Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Bernhard Kirchl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei W*****, vertreten durch Mag. Christian Steurer, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, 1081 Wien, Josefstädter Straße 80, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung eines Dienstunfalls und Leistung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. Oktober 2020, GZ 23 Rs 31/20k-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. Juli 2020, GZ 35 Cgs 237/19y-20, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das klageabweisende Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die Kosten der Rekursbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Am Morgen des 22. 3. 2019 fuhr der damals 47-jährige Kläger mit seinem Monowheel von seinem Wohnort zu seiner Dienststelle im Stadtgebiet von B*****. Bei einem Monowheel handelt es sich um ein elektrisch angetriebenes Einrad. Der Fahrer platziert seine Füße auf die seitlich vom Rad angebrachten Pedale. Beschleunigt wird durch die Verlagerung des Körpergewichts nach vorne, gebremst (allein) durch die Verlagerung des Körpergewichts nach hinten. Im Unterschied zu anderen „üblichen“ Verkehrsmitteln bzw Fahrzeugen im Sinn der Straßenverkehrsordnung zeichnen sich Monowheels vor allem dadurch aus, dass sie über keine manuell zu betätigenden Bremsen oder Lenkeinrichtungen verfügen und auf das Halten des Gleichgewichts und die Steuerung durch Gewichtsverlagerung ausgelegt sind.
[2] Der Kläger befuhr am Unfalltag mit dem Monowheel abwechselnd die Straße und den Gehsteig. Bei einer Geschwindigkeit von ca 20 km/h kam er zu Sturz und erlitt einen offenen Trümmerbruch des Oberarms links mit Gelenksbeteiligung. Der Hergang des Sturzes kann nicht festgestellt werden. Es ist weder feststellbar, ob der Sturz auf einen äußeren Einfluss zurückzuführen ist, noch, ob er auf dem Gehsteig oder auf der Fahrbahn erfolgte. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt war ab dem 22. 6. 2019 um 20 % vermindert. Ab 1. 12. 2019 beträgt die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf Dauer 15 %.
[3] Mit Bescheid vom 22. 8. 2019 lehnte die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau ab, den Unfall des Klägers als Dienstunfall anzuerkennen und ihm Leistungen aus der Unfallversicherung zu gewähren.
[4] Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass der Vorfall vom 22. 3. 2019 einen Dienstunfall darstelle und die Beklagte schuldig sei, ihm Leistungen aus der Unfallversicherung im gesetzlichen Ausmaß zu erbringen. Es liege ein Dienstunfall vor. Das Monowheel sei Fahrrädern oder anderen üblichen Verkehrsmitteln gleichgestellt.
[5] Die beklagte Partei bestritt und wendete ein, der Vorfall vom 22. 3. 2019 sei nicht vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst. Ein Monowheel, das keinerlei Sicherheitseinrichtungen – insbesondere keine Bremsen – aufweise und dessen Betrieb artistische Fähigkeiten erfordere, sei für den Arbeitsweg nicht geeignet. Es gelte nicht als Verkehrsmittel iSd StVO (wie etwa ein Fahrrad), sondern als Spiel- und Sportgerät für Freizeitzwecke.
[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
[7] Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus traf es noch die Feststellung, dass der Kläger vor der Inbetriebnahme des Monowheels keinen Kurs absolviert hatte. Er nutzte das Gerät hauptsächlich für den Weg zu seiner Dienststelle sowie dazu, um in der Mittagspause seine Eltern zu besuchen. Gelegentlich verwendete er es auch in seiner Freizeit.
[8] Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass es sich bei einem Monowheel nicht um ein Verkehrsmittel, sondern um ein Sportgerät handle. Die Verwendung dieses Sportgeräts sei kausal für den Unfall gewesen, weshalb kein Unfallversicherungsschutz gegeben sei.
[9] Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und wies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Der Unfall sei vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst. Möge ein Monowheel (ebenso wie Rollschuhe, Inlineskates oder Skateboards) im Allgemeinen eher aus Gründen benützt werden, die dem privaten Lebensbereich zuzuordnen seien, treffe dies auf den Kläger nicht zu, weil er es hauptsächlich für die Bewältigung seines Weges von und zur Dienststelle verwendet habe. Insoweit sei nicht von Bedeutung, ob ein Monowheel als Sportgerät zu qualifizieren sei oder nicht. Da der genaue Hergang des Sturzes ungeklärt geblieben sei, stehe nicht fest, dass das Unfallgeschehen auf die Verwirklichung einer typischen, mit der Verwendung des Monowheels verbundenen Gefahr zurückzuführen sei. Dass die Verwendung eines Monowheels im Allgemeinen mit besonderen Gefahren verbunden sei, stehe ebenfalls nicht fest. Dass dabei eine gewisse Übung erforderlich ist, sei nicht maßgeblich, weil dies auch für die Benutzung eines Fahrrads oder eines Pkw gelte. Im Hinblick darauf, dass das Klagebegehren einen „Feststellungsteil“ und einen „Leistungsteil“ enthalte, ohne dass eine konkrete Leistung aus der Unfallversicherung begehrt werde, sei die Fassung des Klagebegehrens im fortzusetzenden Verfahren noch erörterungsbedürftig.
