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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter betreffend eine Familie usbekischer Staatsangehöriger; keine Auseinandersetzung mit der die Kinder betreffenden SicherheitslageSpruch
Den Anträgen auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Eingabengebühr wird stattgegeben.
II. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Usbekistan, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebungen nach Usbekistan und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
III. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
IV. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 3.008,40 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers. Die Beschwerdeführer sind usbekische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und sind muslimischen Glaubens. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin reisten gemeinsam, jedoch ohne ihren ersten gemeinsamen Sohn, in das Bundesgebiet ein und stellten am 6. Mai 2015 Anträge auf internationalen Schutz. Zu ihren Fluchtgründen befragt gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er als Unternehmer zwei bis drei Mal von unbekannten Männern zur Zahlung von Schutzgeld gezwungen worden sei. Nach der Geburt ihres zweiten gemeinsamen Sohnes im Inland stellten die Beschwerdeführer als gesetzliche Vertreter für ihn am 15. Jänner 2018 ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer brachten keine eigenen Fluchtgründe vor.
2. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28. Juli 2016, 29. Juli 2016 bzw 19. April 2018 wurden diese Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Usbekistan abgewiesen, Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurden nicht erteilt, Rückkehrentscheidungen erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Usbekistan zulässig sei. Ihnen wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt.
3. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden vom Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 28. Februar 2020 als unbegründet abgewiesen.
3.1. Das Bundesverwaltungsgericht begründete die abweisende Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Asylstatus in Bezug auf den Erstbeschwerdeführer damit, dass seinem Fluchtvorbringen auf Grund der vagen und widersprüchlichen Schilderung (insbesondere in Zusammenschau mit den Aussagen seines Schwagers in dessen Asylverfahren, beim Verfassungsgerichtshof zu den Zahlen E1244-1247/2020 protokolliert) keine Glaubwürdigkeit zukomme. Für die Zweitbeschwerdeführerin und den minderjährigen Drittbeschwerdeführer seien keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden.
3.2. In Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten stellte das Bundesverwaltungsgericht zunächst unter Berücksichtigung der persönlichen Situation der Beschwerdeführer fest, dass keine außergewöhnlichen Umstände, die gegen die Abschiebung in die Republik Usbekistan sprechen würden, erkennbar seien. Für die Republik Usbekistan könne auch unter Berücksichtigung der Länderfeststellungen nicht festgestellt werden, dass in diesem Staat eine dermaßen schlechte wirtschaftliche Lage bzw eine allgemeine politische Situation herrschen würde, die für sich genommen bereits die Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat als unrechtmäßig erscheinen ließe.
3.3. Nach durchgeführter Interessenabwägung iSd Art8 EMRK kam das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der Beschwerdeführer, insbesondere weil die Beschwerdeführer im gleichen Maße von der aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen seien und weil die Beschwerdeführer keine außergewöhnliche Integration aufweisen würden, das persönliche Interesse der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet überwiege. Überdies könne wegen des noch jungen, mit einer hohen Anpassungsfähigkeit verbundenen Alters des Drittbeschwerdeführers davon ausgegangen werden, dass für den unmündigen minderjährigen Beschwerdeführer die Rückkehr in den Herkunftsstaat, wo seine Großeltern, sein Bruder sowie seine Tanten und Cousins leben würden, nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht mit unzumutbaren Härten verbunden wäre.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Usbekistan richtet, begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unter-scheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
3. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
4. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
5. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
5.1. Bei der Behandlung der Anträge auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob sie unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage zu deren Beurteilung einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen der Kinder Eingang finden, jedenfalls erforderlich (vgl UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Art1 (A) 2 und 1 (F) des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74). Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt die Bedeutung der Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige als besonders vulnerable Antragsteller hervorgehoben (zB VfGH 9.6.2017, E484/2017 ua mwN). Dieses Verständnis steht im Einklang mit Art24 Abs2 GRC bzw ArtI zweiter Satz des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern, BGBl I 4/2011, wonach bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss (VfGH 2.10.2013, U2576/2012 mit Verweis auf EuGH 6.6.2013, Rs C-648/11, MA ua, Rz 56 und 57).
5.2. Im angefochtenen Erkenntnis fehlen sämtliche Feststellungen hinsichtlich der im Speziellen Kinder betreffenden Sicherheitslage. Das Bundesverwaltungsgericht hat sohin eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob dem minderjährigen Sohn der Beschwerdeführer, der in Österreich geboren wurde und bisher nur im Bundesgebiet aufgewachsen ist, im Falle einer Rückkehr eine Verletzung seiner gemäß Art2 und 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte droht, nahezu vollständig unterlassen (VfGH 27.2.2018, E3507/2017; 21.9.2017, E2130/2017 ua; 11.10.2017, E1734/2017 ua; 11.10.2017, E1803/2017 ua).
5.3. Wenngleich das Bundesverwaltungsgericht die Minderjährigkeit des Drittbeschwerdeführers im Rahmen seiner Abwägung nach Art8 EMRK berücksichtigt, lässt es diese bei der Prüfung nach Art2 und Art3 EMRK und den hiefür erforderlichen Feststellungen außer Acht. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Drittbeschwerdeführer begründungslos ergangen (vgl VfGH 23.9.2019, E1138/2019).
5.4. Soweit das angefochtene Erkenntnis die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten an den minderjährigen Drittbeschwerdeführer und – daran anknüpfend – die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bzw der Abschiebung in den Herkunftsstaat Usbekistan unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise ausspricht, ist es somit mit Willkür belastet. Dieser Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidung betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin durch (VfSlg 19.855/2014; VfGH 24.11.2016, E1085/2016 ua) und belastet auch diese mit (objektiver) Willkür (etwa VfSlg 19.401/2011 mwN). Daher ist das Erkenntnis auch betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin – im selben Umfang wie hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers – aufzuheben (vgl VfGH 21.9.2017, E2130-2132/2017).
6. Im Übrigen (hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt: Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind. Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Usbekistan, die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebungen sowie die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch eine Rechtsanwältin vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 501,40 enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießen.
Schlagworte
Asylrecht / Vulnerabilität, Kinder, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E1241.2020Zuletzt aktualisiert am
16.02.2021