TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/14 L503 2162921-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.08.2020
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Entscheidungsdatum

14.08.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4

Spruch


L503 2162917-1/6E

L503 2162919-1/6E

L503 2162921-1/6E

L503 2162923-1/6E

L503 2162926-1/14E

L503 2162927-1/7E

L503 2162928-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. DIEHSBACHER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX , 5.) XXXX , geb. XXXX , 6.) XXXX , geb. XXXX und 7.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. des Irak, alle vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Helmut Blum, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 1.6.2017, Zlen. 1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX , 4.) XXXX , 5.) XXXX , 6.) XXXX und 7.) vom 17.5.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.6.2020, zu Recht erkannt:

A.)

I. Die Beschwerden werden hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide gemäß § 3 Abs 1 und § 8 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. der angefochtenen Bescheide stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Gemäß §§ 54 iVm 55 und 58 Abs 2 AsylG 2005 werden XXXX die Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ jeweils für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

Gemäß §§ 54 iVm 55 und 58 Abs 2 AsylG 2005 werden XXXX die Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ jeweils für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B.) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Erstbeschwerdeführer (im Folgenden kurz: „BF1“) und die Zweitbeschwerdeführerin, seine Ehegattin (im Folgenden kurz: „BF2“), sind volljährige Staatstangehörige des Irak. Die BF1 und BF2 haben fünf minderjährige Kinder (im Folgenden kurz: „BF3-7“, wobei hinsichtlich der Zuordnung der Ziffern zu den einzelnen Personen auf den Spruch dieses Erkenntnisses verwiesen sei).

2. Am 24.10.2015 stellten die BF nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet Anträge auf internationalen Schutz.

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF1 bei seiner am selben Tag erfolgten Erstbefragung an, er sei Sunnit. Er habe oft Drohungen erhalten und es sei auch versucht worden, ihn zu entführen. Seiner Gattin habe er dies nicht erzählt, um sie nicht zu beunruhigen. Am 7.7.2015 sei auf ihr Haus (in Basra) geschossen worden, worüber er Anzeige bei der Polizei erstattet habe; die Polizei habe jedoch nicht helfen können. Aus Angst um seine Familie und sein Leben hätte er legal den Irak verlassen. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen gab der BF1 an, jemand könnte bei seiner Rückkehr von seiner Flucht erfahren; dann würde er mit Sicherheit getötet werden.

Die BF2 gab zu ihren Fluchtgründen an, am 7.7.2015 sei auf ihr Haus geschossen worden. Sie habe Angst, dass ihr Gatte entführt werde, da sie Sunniten seien. Es habe auch bereits einen Entführungsversuch gegeben.

3. Am 15.5.2017 erfolgte eine niederschriftliche Befragung der BF1 und BF2 vor dem BFA.

Eingangs gab der BF1 auf Nachfragen an, er habe in Basra im Bezirk A. S. gelebt. Seine Mutter würde noch im Irak leben; sein Vater sei im Juni 2016 im Krankenhaus einem Schlaganfall erlegen, nachdem er von Milizen wegen der Ausreise des BF1 bedroht worden sei. Seine Eltern seien geschieden gewesen. Seine Mutter wohne aktuell bei ihren Brüdern, somit den Onkeln des BF1. Der BF1 habe im Irak als Malter, Anstreicher und Bauarbeiter gearbeitet.

Sodann gab der BF1 zu seinen Fluchtgründen an, es habe bereits vor dem 7.7.2015, als es zum Beschuss seines Hauses gekommen sei, einen Vorfall gegeben. So sei er gerade vom Einkaufen nach Hause gekommen und habe ein Mann aus einen Pick-Up heraus etwa 300 m vor seinem Haus gesagt: „Schade, dass solche sunnitischen Personen hier sind“. Dabei sei der BF1 zunächst weitergegangen, wobei unbekannte Personen nach etwa 50 m eine Pepsi-Dose nach dem BF1 geworfen und den BF1 dann beschimpft hätten. Es sei zu einem Gerangel gekommen, wobei Nachbarn herausgekommen und die Angreifer weggefahren seien. Bei der Abfahrt hätten die Angreifer den BF1 mit dem Tod bedroht und als Sunniten beschimpft.

Zwei Tage nach dem Vorfall sei ein Auto am BF1 knapp mit quietschenden Reifen vorbeigefahren und habe man versucht, den BF1 zu überfahren; jemand habe aus dem Auto gerufen: „Du wirst sehen!“. Daraufhin habe er seiner Frau gesagt, es gebe keine Aufträge, um sie nicht zu beunruhigen.

Am 7.7.2015 sei dann um ca. 21:00 Uhr auf das Haus des BF1 geschossen worden, wobei ein Nachbar dem BF1 mitgeteilt habe, er habe das Auto gesehen, von dem aus geschossen wurde und habe auch die Polizei angerufen. Die Polizei habe den Tatort begutachtet und der Vater der BF2 sei zu ihnen gekommen, damit die BF2 nicht allein sei und sei der BF1 mit den Beamten auf die Polizeistation gegangen, wo alles zu Protokoll genommen worden sei.

Ungefähr acht Tage später sei in der Nacht auf ihre Haustür heftig geschlagen worden, wobei der BF1 auf das Dach gestiegen sei, aber nichts gesehen habe.

Zu allem Überfluss habe der Hauseigentümer drei Tage nach der Schießerei den Mietvertrag binnen Monatsfrist gekündigt. Der BF1 und die BF2 seien dann zwei Monate beim Schwiegervater geblieben und sie seien wenig außer Haus gegangen. Die Situation sei zunehmend schwierig geworden, da das Haus eng gewesen sei, sodass sie letztlich beschlossen hätten, den Irak zu verlassen.

Dem BF1 wurde das Protokoll vom Dolmetscher rückübersetzt und hatte er keine Einwände.

Die BF2 gab bei ihrer niederschriftlichen Befragung am 15.5.2017 eingangs an, sie habe vor ihrer Ausreise mit ihrem Mann und ihren Kindern in Basra gelebt und sei Hausfrau gewesen. Im Irak würden noch ihre Eltern, sechs Schwestern, vier Brüder sowie zahlreiche Onkeln und Tanten leben.

Auf die Frage nach ihren Fluchtgründen gab die BF2 an, sie schließe sich den Gründen ihres Gatten an. Ihr Gatte habe anfangs nicht ausreisen wollen, sie habe ihn jedoch zur Ausreise überredet; sie habe Angst um ihre Familie gehabt. Sie persönlich sei nicht bedroht worden. Ausschlaggebend sei für sie insbesondere auch die Situation ihrer fünf Kinder.

4. Mit den nunmehr bekämpften Bescheiden des BFA vom 1.6.2017 bzw. 17.5.2017 wurden die Anträge sämtlicher BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (jeweilige Spruchpunkte I.). Gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkte II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt; gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen sämtliche BF Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und wurde gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte IV.).

