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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan; mangelhafte Auseinandersetzung mit einem aktuellen Bericht des EASOSpruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde in Daikundi geboren. Er ist schiitischer Moslem und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Nach dem Verschwinden seines Vaters in Afghanistan verließ er im Alter von rund sechs bis sieben Jahren gemeinsam mit seiner Mutter sein Herkunftsland und zog in den Iran, wo er bis zu seiner Ausreise nach Österreich lebte. Am 1. September 2015 stellte er im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz und gab zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er im Fall einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat auf Grund seiner Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit Schwierigkeiten bekäme. Außerdem verfüge er über kein Vermögen und habe kein familiäres oder soziales Netzwerk in Afghanistan, sodass er nicht mit Unterstützung rechnen könne. Die Sicherheitslage in Afghanistan sei jedenfalls derart, dass jedem Afghanen, der sein Heimatland verließe, der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu erteilen sei. Zudem leide er unter psychischen Problemen (Depression, posttraumatische Belastungsstörung) und müsse dagegen Medikamente einnehmen.
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 13. Februar 2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel erteilt, es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen bemessen.
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 8. Juli 2019 als unbegründet ab. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen wie folgt aus:
3.1. Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, eine drohende Verfolgungsgefahr, insbesondere im Hinblick auf seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara, glaubhaft zu machen. Zwar sei auf Basis der Länderberichte dem Beschwerdeführer zunächst darin zu folgen, dass Schiiten – speziell jene, die den ethnischen Hazara angehörten – von Diskriminierungen betroffen sein könnten. Dennoch ergäben sich aus den Länderfeststellungen keine Hinweise auf eine Gruppenverfolgung der schiitischen Hazara. Die gegen diese Gruppe bestehenden Diskriminierungen sowie die beobachtete Zunahme von Übergriffen ihr gegenüber erreichten gegenwärtig nicht ein derartiges Ausmaß, dass von einer asylrelevanten Verfolgung auszugehen sei.
3.2. Bezugnehmend auf die geltend gemachte psychische Erkrankung sei den Länderfeststellungen zu entnehmen, dass die notwendige medizinische Versorgung in Herat bzw Mazar-e Sharif gewährleistet sei. Die behauptete Erkrankung sei zudem nicht geeignet, die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers in Zweifel zu ziehen. Eine spezifische Vulnerabilität liege daher nicht vor. Die Grundversorgung sowie Arbeitsmöglichkeiten (allenfalls als Tagelöhner) seien in den urbanen Zentren von Herat oder Mazar-e Sharif vorhanden. Der Beschwerdeführer spreche eine Landessprache, sei im erwerbsfähigen Alter und könne sich auch bei hoher Arbeitslosigkeit zumindest zeitweise gegen Mitbewerber durchsetzen, sodass er seine Existenz sichern könne.
3.3. Es könne davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nicht in eine derart ausweglose Lage geriete, die ihm jegliche Existenzgrundlage entzöge. Die Lage in der Stadt Herat bzw in Mazar-e Sharif sei den Länderfeststellungen zufolge so, dass dort eine Ansiedlung für den Beschwerdeführer möglich sei. Die Grundversorgung der afghanischen Bevölkerung sei gesichert und der Beschwerdeführer gehöre keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen sei, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstelle als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen könne.
3.4. Es handle sich um einen ledigen, leistungsfähigen Mann im berufsfähigen Alter, der in der Vergangenheit bereits nachdrücklich unter Beweis gestellt habe, dass er imstande sei, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Selbst unter Berücksichtigung allenfalls auftretender, anfänglicher wirtschaftlicher Schwierigkeiten könne ihm eine Niederlassung in den genannten Städten zugemutet werden. Er sei mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut und stamme aus einem Kulturkreis, in dem das familiäre Netzwerk und das daraus fließende Solidarsystem besonders stark ausgeprägt seien. Außerdem könne er Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und damit zumindest übergangsweise das Auslangen finden, sodass nicht zu befürchten sei, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr – sohin noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen – in eine existenzbedrohende Situation geriete. Durch die Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in seinen Rechten nach Art2 oder 3 EMRK oder nach dem 6. oder 13. ZPEMRK verletzt. Die Beschwerde gegen die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sei daher als unbegründet abzuweisen.
3.5. Da der Beschwerdeführer über keine Familienangehörigen oder sonstigen engen Nahebeziehungen in Österreich verfüge, sei ein Eingriff in sein Recht auf Familienleben iSd Art8 EMRK auszuschließen. Er halte sich bisher erst knapp vier Jahre in Österreich auf, sodass nicht von einem schützenswerten Privatleben ausgegangen werden könne.