[10] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss mit der Begründung zu, dass noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu bestehe, unter welchen Umständen die Verwendung eines Monowheels den Unfallversicherungsschutz ausschließe.
Rechtliche Beurteilung
[11] Der Rekurs ist zulässig und im Sinne der Wiederherstellung des abweislichen Ersturteils auch berechtigt.
[12] 1.1 Gemäß § 90 Abs 1 B-KUVG sind Dienstunfälle Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dem die Versicherung begründenden Dienstverhältnis oder mit der die Versicherung begründenden Funktion ereignen. Nach § 90 Abs 2 Z 1 B-KUVG sind Dienstunfälle auch Unfälle, die sich auf einem mit dem Dienstverhältnis zusammenhängenden Weg zur oder von der Dienststätte ereignen.
[13] 1.2 Da § 90 Abs 1 und Abs 2 Z 1 B-KUVG im Wesentlichen § 175 Abs 1 und 2 Z 1 ASVG entsprechen, kann auf die dazu ergangene Rechtsprechung und Literatur zurückgegriffen werden (RS0110598 [T2]).
[14] 2.1 Versichert sind die typischen Gefahren eines Arbeitsweges (Dienstweges), das heißt jenes Risiko, dem sich die versicherte Person in ihrer Eigenschaft als Versicherte auf diesem Weg aussetzen musste (Tomandl in Tomandl, SV-System [33. ErgLfg] 297 [2.3.2.3.1.9]). Der Schutz erstreckt sich insbesondere auf Wechselfälle der Witterung, Schnee- und Eisglätte, schlechte Sicht und spezifische Gefahren des Verkehrs. Auch die Gefahr, die ganz allgemein von Tieren oder Menschen ausgeht, ist auf dem Arbeitsweg (Dienstweg) grundsätzlich versichert (Müller in SV-Komm, § 175 ASVG [264. Lfg] Rz 172).
[15] 2.2 Für die Bejahung des Versicherungsschutzes ist somit ein hinreichender sachlicher Zusammenhang zwischen der realisierten Unfallgefahr und dem unter Versicherungsschutz stehenden Weg erforderlich. Wird etwa vom unmittelbaren Weg nach oder vom Ort der Tätigkeit aus Gründen abgewichen, die wesentlich dem privaten Bereich zuzuordnen sind, besteht – mit Ausnahme räumlich und zeitlich ganz kurzer Abweichungen oder Unterbrechungen – kein Versicherungsschutz, bis der unmittelbare Weg wieder erreicht wird.
[16] 2.3 Die Wahl des Verkehrsmittels bzw die Art der Fortbewegung steht dem Versicherten auf Arbeitswegen aber grundsätzlich frei (10 ObS 226/89 SSV-NF 3/103 = RS0084159; 10 ObS 155/89 SSV-NF 3/71; Keller in Hauck, Sozialgesetzbuch-SGB VII: Gesetzliche Unfallversicherung § 8 Rz 230). Ob zumutbare günstigere, raschere, ökologisch sinnvollere oder wie auch immer zu bewertende Alternativen (etwa öffentliche Verkehrsmittel zu verwenden oder zu Fuß gehen) in Frage kämen, ist für die Unfallversicherung nicht maßgeblich (Pfeil, Entscheidungsanmerkung zu 10 ObS 83/95, ZAS 1997/3, 22 [25]).
