TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/8 L514 2123382-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.10.2020
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Entscheidungsdatum

08.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L514 2123382-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. KLOIBMÜLLER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Pakistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung- Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 03.07.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am XXXX .2015 illegal in Österreich ein. Am XXXX 2015 wurde er bei einer Personenkontrolle von der Polizei aufgegriffen und stellte er in der Folge einen Antrag auf internationalen Schutz, wozu er am 29.05.2015 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde.

Im Rahmen der Erstbefragung brachte der Beschwerdeführer vor, dass sein Name XXXX sei und er am XXXX in Pakistan, Distrikt XXXX , Dorf XXXX geboren worden sei. Er gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an und sei moslemischen Glaubens mit der Glaubensrichtung Schiit. Seine Mutter, seine vier Brüder und drei Schwestern würden alle noch in Pakistan leben. Sein Vater sei vor etwa sechs Monaten verstorben. Zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt gab der Beschwerdeführer ergänzend an, dass er sieben Jahre lang die Grundschule besucht und den Beruf des Landarbeiters ausgeübt habe. Des Weiteren führte der Beschwerdeführer aus, dass er Pakistan vor ca. zwei bis drei Monaten in Richtung Iran verlassen habe. Nach Österreich sei er über Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn gereist.

Als Grund für die Ausreise führte der Beschwerdeführer an, dass er wegen seiner schiitischen Glaubensrichtung in seiner Heimat von Angehörigen der Taliban verfolgt und mit dem Umbringen bedroht worden sei.

2.       Am 24.02.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden BFA) niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer führte auf Nachfrage neuerlich aus, dass sein Name XXXX , geb. XXXX , sei und er aus dem Dorf XXXX stamme, welches ca. 30 km von XXXX und 50 km von der afghanischen Grenze entfernt liege. Identitätsdokumente könne er nicht vorlegen, da er seinen Reisepass und seinen Personalausweis er auf dem Weg verloren habe; nur eine Kopie seines Reisepasses habe er auf seinem Handy. Ferner führte der Beschwerdeführer aus, dass er Paschtune und Schiite sei. Seine Familie, seine Mutter und sieben Geschwister, würden noch im Heimatdorf leben, sein Vater sei im XXXX 2015 an einem Herzinfarkt verstorben. Politisch tätig sei er in Pakistan nicht gewesen, jedoch habe er bei der Hilfsorganisation „ XXXX “ gearbeitet. Zu seiner Familie stehe der Beschwerdeführer in einem regelmäßigen Kontakt, da sein Dorf jedoch von Bergen umgeben sei, sei die Verbindung sehr schlecht. Seine Familie habe ihm mitgeteilt, dass die Lage in seinem Dorf schlecht sei, weil es Angriffe durch die Taliban gebe und sei bei einem Angriff auch sein Bruder XXXX verletzt worden. Ein Auge sei verletzt worden und könne er nur noch auf einem Auge sehen, weiters sei er auch am Herzen operiert worden.

Der Beschwerdeführer gab überdies an, dass er eigentlich ein Visum beantragt habe, um Pakistan legal verlassen zu können, er hätte jedoch zwei Wochen auf das Visum warten müssen und weil er nicht wusste, wo er schlafen solle, sei er letztlich ohne Visum ausgereist; die Ausreise sei XXXX 2015 gewesen. Bis zu seiner Ausreise habe der Beschwerdeführer als Feldarbeiter gearbeitet und habe er damit seinen Unterhalt bestritten.

Aufgrund der schlechten Lage in seinem Dorf sei er als erster seiner Familie ausgereist. Inzwischen sei auch einer seiner Brüder in den Iran gefahren und falls sich die Lage nicht bessern sollte, würde auch seine restliche Familie ausreisen. Seine Mutter habe entschieden, der Beschwerdeführer solle nach Europa gehen, da man als Pakistani derzeit bessere Chancen in Europa habe.

Nach seinen Ausreisegründen befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass sein Dorf XXXX , welches in den Bergen liege und ausschließlich von Schiiten bewohnt werde, immer wieder von den Taliban und der Regierung angegriffen werde. Nicht weit des Dorfes würden weitere sunnitische Dörfer liegen. Die Sunniten, die dort leben würden, hätten gute Kontakte zu der Regierung und zu den Taliban. Die Grundstücke der Schiiten seien von den Sunniten weggenommen worden. Die Situation im Heimatdorf würde immer gefährlicher werden und würden viele Menschen getötet werden. Viele Menschen seien bereits geflüchtet. Seine Mutter habe aus diesem Grund entschieden, dass der Beschwerdeführer zuerst flüchten solle und würde sie auch in Folge seine Brüder in ein sicheres Land schicken. Im Jahr 2013 seien von den Sunniten 9000 Jeri Grundstücke den Schiiten weggenommen worden und seien die Schiiten sodann auf die Straße gegangen um zu protestieren. Die Soldaten der Regierung hätten 13 Schiiten festgenommen und für sechs Monate in Haft genommen. Bei den Auseinandersetzungen sei auch eine alte Frau erschossen worden, weil sie gerade ihr Haus verlassen habe. Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer an, dass es auf ihn direkt keine Überfälle gegeben habe, jedoch auf das Dorf mehrmals. Sie würden sich gegen die Taliban verteidigen können, die Dorfbewohner hätten Gewehre mit welchen sie sich verteidigen würden, jedoch würden die Taliban Unterstützung von der Regierung bekommen. Der Senator Rasheed Khan sei sehr reich und habe ihnen einige ihrer Grundstücke weggenommen. Im Dezember 2015 habe es ein Attentat auf die Stadt XXXX gegeben, wo viele Leute ums Leben gekommen seien. Seiner Familie selbst seien keine Grundstücke weggenommen worden, weil diese hauptsächlich im Dorf liegen würden. Die weggenommenen Grundstücke würden etwas außerhalb liegen. Jedoch seien 1,5 Jeri eines Grundstücks durch Minen und Bomben zerstört worden, weswegen dort nichts mehr angebaut werden könne. Als schiitische Paschtune sei es ihm auch nicht möglich in einem anderen Landesteil Pakistans zu leben. Angriffe auf Schiiten gebe es im ganzen Land. Ein religiöser Anführer der Schiiten sei in Islamabad getötet worden. Auch würden Schiiten von der Polizei belästigt und würden ihnen nicht die gleichen Bürgerrechte zugestanden. Oft würde ihnen auch von den Behörden Geld abgenommen werden. Bei einer Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer den Tod.