3.6. Jedoch selbst wenn man von einem Eingriff in sein Privatleben ausgehe, so wäre ein solcher verhältnismäßig: Die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers vermöge weder sein persönliches Interesse am Verbleib in Österreich zu verstärken, noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend zu schwächen. Die Dauer des Verfahrens übersteige nicht das Maß dessen, was für ein rechtstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Verfahren angemessen sei. Der Beschwerdeführer lebe von Leistungen aus der Grundversorgung und sei im Rahmen seiner saisonalen Tätigkeiten beim Ernteeinsatz in Österreich nie einer über die Geringfügigkeit hinausgehenden Beschäftigung bzw Erwerbstätigkeit nachgegangen, sodass keine Selbsterhaltungsfähigkeit bestehe. Daran vermöge auch eine in Aussicht gestellte Anstellung nichts zu ändern. Zwar sprächen seine sozialen Kontakte, sein gemeinnütziges Engagement und sein Weiterbildungsbestreben für Integrationsbemühungen, doch genügten diese – insbesondere vor dem Hintergrund der erst kurzzeitigen Aufenthaltsdauer in Österreich – nicht, um eine nachhaltige Integration im Bundesgebiet anzunehmen. In diesem Zusammenhang sei auch der Tatsache Beachtung zu schenken, dass der Beschwerdeführer für die Dauer seines Aufenthaltes stets nur vorläufig aufenthaltsberechtigt gewesen sei. Er habe daher damit rechnen müssen, dass es im Fall einer negativen Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz zu einer Beendigung seines Aufenthaltes komme.
3.7. Der Beschwerdeführer habe bis zu seinem sechsten oder siebten Lebensjahr fast sein gesamtes Leben im Iran verbracht und dort seine Sozialisation in einem afghanischen Haushalt erfahren. Er beherrsche Farsi und habe Arbeitserfahrung als Hilfsarbeiter gesammelt. Hinzu komme überdies die in Österreich gesammelte Arbeitserfahrung. Es sei daher davon auszugehen, dass er sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan in die dortige Gesellschaft wieder eingliedern könne, zumal er mit den kulturellen und gesellschaftlichen Gepflogenheiten vertraut sei.
3.8. Er benötige keine medizinische Behandlung, die er im Herkunftsland nicht erlangen könne. Psychologische Behandlungsmöglichkeiten seien vorhanden und eine medizinische Betreuung während der Abschiebung sei sichergestellt.
3.9. Das Vorliegen eines die Unzulässigkeit der Abschiebung herbeiführenden Sachverhaltes werde mit der vorliegenden Entscheidung verneint. Einer Abschiebung stehe auch keine vorläufige Maßnahme des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Bezug auf Afghanistan entgegen.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt:
Das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht ausreichend mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers auseinandergesetzt, insbesondere im Hinblick auf die Frage der Behandelbarkeit seiner psychischen Erkrankung in Afghanistan sowie der von terroristischen Gruppierungen ausgehenden Gefahr für junge Männer und der generellen Gefahr der Verfolgung verwestlichter Rückkehrer. Die Ermittlungstätigkeiten und Begründung auch in Bezug auf die Umstände, dass der Beschwerdeführer kein familiäres und soziales Netzwerk in Afghanistan habe und sich sein Aufenthalt im Herkunftsstaat auf seine ersten Lebensjahre beschränke, seien unzureichend. Das Bundesverwaltungsgericht habe übersehen, dass von EASO eine spezifischere Information betreffend Fälle wie jenen des Beschwerdeführers bestehe. Die "Country Guidance" zu Afghanistan des EASO vom Juni 2018 nehme ausdrücklich Bezug auf jene Gruppe von Rückkehrern, die entweder außerhalb Afghanistans geboren worden seien oder lange Zeit außerhalb des Landes gelebt hätten. Sie finde jedoch in der Entscheidung keine Berücksichtigung, sodass das Erkenntnis mit Willkür belastet sei.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr der Verletzung von Art2 oder 3 EMRK oder des 6. oder 13. ZPEMRK bedeutete oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich brächte.
3.2. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheits-lage (vgl etwa VfSlg 19.466/2011; VfGH 21.9.2012, U1032/12; 26.6.2013, U2557/2012; 11.12.2013, U1159/2012 ua; 11.3.2015, E1542/2014; 22.9.2016, E1641/2016; 23.9.2016, E1796/2016; 27.2.2018, E2124/2017; vgl zuletzt insbesondere VfGH 12.12.2019, E2692/2019; 12.12.2019, E3369/2019).
