TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/8 L519 2235771-1

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Veröffentlicht am 08.10.2020
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Entscheidungsdatum

08.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55 Abs1a
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs5

Spruch


L519 2235771-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Irak, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.9.2020, Zl. 1262373710-200826530, zu Recht erkannt:

A) Der angefochtene Bescheid wird gem. § 28 Abs. 1 und 5 VwGVG ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte nach schlepperunterstützter unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 3.3.2020 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes den 1. Antrag auf internationalen Schutz.

1.1. Im Rahmen der Erstbefragung gab der BF zu seinem Ausreisegrund im Wesentlichen an, dass er seit seiner Geburt immer das Gefühl gehabt habe, Flüchtling zu sein. Seit er sich erinnere, befinde sich sein Land im Krieg. Er sei 2005 nach XXXX gebracht worden und da habe der Krieg mit dem IS begonnen. 2014 habe er wieder sein Haus verlassen müssen. Er sei immer schlecht behandelt worden und habe sich immer als Flüchtling gefühlt. Im Irak werde es nie Frieden geben, man finde auch keine Arbeit und kein Leben. Er müsse Mitglied der PK sein, um Arbeit zu bekommen. Der Bruder des BF sei Akademiker, bekomme aber keine Arbeit, weil er nicht Parteimitglied ist.

2. Dem BF wurde am 6.3.2020 nachweislich eine Ladung zur Einvernahme am 11.3.2020 ausgehändigt. Diese Einvernahme unterblieb, da der BF die AIBE verliess und in der Folge unbekannten Aufenthaltes war.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.3.2020 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Gem. § 15b AsylG 2005 wurde dem BF aufgetragen, bis zum Verfahrensende Quartier in der Betreuungsstelle AIBE West zu beziehen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen habe, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem BF sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da er im Irak über Anknüpfungspunkte verfüge und keine reale Gefahr einer Verletzung in elementaren Rechten sowie keine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Dem BF sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen.

4. Dieser Bescheid wurde dem BF mangels aufrechter Meldung im Bundesgebiet durch Hinterlegung im Akt zugestellt und erwuchs am 29.5.2020 in Rechtskraft.

5. Am 9.3.2020 brachte der BF in der Bundesrepublik Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Am 7.9.2020 wurde der BF im Rahmen der Dublin III - Verordnung nach Österreich rücküberstellt.

6. Am 7.9.2020 brachte der BF in Österreich den gegenständlichen 2. Antrag auf internationalen Schutz ein.

6.1. Im Rahmen der Erstbefragung gab er zu seinem nunmehrigen Fluchtgrund befragt an, dass seine damals angegebenen Fluchtgründe aufrecht bleiben. Er habe am Vortag mit seiner Mutter telefoniert und diese habe gesagt, dass er nicht in den Irak zurückkehren solle, weil sein Leben in Gefahr sei. Er werde von den kurdischen Milizen PKK und YPG gesucht. Andere Gründe habe er nicht. Im Fall einer Rückkehr befürchte er, von diesen Milizen getötet zu werden.

6.2. Bei der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde gab der BF zum Fluchtgrund zusammengefasst an, dass er im Irak selbst Flüchtling gewesen sei. Seine Familie sei 1971 nach XXXX vertrieben worden, weil sie Kurden sind und ihnen gesagt wurde, dass sie aus diesem Grund bei den Kurden leben müssen. Die Familie stamme aus XXXX und werde deshalb in XXXX schief angesehen. Sein Vater habe dem BF gesagt, er solle weggehen und sich eine bessere Zukunft aufbauen. Nunmehr hätten ihm seine Eltern gesagt, er solle nicht in den Irak zurückkehren, er habe dort keine Zukunft. Er habe im Irak die Schule besucht, aber dieser Vorfall, der mit seinem Finger passiert ist, sei schlimm für ihn gewesen und deshalb habe er dort nicht mehr leben können.

7. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde zudem gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.).

Gemäß § 55 Absatz 1a FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt VI.). Gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt hervorgekommen sei, zumal der BF sich auf jene Gründe stütze, die er im bereits rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren vorbrachte. Weitere glaubhafte asylrelevante Gründe habe der BF nicht vorgebracht und es habe sich daher kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben.

