).
[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – wie schon die Generalprokuratur zutreffend ausführte – bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
[17] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E130694European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00131.20D.0208.000Im RIS seit
18.02.2021Zuletzt aktualisiert am
18.02.2021