TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/25 W109 1434645-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.11.2020
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Entscheidungsdatum

25.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W109 1434645-3/18E

Schriftliche Ausfertigung des am 30.09.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BÜCHELE über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, vom 19.08.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.09.2020 zu Recht erkannt:

A)       Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX , geb. XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Am 01.11.2012 stellte der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesasylamt mit Bescheid vom 09.04.2013 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sowie des subsidiär Schutzberechtigten abwies und den Beschwerdeführer nach Afghanistan auswies. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 17.03.2015 hinsichtlich Spruchpunkt I. ab, gab der Beschwerde im Übrigen statt, erkannte dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine bis zum 16.03.2016 befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Beschwerdeführer leide an Insomnie, reaktive Depression, v.a. posttraumatischer Belastungsstörung. Die medizinische Betreuung sei auch in Kabul mangelhaft, eine Behandlung wäre für einen Rückkehrer nach mehrjährigem Aufenthalt im Ausland umso unwahrscheinlicher. Es könne daher nicht mit erforderlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.

Auf seinen Antrag hin wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2016 eine bis zum 16.03.2018 befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt.

Am 20.02.2018 beantragte der Beschwerdeführer erneut die Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005.

Mit Bescheid vom 20.04.2018 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, entzog ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter, erteilte ihm keine Aufenthaltsberechtigung aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer, stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde.

Mit Bescheid vom 03.10.2018, zugestellt am 05.10.2018, erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer eine bis zum 16.03.2020 befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005.

Aufgrund der gegen den Bescheid vom 20.04.2018 erhobenen Beschwerde führte das Bundesverwaltungsgericht am 14.05.2019 eine mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer unter anderem angab, er wolle nunmehr einen neuerlichen Antrag auf Gewährung des Status eines Asylberechtigten stellen, da er zwischenzeitig vom islamischen Glauben abgefallen und zum christlichen Glauben innerhalb der römisch-katholischen Kirche konvertiert sei, brachte einen Taufschein, sowie ein Schreiben und eine Bestätigung in Vorlage. Mit im Zuge der Verhandlung am 14.05.2019 mündlich verkündetem Erkenntnis wie das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Bescheid vom 03.10.2018 als unbegründet ab. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, die psychische Erkrankung des Beschwerdeführers sei nicht mehr in einer derartigen Weise vorhanden, dass der Beschwerdeführer in Behandlung stehe. Damit seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten weggefallen. Der Beschwerdeführer habe jedoch unter Hinweis auf einen zwischenzeitigen Nachfluchtgrund einen neuerlichen Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gestellt, der unter einem gemäß § 6 AVG an das zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weitergeleitet werde.

Mit Schreiben vom 15.05.2019 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zuständigkeitshalber unter Hinweis auf § 6 AVG und den Folgeantrag des Beschwerdeführers die Verhandlungsschrift.

Mit Schreiben vom 16.05.2019 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer mit, sein Asylverfahren sei bereits rechtskräftig negativ abgeschlossen, in seinem Fall sei die Einbringung eines Asylantrages in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht unzulässig. Sollte er einen neuerlichen Asylantrag stellen wollen, werde er ersucht, sich gemäß § 17 Abs. 1 AsylG 2005 an ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder einer Sicherheitsbehörde zu wenden.

Am 22.05.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Folgeantrag und gab in der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung an, er sei römisch-katholischer Christ und 14 Monate zuvor zum Christentum übergetreten. Er sei im März 2019 zur Taufe zugelassen und am 20.04.2019 zu Ostern getauft worden. Da er einen neuen Glauben habe, könne er nicht in sein Heimatdorf zurückkehren. In Afghanistan seien auch einige Freunde darüber informiert, dass er zum Christentum übergetreten sei. Auch seine Mutter habe es erfahren und den Kontakt zu ihm abgebrochen. Sie bezeichne ihn als Ungläubigen und mache ihm Vorwürfe, warum er zum Christentum übergetreten sei. Er wolle hier wie ein Christ leben und auch in die Kirche gehen. In Afghanistan sei dies nicht möglich, offen in die Kirche zu gehen. Er wolle hier kirchlich heiraten und ein freies Leben führen. Im Koran werde zitiert, wenn ein Moslem aus dem Islam austrete, solle er zum Tode verurteilt oder gesteinigt werden. Ihn erwarte die Todesstrafe.

