TE Lvwg Erkenntnis 2020/12/3 VGW-031/025/9084/2020

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Veröffentlicht am 03.12.2020
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Entscheidungsdatum

03.12.2020

Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VStG §31 Abs1
VStG §32 Abs2
VStG §44a Z1
VStG §45 Abs1 Z3

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Dr. Frey über die Beschwerde des Herrn A. B. gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 67, vom 15.06.2020, Zl. …, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960),

zu Recht e r k a n n t:

I. Das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG) eingestellt.

II. Gemäß § 52 Abs. 8 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wird dem Beschwerdeführer kein Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt.

III. Gegen diese Entscheidung ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Tatumschreibung im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses hat folgenden Wortlaut:

„Datum/Zeit:   13.09.2019, 11:57 Uhr

Ort:                 Wien, C.-Gasse 6

Betroffenes Fahrzeug: Kennzeichen: KR-1 (A)

Sie haben das Fahrzeug mit allen Rädern auf dem Gehsteig, welcher hierdurch vorschriftswidrig benützt wurde, abgestellt, obwohl die Benützung von Gehsteigen, Gehwegen und Schutzinseln mit Fahrzeugen aller Art verboten ist und die Ausnahmebestimmungen nach § 8 Abs. 4 Ziffer 1 bis 3 StVO 1960 nicht vorlagen.“

In der Beschwerde wird vorgebracht, eine Zufahrt zu der angeführten Adresse sei aus bautechnischen Gründen wegen Absperrung nicht möglich, was sich aus dem Stadtplan und einer Ortsbesichtigung ergebe.

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2) vorgenommen worden ist.

Gemäß § 32 Abs. 2 VStG ist Verfolgungshandlung jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Strafverfügung u. dgl.), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat.

Eine Verfolgungshandlung unterbricht nur dann die Verjährung, wenn sie sich auf alle der Bestrafung zugrundeliegenden Sachverhaltselemente bezogen hat (vgl. u.a. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19.10.1978, Slg. N.F. Nr. 9664/A, und das Erkenntnis vom 19.6.1990, Zl. 89/04/0266).

Dabei ist zur Beantwortung der Frage, ob Verjährung im Sinne des § 31 Abs. 1 VStG eingetreten ist, von der als erwiesen angenommenen Tat im Sinne des § 44a Z 1 VStG auszugehen (vgl. hiezu u.a. das Erkenntnis vom 19.6.1990, Zl. 89/04/0266) und das dem Beschuldigten zur Last gelegte Handeln unter Berücksichtigung sämtlicher gemäß § 44a Z 1 VStG in den Spruch des Straferkenntnisses aufzunehmenden Tatbestandselemente der verletzten Verwaltungsvorschrift gemäß § 44a Z 2 VStG näher zu konkretisieren und individualisieren (vgl. VwGH 22.12.1992, Zl. 91/04/0199).

Gemäß § 44a Z 1 VStG hat der Spruch, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten.

Im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung ist es rechtlich geboten, die Tat hinsichtlich des Täters und der Tatumstände so genau zu umschreiben, dass

1. die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht wird

2. die Identität der Tat (z.B. nach Ort und Zeit) unverwechselbar feststeht.

Was den vorstehenden Punkt 1 anlangt, sind entsprechende, d.h. in Beziehung zum vorgeworfenen Straftatbestand stehende, wörtliche Anführungen erforderlich, die nicht etwa durch die bloße paragraphenmäßige Zitierung von Gebots- oder Verbotsnormen ersetzt werden können.

Was den vorstehenden Punkt 2 anlangt, muss

a) im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat insoweit in konkretisierter Umschreibung zum Vorwurf gemacht werden, dass der Beschuldigte in die Lage versetzt wird, im ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren und gegebenenfalls im außerordentlichen Verfahren (Wiederaufnahmeverfahren) auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und

b) der Spruch geeignet sein, den Beschuldigten (Bestraften) rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden (VwGH, verstärkter Senat, 13.6.1984, Slg. 11466A).