Begründend führte das BFA zum Sachverhalt kurz zusammengefasst aus, der BF1 habe in unmittelbarer Nähe seines Hauses mit einigen Personen vermutlich schiitischen Glaubens einen Streit gehabt. In weiterer Folge hätten diese Personen den BF1 mit ihrem Wagen in Gefahr gebracht, indem sie knapp am BF1 vorbeigefahren seien und Verwünschungen ausgestoßen hätten. Am 7.7.2015 sei das Haus der BF in der Nacht beschossen worden, wobei der BF1 bei der örtlichen Polizei Anzeige erstattet habe und die Sicherheitskräfte den Tatort untersucht hätten. Der BF1 sei nach diesen Vorfällen zu seinem Schwiegervater übersiedelt und sei dort in Sicherheit gewesen. In weiterer Folge habe der Vermieter den Mietvertrag kündigen wollen und habe der BF1 am 12.10.2015 den Irak legal per Flugzeug verlassen. Es könne – kurz zusammengefasst – nicht festgestellt werden, dass der BF1 im Falle einer Rückkehr einer Gefährdung im Sinne von Art 2 oder 3 EMRK unterliegen würde.

Beweiswürdigend verwies das BFA auf die Angaben des BF1; der BF1 habe sich selbst an die staatlichen Behörden gewandt und dies mit entsprechenden Unterlagen untermauern können. Staatlicher Schutz sei demnach gegeben gewesen. Darüber hinaus habe der BF1 nach den erwähnten Vorfällen bei seinen Schwiegereltern in einem anderen Teil von Basra völlig unbehelligt gelebt; das einzig störende an der Situation sei der beengte Raum gewesen; somit sei dem BF1 eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung gestanden. Seine verschwägerte Verwandtschaft lebe bis heute in Frieden und relativer Sicherheit in Basra; eine generelle Bedrohung für Sunniten in Basra sei nicht feststellbar. Zudem sei der BF1 – kurz zusammengefasst – ein volljähriger, gesunder und arbeitsfähiger Mann, der bei einer Rückkehr in keine existenzbedrohende Notlage geraten würde.

Im Hinblick auf die BF2 wurde im Wesentlichen ausgeführt, diese habe keine eigenen Gründe für das Verlassen ihres Heimatlandes angeführt; sie habe sich lediglich auf die Fluchtgründe ihres Mannes bezogen. Es habe auch von Amtswegen keine Verfolgung ihrer Person im Irak festgestellt werden können. Zahlreiche ihrer Familienmitglieder würden nach wie vor im Irak Leben und es sei auch keine Bedrohung für diese Verwandten feststellbar.

Im Hinblick auf die Kinder der BF wurde ausgeführt, für diese seien keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht wurden.

5. Mit Schriftsatz ihrer damaligen Vertretung vom 16.6.2017 erhoben die BF fristgerecht Beschwerde gegen die eben dargestellten Bescheide des BFA. Darin monierten die BF insbesondere eine mangelnde Ermittlungstätigkeit des BFA zu den vom BF1 vorgebrachten Fluchtgründen. Darüber hinaus habe die prekäre Sicherheitslage im Irak besonders negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen und habe sich das BFA insofern nicht mit der Rückkehrsituation auseinandergesetzt. Ein westlicher Lebensstil könnte für Frauen zu schwerwiegenden Problemen führen. Darüber hinaus würden konkrete Feststellungen zur Lage von Sunniten „mit dem Profil der BF“ im Irak fehlen. Sunniten würden im Irak zunehmend marginalisiert und verfolgt werden und hätten keinen staatlichen Schutz zu erwarten.

6. Am 15.6.2020 führte das BVwG in der Sache der BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

Dabei gab der BF1 auf die Frage nach seinen Fluchtgründen – erstmals – an, Ausgangspunkt für die Bedrohung seiner Person sei ein Treffen in einem Kaffeehaus mit Freunden gewesen, bei dem er sich abfällig über die Milizen und Gruppierungen im Irak geäußert habe; konkret sei es bei dem Gespräch um einen Vorfall gegangen, bei dem zwei Leichen an einem Fluss aufgefunden worden seien. Bei diesem Gespräch habe der BF1 auch angemerkt, dass wohl der Iran hinter diesem Vorfall stehe. Daraufhin sei der BF1 von anderen Personen, die ebenfalls im Kaffeehaus gesessen seien und das Gespräch mitgehört hätten, angesprochen worden, weshalb er die Milizen und den Iran beschuldige; er sei von diesen Personen dann auch gleich bedroht worden. Ca. drei oder vier Tage später sei der BF1 nach dem Einkaufen aus einem Fahrzeug heraus zunächst verbal bedroht worden, dann seien zwei Personen aus dem Fahrzeug ausgestiegen und hätten dem BF eine Cola-Dose zugeworfen. Dann sei der BF1 von einem der Männer – bei denen es sich nicht um jene gehandelt habe, die das Gespräch im Kaffeehaus mitgehört hätten –, gepackt und dahingehend angesprochen worden, dass er „nicht so über den Iran hätte sprechen sollen“; sie würden darüber hinaus wissen, dass er Sunnite sei. Dabei sei der BF1 getreten worden und man habe ihm eine Ohrfeige verpasst. Ungefähr vier Tage später wiederum sei der BF1 aus einem fahrenden Fahrzeug heraus verbal bedroht worden, woraufhin der BF1 aus Angst das Haus nicht mehr verlassen habe und auch nicht mehr zur Arbeit gegangen sei. Am 7.7.2015 habe es dann jenes auch bereits vor dem BFA erwähnte Schussattentat auf das Haus des BF1 gegeben, woraufhin der Schwiegervater des BF1 der Familie des BF1 angeboten habe, zu ihm zu ziehen, was vom BF1 zunächst abgelehnt worden sei. In weiterer Folge habe jedoch der Vermieter das Haus zurückverlangt und hätte auch jemand auf das Haustor geschlagen, woraufhin der BF1 mit seiner Familie dann doch zum Schwiegervater gezogen seien. Dort hätten sie noch ungefähr zweieinhalb Monate verbracht, hätten die dortige Situation jedoch nicht ausgehalten und letztlich den Irak verlassen.

Auf die Frage, warum er den wesentlichen Teil seines nunmehrigen Fluchtvorbringens vor dem BFA nicht erstattet hatte, gab der BF1 an, er habe seinerzeit alles so geschildert wie nun in der Beschwerdeverhandlung.

Auf die Frage nach seinen Rückkehrbefürchtungen gab der BF1 seine Angst an, dass er getötet werden könnte oder seinen Kindern etwas passiert. Im Irak sei es üblich, dass Kinder entführt werden und dass Lösegeld gefordert werde.

Die BF2 verwies auf die Frage nach ihren Fluchtgründen insbesondere wiederum auf das Schussattentat auf ihr Haus vom 7.7.2015 sowie den Umstand, dass nach diesem Vorfall der Mietvertrag aufgekündigt worden sei. Die anschließenden ca. zwei Monate des Aufenthalts bei ihrer Familie seien schwierig gewesen, da es nicht üblich sei, dass sich der Ehemann bei der Familie seiner Frau aufhält. Im Falle der Rückkehr befürchte sie, dass ihr Mann getötet werde oder ihren Kindern etwas zustoße. Im Irak müsse sie wiederum ein Kopftuch tragen; einer ihrer Brüder sei besonders streng und sie würde gefoltert oder getötet werden, wenn man sie so sehe, wie hier in Österreich.