3.       Mit gegenständlich Bescheid des BFA vom 02.03.2016, XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG (Spruchpunkt IV.) wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Beweiswürdigend führte das BFA aus, dass eine Verfolgung des Beschwerdeführers durch die Taliban in seinem Heimatland Pakistan nicht festgestellt werden konnte. Der Beschwerdeführer habe lediglich die allgemeine Situation in Pakistan vorgebracht bzw. sich auf die allgemeine Sicherheitslage im Dorf XXXX und der Umgebung von XXXX bezogen. Der Beschwerdeführer habe keine gegen sich gerichtete persönliche Bedrohung oder Verfolgung durch den Staat oder die Taliban vorgebracht, weshalb sich daraus keine persönliche Verfolgung ergeben würde. Auch hinsichtlich des Vorbringens einer Verfolgung aufgrund der schiitischen Glaubensrichtung ausgesetzt zu sein, sei vom Beschwerdeführer keine persönliche Verfolgungshandlung vorgebracht worden. Auch hier habe sich der Beschwerdeführer auf die allgemeine Lage der Schiiten und der Situation in seinem Dorf bezogen. Ein fluchtauslösendes Ereignis habe er nicht vorgebracht. Auch ergebe sich aus den Länderfeststellungen, dass es sich bei dem Beschwerdeführer nicht um eine besonders gefährdete Person handele, da gezielte Angriffe auf gesellschaftlich höherrangige Personen stattfinden würden. Außerdem gehe aus den Länderfeststellungen hervor, dass im Distrikt XXXX die Schiiten die Mehrheit bilden würden; richtig sei, dass dort viele Kämpfe stattfinden würden, jedoch habe sich die Lage in der letzten Zeit auf Grund von Friedensgesprächen entspannt. Die Behörde ging daher davon aus, dass der Beschwerdeführer sein Land verlassen habe, um in Österreich ein besseres Leben zu führen.

Zu Spruchpunkt II. führte das BFA aus, dass die Familie des Beschwerdeführers nach wie vor in Pakistan lebe und sei die Existenz des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr durch diese gesichert. Die Hauptstadt von XXXX , XXXX würden zu den sichersten Gebieten der FATA gehören und sei auch die Hauptstraße, die durch XXXX führe, als sicher zu bezeichnen, weswegen eine sichere Rückkehr möglich sei.

Zu Spruchpunkt III. hielt das BFA fest, dass bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise gefunden werden könnten, welche den Schluss zuließen, dass durch die Rückkehrentscheidung auf unzulässige Weise im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in das Recht des Beschwerdeführers auf Schutz des Familien- und Privatlebens eingegriffen werden würde.

Mit Verfahrensanordnung vom selben Tag wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtberater amtswegig zu Seite gestellt.

4.       Gegen diesen ordnungsgemäß zugestellten Bescheid erhob der Vertreter des Beschwerdeführes mit Schreiben vom 15.03.2016 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In der Beschwerde wurde ausgeführt, dass die im Bescheid angeführten Länderfeststellungen unvollständig und teilweise unrichtig seien. Sie würden nur allgemeine Aussagen über Pakistan enthalten und sich kaum mit den konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers befassen und seien sie für die Begründung der Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz unzureichend. Die Behörde habe es zur Gänze unterlassen, sich mit der Lage der Paschtunen und insbesondere mit der Situation von Paschtunen, welche sich außerhalb ihrer traditionellen Siedlungsgebiete aufhalten würden, auseinanderzusetzen. In den Länderfeststellungen würden Berichte über NGOs und die allgemeine Lage von Schiiten in Pakistan fehlen. Auch der Verfassungsgerichtshof würde fordern, dass die Länderfeststellungen nicht nur allgemein gehalten sein dürfen, sondern sich mit der konkreten Situation des Beschwerdeführers befassen müssen. Die Behörde habe ihre Ermittlungsflicht verletzt, indem sie es unterlasse habe, die Erreichbarkeit des Heimatdorfes des Beschwerdeführers zu überprüfen. Das Dorf des Beschwerdeführers befinde sich in einer volatilen Provinz und hätte ermittelt werden müssen, ob der Beschwerdeführer das Dorf ohne Gefahr erreichen könne.

Im Anschluss finden sich in der Beschwerde Berichte über die Sicherheitslage in XXXX , das Vorgehen der Taliban in Pakistan aus einem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes zitiert, die Lage der Paschtunen belegt durch einen Artikel des „The National“ vom Jänner 2015, die Lage der Schiiten in Pakistan bezogen auf einen Bericht des US Departments, die Lage von Mitarbeitern von NGOs basierend auf einem Bericht von Amnesty International. Hinsichtlich des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative wurde auf die Richtlinie von UNHCR verwiesen, welcher zum Inhalt das Erfordernis der Einzelfallprüfung bei der Frage des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative, habe. Interner Schutz sei demnach nicht in den Stammgebieten der FATA, in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa sowie in der Provinz Belutschistan aufgrund anhaltender Kämpfe gegeben. Interner Schutz außerhalb dieser Gegenden müsse im Einzelfall anhand der in der Richtlinie genannten Kriterien geprüft werden. Auch sei dabei auf sichere Straßenanbindungen zu achten (UNHCR-Richtlinie zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Angehörigen religiöser Minderheiten aus Pakistan 14.05.2012, S13-14).

Hätte die Behörde derartige Berichte bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt, wäre sie zum Ergebnis gekommen, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner schiitischen Glaubensrichtung und der andauernden Gewalt gegen Schiiten in Pakistan eine asylrelevante Verfolgung drohe. Da diese Quellen öffentlich zugänglich seien, habe die Behörde ihre Ermittlungspflicht verletzt.

Der Beschwerdeführer habe seine Heimat wegen seiner Religionszugehörigkeit und der politischen Situation in Bezug auf die Taliban verlassen. Der Beschwerdeführer habe auch entgegen der Ansicht des BFA sein Vorbringen lebensnah und detailliert gestaltet und über die Erlebnisse in Pakistan frei gesprochen. Ein Abgleich des Vorbringens mit den Länderberichten sei der Beweiswürdigung der Behörde jedoch nicht zu entnehmen. Hätte die Behörde das Vorbringen entsprechend gewürdigt, wäre sie zu dem Schluss gekommen, dass die geschilderte Verfolgungsgefahr objektiv nachvollziehbar sei. Der Beschwerdeführer habe auch sehr wohl eine persönliche Bedrohung vorgebracht, indem er immer wieder stattfindende Angriffe auf das Dorf durch die Taliban und die Regierung geschildert habe. Auch habe er die Grundstücksenteignungen durch die Sunniten im Dorf geschildert. Der Beschwerdeführer sei sowohl von den Angriffen als auch von den Enteignungen persönlich betroffen gewesen. Die Behörde habe es auch verabsäumt, den Beschwerdeführer zu seiner konkreten Verfolgungssituation zu befragen. Aus der FATA-Region stammend sei er als Schiit einer Gefahr durch die Taliban ausgesetzt, wie sich auch aus den Länderberichten ergeben würde. Daraus ergebe sich auch eine Gefährdung von Schiiten generell, ohne dabei eine besondere gesellschaftliche Stellung inne haben zu müssen. Richtig sei, dass der Beschwerdeführer sein Heimatland aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage verlassen habe. Als Schiit und somit Zielscheibe der Taliban sei er jedoch auch besonders gefährdet (verwiesen wird diesbezüglich nochmals auf das LIB). Auch sei nicht verständlich wie die Behörde zu dem Schluss komme, dass der Beschwerdeführer bei seiner Familie sicher sei, da dieser mehrmals die schlechte Lage seiner Familie in Pakistan vorgebracht habe.