Am 03.06.2019 führte der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auf das Wesentliche zusammengefasst aus, er habe bereits im März 2018 die Kirche besucht und seinen Glauben und den Weg zu Jesus Christus gefunden. Ende 2017 habe sein Interesse begonnen, ein Freund habe ihm eine Bibel ausgeliehen. Dieser Freund sei Christ. Die gesamte Taufvorbereitung habe ein Jahr gedauert. Zudem wurden ihm zahlreiche Wissensfragen gestellt. Am 31.07.2019 wurde der Beschwerdeführer erneut niederschriftlich einvernommen.

Mit Schreiben vom 19.08.2019 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, zu seinem Iran-Aufenthalt im Zeitraum 16.03.-13.04.2019 Stellung zu nehmen und zur Vorlage von mit der Reise in Verbindung stehenden Dokumenten aufgefordert.

Am 02.09.2019 langte die Stellungnahme des Beschwerdeführers unter Anschluss diverser Dokumente in Kopie am Bundesverwaltungsgericht ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, er habe seine Schwester und seinen Bruder im Iran besucht.

Am 06.09.2019 vermerkte die belangte Behörde im Akt die Unbedenklichkeit der Reisebewegung in den Iran.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 19.08.2019, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, die Konversion zur römisch-katholischen Kirche sei nicht glaubhaft. Der Beschwerdeführer habe sich bisher nicht besonders intensiv mit Glaubensinhalten der römisch-katholischen Kirche befasst, zwar verfüge er über Allgemeinwissen, eine gründliche, sowie kritische Auseinandersetzung mit der christlichen Lehre sei jedoch nicht erkennbar. Der Beschwerdeführer habe als Unterscheidungsmerkmal zwischen Christentum und Islam angegeben, man müsse im Islam nach dem Tod Rechenschaft ablegen für zu Lebzeiten begangene Taten. Dabei handle es sich jedoch um kein unterscheidendes, sondern um ein gemeinsames Merkmal, auch das Christentum ziehe Menschen für böse Taten zur Verantwortung. Die Aussage des Beschwerdeführers „Die katholische Kirche ist perfekt“ weise darauf hin, dass eine umfassende Beschäftigung mit der Glaubensgemeinschaft nicht erfolgt und der Zugang des Beschwerdeführers zum Christentum wenig realistisch sei. Alleine der historische Kontext (Kreuzzüge) würde die Bezeichnung der katholischen Kirche als perfekt konterkarieren. Weiter habe der Beschwerdeführer behauptet, die katholische Kirche betreibe keine Ausgrenzung und Diskriminierung, was ebenso nicht der Faktenlage entspreche. So würden Frauen nicht zum Priesteramt zugelassen. Der Beschwerdeführer habe sich bezüglich des Zeitpunktes des Beginns seines Interesses am Christentum widersprochen. So habe er im Rahmen der BFA-Einvernahme am 03.06.2018 explizit Ende 2017 angegeben. Im Beschwerdetext vom 15.05.2018 bezeichne er sich dagegen als schiitischer Moslem und sei keine Rede von einer möglichen Konversion gewesen. Hierzu habe der Beschwerdeführer ausgesagt, seine Konversionspläne seien zum Beschwerdezeitpunkt immer noch vage gewesen. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass die aufkeimende Idee einer Konversion keinen Eingang in die Beschwerde gefunden habe. Es sei nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer sich in dem Zeitpunkt, als sich die Aberkennung des bestehenden Schutzstatus abgezeichnet habe, sich innerlich überzeug einer neuen Religion zugewandt habe. Motive pragmatischer bzw. berechnender Natur seien plausibler. Die persönliche Glaubwürdigkeit vermindere sich, weil der Beschwerdeführer seine Konversionsüberlegungen erst kürzlich artikuliert und diese Verspätung nicht überzeugend habe begründen können. Die vorgelegten Beweismittel seien nicht ausreichend, um eine innere Überzeugung messbar zu machen. Das Vorbringen beinhalte vage, widersprüchliche und nicht plausible Elemente. Allgemeinkenntnisse in Bezug auf christliche Werte, Vorlage von Taufscheinen, etc. seien keine ausrechend zuverlässigen Indikatoren zur Messung der inneren Überzeugung. Es sei hinreichend fundiertes Detailwissen und eine kritische Auseinandersetzung mit Religionsfragen notwendig. Seinen christlichen Glauben könne der Beschwerdeführer in Afghanistan im Inneren leben, ohne nach außen christlich-religiös in Erscheinung treten zu müssen und dadurch öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen.