7. Mit Schriftsatz vom 17.6.2020 gab die nunmehrige rechtsfreundliche Vertreterin der BF eine Stellungnahme zu den vom BVwG in der Beschwerdeverhandlung in das Verfahren eingebrachten Länderberichten ab. Darin wurde darauf hingewiesen, dass Berichten zufolge Kämpfer des IS im Irak die Ausgangssperre aufgrund der COVID-19-Pandemie nutzen würden, um ihre Angriffe zu intensivieren. Zudem sei den Länderfeststellungen zu entnehmen, dass staatliche Stellen nicht in der Lage seien, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Weiters bestehe im Irak kein staatliches Krankenversicherungssystem und bleibe die medizinische Versorgungssituation angespannt; das Gesundheitssystem sei einer solchen Pandemie nicht gewachsen. Bei den BF handle es sich um eine Familie mit fünf Kleinkindern und somit um eine vulnerable Personengruppe. Den BF drohe im Falle einer Rückkehr Verfolgung durch schiitische Milizen und sei der irakische Staat nicht gewillt und in der Lage, Schutz zu bieten. Die BF2 habe glaubhaft dargelegt, dass sie im Falle einer Rückkehr einer Gefahr ausgesetzt sei, da sie sich während ihres Aufenthalts in Österreich einen Lebensstil angeeignet habe, der den konservativen Einstellungen der irakischen Gesellschaft widerspreche. Sie sei nicht gewillt, erneut ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken und ihre Freiheiten – die sie in Österreich kennengelernt habe – aufzugeben. Die Sicherheitslage in Basra sei durch die anhaltenden Konflikte der Milizen besorgniserregend.

Abschließend wurde näher auf die von den BF in den letzten fünf Jahren in Österreich getätigten Integrationsschritte verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der BF werden folgende Feststellungen getroffen:

Die BF tragen die im Spruch angeführten Namen und sind Staatsangehörige des Irak; sie sind sunnnitische Araber und stammen aus Basra.

In Basra leben nach wie vor die Mutter des BF1, ein Bruder des BF1 sowie zwei Schwestern des BF1, wobei alle mit der Mutter des BF1 im gemeinsamen Haushalt wohnen. Seine Mutter bezieht eine Rente, sein Bruder ist Taxifahrer. Der BF1 steht täglich mit seiner Mutter in telefonischem Kontakt. Im Irak hatte der BF seinen Lebensunterhalt als Maler und Anstreicher sowie als Bauarbeiter verdient.

In Basra leben weiters nach wie vor die Eltern der BF2, 4 Brüder der BF2 und 6 Schwestern der BF2. Ihr Vater bezieht eine Rente. Eine Schwester der BF1 ist Rechtsanwältin, eine weitere Schwester Lehrerin, die vier weiteren Schwestern sind Hausfrauen. Ein Bruder der BF2 ist Lehrer, die drei weiteren sind selbständig erwerbstätig. Die BF2 steht mit ihren Angehörigen in regelmäßigem telefonischem Kontakt.

1.2. Zu den Fluchtgründen bzw. Rückkehrbefürchtungen der BF werden folgende Feststellungen getroffen:

Nicht festgestellt werden kann, dass der BF1 – wie von ihm (erstmals) in der mündlichen Verhandlung behauptet – in einem Kaffeehaus abfällig über schiitische (vom Iran aus gesteuerte) Milzen gesprochen hat und dass es aus diesem Grunde in den folgenden Tagen Drohungen durch sowie verbale und auch tätliche Auseinandersetzungen mit ihm unbekannten Personen gegeben hat.

Für möglich gehalten wird, dass das Haus des BF1 – wie von ihm behauptet und mit einer Anzeige bei der Polizei belegt wurde – am 7.7.2015 von Projektilen getroffen wurde. Die vom BF1 diesbezüglich geschilderte „Vorgeschichte“ kann aber nicht als Sachverhalt festgestellt werden.

Es kann somit keine Gefahr einer individuellen Verfolgung oder Gefährdung des BF1 (und im Gefolge dessen auch der übrigen BF) festgestellt werden.

Auch aufgrund ihrer sunnitischen Volksgruppenzugehörigkeit droht den BF im Fall einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr für Leib und Leben.

Es kann auch keine sonstige Gefahr einer Verfolgung für die BF im Fall ihrer Rückkehr festgestellt werden. Ebenso wenig kann eine maßgebliche, sonstige Gefahr für Leib und Leben der BF im Fall der Rückkehr in den Irak festgestellt werden.

1.3. Zur Lage der BF im Fall einer Rückkehr:

Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Rückkehr in den Irak in eine existenzbedrohende Notlage geraten würden. Der BF1 ist gesund und arbeitsfähig und wird (wiederum) für den Lebensunterhalt seiner Familie sorgen können. Sowohl der BF1, als auch die BF2 verfügen im Irak über ein Netz von Angehörigen, mit denen regelmäßig telefonischer Kontakt besteht. Auch die minderjährigen BF3-BF7 werden in keine existenzbedrohende Notlage geraten.

1.4. Zum Privat- und Familienleben der BF in Österreich:

Die BF halten sich seit knapp 5 Jahren – konkret seit Oktober 2015 – im Bundesgebiet auf.

Die Deutschkenntnisse des BF1 sind mäßig, jene der BF2 sind gut. Der BF1 hat bisher mehrere Beschäftigungen im Rahmen des rechtlich Möglichen ausgeübt, nämlich solche, die per Dienstleistungsscheck entlohnt wurden. Konkret scheinen folgende Beschäftigungszeiten bei zum Teil verschiedenen Dienstgebern auf: 17.08.2019 - 31.08.2019; 08.07.2019 - 31.07.2019; 14.06.2019 - 30.06.2019; 10.05.2019 - 31.05.2019; 10.04.2019 - 30.04.2019; 25.03.2019 - 31.03.2019; 22.03.2019 - 30.04.2019; 09.11.2018 - 30.11.2018; 18.10.2018 - 30.11.2018; 16.10.2018 - 31.10.2018; 15.10.2018 - 31.10.2018. Darüber hinaus haben der BF1 und die BF2 gemeinnützige Tätigkeiten durchgeführt. Aktuell leben die BF von der Grundversorgung.

Der minderjährige BF3 besucht aktuell die 4. Klasse der Mittschule W. (Sonderschule).

Die minderjährige BF4 besucht aktuell die 4. Klasse Volksschule in W.; sie hatte vier Jahre lang ein- und dieselbe Volksschule besucht. Sie hat gute Noten und wird im Herbst voraussichtlich das Gymnasium besuchen.

Die minderjährige BF5 besucht aktuell die 2. Klasse Volksschule in W.