Der Beschwerdeführer werde in Pakistan wegen seiner politischen Gesinnung und wegen seiner schiitischen Religionszugehörigkeit von den Taliban verfolgt und ergebe sich aus den Länderberichten, dass der pakistanische Staat nicht in der Lage sei, ihn vor dieser Verfolgung zu schützen. Dem Beschwerdeführer wäre daher internationaler Schutz gemäß § 3 AsylG zu gewähren gewesen.

Zum subsidiären Schutz wurde ausgeführt, dass die Behörde zwar Feststellungen hinsichtlich der Herkunftsprovinz und dem Herkunftsort des Beschwerdeführers treffe, es in weiterer Folge jedoch unterlassen habe auf diese Feststellungen einzugehen. Aus den von der Behörde zitierten Länderberichten gehe hervor, dass die staatliche Kontrolle in Teilen der FATA zwar wiederhergestellt werden habe können, die Sicherheitslage jedoch unbeständig bleibe, da viele Militante in andere Gebiete der FATA geflohen seien. Es gebe weiterhin Anschläge von Terroristen und Militäranschläge (S 29 des Bescheides). Minderheiten seien das Ziel von Extremisten. Die Taliban hätten eine repressive Interpretation des Islam, die Situation von Nicht-Muslime stuft die Human Rights Commission of Pakistan (HRCP) deshalb als kritisch ein. Kritischer sei es jedoch für jene Muslime, bei denen die Taliban denken würden, dass sie vom Glauben abgefallen seien. Die terroristische Gewalt ziele besonders auf Schiiten (Seite 50 des Bescheides). Es sei daher keinesfalls nachvollziehbar, wie die belangte Behörde überhaupt eine verlässliche Gefährdungsprognose bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers in sein Heimatland habe treffen können. Der Beschwerdeführer stamme aus XXXX , XXXX aus einer regionalen Problemzone der FATA und wäre die dort herrschende Sicherheitslage im Detail zu prüfen gewesen. Die Sicherheitslage im Herkunftsgebet des Beschwerdeführers sei als äußerst prekär zu bewerten. Die FATA würden eine starke Talibanpräsenz aufweisen und komme es regelmäßig zu terroristischen Angriffen. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass es bei einer Rückkehr zu einer Verletzung der dem Beschwerdeführer durch die EMRK gewährten Rechte komme. Dem Beschwerdeführer wäre somit der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen.

Der Beschwerdeführer habe sich ferner in Österreich immer Wohlverhalten und stelle keine Gefährdung für die allgemeine Sicherheit dar.

Im Anschluss an die Beschwerde wurden vom Beschwerdeführer noch folgende Beweismittel in Vorlage gebracht: Unterstützungsbestätigung der Organisation „ XXXX “, Bestätigung des Krankenhauses XXXX über eine Schussverletzung des XXXX (Bruder), Bestätigung über eine Verletzung des Nachbarn XXXX durch eine Bombe, Foto eines Mannes mit Prothese am Bein (Nachbar), weitere Fotos über Landabschnitte, welche angeblich besetzt worden seien, Bericht über die allgemeine Lage in XXXX (Okt. 2013), weitere Fotos von Anschlägen bzw. Folgen, Todesanzeige ( XXXX erschossen am XXXX 2016), drei Empfehlungsschreiben. Ein weiteres Empfehlungsschreiben wurde nachgereicht.

5.       Am 02.07.2020 langte hg. das Gerichtsurteil des Landesgerichts XXXX zu XXXX vom XXXX .2020 ein, worin der Beschwerdeführer wegen schweren Betrugs gemäß §§ 146, 147 Abs. 2 StGB zu 300 Tagessätzen, 150 Tagessätze wurden bedingt nachgesehen, sohin zu einer Geldstrafe von insgesamt 1.200 Euro verurteilt wurde.

Am 03.07.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentlich mündliche Verhandlung statt, zu welcher die Parteien ordnungsgemäß geladen wurden. Im Rahmen der Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit gegeben, seine Ausreisegründe neuerlich darzulegen. Bereits vorab wurden dem Beschwerdeführer bzw seinem Vertreter die Länderfeststellungen zu Pakistan übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu Stellung zu nehmen, wovon auch mit Schreiben vom 17.03.2020 Gebrauch gemacht wurde.

Mit Schreiben vom 17.07.2020 kam der Vertreter des Beschwerdeführers der Aufforderung nach, aktuelle Berichte in Bezug auf Angriffe auf das Dorf des Beschwerdeführers in Vorlage zu bringen. Übermittelt wurden drei Internet-Links, welche die aktuelle Lage in XXXX aufzeigen sollen.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Sachverhalt:

1.1.    Feststellungen zur Person:

Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Der Beschwerdeführer wird im Verfahren unter der Identität: XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Pakistan, geführt. Der Beschwerdeführer gehört dem schiitischen Glauben und der Volksgruppe der Paschtunen an. Er ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer stammt aus dem Bezirk XXXX in der Provinz Khyber XXXX . Er ist im Dorf XXXX nahe der Stadt XXXX aufgewachsen und lebte dort mit seiner Familie bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015.

Seine Mutter und seine Geschwister (drei Brüder und drei Schwestern) leben nach wie vor in Pakistan. Ein weiterer Bruder lebt im Iran und arbeitet dort als Hilfsarbeiter. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Familie in einem regelmäßigen Kontakt.

Der Beschwerdeführer besuchte die Grundschule in XXXX und zwei Jahre die Mittelschule in XXXX ; er übte in Pakistan den Beruf des Landarbeiters aus und war dadurch bis zu seiner Ausreise im XXXX 2015 selbsterhaltungsfähig.

Der Beschwerdeführer lebt seit seiner Einreise in Österreich von der österreichischen Grundversorgung. Im Zeitraum von XXXX 2019 bis XXXX 2019 war der Beschwerdeführer nicht in Österreich amtlich gemeldet. In dieser Zeit hielt sich der Beschwerdeführer in Italien auf. Derzeit lebt er in einem Haus der Caritas in XXXX .

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Familienangehörigen oder Verwandten und keine Beziehung. Er nimmt am gesellschaftlichen Leben in einem geringen Ausmaß teil, indem er Veranstaltungen der Caritas besucht und hilft er im Rahmen der Caritas auch Menschen aus der Gemeinde gelegentlich bei alltäglichen Dingen des Lebens. Der Beschwerdeführer hat im Zeitraum XXXX 2017 bis XXXX 2019 als Zeitungszusteller gearbeitet, diesen Job jedoch wieder aufgegeben, zumal ihm der Verdienst zu gering war. Er verfügt in Österreich über keinerlei nennenswerte Beziehungen oder Kontakte. Des Weiteren ist der Beschwerdeführer kein Mitglied eines Vereins. Der Beschwerdeführer hat im XXXX 2016 mit dem Besuch eines Sprachkurses begonnen, diesen aber nicht abgeschlossen. Er hat bis zum Zeitpunkt der Entscheidung keinen Sprachnachweis erbracht und spricht er die deutsche Sprache auf sehr schlechtem Niveau.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich wenig integriert. Der Beschwerdeführer verfügt über eine stärkere Bindung zu Pakistan, wo er bis zum Jahr 2015 gelebt hat und sozialisiert wurde und wo der Großteil seiner Familie nach wie vor aufhältig ist.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner chronischen sowie schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung. Er ist arbeitsfähig. In der Vergangenheit wurde er aufgrund von psychischen Problemen medikamentös behandelt (Beruhigungsmittel), aktuell befindet er sich jedoch in keiner medizinischen Betreuung mehr.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX zu XXXX vom XXXX .2020 wurde der Beschwerdeführer wegen schweren Betrugs gemäß §§ 146, 147 Abs. 2 StGB zu 300 Tagessätzen, 150 Tagessätze wurden bedingt nachgesehen, sohin zu einer Geldstrafe von insgesamt 1.200 Euro verurteilt. Dies deshalb, da er von XXXX 2017 bis XXXX 2019 als Zeitungszusteller gearbeitet und gleichzeitig – ohne dies zu melden – Grundversorgung bezogen hat.