Das BFA konnte auch keine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung des BF im Falle einer Rückkehr in den Irak erkennen. Auch habe sich die allgemeine maßgebliche Lage im Irak seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung im ersten Asylverfahren nicht maßgeblich geändert.

Dass der BF an schweren, lebensbedrohenden Krankheiten leidet, habe er weder behauptet noch sei dies aus der Aktenlage ersichtlich.

Zu Art 8 EMRK wurde ausgeführt, dass der BF keine familiären Bindungen in Österreich habe und gegenüber dem ersten Asylverfahren keine entscheidungsrelevante Änderung im Bereich des Privatlebens eingetreten ist.

In einer Gesamtabwägung würden daher jedenfalls die öffentlichen Interessen an einer Rückkehrentscheidung die privaten Interessen des BF überwiegen.

Zum Einreiseverbot führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass der BF illegal nach Österreich eingereist sei. Während des 1. Asylverfahrens sei er untergetaucht und in der Folge illegal in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Trotz Rechtskraft des 1. Verfahrens sei der BF illegal im Schengenraum geblieben. Der rechtskräftig verhängten Rückkehrentscheidung im 1. Verfahren sei der BF nicht nachgekommen.

Da der BF offensichtlich nicht bereit ist, die österr. Rechtsordnung zu achten, stelle sein Aufenthalt in Österreich eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Außerdem lebe der mittellose BF seit seiner Einreise ausschließlich von Mitteln der öffentlichen Hand. Der BF gehe keiner Beschäftigung nach und könne auch in Hinkunft mangels Aufenthaltsrechtes nicht legal arbeiten, sodass die Gefahr einer illegalen Beschaffung der Mittel zum Unterhalt bestehe.

8. Mit Schriftsatz vom 5.10.2020 wurde fristgerecht Beschwerde wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften, Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, mangelhafter Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhoben. Im Wesentlichen wurde neben Wiederholungen und allgemeinen Ausführungen vorgebracht, dass der BF bei seinen Befragungen am Verfahren mitgewirkt habe. Falls asylrelevante Antworten ausgeblieben sind, wäre er bereit gewesen, weiter an der Sachverhaltsermittlung mitzuwirken.

Es liege ein neues asylrelvantes Vorbringen vor, allerdings habe die belangte Behörde den maßgeblichen Sachverhalt nicht ordnungsgemäß ermittelt. Der BF habe Verfolgung durch teils staatliche, teils nichtstaatliche Organe zu befürchten und könne deshalb keinen staatlichen Schutz erwarten. Das Gewaltmonopol des Staates könne nicht sichergestellt werden. Die Sicherheitslage habe sich wieder zugespitzt und bestehe im gesamten Staatsgebiet die Gafahr einer Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK. Hinsichtlich des Einreiseverbotes sei keine auf das konkrete Verhalten des BF abstellende Gefährdungsprognose erstellt worden. Den unbescholtenen BF, der in seinem Verfahren stets ordnungsgemäß mitgewirkt habe, treffe nur ein geringes Fehlverhalten.

9. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF keinen neuen, asylrelevanten Sachverhalt vorgebracht hätte.

Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass sich keine sonstige aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation des BF ergeben hätte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF keine aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Gefährdung oder Verfolgung in seinem Heimatland Irak droht. Ebenso kann unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr in den Irak keiner Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wäre.

2. Beweiswürdigung

Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

Im gegenständlichen Fall ist anzuführen, dass die belangte Behörde kein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt hat. Die Erstbehörde hat sich mit dem individuellen Vorbringen des BF nicht auseinandergesetzt.