Der minderjährige BF6 besucht aktuell die 1. Klasse Volksschule in W.

Der minderjährige BF7 besucht seit zwei Jahren den Kindergarten in W.

Insbesondere die minderjährigen BF4-BF6 sprechen nur wenig Arabisch und kommunizieren praktisch ausschließlich auf Deutsch.

1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat der BF:

Zur Lage im Irak wird auf das vom BVwG in der Verhandlung vom 15.6.2020 in das Verfahren eingebrachte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak, Gesamtaktualisierung am 17.3.2020, sowie den Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 2.3.2020 verwiesen, in denen eine Vielzahl von Berichten diverser allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt werden. Insoweit die Berichtslage konkret im gegenständlichen Verfahren relevant ist (vor allem betreffend die Sicherheitslage im Irak, die Situation der Sunniten, die Lage der Frauen, Versorgungssituation), wird darauf – um bloße Wiederholungen zu vermeiden - unten im Rahmen der Beweiswürdigung betreffend die Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen der BF im Einzelnen eingegangen. Die BF bzw. ihre Vertreterin sind den Berichten im Übrigen nicht substantiiert entgegengetreten.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person der BF

Die zur Identität der BF getroffenen Feststellungen beruhen auf den von den BF vorgelegten Dokumenten (insb. Personalausweisen). Darüber hinaus verfügen die BF auch über entsprechende Orts- und Sprachkenntnisse, sodass an ihrer Herkunftsregion – wie auch an ihrer Volksgruppenzugehörigkeit – nicht zu zweifeln war.

Die getroffenen Feststellungen zu den Angehörigen der BF im Irak und zu den bisherigen Berufen des BF1 im Irak beruhen auf den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.

2.2. Zu den Fluchtgründen bzw. Rückkehrbefürchtungen der BF

2.2.1. Was die vom BF1 vorgebrachten Fluchtgründe anbelangt, so ist zunächst anzumerken, dass dieser bei seiner Erstbefragung angab, er werde als Sunnit verfolgt, bedroht und es sei versucht worden, ihn zu entführen; am 7.7.2015 sei sein Haus beschossen worden. Bei seiner ausführlichen Befragung vor dem BFA am 15.5.2017 gab der BF1 zu seinen Fluchtgründen chronologisch an, zunächst sei er beim bzw. nach dem Einkaufen wegen seiner sunnitischen Volksgruppenzugehörigkeit von unbekannten Personen bedroht und tätlich angegriffen worden („Schade, dass solche sunnitischen Personen hier sind“), zwei Tage später sei versucht worden, ihn zu überfahren, woraufhin er aus Angst etwa 10 Tage lang zu Hause geblieben sei, am 7.7.2015 sei es dann zu dem bereits bei der Erstbefragung erwähnten Schussattentat auf das Haus gekommen und ca. acht Tage später habe jemand heftig auf die Haustür geschlagen, was ihn dann – in Zusammenschau mit der Aufkündigung des Mietvertrages durch den Vermieter – dazu bewogen habe, seinen Wohnsitz zu den Schwiegereltern zu verlegen und ca. zwei Monate später den Irak zu verlassen.

In der Beschwerdeverhandlung schilderte der BF die angeblich ausreisekausalen Gründe hingegen bereits dem Grunde nach gänzlich anders: Ausgangspunkt für die Bedrohung seiner Person sei ein Treffen in einem Kaffeehaus mit Freunden gewesen, bei dem er sich abfällig über die Milizen und Gruppierungen im Irak geäußert habe; konkret sei es bei dem Gespräch um einen Vorfall gegangen, bei dem zwei Leichen an einem Fluss aufgefunden worden seien. Bei diesem Gespräch habe der BF1 angemerkt, dass wohl der Iran hinter diesem Vorfall stehe. Daraufhin sei der BF1 von anderen Personen, die ebenfalls im Kaffeehaus gesessen seien und das Gespräch mitgehört hätten, angesprochen worden, weshalb er die Milizen und den Iran beschuldige; er sei von diesen Personen dann auch gleich bedroht worden. Ca. drei oder vier Tage später sei der BF1 nach dem Einkaufen aus einem Fahrzeug heraus zunächst verbal bedroht worden, dann seien zwei Personen aus dem Fahrzeug ausgestiegen und hätten dem BF eine Cola-Dose zugeworfen. Dann sei der BF1 von einem der Männer – bei denen es sich nicht um jene gehandelt habe, die das Gespräch im Kaffeehaus mitgehört hätten –, gepackt und dahingehend angesprochen worden, dass er „nicht so über den Iran hätte sprechen sollen“; sie würden darüber hinaus wissen, dass er Sunnite sei. Dabei sei der BF1 getreten worden und man habe ihm eine Ohrfeige verpasst. Ungefähr vier Tage später wiederum sei der BF1 aus einem fahrenden Fahrzeug heraus verbal bedroht worden, woraufhin der BF1 aus Angst das Haus nicht mehr verlassen habe und auch nicht mehr zur Arbeit gegangen sei. Am 7.7.2015 habe es dann jenes auch bereits vor dem BFA erwähnte Schussattentat auf das Haus gegeben, wobei in weiterer Folge – wie bereits vor dem BFA angegeben - der Vermieter das Haus zurückverlangt habe und auch jemand stark auf das Haustor geschlagen hätte, woraufhin der BF1 mit seiner Familie zum Schwiegervater gezogen seien, wo sie noch ungefähr zweieinhalb Monate verbracht hätten; sie hätten die dortige (Wohn-)Situation jedoch nicht ausgehalten und folglich den Irak verlassen.

Somit hat der BF1 bereits den Ausgangspunkt der angeblich fluchtkausalen Ereignisse vor dem BFA und dem BVwG gänzlich anders geschildert bzw. vor dem BFA überhaupt nicht erwähnt. Einen plausiblen Grund für diese grundlegenden Divergenzen vermochte der BF1 in der Beschwerdeverhandlung nicht glaubhaft zu machen, vgl. etwa seine Aussagen in der Beschwerdeverhandlung:

„VR: Sie haben vorhin sinngemäß angegeben, dass der Auslöser für Ihre Probleme letztlich Ihre Kommentare im Kaffeehaus war. Ist das richtig?

P: Ja. Nachgefragt, wenn ich still geblieben wäre im Kaffeehaus, dann wäre alles nicht passiert. Es war dumm von mir, aber ich war wütend.

VR: Warum haben Sie vor dem BFA diesen Aspekt nie erwähnt?

P: Ich habe das ebenfalls vor dem BFA erzählt.

VR: Ihre Schilderung bei Ihrer Befragung am 15.05.2017 nach Ihren Fluchtgründen beginnt damit, dass Sie vom Einkaufen nachhause kamen und Ihnen ein Mann gesagt hätte, schade, dass solche sunnitischen Personen hier sind.

P: Nein, ich habe wohl alles so erzählt wie heute.

VR: Laut Protokoll wurde Ihnen auch die gesamte Niederschrift rückübersetzt und Sie hatten keine Einwände.