3.3. Im vorliegenden Fall stützt das Bundesverwaltungsgericht seine Feststellung, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in die Städte Herat und Mazar-e Sharif als innerstaatliche Fluchtalternative möglich und zumutbar sei, im Wesentlichen auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation auf dem Stand vom 29. Juni 2018 (in der aktualisierten Fassung vom Juni 2019) sowie auf die "Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis" des EASO auf dem Stand Juni 2018 und die Richtlinien des UNHCR vom 30. August 2018. In Bezug auf die Situation von Rückkehrern zieht das Bundesverwaltungsgericht insbesondere Informationen der Staatendokumentation des BFA auf dem Stand April 2018 heran.
3.4. Vor diesem Hintergrund und unter Berufung auf die individuellen Umstände des Beschwerdeführers (er sei jung, weitgehend gesund, arbeitsfähig und verfüge über berufliche Erfahrung) geht das Bundesverwaltungsgericht im Ergebnis davon aus, dass der Beschwerdeführer in der Lage sein werde – allenfalls unter Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe und diversen Reintegrationsprojekten – für sein eigenes Einkommen zu sorgen. Er sei zudem mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut, zumal er bis zu seinem sechsten oder siebten Lebensjahr in Afghanistan gelebt habe und auch im Iran in einem afghanischen Haushalt aufgewachsen sei. Es sei daher davon auszugehen, dass keine Schwierigkeiten bei der Eingliederung in die afghanische Gesellschaft aufträten.
3.5. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht bei seiner Beurteilung, dass aus der "Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis" des EASO hervorgeht, dass für jene Gruppe von Rückkehrern nach Afghanistan, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben, eine innerstaatliche Fluchtalternative dann nicht in Betracht komme, wenn am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme kein Unterstützungsnetzwerk für die konkrete Person vorhanden sei, das sie bei der Befriedigung grundlegender existenzieller Bedürfnisse unterstützen könne, und dass es einer Beurteilung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien bedürfe: Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnisse der betroffenen Person bzw Verbindungen zu Afghanistan sowie sozialer- und wirtschaftlicher Hintergrund, insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung einschließlich Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans (vgl VfGH 12.12.2019, E3369/2019).
3.6. Derartigen Länderberichten, wie insbesondere auch den Richtlinien des UNHCR, ist bei der Beurteilung der Situation im Rückkehrstaat bei der Prüfung, ob dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist, besondere Beachtung zu schenken (vgl VfGH 12.12.2019, E2692/2019; 12.12.2019, E3369/2019; 4.3.2020, E4399/2019 jeweils mwN; vgl auch VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 17.12.2019, Ra 2019/18/0278 ua). Das bedeutet insbesondere, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit den aus diesen Länderberichten hervorgehenden Problemstellungen im Hinblick auf eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan, und zwar in Bezug auf die konkrete Situation des Beschwerdeführers, auseinanderzusetzen hat (vgl VfGH 6.10.2020, E1728/2020).
3.7. Das Bundesverwaltungsgericht lässt im Rahmen der rechtlichen Beurteilung, ob eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig ist, sowohl die in der EASO-Country-Guidance enthaltene spezifische Berichtslage als auch den Umstand gänzlich unberücksichtigt, dass der Beschwerdeführer sein Leben ab dem sechsten oder siebten Lebensjahr bis zu seiner Ausreise nach Österreich ausschließlich im Iran verbracht hat. Es verkennt damit, dass nach den Ausführungen der EASO-Country-Guidance hinsichtlich jener Rückkehrer, die außerhalb Afghanistans geboren wurden und/oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben, qualifizierte Umstände erforderlich sind, insbesondere im Hinblick auf ein Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnisse der betroffenen Person sowie Bildungs- und Berufserfahrung einschließlich Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans, um von einer im Hinblick auf Art2 und 3 EMRK zumutbaren Rückkehrsituation ausgehen zu können.
3.8. Indem das Bundesverwaltungsgericht von einer zumutbaren Rückkehrsituation ausgeht, dabei die aktuellen Länderberichte in Bezug auf das spezifische Personenprofil des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt und sich somit mit dessen konkreter Situation nicht auseinandersetzt, hat es in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen und damit sein Erkenntnis – soweit es sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und daran anknüpfend auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise bezieht – mit Willkür belastet.
4. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
4.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
4.2. Die vorliegende Beschwerde behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.
4.3. Das Asylverfahren ist nicht von Art6 EMRK erfasst (vgl VfSlg 13.831/1994).
4.4. Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifische verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht in jeder Hinsicht hinreichend ermittelt und rechtmäßig entschieden hat, nicht anzustellen. Art18 GRC räumt keine über die Genfer Flüchtlingskonvention hinausgehenden Rechte ein. Das weitere Vorbringen zur Grundrechte-Charta vermag an der rechtlichen Beurteilung nichts zu ändern.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E3110.2019Zuletzt aktualisiert am
16.02.2021