[17] 2.4.1 Nach der – zur Frage der Wahl einer bestimmten Wegroute – ergangenen Entscheidung des deutschen Bundessozialgerichts vom 31. 8. 2017, AZ B 2 U 2/16 R, gilt die Freiheit der Routenwahl, der Fortbewegungsart und des Fortbewegungsmittels nicht unbegrenzt. Im deutschen Schrifttum vertritt Krasney
(in Krasney/Burchardt/Kruschinsky/Becker/Heinz/Bieresborn, Gesetzliche Unfallversicherung [SGB VII] § 8 Rz 474) unter Bezugnahme auf diese Entscheidung die Ansicht, es stelle eine versicherungsrechtliche Obliegenheit dar, auch bei der Wahl des Verkehrsmittels für den Arbeitsweg ein deutlich risikoärmeres, zumutbares Verkehrsmittel zu wählen. Bei den für den Straßenverkehr zugelassenen Verkehrsmitteln werde das jedoch nur in Verbindung mit anderen Gegebenheiten (zB den Witterungsverhältnissen) relevant sein.
[18] 2.4.2 Nach Schwerdtfeger (in Lauterbach, UV4 [65. Lfg] SGB VII § 8 Rz 467) ist der Versicherungsschutz im Allgemeinen auch bei Verwendung „ungewöhnlicher“ Verkehrsmittel zu bejahen, sofern deren Nutzung der Handlungstendenz dient, den Weg nach oder von der versicherten Tätigkeit zurückzulegen. Die aus persönlichen (privaten) Gründen vorgenommene Wahl des Beförderungsmittels berühre den Versicherungsschutz nicht. Das dürfe auch für die Benutzung von Rollern, Inline- oder Rollerskates und Langlaufschiern gelten. Auf ein Monowheel nimmt der Autor nicht Bezug.
[19] 2.5 In der österreichischen Lehre führt Müller (in SV-Komm [264. Lfg], § 175 ASVG Rz 170) aus, dass – auch bei grundsätzlicher Wahlfreiheit des Fortbewegungsmittels – für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung eine Grenzziehung zum Sportgerät erforderlich sei. Als geeigneter Abgrenzungsmaßstab sei die Verkehrssitte heranzuziehen. Während das Fahrrad als Verkehrsmittel angesehen werden könne, handle es sich beispielsweise bei Inlineskates um Sportgeräte, deren Benutzung auf dem Weg daher im Allgemeinen aus Gründen erfolge, die dem privaten Lebensbereich zuzuordnen seien.
[20] 3.1 Auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs ist eine Grenze zwischen allgemein üblichen Verkehrsmitteln einerseits und den Spiel- und Sportgeräten andererseits zu ziehen. Bei Wegunfällen handelt es sich um eine rechtlich nicht zwingend gebotene, aus sozialpolitischen Überlegungen vorgenommene Erweiterung des Versicherungsschutzes auf Wegen von und zu der Arbeit, obwohl dieser Bereich dem Einfluss des Unternehmers weitgehend entzogen ist (Spitzlei, Grundstrukturen des Wegunfalls, NZS 2020, 609). Daraus folgt, dass nur die typischen (allgemeinen) Weggefahren und Risken versichert sein sollen, nicht aber mit dem Weg in irgendeinem Zusammenhang stehende andere Ereignisse, wie etwa auch Ereignisse, die im Zusammenhang mit Gefahren stehen, die typischerweise mit der Verwendung von Sport- und Spielgeräten verbunden sind und deren Verwirklichung bedingt, dass die Unfallfolgen kausal auf die Verwendung des Sportgeräts zurückzuführen sind (Müller in SV-Komm [264. Lfg] § 175 ASVG Rz 170).
[21] 3.2 Ganz allgemein geht es bei der Frage, ob vom Grundsatz der Wahlfreiheit des Fortbewegungsmittels auch noch die Verwendung eines Monowheels erfasst ist, oder ob dessen Verwendung dem privaten Lebensbereich zuzurechnen ist, um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Nach der Rechtsprechung ist für diese Wertentscheidung maßgeblich, ob die Gesamtumstände dafür oder dagegen sprechen, das unfallbringende Verhalten dem geschützten Bereich oder der Privatsphäre des Versicherten zuzurechnen (vgl RS0084490). Ob Unfallversicherungsschutz vorliegt, ergibt sich nicht aus einer losgelösten Betrachtung allein des Verhaltens des Versicherten, sondern erst im Zusammenhang mit allgemein rechtlich-systematischen Überlegungen. Die subjektive Ansicht des Versicherten ist unfallversicherungsrechtlich nur dann relevant, wenn diese Meinung in den objektiven Verhältnissen eine ausreichende Stütze findet (10 ObS 83/95, SSV-NF 9/57).
[22] 3.3 Einen Anhaltspunkt für die Abgrenzung im konkreten Fall können auch die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung bilden.
