TE Vfgh Erkenntnis 1995/9/25 B1796/95

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Veröffentlicht am 25.09.1995
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §5

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mangels Vorliegen einer ortsüblichen Unterkunft; Unterlassen der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines bevollmächtigten Vertreters die mit 18.000,- S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer (ein seit mehreren Jahren in Österreich lebender und seit 1994 mit einer Österreicherin verheirateter pakistanischer Staatsangehöriger) beantragte am 5. August 1994 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Mit Bescheid vom 12. September 1994 gab der Landeshauptmann von Wien diesem Antrag unter Bezugnahme auf §5 Abs1 AufG nicht statt; eine Bewilligung dürfe insbesondere nicht erteilt werden, wenn eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist. Die Unterkunft sei nicht als "ortsübliche Unterkunft" zu betrachten, außerdem verfüge sie nicht über eine Bade- oder Duschgelegenheit, sondern nur um eine Wasserentnahmestelle.

Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung wies der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 27. April 1995 ab.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird. Der Beschwerdeführer bringt insbesondere vor, daß er sich seit mehreren Jahren in Österreich aufhalte, seit 1994 mit einer Österreicherin verheiratet sei, aufrecht beschäftigt sei sowie über eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in der Größe von 39 m2 verfüge. Eine Interessenabwägung im Sinn des Art8 EMRK habe die belangte Behörde gänzlich unterlassen.

3. Der belangte Bundesminister für Inneres hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ohne weitere Darlegungen - die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid greift in das dem Beschwerdeführer gemäß Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 16.3.1995, B2259/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung (weil etwa eine Familienzusammenführung verhindert wird), in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

2. Die belangte Behörde - welche dem erwähnten Vorbringen des Beschwerdeführers nicht entgegengetreten ist - hat im angefochtenen Bescheid die iS des Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung nicht vorgenommen. Der Bescheid war aus diesem Grund aufzuheben.

III.        Die Kostenentscheidung

gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von 3.000 S enthalten.

IV.                                 Diese Entscheidung konnte

gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B1796.1995

Dokumentnummer

JFT_10049075_95B01796_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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