3.       Am 11.09.2019 langte die vollumfängliche Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bei der belangten Behörde ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, dem Beschwerdeführer drohe aufgrund seiner Konversion zum christlichen Glauben Verfolgung in Afghanistan. Einige seiner Freunde und seine Mutter seien darüber informiert, sie würden ihn als Ungläubigen bezeichnen und hätten den Kontakt zu ihm abgebrochen. Bei einer Rückkehr sei der Beschwerdeführer Haft- und Todesstrafe ausgesetzt. Konversion sei ein Verbrechen gegen den Islam und werde mit dem Tode bestraft. Bei jenen Wissensfragen, die der Beschwerdeführer laut der Behörde nicht „richtig“ beantwortet habe, handle es sich um Fragen, die mit der eigenen Meinung/Ansicht beantwortet würden. Die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers dürfe jedoch nicht von seiner Meinung abhängig gemacht werden. Die Hinwendung eines Menschen zum Glauben drücke sich nicht in theologischem Detailwissen aus, sondern in seiner authentischen Absicht, gemäß der leitenden Glaubensprinzipien zu leben. Eine „innere Überzeugung“ enthalte ein unbestritten stark subjektives Element.

Am 30.09.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin, ein im Akt namentlich genannter Zeuge und ein Dolmetscher für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde nahm nicht an der Verhandlung teil.

In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er werde im Herkunftsstaat verfolgt, weil er zum Christentum konvertiert sei, aufrecht.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

–        Taufschein

–        Bestätigung von XXXX

–        Mehrere Schreiben XXXX

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde am XXXX in XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er bekennt sich zur katholischen Glaubensrichtung des Christentums. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer ist in Kabul aufgewachsen und hat dort vier bis fünf Jahre die Schule besucht. Außerdem hat er als Schneider gearbeitet.

Der Vater des Beschwerdeführers ist verstorben, seine Mutter lebt in Kabul. Sie hat den Kontakt zum Beschwerdeführer wegen seiner Konversion abgebrochen.

Der Bruder des Beschwerdeführers und zwei Schwestern leben im Iran. Auch sie wünschen wegen der Konversion keinen Kontakt zum Beschwerdeführer.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer kam erstmals Ende 2017 im Bundesgebiet über einen Freund in näheren Kontakt mit dem christlichen Glauben, las in der Bibel und begann schließlich, die Messe zu besuchen.

Ab März 2018 begann der Beschwerdeführer mit der Taufvorbereitung und wurde dabei von einem habilitierten Theologen und Ordenspriester des Stiftes Heiligenkreuz betreut. Im März 2019 wurde der Beschwerdeführer zur Taufe zugelassen und schließlich am 20.04.2019 in der Stiftspfarre Heiligenkreuz getauft.