1.2.    Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Pakistan einer aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Das Vorbringen, in Pakistan einer individuellen und aktuellen asylrelevanten Verfolgung durch die Taliban und die Regierung ausgesetzt zu sein, ist nicht glaubhaft.

Der Beschwerdeführer hat auch im hiergerichtlichen Verfahren die Gründe seiner Ausreise im Wesentlichen auf die allgemeine Sicherheitslage im Heimatdorf XXXX und der Umgebung von XXXX bezogen.

Weiters kann nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan eine reale Gefahr einer Verletzung der EMRK bedeuten würde oder für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit mit sich bringen würde.

1.3.    Zur aktuellen Lage in Pakistan wird auf folgende Feststellungen verwiesen:

Beweisquellen:

*) BFA Länderinformationsblatt Pakistan (LIB) Mai 2019 mwN

*) Australian Government, Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT), Country Information Report Pakistan 20.02.2019

*) EASO, Country of Origin Information Report: Pakistan Security Situation, Oktober 2019

*) BFA Länderinformationsblatt Pakistan (LIB) 21.06.2018 mwN

*) www.parachinar.net/Localtribes.htm

*) Staatendokumentation, Anfragebeantwortung, Khyper Pakhtunkhwa, Kurram: schiitische Paschtunen, Turi; IDPs, 04.11.2019

*) Dawn 21.06.2018, https://www.dawn.com/news/1415023/idps-return-to-kurram-after-11-years

*) Dawn 05.05.2020, https://www.dawn.com/news/1554708/at-least-1-injured-in-explosion-at-imambargah-in-lower-kurram

*) www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/;

*) www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html;

*) www.oesterreich.gv.at/

*) www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports

Politische Lage in Pakistan

Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa. Die FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden. Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete von GilgitBaltistan und Azad Jammu & Kashmir, dem auf der pakistanischen Seite der Demarkationslinie (“Line of Control”) zwischen Indien und Pakistan liegenden Teil Kaschmirs. Beide Gebiete werden offiziell nicht zum pakistanischen Staatsgebiet gerechnet und sind in Teilen autonom. Das Hauptstadtterritorium Islamabad (“Islamabad Capital Territory”) bildet eine eigene Verwaltungseinheit (AA 1.2.2019a).

Die gesetzgebende Gewalt in Pakistan liegt beim Parlament (Nationalversammlung und Senat). Daneben werden in den Provinzen Pakistans Provinzversammlungen gewählt. Die Nationalversammlung umfasst 342 Abgeordnete, von denen 272 vom Volk direkt für fünf Jahre gewählt werden. Es gilt das Mehrheitswahlrecht. 60 Sitze sind für Frauen, 10 weitere für Vertreter religiöser Minderheiten reserviert (AA 1.2.2019a). Die reservierten Sitze werden von den Parteien gemäß ihrem Stimmenanteil nach Provinzen besetzt, wobei die Parteien eigene Kandidatenlisten für diese Sitze erstellen. (Dawn 2.7.2018).

Bei der Wahl zur Nationalversammlung (Unterhaus) am 25. Juli 2018 gewann erstmals die Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI: Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit) unter Führung Imran Khans die Mehrheit (AA 1.2.2019a). Es war dies der zweite verfassungsmäßig erfolgte Machtwechsel des Landes in Folge (HRW 17.1.2019). Die PTI konnte durch eine Koalition mit fünf kleineren Parteien sowie der Unterstützung von neun unabhängigen Abgeordneten eine Mehrheit in der Nationalversammlung herstellen (ET 3.8.2018). Imran Khan ist seit Mitte August 2018 Premierminister Pakistans (AA 1.2.2019).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von Parlament und Provinzversammlungen gewählt. Am 9. September 2018 löste Arif Alvi von der Regierungspartei PTI den seit 2013 amtierenden Präsidenten Mamnoon Hussain (PML-N) Staatspräsident regulär ab (AA 1.2.2019a).

[Beweisquelle: BFA Länderinformationsblatt Pakistan (LIB) Mai 2019 mwN]

Sicherheitslage allgemein

Die Bedrohung durch Terrorismus und Extremismus bleibt zentrales Problem für die innere Sicherheit des Landes (AA 1.2.2019a; vgl. USDOS 19.9.2018). Landesweit ist die Zahl der terroristischen Angriffe seit 2009, zurückgegangen (PIPS 7.1.2019; vgl. AA 21.8.2018, USDOS 19.9.2018). Konflikte mit dem Nachbarland Indien werden gelegentlich gewaltsam ausgetragen (EASO 10.2018 S 16).

Die Taliban und andere militante Gruppen verüben Anschläge insbesondere in Belutschistan und in Khyber-Pakhtunkhwa (AA 21.8.2018), aber auch in Großstädten wie Karatschi (AA 1.2.2019a). Über 90 % der terroristischen Anschläge sowie Todesopfer entfielen 2018 auf die zwei Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa (PIPS 7.1.2019). Die Anschläge zielen vor allem auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei. Opfer sind aber auch politische Gegner der Taliban, Medienvertreter, religiöse Minderheiten, Schiiten, sowie Muslime, die nicht der strikt konservativen Islam-Auslegung der Taliban folgen, wie die Sufis (AA 1.2.2019a).

Die Operationen der Rangers [siehe dazu Abschnitt 5] in Karatschi (ab 2013), Militäroperationen in Nord-Wasiristan und der Khyber Agency [Stammesbezirke der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, Anm.], sowie landesweite Anti-Terror-Operationen als Teil des National Action Plan (NAP) trugen dazu bei, den rückläufigen Trend bei der Zahl der Vorfälle und der Opfer auch 2018 aufrecht zu halten (PIPS 7.1.2019 S 20; vgl. EASO 10.2018 S 18). In den ehemaligen Stammesgebieten (Federally Administered Tribal Areas – FATA) konnte das staatliche Gewaltmonopol überwiegend wiederhergestellt werden (AA 21.8.2018), die Militäraktionen gelten als abgeschlossen (Dawn 29.5.2018). Viele militante Gruppen, insbesondere die pakistanischen Taliban, zogen sich auf die afghanische Seite der Grenze zurück und agitieren von dort gegen den pakistanischen Staat (AA 21.8.2018).