P: Ich habe es genauso vor dem BFA erzählt. […]“

Damit vermochte der BF1 allerdings keine plausible Erklärung für die grundlegenden Divergenzen abzugeben: So wird gegenständlich nicht etwa die Erstbefragung des BF1 als Vergleich herangezogen – Erstbefragungen sind tatsächlich bewusst kurz gehalten, was zwangsläufig zu Weglassungen führt -, sondern vielmehr dessen ausführliche Befragung vor dem BFA. Bei dieser Befragung wurde dem BF1, wie aus der Niederschrift klar hervorgeht, die Möglichkeit eingeräumt, sämtliche Fluchtgründe frei und ausführlich zu schildern. Laut Protokoll wurde die Niederschrift zudem vom Dolmetscher rückübersetzt und wurde dies vom BF1 durch eigenhändige Unterschrift bestätigt. Dass er bereits seinerzeit „wohl alles so erzählt“ habe, ist somit als reine Schutzbehauptung des BF1 zu werten. Dabei verkennt das BVwG keinesfalls, dass einzelne Fehler oder Irrtümer in der (Rück-)Übersetzung nie auszuschließen sind. Allerdings hält es das BVwG geradezu für denkunmöglich, dass trotz erfolgter Rückübersetzung die vom BF1 angeblich bereits seinerzeit geschilderten, die Flucht seinen Angaben zufolge überhaupt erst erforderlich machenden Ereignisse aufgrund eines Fehlers gänzlich im Protokoll fehlen. Ganz abgesehen davon fehlt den erfolgten Protokollierungen des BFA jeglicher Hinweis auf einen angeblichen Konnex der Bedrohungen mit angeblich abfälligen Äußerungen dem Iran bzw. dessen Milizen gegenüber und besteht hier auch nicht der Eindruck, als wären Aussagen des BF weggelassen worden (vgl. etwa den BF1 vor dem BFA: „Da sagte ein Mann aus dem Pickup heraus etwa 300 Meter vor meinem Haus: ‚Schade, dass solche sunnitischen Personen hier sind‘. Ich ging zunächst weiter, nach 50 Metern warfen sie eine Pepsi dose nach mir, sie kamen auf mich zu und beschimpften uns. Ich antwortete wer sonst bleiben sollte, sie etwa?“). In der Beschwerdeverhandlung betonte der BF demgegenüber mehrfach, dass ihm dabei seine abfälligen Äußerungen dem Iran gegenüber vorgeworfen worden seien. Auch dem persönlichen Eindruck in der Beschwerdeverhandlung nach schien der BF1 das vom ihm Geschilderte nicht tatsächlich persönlich erlebt zu haben. Zudem ergab sich durch die Befragung der BF2 in der Beschwerdeverhandlung diesbezüglich kein anderes Bild, da diese sinngemäß betonte, ihr Mann habe sie nur wenig informiert; eine Frau im Irak kümmere sich um den Haushalt und mische sich nicht in die Angelegenheiten der Männer ein.

Im Ergebnis kann somit dem vom BF1 ins Treffen geführten Ausreisegründen – entgegen der (knappen) Beweiswürdigung des BFA – kein Glauben geschenkt werden.

Einzig der Umstand, dass das Haus der BF am 7.7.2015 tatsächlich von Projektilen getroffen wurde, kann nicht ausgeschlossen werden. Diesbezüglich hat der BF1 nämlich bereits beim BFA entsprechende Beweismittel (Anzeige bei der Polizei und entsprechender Bericht der Polizei) in Vorlage gebracht, welche vom BVwG einer Übersetzung zugeführt wurden. Wenngleich die Echtheit dieser Dokumente nicht überprüft werden kann, so wird dieser Vorfall, bei dem das Haus der BF von Projektilen getroffen wurde (konkret laut Polizeibericht: zehn Schussspuren in der Mauer beim Dach, zwei Schussspuren in der Vorderwand des Gebäudes und zwei Schusspuren an der Metalltüre), dennoch für möglich gehalten. Allerdings ändert dies nichts daran, dass das individuelle Fluchtvorbringen der BF1 und BF2 – wie eben dargestellt, soweit es über diesen bloßen Vorfall hinausgeht -, äußerst unglaubwürdig ist. Ganz abgesehen davon geht aus den vom BF1 vorgelegten Unterlagen hervor, dass sich die Polizei im konkreten Fall eingehend mit der Anzeige des BF1 auseinandergesetzt, die Schussspuren untersucht, Projektile sichergestellt und einen entsprechenden Bericht verfasst hat; die diesbezügliche Vorgangsweise würde sich somit nicht von jener in Österreich bei einem vergleichbaren Vorfall unterscheiden. Entgegen den Hinweisen im allgemeinen Berichtsmaterial hat der Staat Irak im konkreten Fall sehr wohl danach getrachtet, seine Schutzfunktion auszuüben. In Anbetracht des Gesagten kann somit aktuell im Fall einer Rückkehr aus dem Vorfall vom 7.7.2015 keine maßgebliche, konkrete und individuelle Gefährdung der BF im Fall einer Rückkehr abgeleitet werden.

Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass der BF1 vorbrachte, sein Vater sei im Jahr 2016 von unbekannten Personen „besucht“, nach dem BF1 befragt und auch geschlagen worden und letztlich im Krankenhaus verstorben. Wie der BF1 auf Nachfragen in der Beschwerdeverhandlung schon selbst einräumte, hatte sein Vater Bluthockdruck und schlechte Zuckerwerte, er sei aber „der Meinung“, dass dessen Tod auf den Schock über den „Besuch“ zurückzuführen sei. Die vom BF1 diesbezüglich vorgelegte (und vom BVwG einer Übersetzung zugeführte), am 16.6.2016 ausgestellte Sterbeurkunde weist als Todesursache (Tod im Krankenhaus) „Zuckerkrankheit, Schlaganfall, Gehirnschlag bei hohem Blutdruck“ auf, wobei der Neffe des Verstorbenen bei dessen Tod anwesend gewesen sei. Es findet sich hier keinerlei Hinweis auf irgendeine Straftat, sodass aus dem diesbezüglichen Vorbringen des BF1, sein Vater sei aufgrund eines „Besuches“ von unbekannten Personen, welche nach ihm gefragt hätten, verstorben, keine Gefahr einer Verfolgung für den BF1 abgeleitet werden kann.

Mangels Gefahr einer Verfolgung für den BF1 kann aus diesem gesamten Themenbereich im Übrigen auch für die BF2-BF7 keine Gefahr einer Verfolgung abgeleitet werden.

2.2.2. Was die obige Feststellung anbelangt, dass auch keine sonstige Gefahr einer Verfolgung für die BF im Fall ihrer Rückkehr und ebenso wenig eine maßgebliche, sonstige Gefahr für Leib und Leben der BF im Fall ihrer Rückkehr festgestellt werden kann, so ist Folgendes auszuführen:

2.2.2.1. Im Hinblick auf deren sunnitische Glaubensrichtung:

Unstrittig ist, dass die BF der sunnitischen Glaubensrichtung angehören. In diesem Sinne haben die BF im Rahmen ihres Vorbringens – wenngleich sich das individuelle Fluchtvorbringen, wie dargestellt, als unglaubwürdig erwiesen hat – eine Gefährdung ins Treffen geführt.