Seit seinem Umzug nach Tamsweg, Salzburg, besucht der Beschwerdeführer in Salzburg (Stadt) regelmäßig einen Gebetskreis der Loretto-Gemeinschaft, Pfarre St. Blasius. Er besucht weiterhin regelmäßig die Messe.

Der Beschwerdeführer hat sich aus tiefer innerer Überzeugung vom Islam abgewendet und den inneren Entschluss gefasst, nach dem christlichen Glauben zu leben. Er ist zum römisch-katholischen Christentum konvertiert und bekennt sich auch offen zu diesem Entschluss.

Im Herkunftsstaat wäre der Beschwerdeführer, weil er sich vom Islam abgewandt hat und seinen neuen Glauben lebt und dies bekannt ist, Übergriffen durch Privatpersonen sowie der strafrechtlichen Verfolgung durch den Staat bis hin zur Todesstrafe ausgesetzt. Diese Gefahr besteht landesweit.

2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Muttersprache und seinen Lebensumständen bis zur Einreise nach Österreich ergeben sich aus seinen gleichbleibenden Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und dem Bundesverwaltungsgericht. Zur Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers wird auf die Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen verwiesen.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

Die Feststellung, dass der Kontakt zu Mutter und Geschwistern von diesem wegen der Konversion des Beschwerdeführers abgebrochen ist, beruht auf den in Zusammenschau mit dem Fluchtvorbringen plausiblen Angaben des Beschwerdeführers (siehe dazu auch unter Punkt II.2.2.)

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers beruhen auf den vorgelegten Unterlagen, sowie auf den Angaben des Beschwerdeführers in seinen Einvernahmen, sowie insbesondere auf den Aussagen des Zeugen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 30.09.2020.

So trug der Beschwerdeführer die Geschichte seiner Konversion zunächst im Kern gleichbleibend vor und wurde diese vom Zeugen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 30.09.2020 bestätigt und konsistent ergänzt. Zur inneren Glaubensüberzeugung des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer insbesondere während seiner eigenen Befragung zum Fluchtvorbringen einen gespannten und emotional bewegten Eindruck machen und auf sämtliche Fragen zu seinen Beweggründen spontan und lebendig antwortete und auch die ihm gestellten Wissensfragen beantworten konnte. Weiter wurden dem Beschwerdeführer bereits durch die belangte Behörde in zwei Einvernahmen am 03.06.2019 und am 31.07.2019 zahlreiche Wissensfragen gestellt, die dieser im Wesentlichen beantworten konnte. Im Hinblick auf die Beweiswürdigung der belangten Behörde, der zufolge eine besonders intensive Beschäftigung mit Glaubensinhalten und eine kritische Auseinandersetzung mit der christlichen Lehre nicht erkennbar sei (AS 521), ist anzumerken, dass die belangte Behörde hier auf „Meinungen“ – wie es die Beschwerde zurückhaltend ausdrückt (AS 564) – abstellt, deren Vertretung sich nicht als Indiz für oder gegen die Hinwendung zu einer Glaubensrichtung werten lässt.