Die verschiedenen militanten, nationalistisch-aufständischen und gewalttätigen religiöskonfessionellen Gruppierungen führten 2018 landesweit 262 terroristische Angriffe durch. Dabei kamen 595 Menschen ums Leben und weitere 1.030 wurden verletzt. Unter den Todesopfern waren 371 Zivilisten, 173 Angehörige der Sicherheitskräfte und 51 Aufständische. 136 (52 %) Angriffe zielten auf staatliche Sicherheitskräfte, jedoch die höchste Zahl an Opfern (218 Tote und 394 Verletzte) gab es bei insgesamt 24 Terrorangriffen auf politische Persönlichkeiten. Zivilisten waren das Ziel von 47 (18 %) Angriffen, acht waren Angriffe auf regierungsfreundliche Stammesälteste bzw. Mitglieder der Friedenskommittees und sieben hatten Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft zum Ziel (PIPS 7.1.2019 S 17f). Im Vergleich zu 2017 gab es im Jahr 2018 29 Prozent weniger terroristische Angriffe, bei denen um 27 Prozent weniger Todesopfer und um 40 Prozent weniger Verletzte zu beklagen waren (PIPS 7.1.2019).

Insgesamt gab es im Jahr 2018 in Pakistan, inklusive der oben genannten terroristischen Anschläge, 497 Vorfälle von für die Sicherheitslage relevanter Gewalt (2017: 713; -30 %), darunter 31 operative Schläge der Sicherheitskräfte (2017: 75), 22 Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen (2017: 68), 131 Auseinandersetzungen an den Grenzen mit Indien, Afghanistan und Iran (2017: 171) und 22 Vorfälle von ethnischer oder politischer Gewalt (2017: vier) (PIPS 7.1.2019 S 19f; Zahlen für 2017: PIPS 7.1.2018 S 20). Die Zahl der bei diesen Vorfällen getöteten Personen sank um 46 % auf 869 von 1.611 im Jahr 2017, die Zahl der verletzten Personen sank im selben Zeitraum um 31 % von 2.212 auf 1.516 (PIPS 7.1.2019 S 20).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Sicherheitslage Punjab und Islamabad

Die Bevölkerung der Provinz Punjab beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen. In der Provinzhauptstadt Lahore leben 11,1 Millionen Einwohner (PBS 2017d). Islamabad, die Hauptstadt Pakistans, ist verwaltungstechnisch nicht Teil der Provinz Punjab, sondern ein Territorium unter Bundesverwaltung (ICTA o.D.). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017d).

Die Sicherheitslage in Islamabad ist besser als in anderen Regionen (EASO 10.2018 S 93). Die Sicherheitslage im Punjab gilt als gut (SAV 29.6.2018). Mehrere militante Gruppierungen, die in der Lage sind, Anschläge auszuüben, sind im Punjab aktiv (EASO 10.2018 S 63-64; vgl. SAV 29.6.2018). In großen Städten wie Lahore und Islamabad-Rawalpindi gibt es gelegentlich Anschläge mit einer hohen Zahl von Opfern, durchgeführt von Gruppen wie den Tehreek-i-Taliban Pakistan (TTP), Al Qaeda oder deren Verbündeten (ACLED 7.2.2017); beispielsweise wurden bei einem Bombenanschlag durch die TTP-Splittergruppe Hizbul-Ahrar auf Polizeieinheiten vor einem Sufi-Schrein in Lahore am 8.5.2019 zehn Personen getötet. (Guardian 8.5.2019; vgl. Reuters 8.5.2019). Der Südpunjab gilt als die Region, in der die militanten Netzwerke und Extremisten am stärksten präsent sind (EASO 10.2018 S 63-64).

Für das erste Quartal 2019 (1.1. bis 31.3.) registrierte PIPS für das Hauptstadtterritorium Islamabad keinen und für den Punjab zwei terroristische Angriffe mit zwei Toten (Aggregat aus: PIPS 6.2.2019. PIPS 7.3.2019, PIPS 10.4.2019). Im Jahr 2018 wurde von PIPS im Hauptstadtterritorium kein terroristischer Angriff gemeldet. Im Punjab gab es vier terroristische Anschläge mit 20 Todesopfern. Zwei davon waren Selbstmordsprengangriffe durch die pakistanischen Taliban (PIPS 7.1.2019 S 49). Im Jahr 2017 kamen im Punjab bei 14 Anschlägen 61 Personen ums Leben, davon fanden sechs Vorfälle mit 54 Toten in Lahore statt. Das Hauptstadtterritorium verzeichnete drei Anschläge mit zwei Todesopfern (PIPS 7.1.2018).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Sicherheitslage Sindh

Die Provinz Sindh unterteilt sich in 138 Tehsils in 29 Distrikten und hat ca. 48 Millionen Einwohner. Karatschi, die Hauptstadt der Provinz Sindh und größte Stadt Pakistans, hatte laut Zensus 2017 ca. 16 Millionen Einwohner (PBS 2017d). Aufgrund des wirtschaftlichen Potenzials der Stadt zieht Karatschi Zuwanderer aus allen größeren ethnischen Gruppen und Sprachgruppen Pakistans an und es kommt zu erheblichen religiös, ethnisch und politisch motivierten Ausschreitungen (EASO 10.2018 S 78; vgl. AA 13.3.2019) und Auseinandersetzungen terroristischer oder krimineller Gruppen mit Sicherheitskräften (AA 13.3.2019).

Die dem Innenministerium unterstehenden, paramilitärischen Rangers führen seit 2013 weiterhin Anti-Terror- und Anti-Verbrechens-Operationen in Karatschi durch (USDOS 13.3.2019; vgl. PIPS 7.1.2019 S 20), was zu deutlich reduzierter Präsenz aller Arten gewalttätiger Gruppierungen in der Stadt geführt hat (PIPS 7.1.2019 S 125). Die politische, religiös-konfessionelle und ethnische Gewalt in Karatschi ist gesunken und die Straßenkriminalität in Form von Gangs ist nicht mehr so verbreitet wie vor den Sicherheitsoperationen (USDOS 13.3.2019). Auch die militanten Flügel der ethno-politischen Parteien, die für die schlechte Sicherheitslage in besonderem Maße verantwortlich waren, waren durch die Operationen betroffen (PIPS 7.1.2019 S 128). Mit der Verbesserung der Sicherheitslage sind auch die Immobilienpreise in Karatschi deutlich gestiegen (Propakistani 1.2.2019).

Die in Karatschi dominierende politische Partei Muttahida Qaumi Movement (MQM) war durch die Sicherheitsoperationen besonders betroffen. Zahlreiche Mitglieder wurden verhaftet oder mussten untertauchen. Die Partei gibt an, dass zahlreiche ihrer Mitglieder durch Sicherheitskräfte außerhalb des Gesetzes getötet oder verschleppt wurden (PIPS 7.1.2019 S 128).