Die (arabischen) Sunniten bilden die zweitgrößte ethnisch-religiöse Gruppierung im Irak (17 bis 22 %) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak; aus dieser Gruppe stammte bis zum Ende der Diktatur von Saddam Hussein 2003 der größte Teil der politischen und militärischen Führung (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 2.3.2020, S. 7/8). Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach Entmachtung Saddam Husseins 2003 insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 - 2014) aus öffentlichen Positionen gedrängt. Anerkannte Führungspersönlichkeiten fehlen weitgehend. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als „IS“-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richteten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher „IS“-Anhänger (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 2.3.2020, S. 18).

Diesen – von den BF bzw. ihrer rechtsfreundlichen Vertreterin nicht in Zweifel gezogenen – Berichten ist somit tatsächlich zu entnehmen, dass sich die Lage der Sunniten im Irak vielfach schwieriger darstellt als jene der Schiiten und dass es in der Vergangenheit – insbesondere wegen (unterstellter) Anhängerschaft zum IS - zu Verfolgungshandlungen und Vertreibungen kam. Dessen ungeachtet kann daraus nach Ansicht des BVwG aber nicht abgeleitet werden, dass jeder Sunnite im Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückverbringung Verfolgung zu befürchten hat, sondern ist dies eine Frage der individuellen Beurteilung. Im konkreten Fall ist auszuführen, dass sich das individuelle Fluchtvorbringen als unglaubwürdig herausgestellt hat und dass eine (unterstellte) IS-Anhängerschaft von den BF auch nicht vorgebracht wurde. Hält man sich nun ergänzend vor Augen, dass zahlreiche Verwandte der BF – konkret etwa die Mutter des BF1, ein Bruder des BF1, zwei Schwestern des BF1, die Eltern der BF2, 4 Brüder und 6 Schwestern der BF1 – nach wie vor in Basra leben und teils sogar höhere berufliche Positionen bekleiden (zwei Lehrer, eine Rechtsanwältin), so vermag im konkreten Fall bloß aufgrund der sunnitischen Glaubensrichtung keine maßgebliche Gefahr einer Verfolgung für die BF erblickt zu werden.

2.2.2.2. Im Hinblick auf die Stellung der Frauen im Irak:

Die BF2 sowie ihre rechtsfreundliche Vertreterin führten zudem die Gefahr einer Verfolgung für die BF2 als Frau ins Treffen.

Zur Lage der Frauen im Irak besagt der Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 2.3.2020 Folgendes (S. 14/15):

„In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25 % im Parlament (RKI: 30 %) verankert. Dadurch sind im irakischen Parlament derzeit 83 Frauen vertreten (von insgesamt 328 Abgeordneten). Im Präsidium des Parlaments ist keine Frau vertreten. Im Regierungskabinett gibt es seit Oktober 2019 eine Frau, die Bildungsministerin. Die Hauptstadt Bagdad hat seit 2015 erstmals eine Frau als Bürgermeisterin, der Posten gilt allerdings als wenig einflussreich. In der RKI ist eine Frau Parlamentspräsidentin, es gibt drei Ministerinnen und einige hochrangige Richterinnen. Gleichwohl stellen diese Frauen eher Ausnahmen in einer männerdominierten Berufswelt dar. Laut Art. 14 und 20 der Verfassung ist jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Art. 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Artikel als Grundlage für eine Re-Islamisierung des Personenstandsrechts und damit eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung. Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsangehörigkeitsrecht. Frauen werden noch immer zu Eheschließungen gezwungen, rund 20 % der Frauen werden vor ihrem 18. Lebensjahr (religiös) verheiratet, viele davon im Alter von 10 - 14 Jahren.

Die Stellung der Frau hat sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert. Frauen sind im Alltag Diskriminierung ausgesetzt, die ihre gleichberechtigte Teilnahme am politischen, sozialen und wirtschaftlichem Leben in Irak verhindert. Die prekäre Sicherheitslage in Teilen der irakischen Gesellschaft und insbesondere unter Binnenflüchtlingen hat negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen. Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln, z. B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken. Frauen wird überproportional der Zugang zu Bildung und Teilnahme am Arbeitsmarkt verwehrt. Laut UNESCO (2018) sind 44% der Frauen über 15 Jahre des Lesens und Schreibens mächtig (Männer: 56%). In den Familien sind patriarchische Strukturen weit verbreitet; Frauen werden immer noch in Ehen gezwungen. 24,3% der 20-24jährigen Frauen wurden laut UNICEF (2018) vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet.“

Die BF2 selbst brachte in der Beschwerdeverhandlung vor, sie habe hier in Österreich ihr Kopftuch abgenommen; sie sei überzeugt, dass sie von ihren Brüdern – was sie später auf einen streng gläubigen Bruder einschränkte – gefoltert oder getötet werden würde, wenn sie so wie hier ohne Kopftuch gesehen würde; wenn sie per Videotelefonie mit ihren Angehörigen im Irak telefoniere, setze sie ein Kopftuch auf (Verhandlungsschrift S. 15). Ihre rechtsfreundliche Vertreterin brachte in der Stellungnahme vom 17.6.2020 vor, die BF2 habe sich während ihres Aufenthalts in Österreich „einen Lebensstil angeeignet, der den konservativen Einstellungen der irakischen Gesellschaft widerspricht“; die BF sei nicht gewillt, erneut ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken. Verwiesen wurde auch auf einen Online-Artikel einer Zeitung, wonach der Alltag in Basra von Entführungen, Korruption und Fundamentalismus geprägt sei und Frauen in schwarzen Tschadors gekleidet seien und ihr Leben stark eingeschränkt sei.

