TE Vfgh Erkenntnis 2020/10/7 E1234/2020

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Veröffentlicht am 07.10.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine Rückkehrentscheidung betreffend einen Staatsangehörigen von Bangladesch; mangelhafte Auseinandersetzung mit dessen Beziehung zur Lebensgefährtin sowie seiner Bindung zum Herkunftsstaat

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die erlassene Rückkehrentscheidung, den Ausspruch, dass die Ausweisung nach Bangladesch zulässig ist und die vierzehntägige Frist zur Ausreise, abgewiesen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer reiste 2011 ins Bundesgebiet ein und stellte am 17. Februar 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28. Februar 2011 wurde dieser Antrag abgewiesen und der Beschwerdeführer nach Bangladesch ausgewiesen. Dieser Bescheid wurde mit Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 6. Juli 2015 aufgehoben und die Sache an das (mittlerweile zuständige) Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) zurückverwiesen. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass das Bundesasylamt den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt und sich nur unzureichend mit dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt hätte.

1.1. Mit einem als "Bescheid" bezeichneten Schriftstück des BFA vom 27. November 2018 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 17. Februar 2011 abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. Februar 2019 zurückgewiesen, weil das Schreiben des BFA vom 27. November 2018 nicht als Bescheid zu werten sei: Die im Verwaltungsakt befindliche Urschrift der angefochtenen Erledigung weise weder eine Unterschrift des genehmigenden Organwalters auf, noch wurde die mittels Textverarbeitung erstellte Urschrift sonst durch ein Verfahren zum Nachweis der Identität des Organwalters, etwa durch Amtssignatur, genehmigt.

1.2. Mit Bescheid des BFA vom 26. Februar 2019 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 17. Februar 2011 abgewiesen, kein Aufenthaltstitel gemäß §57 AsylG erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung zulässig ist und eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen gesetzt.

1.3. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 2. Dezember 2019 abgewiesen. Zur Abweisung der Beschwerde gegen die erlassene Rückkehrentscheidung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die lange Aufenthaltsdauer seit Februar 2011 jedenfalls durch die bloß vorläufige Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber relativiert werde: Der Beschwerdeführer habe der Behörde gefälschte Dokumente vorgelegt und unwahre Angaben gemacht. Dadurch habe er die lange Verfahrensdauer wesentlich mitverursacht.

1.3.1. Zur Lebensgefährtin des Beschwerdeführers führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass sie im Beschwerdeführer eine besondere Unterstützung in ihrer derzeitigen Lebenssituation als arbeitslose Alleinerziehende sehe und sie sich der "Brüchigkeit" der Beziehung bewusst sei, zumal sie den Status des asylrechtlichen Verfahrens des Beschwerdeführers kenne. Die Beziehung sei auch nicht derart intensiv, wie vom Beschwerdeführer und seiner Rechtsvertreterin behauptet, zumal der Beschwerdeführer seiner Lebensgefährtin nicht einmal seine Fluchtgründe geschildert habe. Sein Vorbringen anlässlich der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hätte außerdem aufgesetzt und stark übertrieben gewirkt. Wenngleich der Beschwerdeführer durchaus gute Deutschkenntnisse vorweise und selbsterhaltungsfähig sei, habe er in einer Gesamtschau kein besonderes Maß an persönlicher, sozialer und wirtschaftlicher Integration dargetan.

1.3.2. Das Bundesverwaltungsgericht führt außerdem aus, dass der Beschwerdeführer seit 2009 mit einer "Bengalin" verheiratet sei, aber keinen Kontakt zu ihr habe. Der Vater, ein Bruder und eine Schwester des Beschwerdeführers würden weiterhin in Bangladesch leben. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass der Beschwerdeführer weiterhin Kontakt zu seinem Vater habe, zumal er nicht nachvollziehbar darlegen habe können, weshalb er den Kontakt nach dem Tod seiner Mutter abgebrochen hätte. Der Beschwerdeführer habe den Großteil seines bisherigen Lebens in Bangladesch verbracht, sei dort aufgewachsen und habe eine Schulbildung absolviert. Insgesamt sei daher von deutlich stärkeren Bindungen zum Herkunftsstaat auszugehen. Das Bundesverwaltungsgericht gelangt sohin zum Schluss, dass das öffentliche Interesse an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber dem Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiege.

2. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

3. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Das Bundesverwaltungsgericht führt zunächst aus, dass der Beschwerdeführer für seine Lebensgefährtin eine besondere Unterstützung in ihrer derzeitigen Lebenssituation als arbeitslose Alleinerziehende darstelle (vgl angefochtene Entscheidung S 59 f.). Im Widerspruch dazu geht das Bundesverwaltungsgericht aber in weiterer Folge davon aus, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Lebensgefährtin keine intensive Beziehung vorliege. Auch die übrigen vom Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang angeführten Argumente erweisen sich als spekulativ: Es gibt zahlreiche Gründe, seine Fluchtgeschichte – auch einer nahestehenden Person – nicht zu erzählen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu weder den Beschwerdeführer noch seine Lebensgefährtin befragt. Soweit das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass "die Versicherung der behaupteten starken Bindung in dieser Lebensgemeinschaft aufgesetzt und stark übertrieben" gewirkt hätte, hat es verabsäumt, dies anhand konkreter Beispiele zu begründen.

2.2. Außerdem stützt das Bundesverwaltungsgericht seine Abwägung gemäß Art8 EMRK maßgeblich auf die deutlich stärkeren Bindungen des Beschwerdeführers zu seinem Herkunftsstaat, ohne diesbezügliche Tatsachen näher zu ermitteln, so zum Beispiel den Beschwerdeführer dazu ausreichend zu befragen. An anderer Stelle (im Rahmen der rechtlichen Beurteilung) führt das Bundesverwaltungsgericht dazu aus, dass nicht glaubhaft sei, dass der Beschwerdeführer seit dem Tod seiner Mutter keinen Kontakt mehr zu seinem Vater hätte, weil der Beschwerdeführer dies nicht habe erklären können. Diese Ausführung widerspricht der Aktenlage: Aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer nicht gefragt wurde, aus welchem Grund der Kontakt abgebrochen wurde. Aus Sicht des Beschwerdeführers bestand auch kein Anlass, dies von sich aus näher auszuführen. Das Bundesverwaltungsgericht hat es sohin verabsäumt, ausreichend zu ermitteln, ob der Beschwerdeführer weiterhin enge Bindungen zu seinem Herkunftsstaat aufweist (vgl VfGH 25.2.2020, E3494/2019).

2.3. Im Übrigen weist der Verfassungsgerichtshof darauf hin, dass im fortgesetzten Verfahren im Rahmen einer Gesamtbeurteilung abzuwägen sein wird, ob das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers gegenüber allfälligen öffentlichen Interessen an der Beendigung seines Aufenthalts überwiegt. Dabei wird insbesondere auch die lange Verfahrensdauer zu berücksichtigen sein (vgl dazu VfGH 25.2.2020, E4087/2019 mwN).

3. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt: Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind. Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten richtet, abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG; zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die erlassene Rückkehrentscheidung, den Ausspruch, dass die Ausweisung nach Bangladesch zulässig ist und die vierzehntätige Frist zur Ausreise, abgewiesen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Privat- und Familienleben, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E1234.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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