Für das erste Quartal 2019 (1.1. bis 31.3.) registrierte PIPS im Sindh acht terroristische Angriffe mit elf Todesopfern; davon fanden sechs Anschläge mit acht Toten in Karatschi statt (Aggregat aus: PIPS 6.2.2019. PIPS 7.3.2019, PIPS 10.4.2019). Im Jahr 2018 kam es im Sindh zu zwölf terroristischen Anschlägen mit 19 Todesopfern; davon entfielen neun Anschläge mit 18 Toten auf Karatschi. In Karatschi kam es 2018 weiters zu fünf ethno-politisch motivierten Zusammenstößen mit insgesamt fünf Todesopfern (PIPS 7.1.2019 S 46-48). Im Jahr 2017 kam es im Sindh zu 31 terroristischen Anschlägen mit 119 Toten. 24 Anschläge davon waren in Karatschi zu verzeichnen und 91 der 119 Tote entfielen auf einen einzigen Anschlag auf den Lal Shahbaz-Schrein in Sehwan Sharif (PIPS 7.1.2018).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]


Sicherheitslage Khyber-Pakhtunkhwa

Die Provinz Khyber Pakhtunkhwa (KP) ist in 25 Distrikte (PBS 2017d) und sieben Tribal Districts unterteilt (Dawn 31.5.2018). Die FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) wurden Ende Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert (AA 1.2.2019a). Die sieben Tribal Districts Bajaur, Khyber, Kurram, Mohmand, Orakzai, Nord- und Süd-Wasiristan waren bis 31. Mai 2018 Agencies der FATA (FRC 15.1.2019; vgl. PBS 2017d, Dawn 31.5.2018). Die bis 31.5.2018 bestehenden Frontier Regions der FATA wurden als Subdivisions in die bestehenden Distrikte Bannu, Dera Ismail Khan, Kohat, Lakki Marwat, Peschawar und Tank eingegliedert (Dawn 31.5.2018; vgl. PBS 2017d).

Laut Zensus 2017 hat die Provinz [im Gebietsstand ab 1.6.2018] ca. 35,5 Millionen Einwohner, wovon ca. fünf Millionen auf dem Gebiet der ehemaligen FATA leben. Die Hauptstadt Peschawar hat 4,3 Millionen Einwohner (PBS 2017d).

2009 begann die pakistanische Armee mit einer Reihe militärischer Einsätze gegen Tehreek-eTaliban Pakistan (TTP) in Khyber Pakhtunkhwa. Diese Offensive war gekennzeichnet durch Menschenrechtsverletzungen und willkürliche Verhaftungen. Die militärischen Einsätze gegen Aufständische trugen auf lange Sicht zu mehr Sicherheit in der Provinz bei (EASO 10.2018 S 67); auch auf dem Gebiet der ehem. FATA hat sich die Lage verbessert und viele Gebiete sind von Aufständischen geräumt worden (EASO 10.2018 S 82; vgl. FRC 15.1.2019). In den ehemaligen FATA konnte das staatliche Gewaltmonopol überwiegend wiederhergestellt werden (AA 21.8.2018; vgl. FRC 15.1.2019), die Militäraktionen gelten als abgeschlossen (Dawn 29.5.2018).

Dennoch bleibt die Bedrohung durch Gewalttaten der TTP weiter aufrecht. Zahlreiche TalibanFraktionen konnten ihre Netzwerke auf afghanischer Seite der Grenze wieder herstellen und sind in der Lage, terroristische Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten in den Tribal Districts Nord- und Süd-Wasiristan durchzuführen (FRC 15.1.2019; vgl. AA 21.8.2018). Andere Gruppen, die zur Instabilität in den Stammesdistrikten beitragen und ebenfalls grenzüberschreitend von Afghanistan aus operieren, sind der Islamische Staat, die Wazir- und Mahsud-Taliban, Lashkar-e-Islam und Tauheed-ul-Islam (FRC 15.1.2019). In Süd-Wasiristan wurde eine bewaffnete Gruppe, die als „gute Taliban“ bezeichnet wird, zu einer staatlich gestützten Miliz (EASO 10.2018 S 82). Eine lokale Talibangruppe um Mullah Nazir aus Nord-Wasiristan, die ebenfalls als „gute Taliban“ bezeichnet wurde, ist jetzt unter dem Deckmantel eines Friedenskommittees tätig und bedroht Mitglieder des Pakhtun Tahaffuz Movement (PTM, siehe auch Abschnitt 17.3) (PIPS 7.1.2019 S 75).

Als Folge der Mitte 2014 begonnenen Militäroperation Zarb-e-Azb, die sich im Wesentlichen auf das Gebiet der ehem. FATA konzentrierte, mussten rund 1,4-1,8 Mio. Menschen ihre Wohngebiete verlassen und galten seither als IDPs (ÖB 10.2018; vgl. AA 21.8.2018). Die geordnete Rückführung der Binnenvertriebenen in die betroffenen Regionen der Stammesgebiete, die Beseitigung der Schäden an Infrastruktur und privatem Eigentum, ebenso wie der Wiederaufbau in den Bereichen zivile Sicherheitsorgane, Wirtschaft, Verwaltung und Justiz stellen Regierung, Behörden und Militär vor große Herausforderungen (AA 21.8.2018; vgl. Abschnitt 20.1).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Muslimische Denominationen, insbesondere Schiiten

In Pakistan finden sich verschiedene Ausmaße der muslimischen Identität und der religiösen Intensität. Die beiden Hauptzweige des Islams, das Schiitentum und das Sunnitentum, teilen sich in Pakistan auch in mehrere Untergruppen. Die Sunniten unterteilen sich in hauptsächlich drei Gruppen. Von diesen formen die Barelvis [auch Ahle Sunnat wal Jama'at] die überwiegende Mehrheit mit ungefähr 60 % der sunnitischen Bevölkerung. Deobandis werden auf ungefähr 35 % der Sunniten geschätzt und machen damit die zweitgrößte sunnitische Subsekte aus. Eine kleine Anzahl von ungefähr 5 % der Sunniten folgt der Ahl-e Hadith (Salafi) Schule des Islam. Religiöse Intoleranz und Gewalt findet auch zwischen den muslimischen Denominationen und innerhalb der sunnitischen Konfession statt, z. B. zwischen der Barelvi-Sekte, die erheblichen Sufi-Einfluss aufweist und die Mehrheit der Pakistanis ausmacht, und der Deobandi-Sekte, die islamistisch geprägt ist (BFA 10.2014).

Die schiitische Bevölkerung Pakistans wird auf 20 bis 50 Millionen Menschen geschätzt. Die Mehrheit der Schiiten in Pakistan gehört den Zwölfer-Schiiten an, andere Subsekten sind NizariIsmailiten, Daudi Bohras und Sulemani Bohras. Laut Australian Department of Foreign Affairs and Trade sind Schiiten im ganzen Land verteilt und stellen in der semi-autonomen Region Gilgit-Baltistan die Bevölkerungsmehrheit. Viele urbane Zentren in Pakistan beheimaten große SchiaGemeinden. Manche Schiiten leben in Enklaven in den Großstädten, sind aber ansonsten gut integriert. Abgesehen von den Hazara unterscheiden sich Schiiten weder physisch noch linguistisch von den Sunniten. Schiitische Muslime dürfen ihren Glauben frei ausüben. Es gibt keine Berichte über systematische staatliche Diskriminierung gegen Schiiten. Schiiten sind in der Regierung und im öffentlichen Dienst gut vertreten. (UKHO 1.2019).