Der BF führte unter anderem zur Begründung seines Folgeantrages an, dass sich seine Asylgründe in Bezug auf das Erstverfahren nicht verändert hätten. Dazu führte er erneut aus, dass es sich bei ihm und seiner Familie um Binnenvertriebene handle. Neu brachte er bei seiner Erstbefragung hingegen vor, dass er von den kurdischen Milizen PKK und YPG gesucht werde. Überdies führte er in Zusammenhang mit seinem Schulbesuch einen Vorfall an, bei dem es offenbar zu einer Verletzung von einem oder mehreren Fingern gekommen ist. Diese beiden Punkte näher zu hinterfragen bzw. entsprechend zu bewerten, hat das BFA offensichtlich unterlassen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (§ 28 Abs 2 Z 1 VwGVG ) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (§ 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG)

Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden gem. § 28 Abs. 5 VwGVG verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Zu A)


Prüfungsumfang der „Entschiedenen Sache“

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.9.1994, 94/08/0183; 30.5.1995, 93/08/0207; 9.9.1999, 97/21/0913; 7.6.2000, 99/01/0321).

„Entschiedene Sache“ iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 9.9.1999, 97/21/0913; 27.9.2000, 98/12/0057; 25.4.2002, 2000/07/0235).

Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.6.1998, 96/20/0266). Selbiges gilt, wenn sich das neue Parteibegehren mit dem früheren deckt (etwa das Begehren der Gewährung von internationalem Schutz), die Partei dieses Begehren bei gleich gebliebener Sach- und Rechtslage jedoch anders begründet (vgl. ho. Erk. v. 6.10.2011, Zl. E10 417.640-2/2011/3E, E10 417.639-2/2011/3E, Zl. E10 417.641-2/2011/3E).

Ob der nunmehr vorgetragene Sachverhalt, der sich vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag zugetragen haben soll, im Erstverfahren auch vorgetragen wurde oder nicht, ist im Folgeverfahren bei der Prüfung der Rechtskraft ohne Belang. Auch ein Sachverhalt, der nicht vorgetragen wurde, ist von der Rechtskraftwirkung des Vorbescheides mitumfasst (vgl. auch Erk. d. VwGH vom 17.9.2008, 2008/23/0684, ho. Erk. vom 17.4.2009, GZ. E10 316.192-2/2009-8E).

„Sache" des Rechtsmittelverfahrens ist nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, die Rechtsmittelbehörde darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Vorinstanz den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Sie hat daher entweder – falls entschiedene Sache vorliegt – das Rechtsmittel abzuweisen oder – falls dies nicht zutrifft – den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben, dies mit der Konsequenz, dass die erstinstanzliche Behörde, gebunden an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde, den Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Die Rechtsmittelbehörde darf aber über den Antrag nicht selbst meritorisch entscheiden (VwGH 30.5.1995, 93/08/0207).

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein „Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vgl. VwGH 20.3.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit dem zweiten Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH 7.6.2000, 99/01/0321).

Ob ein neuerlicher Antrag wegen geänderten Sachverhaltes zulässig ist, darf nur anhand jener Gründe geprüft werden, welche die Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht hat (bzw. welche als allgemein bekannt anzusehen sind, vgl. z.B. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321); in der Berufung gegen den Zurückweisungsbescheid dürfen derartige Gründe nicht neu vorgetragen werden (vgl. zB VwSlg. 5642 A/1961; 23.05.1995, 94/04/0081; 15.10.1999, 96/21/0097; 04.04.2001, 98/09/0041; 25.04.2002, 2000/07/0235), wobei für die Prüfung der Zulässigkeit des Zweitantrages von der Rechtsanschauung auszugehen ist, auf die sich die rechtskräftige Erledigung des Erstantrages gründete (VwGH 16.7.2003, 2000/01/0237, mwN).

Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals - zu überprüfen (Hinweis EB E 26.4.1995, 92/07/0197, VwSlg 14248 A/1995); die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf. Entschiedene Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Eine neue Sachentscheidung ist nicht nur bei identem Begehren auf Grund desselben Sachverhaltes, sondern, wie sich aus § 69 Abs 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens auf Grund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des Vorverfahrens bestanden haben, ausgeschlossen. Der Begriff "Identität der Sache" muss in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden, was bedeutet, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muss. Erk. d. VwGH v.26.2.2004, 2004/07/0014; 12.12.2002, 2002/07/0016; 15.10.1999; 9621/9997). Identität der Sache i.S.d. § 68 Abs. 1 AVG liegt selbst dann vor, wenn die Behörde in einem bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren etwa eine Rechtsfrage auf Grund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens oder einer unvollständigen oder unrichtigen rechtlichen Beurteilung entschieden hätte (vgl. etwa das Erkenntnis des VwGH vom 08.04.1992, Zl. 88/12/0169, ebenso Erk. d. VwGH v. 15.11.2000, 2000/01/0184).