Zum beweiswürdigend aufgegriffenen „Widerspruch“ im Hinblick auf den Beginn des Interesses am Christentum und der Selbstbezeichnung als schiitischer Moslem in der Beschwerde gegen den Aberkennungsbescheid von Mai 2018 (AS 521) ist anzumerken, dass ein Interesse am Christentum gerade noch keine konkrete Konversionsabsicht umfasst. Ein Widerspruch ist damit nicht erkennbar. Weiter ist ein konkreter Zusammenhang zwischen der Einleitung des Aberkennungsverfahrens und dem beginnenden Interesse des Beschwerdeführers zum Christentum nicht ersichtlich. So hat der Beschwerdeführer gleichbleibend angegeben, Ende 2017 über einen Freund erstmals mit dem Christentum in Kontakt gekommen zu sein und schildert auch der Zeuge in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht damit in Einklang stehend, der Beschwerdeführer sei über diesen im Akt mehrmals namentlich genannten Freund erstmals zu seiner Gruppe gestoßen und langsam in das Christentum hineingekommen (OZ 11, S. 8). Damit beschreibt der Zeuge keine plötzliche, von Beginn an klare Konversionsabsicht, sondern einen längerfristigen Prozess. Weiter ist anzumerken, dass sich die Aberkennung des bestehenden Schutzstatus vor dem Hintergrund der damaligen behördlichen Praxis – die massenhafte Einleitung von Aberkennungsverfahren nach § 9 AsylG 2005 gegen afghanische Staatsangehörige hat erst im Jahr 2018 begonnen – Ende 2017 und Anfang 2018 nicht bereits abzeichnete (AS 522). Damit ist auch die von der Behörde unterstellte verspätete Artikulation der Konversionsüberlegungen kein Indiz für die verminderte Glaubwürdigkeit. So ist für eine Person, die davon ausgeht, über einen Schutzstatus zu verfügen und mit dessen Verlängerung rechnet, kein Beweggrund für die vorschnelle Geltendmachung noch vager Konversionsabsichten ersichtlich.

Wesentlich zur Überzeugung des erkennenden Einzelrichters von der tatsächlichen Konversion des Beschwerdeführers aus innerer Überzeugung hat jedoch der im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 30.09.2020 befragte Zeuge beigetragen, der den religiösen Werdegang des Beschwerdeführers von Anfang an begleitet hat und aus eigenem umfassend darlegte und offenkundig überzeugt von der Ernsthaftigkeit der Konversion des Beschwerdeführers war. Dies drückt sich etwa auch darin aus, dass er den Beschwerdeführer einem weiteren seiner Schützlinge als sozialen Anschluss empfohlen hat, nachdem auch dieser nach XXXX verlegt worden war. Auch schilderte der Zeuge lebensnah, wie der Beschwerdeführer an seinem neuen Wohnort selbstständig Anschluss an einen Gebetskreis gefunden hat und weiterhin die Messe besucht, worauf im Übrigen die diesbezüglichen Feststellungen beruhen. Befragt dazu, wie er sicherstelle, dass die Konversion nicht zur Erlangung von Aufenthaltstiteln missbraucht werde, legte der Zeuge überzeugend dar, dass er die Betreuung auf dem Weg zur Taufe insbesondere als religiöse Verantwortung und die Konversion als freie Entscheidung betrachtet, die er nur im Fall ernsthafter Absichten unterstütze und begleite. Vor dem Hintergrund dieses Pflichtgefühls des Zeugen und dem von diesem vermittelten persönlichen Eindruck hegt das Bundesverwaltungsgericht keine Zweifel daran, dass der Zeuge seine Angaben ausschließlich im Dienst der Wahrheitsfindung gemacht hat. In Zusammenschau mit dem persönlichen Eindruck, den das Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung am 30.09.2020 vom Beschwerdeführer gewinnen konnte, kommt das Bundesverwaltungsgericht daher zu dem Schluss einer Konversion des Beschwerdeführers aus innerer Überzeugung zur römisch-katholischen Glaubensrichtung des Christentums.

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Übergriffe durch Privatpersonen sowie strafrechtliche Verfolgung durch den Staat bis hin zur Todesstrafe drohen, weil er sich vom Islam abgewandt hat und seinen neuen Glauben lebt, ergibt sich im Wesentlichen aus den Länderberichten:

