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L6 Land- und ForstwirtschaftNorm
B-VG Art133 Z4Leitsatz
Verletzung im Eigentumsrecht durch die Verpflichtung nur einiger und nicht aller (seinerzeitiger) Mitglieder einer Jagdgesellschaft zum Schadenersatz für Jagd- und Wildschaden; keine Befolgung der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes bei Erlassung des nun angefochtenen Ersatzbescheides durch die belangte BehördeSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Niederösterreich ist schuldig, den Beschwerdeführern, jeweils zu Handen ihrer Rechtsvertreter, die mit je 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Zum Verwaltungsgeschehen wird - um Wiederholungen zu vermeiden - auf die in den Erkenntnissen VfSlg. 10014/1984 und 13432/1993 enthaltenen Sachverhaltsdarstellungen verwiesen.
Der Verfassungsgerichtshof hob mit Erkenntnis VfSlg. 13432/1993 u.a. den Bescheid der Landeskommission für Jagd- und Wildschäden beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung (im folgenden: Landeskommission) betreffend den im Jahre 1971 entstandenen Wildschaden wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums auf, weil die Behörde Personen zum Schadenersatz verpflichtet hatte, die der Jagdgesellschaft zum Zeitpunkt der Entstehung des Schadens nicht als Mitglieder angehörten; diese Meinung der Landeskommission wertete der Gerichtshof als denkunmögliche Gesetzesanwendung.
In der Folge erließ die Landeskommission den Ersatzbescheid vom 28. März 1994, mit dem sie über die von P H als auch von den noch lebenden Mitgliedern der (ehemaligen) Jagdgesellschaft S erhobenen Berufungen entschied. Diese Mitglieder wurden zur ungeteilten Hand verpflichtet, für den im Jahre 1971 entstandenen Wildschaden an P H Schadenersatz in bestimmter Höhe zu leisten. Außerdem wurde über die zu ersetzenden Verfahrenskosten abgesprochen.
2. Gegen diesen Bescheid wenden sich die vorliegenden, sowohl (zu B1303/94) von P H als auch (zu B1309/94) von der "Jagdgesellschaft S, bestehend aus den Mitgliedern ..." (nämlich den drei noch lebenden (ehemaligen) Mitgliedern, die zum Schadenersatz verpflichtet wurden) erhobenen, auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird.
3. Die Landeskommission als jene Behörde, die den bekämpften Bescheid erlassen hat, erstattete Gegenschriften, in denen sie die Abweisung der Beschwerden begehrt.
Die "Jagdgesellschaft S, bestehend aus den Mitgliedern ..."
(genannt werden die drei noch lebenden (ehemaligen) Mitglieder, die zur Leistung des Schadenersatzes verpflichtet worden waren) erstattete im Verfahren B1303/94 als beteiligte Partei eine Äußerung.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:
1.a) In der zu B1303/94 erhobenen Beschwerde wird vorgebracht:
Der angefochtene Bescheid verletze den Beschwerdeführer (den durch den Wildschaden Geschädigten) in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums:
Zum einen sei es völlig verfehlt, daß nicht auch die Erben der seinerzeitigen Mitglieder der Jagdgesellschaft zum Schadenersatz verpflichtet wurden.
Zum anderen seien dem Beschwerdeführer weder Zinsen zugesprochen noch sei eine Valorisierung (Inflationsabgeltung) der Schadenersatzforderung (die bereits 1971 entstand) vorgenommen worden. Durch das Unterlassen des Zuspruchs von Zinsen sei überdies das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Schließlich wird in der Beschwerde B1303/94 - in Kenntnis von VfSlg. 13432/1993 - noch vorgebracht, daß §120a NÖ Jagdgesetz 1974, LGBl. 6500-9, gegen Art6 EMRK verstoße: Das Gesetz sehe keine öffentliche mündliche Verhandlung vor. Der Landeskommission gehöre lediglich ein einziger Richter an; die Teilnahme eines Sachverständigen auf dem Gebiet des Jagdwesens und von Beamten aus der NÖ. Landesverwaltung lasse die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Landeskommission zweifelhaft erscheinen.
b) In der zu B1309/94 protokollierten Beschwerde wird beanstandet, daß dem Parteienvertreter - entgegen dem §43 Abs3 AVG - nicht ordnungsgemäß Gelegenheit geboten worden sei, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen.
2. Der Verfassungsgerichtshof hegt unter dem Gesichtspunkt der vorliegenden Beschwerden keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften.
Insbesondere teilt er die vom Beschwerdeführer zu B1303/94 gegen die Verfassungsmäßigkeit des §120a NÖ JagdG 1974 vorgebrachten Bedenken (s.o. II.1.a) nicht:
Diese Bestimmung lautet:
"§120a
Landeskommission für Jagd- und Wildschäden
(1) Die Landeskommission wird beim Amt der Landesregierung auf die Dauer von sechs Jahren gebildet und besteht aus folgenden, von der Landesregierung zu bestellenden Mitgliedern:
a) einem rechtskundigen Beamten des Amtes der Landesregierung als Vorsitzenden;
b) einem rechtskundigen Beamten des Amtes der Landesregierung als Berichterstatter;
c) einem Richter, nach Anhörung des Präsidenten des Oberlandesgerichtes;
d) zwei auf dem Gebiet der Land- und Forstwirtschaft sachkundigen Personen, nach Anhörung der Landes-Landwirtschaftskammer;
e) zwei auf dem Gebiet des Jagdwesens sachkundigen Personen, nach Anhörung des Landesjagdverbandes.