Religiös/konfessionell motivierte bzw. intra-konfessionelle Gewalt ("sectarian violence") führen weiterhin zu Todesfällen. Opfer sind zumeist gemäßigte Sunniten sowie Schiiten, die von militanten sunnitischen Organisationen wie Lashkar-e-Jhangvi (LeJ) oder den Taliban attackiert werden (AA 21.8.2018; vgl. UKHO 1.2019, NCHR 2.2018). Diese Gruppen bedrohen direkt reiligiöse Minderheiten sowie Anhänger der Mehrheitsreligion, die sich öffentlich für Religionsfreiheit oder die Rechte religiöser Minderheiten einsetzen (USCIRF 4.2019). Hazara sind das Hauptziel sunnitischer Extremistengruppen, die gegen Schiiten vorgehen (USCIRF 4.2018; vgl. Abschnitt 17.2).

Die Zahl konfessionell motivierter Gewalttaten geht seit dem Jahr 2013 kontinuierlich zurück (PIPS 7.1.2019; vgl. AA 21.8.2018). Im Jahr 2018 gab es zwölf Fälle konfessionell motivierter Gewalt (minus 40 % zum Vorjahr) mit 51 Todesopfern (minus 31 % zum Vorjahr). Sieben der zwölf Angriffe galten Mitgliedern der schiitischen Glaubensgemeinschaft und drei Angriffe wurden gegen Sunniten durchgeführt. Zehn der zwölf Angriffe fanden in Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan statt (PIPS 7.1.2019).

Bei einem terroristischen Anschlag durch den Islamischen Staat im November 2018 auf einen Markt in einer schiitisch dominierten Gegend in Orakzai, Khyber Pakhtunkhwa, wurden 35 Menschen getötet (darunter über zwei Dutzend Schiiten, sieben Sunniten und drei Sikh). (PIPS 7.1.2019; vgl. ET 23.11.2018).

Es gibt Berichte über willkürliche Verhaftungen von Schiiten während des religiösen Feiertages Muharram (UKHO 1.2019). Einige Bundes- und Provinzbehörden schränken rund um das schiitische Muharram-Fest die Bewegungsfreiheit von Klerikern, die dafür bekannt sind, konfessionelle Gewalt zu propagieren, ein (USDOS 29.5.2018; vgl. HRCP 3.2019) und hunderttausende Sicherheitskräfte werden im ganzen Land während des Aschura-Fests zum Schutz der schiitischen Zeremonien eingesetzt, die gemäß Beobachtern 2017 friedlicher als in den Vorjahren abliefen. Das sunnitisch-deobandi-dominierte Pakistan Ulema Council rief für Muharram 2017 die sunnitische Gemeinschaft auf, schiitischen Prozessionen Respekt entgegenzubringen und von Konfessionalismus abzusehen (USDOS 29.5.2018).

Das Militär stellt Eskorten für schiitische Pilger zur Verfügung, die durch Sindh und Belutschistan in den Iran reisen. Zwischen den organisierten Eskorten können jedoch längere Zeiträume von bis zu drei Monaten liegen. Somit sind schiitische Pilger gezwungen, ihre Reise zu verschieben, oder das Risiko gezielter Angriffe durch militante Gruppen einzugehen (DFAT 20.2.2019; vgl. UKHO 1.2019).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Paschtunen

Die von Großbritannien definierte Durand-Linie, heute Staatsgrenze zwischen Pakistan und Afghanistan, trennt das Siedlungsgebiet der Paschtunen (Monde 8.1.2015). Gemäß Volkszählung 2017 stellen paschtunische Muttersprachler mit 15,4 % der Bevölkerung Pakistans (ca. 32 Millionen Menschen) die zweitgrößte Sprachgruppe des Landes. Von ihnen leben ca. 22,6 Millionen in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa [inkl. ehem. FATA], wo sie ca. 77,7 % der Bevölkerung ausmachen; sowie ca. 3,7 Millionen in der Provinz Belutschistan, wo sie ca. 29,6 % der Bevölkerung ausmachen. Etwa zwei Millionen Paschtunen leben im Sindh, 1,3 Millionen im Punjab und 0,2 Millionen im Hauptstadtterritorium Islamabad (aggregiert aus PBS 2017a und PBS 2017c). Hinzu kommen noch 1,4 Millionen registrierte und ca. eine Million nicht registrierte afghanische Flüchtlinge in Pakistan (EASO 10.2018; vgl. Abschnitt 20.2), von denen ca. 80-85 % ethnische Paschtunen sind (ICMC 7.2013; vgl. UNHCR 24.8.2005).

Viele Pakistanis assoziieren die Aufständischenaktivitäten im Land mit Paschtunen, die auf beiden Seiten der pakistanisch-afghanischen Grenze leben (DW 20.3.2017). Weil die pakistanische Taliban-Bewegung vornehmlich eine paschtunische Bewegung ist, sind viele Paschtunen durch eine Art Sippenhaft als „Islamisten oder militante Kämpfer“ gebrandmarkt worden (EASO 10.2018). Weiters gibt es Ressentiments der pakistanischen Elite gegen Paschtunen aufgrund separatistischer Bestrebungen in der Anfangszeit des Staates Pakistan. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage in Afghanistan hat die Idee der Vereinigung der paschtunisch besiedelten Gebiete zu einem „Groß-Paschtunistan“ unter den pakistanischen Paschtunen kaum noch Anhänger (DW 20.3.2017).

Im Zuge des Kampfes gegen islamistische Aufständische kam es seitens der Sicherheitskräfte zu einem ethnischen Profiling von Paschtunen, insbesondere Angehörigen einkommensschwacher Gruppen (DW 20.3.2017). Menschenrechtsgruppen wiesen darauf hin, dass Paschtunen im Rahmen des „Kriegs gegen den Terrorismus“ zum Ziel für Übergriffe, Verschleppungen und außergerichtliche Tötungen wurden (EASO 10.2018).

Im Jahr 2018 erlebte Pakistan den Aufstieg des Pashtun Tahafuz Movement, (Pashtun Protection Movement / paschtunische Schutzbewegung; PTM), einer Bürgerrechtsbewegung, die Schutz und Rechte für die paschtunische Minderheit im Land fordert (EASO 10.2018), beispielsweise Aufklärung der aussergerichtlichen Tötungen, ein Ende der willkürlichen Angriffe und Misshandlungen, die Rückkehr verschwundener Personen und das Räumen der Landminen in den ehem. Stammesgebieten (SAV 9.3.2018; vgl. HRCP 3.2019). Die PTM führt einen „offenen verbalen Krieg mit der Armee“ (EASO 10.2018). Ihre Anführer und Anhänger werden als Verräter, unloyal und staatsfeindlich bezeichnet (Diplomat 5.2.2019).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Geschätzt 15,4 % der Bevölkerung Pakistans sind Paschtunen, womit sie nach den Punjabis die zweitgrößte ethnische Gruppe des Landes bilden. Paschtunen leben traditionell unter sich in ihren eigenen Stämmen und Unterstämmen in Khyber Pakhtunkhwa und der ehemaligen FATA, auch wenn viele Paschtunen in städtische Gebiete migriert sind. Die größten Paschtunen-Gemeinschaften leben in Karatschi, wo sich die größte Paschtunenpopulation in der Welt befindet, gefolgt von Peschawar. Paschtunen leben auch in Belutschistan, Islamabad, Lahore und anderen städtischen Gebieten.