Wenn die BF2 selbst in der Beschwerdeverhandlung nun vorbringt, sie habe sich an das Leben in Österreich gewöhnt und ihr Kopftuch abgenommen, so ist dies durchaus verständlich. Dessen ungeachtet stellt sich die Situation im Irak (und auch konkret in Basra) nach Auffassung des BVwG in Anbetracht des Berichtsmaterials – ohne den Umstand zu verkennen, dass die Lage der Frauen vielfach schwierig ist und dass sie oft Diskriminierungen unterliegen - nicht so dar, dass bereits jede Frau per se einer entsprechenden Verfolgungsgefahr unterliegt. Dies gilt auch für Frauen, die sich in einem westlich orientierten Land aufgehalten haben und die sich an die westliche Lebensweise bereits gewöhnt haben mögen. Um hier von einer maßgeblichen Verfolgungsgefahr bzw. einem Eingriff relevanter Intensität sprechen zu können, müssen noch individuelle Faktoren hinzukommen. Die BF2 selbst etwa verwies in der Beschwerdeverhandlung lediglich auf das Kopftuch und ihr „freies Leben“ hier in Österreich. Zusätzliche, in der Person der BF2 gelegene Faktoren, kamen gegenständlich nicht hinzu (vgl. etwa das Erkenntnis des VfGH vom 23.9.2019, Zl. E2018/2019; hier hatte die Beschwerdeführerin ihren als westlich wahrgenommen Lebensstil insbesondere als Bloggerin in sozialen Medien zum Ausdruck gebracht), woran auch der von der BF2 ins Treffen geführte Umstand, sie würde einer Gefährdung durch zumindest einen strenggläubigen Bruder unterliegen, wenn dieser sie ohne Kopftuch sehen würde, nichts zu ändern vermag. So erhellt nicht, warum die BF diesem Bruder nicht grundsätzlich aus dem Weg gehen könnte bzw. erscheint es auch zumutbar, bei allfälligen (Familien-)Treffen ein Kopftuch zu tragen, vor allem wenn man sich vor Augen hält, dass die BF2 ja selbst angab, bei ihren (zahlreichen) Videotelefonaten mit ihren Angehörigen trage sich auch jetzt in Österreich ein Kopftuch. Im Übrigen hat die BF2 auf Nachfragen in der Beschwerdeverhandlung explizit angegeben, ihr Mann unterstütze sie darin, wenn sie kein Kopftuch trägt, sodass sie zumindest im allerengsten Familienkreis ihr Leben nicht wesentlich wird ändern müssen.

2.2.2.3. Im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage im Irak:

Im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage im Irak wird im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak, Gesamtaktualisierung am 17.3.2020, auszugsweise wie folgt ausgeführt:

„Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat […]. Die Sicherheitslage hat sich seitdem verbessert […]. Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete […].

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren […].“

Zur Lage im Südirak wird etwa konkret ausgeführt:

„In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten.

[…]

Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich des Gouvernements Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen, bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle, insbesondere in Babil, aber im Allgemeinen in geringerem Maße als weiter im Norden. Noch immer gibt es vereinzelte Terroranschläge […].

Seit 2015 finden in allen Städten des Südirak regelmäßig Demonstrationen statt, um gegen die Korruption der Regierung und die Arbeitslosigkeit zu protestieren und eine bessere Infrastruktur zu fordern. Gewöhnlich finden diese Demonstrationen in Ruhe statt, sie haben jedoch auch schon zu Zusammenstößen mit der Polizei geführt, mit Verletzten und Toten […]. Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements des Zentral- aber auch Südiraks (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiyah, Dhi Qar,Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen […].“

Wenngleich diese Berichte ein noch durchaus problematisches Bild von der Sicherheitslage im Irak – und auch im Südirak – zeichnen, so kann daraus nach Ansicht des BVwG aber nicht abgeleitet werden, dass gleichsam jeder, der dorthin verbracht wird, einer maßgeblichen Gefahr für Leib und Leben unterliegt. Im konkreten Fall ist darauf hinzuweisen, dass sich die individuelle Fluchtgeschichte der BF1 und BF2 als unglaubwürdig herausgestellt hat und dass eine Vielzahl an Verwandten der BF1 und BF2 nach wie vor im (Süd)Irak lebt. Eine maßgebliche Gefährdung schon aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage konnte somit nicht festgestellt werden.

2.2.2.4. Im Hinblick auf die Grundversorgung und medizinische Versorgung:

Der Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 2.3.2020 besagt diesbezüglich Folgendes:

„Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Jenseits des Ölsektors – daraus stammen 90% der Staatseinnahmen – verfügt Irak kaum über eigene Industrie. Der Hauptarbeitgeber ist die öffentliche Hand. Über 4 Mio. der geschätzt 38 Mio. Iraker sind Staatsbedienstete.

Über die befreiten Gebiete hinaus ist im gesamten Land die durch Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur stark sanierungsbedürftig. Die Versorgungslage ist für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Nach Angaben der WHO (2014) leben 17% der Bevölkerung unterhalb der internationalen Armutsgrenze (1,90 USD/Tag). Die genannten Defizite werden durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt.

[…]

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt: In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Die große Zahl von Flüchtlingen und Binnenflüchtlingen belastet das Gesundheitssystem zusätzlich.“

Ungeachtet der problematischen Versorgungslage – wobei die Berichte aber in keiner Weise auf extreme Situationen wie etwa Hungersnöte hinweisen - konnte im konkreten Fall nicht festgestellt werden kann, dass die BF im konkreten Fall der Rückkehr in den Irak in eine existenzbedrohende Notlage geraten würden. So ist der BF1 gesund und voll arbeitsfähig; bereits im Irak hatte der BF den Lebensunterhalt für sich und seine Familie als Maler und Anstreicher sowie als Bauarbeiter verdient und sind keine Umstände ersichtlich, dass ihm dies im Fall einer Rückkehr nicht wieder möglich wäre. Der BF1 selbst bezeichnete in der Beschwerdeverhandlung seine wirtschaftliche Situation im Irak als „Mittel. Weder arm noch reich“. Sowohl der BF1, als auch die BF2 verfügen im Irak über ein Netz von Angehörigen, mit denen regelmäßig telefonischer Kontakt besteht. Zum Teil üben die Angehörigen auch gehobene Positionen aus; so ist z. B. eine Schwester der BF2 Lehrerin, ebenso wie ein Bruder der BF2, und eine andere Schwester der BF2 Rechtsanwältin. Dass die BF im Fall einer Rückkehr in eine existenzielle Notlage geraten könnten, erscheint geradezu ausgeschlossen.

Zudem sind sämtliche BF gesund, sodass auch insofern in deren Rückverbringung keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erblickt werden kann. Nicht verkannt wird, dass in der Beschwerde seinerzeit auf „hohen Blutdruck“ sowie „Schilddrüsenprobleme“ der BF2 verwiesen wurde. In der Beschwerdeverhandlung führte die BF2 diesbezüglich nichts mehr ins Treffen, sondern betonte ihre Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit. Dass die BF2 an einer hier relevanten Erkrankung leidet, kann somit ausgeschlossen werden.

2.2.2.5. Im Hinblick auf die Situation von Kindern im Irak:

Im Hinblick auf die Situation von Kindern im Irak wird im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak, Gesamtaktualisierung am 17.3.2020, auszugsweise wie folgt ausgeführt:

„Die Hälfte der irakischen Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt. Kinder waren und sind Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Sie sind einerseits in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage, andererseits durch Gewaltakte gegen sie selbst oder gegen Familienmitglieder stark betroffen (AA 12.1.2019). […]

Eine Million Kinder unter 18 Jahren hatte Ende 2019 humanitären Bedarf an Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygiene (UNICEF 31.12.2019). Über ein Viertel aller Kinder im Irak lebt in Armut. Dabei waren, über die letzten Jahrzehnte, Kinder im Süden des Landes und in ländlichen Gebieten am stärksten betroffen (UN News 19.1.2018; vgl. UNICEF 31.1.2017). 22,6% der Kinder im Irak sind unterernährt (AA 12.1.2019). Ein Viertel aller Kinder unter fünf Jahren sind physisch unterentwickelt bzw. im Wachstum zurückgeblieben (UNICEF 31.1.2017).“

Was nun konkret die Frage anbelangt, ob vor diesem Hintergrund eine Rückverbringung der minderjährigen BF3-BF7 in den Irak einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichkäme, so ist wiederum zu betonen, dass der BF1 die wirtschaftliche Situation der Familie selbst als „Weder arm noch reich“ beschrieb und dass der BF1 die Familie unzweifelhaft wird erhalten können. Dass es den BF3-BF7 an elementaren Dingen mangeln würde und sie zu jenem Viertel der Kinder im Irak gehören würden, welches in Armut lebt, ist vor diesem Hintergrund auszuschließen. Zudem ist – in Anbetracht des familiären Umfelds (eine Schwester der BF2 ist Lehrerin, ein Bruder ebenso Lehrer, eine weitere Schwester Rechtsanwältin) davon auszugehen, dass den BF3-BF7 eine entsprechende Ausbildung zukommt.