[23] Nach diesen gelten Einräder nicht als Fahrzeuge: § 2 Abs 1 Z 19 StVO 1960 idF der am 1. 6. 2019 in Kraft getretenen 31. Novelle (BGBl I 2019/37) nimmt „vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmte Kleinfahrzeuge (etwa Mini- und Kleinroller ohne Sitzvorrichtung, mit Lenkstange, Trittbrett und mit einem äußeren Felgendurchmesser von höchstens 300 mm) sowie fahrzeugähnliches Spielzeug (etwa Kinderfahrräder mit einem äußeren Felgendurchmesser von höchstens 300 mm und einer erreichbaren Fahrgeschwindigkeit von höchstens 5 km/h) vom Fahrzeugbegriff aus. In den Materialien zur 31. Novelle (ErläutRV 559 BlgNR 26. GP 1) sind als Beispiele für unter diese Ausnahme fallende Kleinfahrzeuge bzw fahrzeugähnliches Spielzeug neben Skateboards, Hoverboards, Scootern und Miniscootern auch Einräder angeführt, unabhängig davon, ob sie über einen elektrischen Antrieb verfügen. Dies wird damit begründet, dass Fortbewegungsmittel, die nicht vorrangig einem Verkehrsbedürfnis dienen, sondern auch einen Spiel- und Freizeitzweck verfolgen oder für die eine besondere Geschicklichkeit notwendig ist, keine Fahrzeuge sein können. Dies treffe auch auf Fortbewegungsmittel zu, die aufgrund ihrer technischen Ausführung nicht geeignet seien, ein sicheres Fahren zu gewährleisten, sodass sie den üblichen Anforderungen des Straßenverkehrs nicht gerecht werden können.
[24] 3.3.1 Einräder stellen somit vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmte Kleinfahrzeuge dar, die fahrzeugähnlichem Spielzeug entsprechen (Pürstl, StVO-ON15.00 § 2 Anm 23b). Diese rechtliche Einordnung ist auch auf den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung übertragbar.
[25] 4.1 Die Verwendung derartiger Sport- bzw Spielgeräte auf dem Arbeits- bzw Dienstweg beseitigt allerdings von Vornherein nicht den Schutz bei allen Weggefahren, sondern nur insoweit, als die Unfallfolgen kausal auf die Verwendung des Sportgeräts zurückzuführen sind (Müller in SV-Komm [264. Lfg] § 175 ASVG Rz 170).
[26] 4.2 Wie sich aus den Gesetzesmaterialien zur 31. StVO-Novelle ableiten lässt, geht der Gesetzgeber davon aus, dass auch bei der Benutzung eines Monowheel eine besondere Geschicklichkeit notwendig ist und aufgrund der technischen Eigenschaften (insbesondere im Zusammenhang mit Lenken und Bremsen) ein sicheres Fahren nicht gewährleistet ist (ErläutRV 559 BlgNR 26. GP 1). Wenn sich die daraus ergebende besondere Gefahr verwirklicht und die Unfallfolge kausal auf die Verwendung eines solchen Geräts zurückzuführen ist (etwa in Form eines Sturzes infolge mangelnder Geschicklichkeit beim Halten der Balance) stellt dies keine typische Gefahr eines Dienstweges dar, die unter dem Schutz des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes stehen soll. Verwirklicht sich hingegen bei Benutzung eines Monowheel eine allgemeine (typische) Weggefahr, die mit der Verwendung dieses Sportgeräts in keinem Zusammenhang steht und für den Unfall ursächlich ist (zB in Form eines verkehrswidrigen Verhaltens eines Dritten, das auch beispielsweise bei der Benutzung eines Fahrrads eine unfallverhütende Reaktion nicht ermöglicht hätte), ist der Unfallversicherungsschutz zu bejahen (R. Müller in SV-Komm [264. Lfg], § 175 ASVG Rz 170).
[27] 4.3 Aus einer Zusammenschau der Ausführungen unter 4.1 und 4.2 ergibt sich, dass der Arbeitsweg, soweit er mit einem Monowheel zurückgelegt wird, nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht, außer es würde sich eine allgemeine Weggefahr verwirklichen, die nicht im Zusammenhang mit der Verwendung eines Monowheel steht. Dieses Zwischenergebnis ist Grundlage für die Schlussfolgerungen zur Beweislast.