Das Verwaltungsgericht Wien verkennt nicht, dass Ungenauigkeiten bei der Konkretisierung der Tat in Ansehung von Tatzeit und Tatort dann keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Strafbescheides haben, wenn dadurch keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten und keine Gefahr der Doppelbestrafung bewirkt wird (Hinweis Erk 21.3.1997, 97/02/0071; VwGH 21.12.2001, 2000/02/0171).

Im vorliegenden Fall liegt aber keine bloße Ungenauigkeit der Tatortangabe im Straferkenntnis vor, sondern eine gänzlich falsche Tatortangabe. Wie ein Vergleich der vom Meldungsleger angefertigten Fotos (Aktenseiten 48, 50 und 52) mit vom Verwaltungsgericht Wien beigeschafften Fotos aus „Google Maps“ und einem Auszug aus dem Stadtplan (www.wien.gv.at/stadtplan) zeigt, war das Fahrzeug zur gegenständlichen Zeit nicht vor dem im Straferkenntnis genannten Haus mit der Ordnungsnummer 6, sondern vor jenem mit der Ordnungsnummer 8 abgestellt.

Somit könnten eine Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten und die Gefahr einer Doppelbestrafung bewirkt werden, zumal das Fahrzeug innerhalb einer Minute auch an beiden genannten Tatorten hätte abgestellt und angezeigt werden können.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vermag der Umstand, dass bei der Angabe der Tatzeit im Spruch eines Straferkenntnisses ein Schreibfehler unterlaufen sein mag, der einer Berichtigung zugänglich gewesen wäre, keine berichtigende Auslegung des Schuldspruches zu Lasten des Beschwerdeführers zu bewirken. Der VwGH vermag die in Slg. 9273 A vertretene Rechtsansicht, bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines Schuldspruches sei eine auf einem für jedermann erkennbaren Schreibfehler beruhende unrichtige Angabe der Tatzeit unter Beachtung des § 44a lit. a VStG unerheblich, nicht aufrechtzuerhalten (VwGH verst. Sen. 27.6.1984 Slg. 11478 A, 5.7.2000, 97/03/0081 u.v.a.).

Nichts Anderes kann für die Angabe des Tatortes gelten.

Festzuhalten ist, dass sich auch in der dem Straferkenntnis vorangegangenen Strafverfügung die gleiche unrichtige Tatortangabe wie im Straferkenntnis findet.

Da eine rechtskonforme Tatanlastung innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist nicht stattfand, war dem Gericht eine Änderung der Tatortangabe wegen Eintrittes der Verfolgungsverjährung verwehrt (vgl. VwSlg. 11525 A).

Dabei ist berücksichtigt, dass in die einjährige Verfolgungsverjährungsfrist (gerechnet ab der Tatzeit) gemäß § 2 Abs. 1 Z 3 des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 im Verwaltungsverfahren, im Verfahren der Verwaltungsgerichte sowie im Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes, BGBl. I Nr. 16/2020, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2020, die Zeit vom 22. März 2020 bis zum Ablauf des 30. April 2020 nicht eingerechnet wird.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssen die für die Frage der Tatbestandsverwirklichung wesentlichen Gegebenheiten auch dann Gegenstand einer tauglichen Verfolgungshandlung sein, wenn die Kenntnis dieser Gegebenheiten beim Beschuldigten vorausgesetzt werden kann, weil sonst die Anforderungen an eine Verfolgungshandlung davon abhängig wären, welche Tatbestandsmerkmale beim Beschuldigten als bekannt vorausgesetzt werden dürfen. Anhaltspunkte für die Richtigkeit einer solchen Auffassung können dem Gesetz nicht entnommen werden (VwGH 15.6.1984, 84/02/0126).

Es war daher das angefochtene Straferkenntnis wegen Verletzung des § 44a Z 1 VStG zu beheben und das Verfahren wegen Verfolgungsverjährung gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG einzustellen.

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, hatte eine Verhandlung gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG zu entfallen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die im Spruch genannte Gesetzesstelle.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (wie die zitierte Judikatur zeigt). Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche (über den Einzelfall hinausgehende) Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor (nämlich der Rechtsfrage der rechtskonformen Tatanlastung).

Schlagworte

Verjährung; Verfolgungshandlung; Tat; Tatanlastung; Tatort

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.031.025.9084.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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