So berichtet die vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 07.08.2020 (OZ 9) in das Verfahren eingebrachte EASO Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019, dass Apostasie mit dem Tod, Gefängnisstrafe oder Konfiskation von Eigentum bestraft werde. Apostasie sei eine schwere Straftat, auch wenn von wenigen Fällen berichtet werde. Apostaten seien auch der Gefahr gewaltsamer Angriffe ausgesetzt, die bis zu deren Tod führen könnten, ohne, dass sie vor Gericht gebracht würden. Auch Taliban und ISKP würden Apostaten angreifen. Konvertiten würden gewaltsame Sanktionen riskieren, die auch von ihrer Familie ausgehen könnten. Auch nach islamischem Recht sei die Konversion vom Islam zu einem anderen Glauben eine schwere Straftat und werde mit dem Tod bestraft, bei Männern mit Enthauptung. Sie würden auch von der Gesellschaft feindlich wahrgenommen. Es seien kaum Konvertiten öffentlich sichtbar, diese würden vom Staat zum Widerruf aufgefordert oder aus dem Land vertrieben (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 16. Individuals considered to have committed blasphemy and/or apostasy, S. 68-69). Gleichlautend berichten auch die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018, – ebenso mit Ladung vom 07.08.2020 (OZ 9) in das Verfahren eingebracht – dass die Konversion vom Islam als Apostasie betrachtet wird und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tode bestraft werde. Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grundes und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren. Personen, die vom Islam zu einer anderen Religion übertreten, müssen Berichten zufolge um ihre persönliche Sicherheit fürchten. In der Regel hätten Beschuldigte keinen Zugang zu einem Verteidiger oder zu anderen Verfahrensgarantien (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe b) Konversion vom Islam, S. 72). Beide Quellen nehmen überdies keinen Landesteil von der Gefahr aus.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderberichte ist auszuführen, dass den UNHCR-Richtlinien nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken ist („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat und seine Beweiswürdigung zu den Fluchtgründen daher auf die angeführten Quellen.

3.       Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zum Fluchtvorbringen einer asylrechtlich relevanten Verfolgung wegen Apostasie

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, StF: BGBl. Nr. 55/1955 (in der Folge Genfer Flüchtlingskonvention – GFK) droht.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht einer Person unter anderem, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Religion verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Nach § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

§ 3 Abs. 2 AsylG 2005 ist Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes Abl L 337/9 vom 20.12.2011 (Statusrichtlinie), nachgebildet. Nach Art. 5 Abs. 2 Statusrichtlinie kann die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers nach Verlassen seines Herkunftslandes beruhen, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.

Der Verfassungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass asylrelevante Verfolgung gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch auf Aktivitäten beruhen kann, die der Fremde seit dem Verlassen des Herkunftsstaats gesetzt hat (VfGH 12.12.2013, U 2272/2012). Auch der Verwaltungsgerichtshof hat bereits erkannt, dass diese neuen – in Österreich eingetretenen – Umstände, mit denen ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung nunmehr begründet, grundsätzlich zur Asylgewährung führen können. Sie sind daher zu überprüfen, wenn sie geeignet sind, die Annahme „wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung“ zu rechtfertigen (VwGH 18.09.1997, 96/20/0323).

Bedingt dadurch, dass der Beschwerdeführer im Verfahren seinen im Bundesgebiet gefassten inneren Entschluss, nach dem römisch-katholischen Christentum zu leben, glaubhaft machen konnte, macht er mit seinem Vorbringen einer Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat wegen seiner Konversion einen subjektiven Nachfluchtgrund geltend.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist in Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum entscheidend, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität der Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (zuletzt VwGH 07.05.2018, Ra 2018/20/0186). Es kommt auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0260).

Dabei stellt der Verwaltungsgerichtshof bei einer Konversion zum Christentum nicht darauf ab, ob der Religionswechsel bereits – durch die Taufe – erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist nur, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität der Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden. Die bloße Behauptung eines „Interesses am Christentum“ reicht für die Geltendmachung einer asylrechtlich relevanten Konversion nicht aus (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0453 mwN).