[28] 5.1 Im vorliegenden Fall konnten zum Unfallhergang keine Feststellungen getroffen werden, weil sich der Kläger an den Unfall nicht mehr erinnert und keine Zeugen vorhanden (oder benennbar) waren. Ob und allenfalls welche äußeren Gründe für den Sturz ursächlich waren, ist daher ungeklärt geblieben. Weder konnte festgestellt werden, ob der Unfall seine Ursache in einer üblichen Gefahr des Arbeitsweges hatte, noch war feststellbar, ob der Unfall kausal auf die Verwendung des Monowheel und dessen typische Gefahren zurückzuführen ist. Der Umstand, dass nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte für die Existenz eines weiteren Unfallbeteiligten bestehen, spricht nicht zwingend dafür, dass sich der Unfall auf eine Art ereignet hat, die für eine Verwirklichung der von Monowheels ausgehenden besonderen Gefahren typisch ist (etwa Verlust des Gleichgewichts).
[29] 5.2 Entsprechend den auch in Sozialrechtssachen geltenden Grundsätzen der Beweislastverteilung trifft den Kläger die objektive Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen (RS0039936 [T4]; RS0086050). Hat der Kläger ein Spiel- bzw Sportgerät am Dienstweg verwendet und ist ohne Vorhandensein weiterer Unfallbeteiligter zu Sturz gekommen, trifft ihn die objektive Beweislast dafür, dass der Unfall nicht durch die Verwirklichung der von diesem Gerät ausgehenden spezifischen Gefahren ausgelöst wurde, sondern seine Ursache in den üblichen Gefahren des Dienstweges hatte. In diesem Sinn hat er einen kausalen Zusammenhang zwischen einer allgemeinen Weggefahr und dem Sturz nachzuweisen (vgl auch RS0109888 zu Verkehrsunfällen bei Alkoholbeeinträchtigung des Versicherten). Kann der Kläger den Beweis, dass die Ursache des Sturzes in einer typischen (allgemeinen) Weggefahr lag, nicht erbringen, geht dies zu seinen Lasten.
[30] 5.3 Auch die Regeln über den Anscheinsbeweis kommen dem Kläger nicht zugute.
[31] 5.3.1 Die Rechtsprechung wendet im Verfahren über einen sozialversicherungsrechtlichen Anspruch aus Arbeitsunfällen die Regeln des Anscheinsbeweises modifiziert an. Auch dann, wenn noch andere Ursachen in Betracht kommen, muss nur feststehen, dass die Körperschädigung eine typische Folge eines als Unfall zu wertenden Ereignisses ist, das im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung stand (RS0110571).
[32] 5.3.2 Der Oberste Gerichtshof hat den Anscheinsbeweis nicht nur bei der Zurechnung der Unfallfolgen modifiziert angewendet, sondern in der Entscheidung 10 ObS 16/11t (SSV-NR 26/10 = SZ 2012/31 = DRdA 2013/21, 237 [krit R. Müller]) auch bei der Frage der Zurechnung eines Unfalls zum Schutzbereich der Unfallversicherung. Ein Versicherter war unter ungeklärten Umständen an seinem Arbeitsplatz, an dem er zuletzt die versicherte Tätigkeit verrichtet hat, verunglückt. Nach der genannten Entscheidung entfällt der Versicherungsschutz, wenn vom Unfallversicherungsträger bewiesen wird, dass der Versicherte die versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt für eine eigenwirtschaftliche Verrichtung unterbrochen oder beendet hat (RS0127743). Die Nichtfeststellbarkeit der Unfallursache würde demnach zu Lasten des Unfallversicherungsträgers gehen.
[33] 5.3.3 Entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht lässt sich auch aus dieser Entscheidung kein günstigeres Ergebnis für den Kläger ableiten:
[34] Der Kläger war am Weg zu seiner Dienststelle. Die auf persönliche Gründe zurückgehende Verwendung eines Spiel- bzw Sportgeräts ist dem privaten Lebensbereich zuzuordnen. Zum Zeitpunkt des Sturzes befand er sich demnach im privaten Lebensbereich, so lange nicht bewiesen ist, dass sich eine allgemeine Weggefahr verwirklicht hat. Die Nichtfeststellbarkeit eines Zusammenhangs zwischen dem Sturz und einer typischen Weggefahr wirkt sich daher zu Lasten des Versicherten aus.
[35] 6. Dem Rekurs der beklagten Partei ist daher Folge zu geben und das klageabweisende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
[36] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 ASGG. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens ungeachtet dessen Ausgangs gemäß § 77 Abs 1 Z 1 ASGG selbst zu tragen. Gründe für einen Zuspruch von Kosten an den Kläger aus Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage (RS0085829 [T1]).
Textnummer
E130647European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00150.20M.0119.000Im RIS seit
16.02.2021Zuletzt aktualisiert am
12.10.2021