Für jedes Mitglied ist ein Ersatzmitglied zu bestellen. Die Mitglieder (Ersatzmitglieder) haben vor Beginn ihrer Tätigkeit dem Vorsitzenden mit Handschlag die gewissenhafte und unparteiische Ausübung ihres Amtes zu geloben. Sie bleiben bis zur Neubestellung der Landeskommission im Amt.
(2) Die Mitglieder der Landeskommission sind, auch soweit sie dem Richterstand nicht angehören, in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden.
(3) Die Landeskommission entscheidet mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit gilt der Antrag als abgelehnt. Zur Beschlußfähigkeit ist die Anwesenheit des Vorsitzenden, des Mitgliedes aus dem Richterstand und zweier weiterer Mitglieder erforderlich.
(4) Über die Verhandlung und Beratung, die in nichtöffentlicher Sitzung stattfinden, ist eine Niederschrift abzufassen. Den Parteien steht die Einsicht in die Niederschrift nicht zu.
(5) Eine Berufung gegen die Entscheidung der Landeskommission ist nicht zulässig. Die Entscheidung unterliegt nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungswege."
Der Ersatz von Jagd- und Wildschäden zählt zum Zivilrecht iS des österreichischen Rechtssystems. Bei derartigen Ansprüchen und Verpflichtungen handelt es sich folglich auch um solche in der Bedeutung des Art6 EMRK; die letztlich zuständige Behörde muß also ein "Tribunal" sein, d.h. sie hat den organisatorischen Anforderungen dieser Konventionsnorm zu genügen und muß aufgrund selbständiger Feststellung und Würdigung der Tat- und Rechtsfragen die Sachentscheidung fällen (vgl. zB VfSlg. 11646/1988 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur).
Anders als etwa die seinerzeit durch §123 Abs2 des Bgld. JagdG 1970 (diese Bestimmung wurde mit dem soeben erwähnten Erkenntnis aufgehoben) als letzte Instanz eingerichtete Kommission entspricht die durch §120a NÖ JagdG konstituierte Landeskommission all den von Art6 EMRK geforderten Voraussetzungen. Sie ist ein "Tribunal" iS dieser Konventionsnorm und außerdem eine Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag iS des Art133 Z4 B-VG.
Art6 EMRK schreibt für die Qualifikation einer Behörde als "Tribunal" iS dieser Konventionsnorm nicht zwingend vor, daß ihr ein Richter angehören muß. Art133 Z4 B-VG wiederum fordert lediglich, daß der Kommission zumindest ein Richter angehört, der nicht einmal den Vorsitz führen muß.
Die Zugehörigkeit von Beamten und von Sachverständigen (auch wenn sie von einer beruflichen Interessenvertretung nominiert werden) schadet grundsätzlich der Tribunalqualität der Behörde nicht (vgl. zB VfSlg. 11912/1988, 12074/1989, S 559; 12470/1990, S 161).
Was den Vorwurf anlangt, das NÖ JagdG 1974 schreibe nicht zwingend die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor, so ist auf das zitierte Erkenntnis VfSlg. 13432/1993 zu verweisen. Die Beschwerdeausführungen sind nicht dazu angetan, den Verfassungsgerichtshof von der dort geäußerten Meinung abzubringen.
Die Beschwerdeführer wurden also durch den bekämpften Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt.
3. Die Beschwerden sind aber im Ergebnis begründet; der Behörde ist nämlich ein in die Verfassungssphäre reichender Vollzugsfehler anzulasten:
Der Verfassungsgerichtshof hat im oben zu I.1. zitierten Erkenntnis VfSlg. 13432/1993 ausgesprochen, es stelle eine denkunmögliche Gesetzeshandhabung dar, Personen, die zum Zeitpunkt der Entstehung des Schadens der Jagdgesellschaft nicht als Mitglieder angehörten, zum Schadenersatz heranzuziehen. Damit hat er seiner Meinung Ausdruck verliehen, daß jene Personen, (und zwar alle Personen), die zu diesem Zeitpunkt Mitglieder der Jagdgesellschaft waren, schadenersatzpflichtig sind; an Stelle dieser Personen treten gegebenenfalls deren Rechtsnachfolger.
Die Behörde ist bei Erlassung des (nunmehr angefochtenen) Ersatzbescheides dieser Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes nicht gefolgt, sondern hat nur einige der (seinerzeitigen) Mitglieder der Jagdgesellschaft zum Schadenersatz verpflichtet. Damit aber hat sie die Beschwerdeführer im selben Recht - nämlich im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums - verletzt wie im aufgehobenen, im vorangegangenen Rechtsgang erflossenen - Bescheid (vgl. z.B. VfSlg. 12484/1990 und 13375/1993 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur).
Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG.
In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von je 3.000 S enthalten.
Schlagworte
Jagdrecht, Jagdschaden, Wildschaden, Tribunal, civil rights, Bindung (der Verwaltungsbehörden an VfGH), SchadenersatzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:B1303.1994Dokumentnummer
JFT_10049075_94B01303_00