Nach dem gemäß § 2 Abs. 1 Z 12 AsylG unmittelbar anwendbaren Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 AsylG „Statusrichtlinie“) umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

Nach dem mit „Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ übertitelten Art. 10 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C 202 vom 7.6.2016, S. 389–405, umfasst dieses Recht die Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen.

Im Wesentlichen inhaltsgleich gewährt auch Art. 9 EMRK als in der EMRK gewährleistetes Grundrecht, die gemäß Art. 6 Abs. 3 Vertrag über die Europäische Union (EUV) als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind, Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.

Nach diesen normativen Vorgaben umfasst der Religionsbegriff des Art. 1 Abschnitt A, Z 2 GFK nicht nur die individuelle Glaubensfreiheit als Kern der Religionsfreiheit („forum internum“), sondern auch das öffentliche Bekenntnis und die Freiheit zur Ausübung der Religion in den religiösen Vorschriften entsprechendem Verhalten („forum externum“). Demnach ist es einem Asylwerber für den Rückkehrfall nicht zumutbar, seine Religion heimlich ausüben und seine innere Überzeugung verstecken zu müssen. Diese Einschätzung geht auch aus der EASO Country Guidance: Afghansitan von Juni 2019 hervor, die ebenso darauf hinweist, dass von einem Antragsteller nicht erwartet werden kann, sich seiner religiösen Praktiken zu enthalten (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 16. Individuals considered to have committed blasphemy and/or apostasy, S. 69). Damit erweist sich die Erwägung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer könne seinen christlichen Glauben im Inneren leben, ohne nach außen christlich-religiös in Erscheinung treten zu müssen und dadurch öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen (AS 523) als klar rechtswidrig.

Für den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wurde festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, dass ihm im Fall des Bekanntwerdens seines inneren Entschlusses, etwa im Wege einer öffentlichen Glaubensbetätigung indem er seinen Glauben lebt (derer sich der Beschwerdeführer wie oben ausgeführt nicht enthalten muss) Übergriffe durch private Akteure sowie staatliche Strafmaßnahmen bis hin zur Todesstrafe drohen. Damit droht dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat Verfolgung sowohl durch staatliche als auch durch private Akteure. Und ist vor der Verfolgung durch Privatpersonen im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichthofes staatlicher Schutz bedingt durch die auch vom Staat selbst ausgehende Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer nicht zu erwarten.

Der Beschwerdeführer konnte damit glaubhaft machen, dass ihm im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung droht.

Es sind im Verfahren auch keine Asylausschlussgründe gemäß § 6 AsylG hervorgekommen.

Nach § 3 Abs. 3 Z 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt besteht die Gefahr privater Übergriffe bzw. staatlicher Strafverfolgung wegen der Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum (bzw. wegen Apostasie) landesweit. Damit steht dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG nicht zur Verfügung.

3.2.    Zur Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wird das Einreise- und Aufenthaltsrecht des Asylberechtigten unmittelbar kraft Gesetzes bestimmt. Die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter hat somit nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht zu erfolgen. Auch gemäß § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 kommt dem Asylberechtigten eine entsprechende Aufenthaltsberechtigung zu, ohne dass eine darüberhinausgehende Erteilung dieser Berechtigung vorzunehmen wäre (VwGH 03.05.2018, Ra 2017/19/0373).

Dem Beschwerdeführer war daher spruchgemäß nach § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Ihm kommt damit unmittelbar kraft Gesetzes (VwGH 03.05.2018, Ra 2017/19/0373) eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu, die (vorerst) für drei Jahre gilt.

4.        Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen – oben wiedergegebenen – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen; in vielen Punkten stehen Tatsachenfragen im Vordergrund.

Schlagworte

Apostasie asylrechtlich relevante Verfolgung befristete Aufenthaltsberechtigung gesamtes Staatsgebiet Konversion Nachfluchtgründe Religion Schutzunwilligkeit staatliche Verfolgung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W109.1434645.3.00

Im RIS seit

17.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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