2.2.2.6. Im Hinblick auf die aktuelle Covid-19-Pandemie:

Der Vollständigkeit halber sei ergänzend angemerkt, dass nicht verkannt wird, dass auch der Irak von der aktuellen, weltweiten Covid-19-Pandemie heimgesucht wird. Aktuell (Stand 12.8.2020) gibt es im Irak 156.995 bestätigte Fälle, wobei davon allerdings bereits 112.102 Personen genesen sind; 5.531 Personen sind bis dato verstorben. Dies bedeutet bisher insgesamt 4.012 bestätigte Fälle pro eine Million Menschen (weltweit tagesaktuelle Statistiken abgerufen unter https://news.google.com/covid19/map?hl=de&mid=%2Fm%2 F02j71&glAT&ceid=AT%3Ade). Zum Vergleich gibt es in Österreich aktuell 2.499 bestätigte Fälle pro eine Million Menschen. Damit ist die aktuelle Zahl im Irak zwar höher als in Österreich, aber nicht in einem grundlegenden Ausmaß. Die irakische Regierung versucht insbesondere, mit (nächtlichen) Ausgangssperren die weitere Ausbreitung des Virus einzudämmen (vgl. die Reise- und Sicherheitshinweise des Deutschen Auswärtigen Amtes zum Irak, abgerufen am 21.7.2020). Freilich wird nicht verkannt, dass – woraufhin die Vertreterin der BF in ihrer Stellungnahme vom 17.6.2020 zutreffend hinweist und wie auch den vom BVwG in das Verfahren eingebrachten Berichten zu entnehmen ist – die medizinische Versorgungssituation im Irak angespannt ist, sodass insofern auch kein Vergleich mit Österreich zulässig ist. Im konkreten Fall ist aber zu betonen, dass sämtliche BF jüngeren Alters sind und auch keine schweren Vorerkrankungen aufweisen. In einer Gesamtbetrachtung kann aus den vorliegenden Statistiken nicht abgeleitet werden, dass den BF – gesunden, jungen Personen – im Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der derzeitigen Pandemie Gefahr für ihre Gesundheit oder gar ihr Leben droht.

Nicht verkannt wird schließlich, dass die rechtsfreundliche Vertreterin der BF in ihrer Stellungnahme vom 17.6.2020 – ohne dies näher mit konkreten Berichten zu spezifizieren – darauf hinwies, dass der IS im Irak aufgrund der Ausgangssperren wegen Covid-19 seine Angriffe intensiviere und an Stärke gewinne und dass die internationalen Truppen aufgrund der anhaltenden Pandemie zurückgezogen würden. Diesbezüglich ist anzumerken, dass – in Übereinstimmung mit dem erstatteten Vorbringen – aus allgemein abrufbaren Berichten (z. B. NZZ vom 8.4.2020 - „Die Amerikaner und ihre Verbündeten treten im Irak den Rückzug an“) zwar tatsächlich hervorgeht, dass der IS die aktuelle Situation für sich zu nutzen versucht, allerdings kann den aktuellen Medienberichten gerade nicht entnommen werden – und hat die Vertreterin auch nicht vorgebracht -, dass der IS im Irak tatsächlich wieder Gebiete unter seine Kontrolle gebracht hätte oder sich die Sicherheitslage aufgrund der Pandemie in einem Ausmaß verschlechtert hätte, dass nunmehr jede Rückverbringung in den Irak eine maßgebliche Gefahr für Leib und Leben der rückverbrachten Personen bedeuten würde.

2.3. Zum Privat- und Familienleben der BF in Österreich:

Die oben getroffenen Feststellungen zum Privat- und Familienleben der BF in Österreich sowie zu ihrer Integration beruhen auf den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben der BF bzw. den vorgelegten Unterlagen (z. B. Schulbesuchsbestätigungen) vor dem BFA und in der Verhandlung vor dem BVwG sowie auf Erhebungen des BVwG in Form der Einholung eines Sozialversicherungsdatenauszugs. Von den oben beschriebenen Deutschkenntnissen des BF1 und der BF2 konnte sich der erkennende Richter in der Verhandlung ebenso ein Bild machen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Allgemeine rechtliche Grundlagen:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich entscheidet das Bundesverwaltungsgericht mangels anderer Regelung somit durch Einzelrichter.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache gemäß § 28 Abs 1 VwGVG durch Erkenntnis zu erledigen.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

3.2. Zu Spruchpunkt A.I.

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) – deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Unter „Verfolgung“ im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (vgl. bspw. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. September 2016, Zl. Ra 2016/19/0074 u.v.a).

§ 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt „Verfolgung“ als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 EMRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 EMRK niedergelegte Verbot der Folter (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 2016, Ra 2016/18/0083).

Wie bereits in der Beweiswürdigung ausführlich dargestellt, erwies sich das individuelle Fluchtvorbringen des BF1 (abfällige Äußerungen über den Iran bzw. die iranischen Milizen in einem Kaffeehaus und daraufhin damit in Zusammenhang stehende, mehrfache Attacken auf den BF durch unbekannte Personen) als gänzlich unglaubwürdig und besteht in dieser Hinsicht somit auch keine Gefahr einer Verfolgung für den BF im Fall seiner Rückkehr, sodass die Gewährung von Asyl aus diesem Grunde nicht in Betracht kommt. Für möglich wurde lediglich der Umstand gehalten, dass das Haus des BF1 am 7.7.2015 von Projektilen getroffen wurde, allerdings war daraus keine maßgebliche Verfolgungsgefahr im Fall einer Rückkehr abzuleiten.

Zudem konnte nicht festgestellt werden, dass den BF bereits per se aufgrund ihrer sunnitischen Glaubensrichtung eine maßgebliche Verfolgungsgefahr droht.

Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass die BF2 als Frau einer maßgeblichen Verfolgungsgefahr unterliegt bzw. mit Eingriffen relevanter Intensität zu rechnen hätte.

Die Gewährung von Asyl kommt folglich nicht in Betracht und war die Beschwerde diesbezüglich spruchgemäß abzuweisen.

3.2.2. Gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine rea

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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