Als Vergleichsbescheid ist im Falle mehrfacher Asylfolgeanträge derjenige Bescheid heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden - und nicht etwa nur ein Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen - wurde (vgl. in diesem Sinn VwGH 26.06.2005, 2005/20/0226, mwN).

Entschiedene Sache in Bezug auf den asylrelevanten Sachverhalt:

Das Verfahren hinsichtlich des ersten Antrages des BF wurde mit Bescheid des BFA vom 12.3.2020 rechtskräftig negativ abgeschlossen, nachdem der BF lediglich erstbefragt und dann untergetaucht war.

Inhalt der Erstbefragung gem. § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist in erster Linie die Ermittlung der Identität eines Asylwerbers und seine Reiseroute. Sie hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen und sollte diese nur überblicksmäßig festhalten.

Da der BF im ersten Verfahren lediglich erstbefragt wurde, kann das Gericht nunmehr nicht von einem ordnungsgemäß und umfangreich ermittelten Sachverhalt in diesem Verfahren, insbesondere in Hinblick auf die Fluchtgründe des BF, zurückgreifen, weshalb auch nicht festgestellt werden kann, ob sich in Hinblick darauf maßgebliche Änderungen ergeben haben.

Neu ist nunmehr jedenfalls, dass der BF bei der Erstbefragung im ggst. Verfahren eine mögliche Verfolgung durch kurdische Milizen einräumt und beim BFA auch einen Vorfall, bei dem es offensichtlich zur Verletzung von einem oder mehreren Fingern gekommen ist, erwähnt. Auf beides ist das BFA weder in der Einvernahme noch im angefochtenen Bescheid eingegangen. Die Einvernahme des BF zu seinen Fluchtgründen am 29.9.2020 erfolgte im Übrigen auch lediglich sehr oberflächlich und unstrukturiert.

Das Bundesverwaltungsgericht kann sich daher der Würdigung der belangten Behörde im gegenständlichen Verfahren, dass der BF nunmehr keinen Sachverhalt vorgebracht hat, welcher die Führung eines neuerlichen inhaltlichen Asylverfahrens erforderlich machen würde, nicht anschließen.

Das Einvernahmeprotokoll zeigt, dass die belangte Behörde nicht bemüht war, den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln und die wesentlichen Elemente zu erfragen.

Im Detail darf darauf hingewiesen werden, dass die belangte Behörde hinsichtlich der Begründung des Bescheides die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage nicht klar und übersichtlich zusammengefasst hat. Die belangte Behörde hat mit dem BF keine umfangreiche Einvernahme zu seinen Fluchtgründen durchgeführt, wenngleich dieser auch über weite Strecken nur vage, ausweichende Antworten gegeben hat. Auf den neu vorgebrachten Sachverhalt wurde vom BFA ebenfalls in keiner Weise eingegangen.

Zusammenfassend ist das Gericht daher zur Ansicht gelangt, dass das BFA im vorliegenden Fall ein inhaltliches Verfahren durchzuführen haben wird.

Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, BGBl I Nr. 68/2013 idgF, kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte im gegenständlichen Fall gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar großteils zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht weiter hervor, dass das erkennende Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zur Identität der Sache, der Erforderlichkeit des Ausspruches einer Rückkehrentscheidung, dem Refoulementschutz bzw. zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben und zum Einreiseverbot abgeht.

Auch legt das ho. Gericht in seinen Ausführungen in Bezug auf das Absehen einer mündlichen Verhandlung die bereits beschriebenen Tatbestandsmerkmale im Lichte der ebenfalls zitierten aktuellen Rechtsprechung des VwGH aus.

Schlagworte

Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Behebung Folgeantrag mangelhaftes Ermittlungsverfahren Rückkehrentscheidung behoben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L519.2235771.1.00

Im RIS seit

16.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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