Paschtunen sind in allen Gesellschaftsschichten in Pakistan vertreten. Historisch gesehen haben Paschtunen die Beschäftigung im Verkehrssektor in Pakistan und Afghanistan bestimmt. Paschtunen sind gut in den pakistanischen Sicherheitskräften vertreten. Die PTI hat eine starke Unterstützungsbasis in der von den Paschtunen bestimmten Provinz Khyber Pakhtunkhwa.

Die Sicherheitslage hat sich in ganz Pakistan, für alle Pakistani, die Pashtunen eingeschlossen, verbessert. Paschtunen, die innerhalb Pakistans umziehen, vor allem nach Karachi und Lahore, berichten über „ethnic profiling“ und Belästigungen durch Sicherheitsbeamte, auch Bestechung sei ein Thema. Paschtunen wird auch oft ihre National Identity Card (CNIC) gesperrt, wenn sie umziehen, was den Zugriff auf Vermögenswerte und Eigentum behindert. Als Ergebnis der Schwierigkeiten bevorzugen es Paschtunen sich dort wiederanzusiedeln, wo sie familiäre Verbindungen habe, also in Khyber Pakhtunkhwa oder im Sindh (ausgenommen Karachi), und vermeiden, sich im Punjab niederzulassen.

Nach der Bewertung von DFAT sind Paschtunen einem mittleren Risiko ausgesetzt, Diskriminierungen durch offizielle Stellen in Form von terror-bezogenem und „racial profiling“ durch Sicherheitskräfte in Gebieten, in denen sie die Minderheit darstellen, insbesondere im Punjab, zu erleiden. Paschtunen in Gebieten, in denen die Paschtunen die Mehrheit bilden oder wo familiäre oder andere soziale Verbindungen bestehen, sind einem niedrigen Risiko ausgesetzt, durch offizielle Stellen diskriminiert zu werden.

[Beweisquelle: Australian Government, Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT), Country Information Report Pakistan 20.02.2019].

Turi

Die Turi sind Angehörige eines schiitischen Stammes mit etwa 500.000 Mitgliedern. Turis sind optisch nicht generell von anderen Paschtunen unterscheidbar, aber identifizierbar durch Stammesnamen, ihre Akzente bzw. ihre Wohnorte, die als Turi-Gebiete bekannt sind. Die meisten Turis leben in Parachinar, Kurram Agency, Orakzai, DI Khan, Kohat, and Hangu. Durch die Konzentration von Turis in kleinen geografischen Gebieten, insbesondere in und um Parachinar und der Kurram Agency, sind diese der Gefahr von Angriffen ausgesetzt.

Im Zeitraum zwischen 2008 und 2014 waren Turis von weitreichender Gewalt betroffen. Die TTP etwa griffen Turis aufgrund deren schiitischer Glaubensausrichtung an. Turis die gerade auf Straßen unterwegs waren, wurden oft vom Militär getötet. Die meisten Tötungen auf der Straße fanden zwischen 2009 und 2014 entlang der Großen-Parachinar Straße, die Kurram Agency und Peschawar verbindet, statt.

Im Jahr 2017 nahmen terroristische Angriffe in der Kurram Agency signifikant zu: Bei drei Attacken im ersten Halbjahr 2017 wurden über 120 Menschen getötet. Jedoch nahmen aufgrund der Operationen Zarb-eAzb, Radd ul Fasaad und anderer damit verbundener Aktivitäten die Häufigkeit und die Schwere von Attacken gegen die Turis signifikant ab. Im ersten Quartal 2018 gab es lediglich zwei Attacken, während im Jahr 2017 geschätzt 200 Turis getötet und 1000 verletzt wurden. Auch Attacken auf den Straßen gingen im Jahr 2018 signifikant zurück. Innerhalb der Turi-Gemeinschaft wurde dadurch das Vertrauen wiederhergestellt, die Tall-Parachinar-Straße zu benutzen, wenn auch nur bei Tag und nicht in großen Gruppen.

Durch die Verbesserung der Sicherheitssituation in Parachinar und Kurram Agency kam es jedoch zu Bewegungs- und Freiheitseinschränkungen sowie zu Limitierungen betreffend den Zugang der Gemeinschaft zu Handelsmöglichkeiten und essentiellen Dienstleistungen. Militärische Operationen haben auch viele Turis vertrieben und jene, die inzwischen in ihre Häuser zurückgekehrt sind, haben erhebliche Schäden an Eigentum und Ernten erlitten.

Voranschreitende Sicherheitsmaßnahmen und engmaschigere Grenzkontrollen an der Grenze zu Afghanistan beschränken die Bewegungsmöglichkeiten. Turis beraten das Militär auch bei der Umsetzung einer 20 bis 30 Quadratkilometer großen roten Zone in Parachinar und einer zweiten, kleineren roten Zone innerhalb der äußeren roten Zone, in der sich Märkte und Schulen befinden. Die Sicherheitskräfte stellen Karten für den Zugang zu den roten Zonen aus, die von den Bewohnern gegen Vorlage von Identitätsdokumenten erlangt werden können.

Während sich Minderheiten geschützter fühlen, bleiben nach Angaben der Medien Diskriminierung und Gewalt gegen schiitische Stämme, insbesondere Turi, in der Agency Kurram aufgrund staatlicher Bedenken bezüglich des iranischen Einflusses und einer stärkeren Präsenz der Taliban und Al-Kaida weiterhin von Bedeutung. Turis sind auf Pilgerfahrten in den Iran und in den Irak bei Benutzung der Straßen einem gewissen Gewaltrisiko ausgesetzt, obwohl die Regierung Sicherheitsdienste für solche Reisen zur Verfügung stellt. Turis äußern auch die Besorgnis, dass der Bürgerkrieg in Syrien nach Kurram überschwappt und ISIL mit seiner Basis in Nangarhar, stärker wird.

Turis, die ihren Wohnort aus Parachinar und der Kurram Agency verlagern, um Zugang zu angemessenen Dienstleistungen zu erhalten, haben aufgrund ihres ethnischen und religiösen Hintergrundes Schwierigkeiten, eine Beschäftigung außerhalb Parachinars zu finden und werden im Allgemeinen im Bewerbungsverfahren diskriminiert. Nichtsdestotrotz bietet das globale Netzwerk der Turis und Spendenorganisationen Hilfe für Turis an, die sich in anderen Städten Pakistans ansiedeln wollen. Eine solche Unterstützung hängt oft von einem älteren männlichen Befürworter ab, was den Zugang für ärmere Mitglieder der Gemeinschaft, speziell für Frauen und Kinder beschränkt. Turis, welche die Kurram Agency verlassen, siedeln sich tendenziell in anderen schiitischen Regionen an, ohne Rücksicht auf Sprachbarrieren, wie etwa Wah Kant, Islamabad, Rawalpindi, Lahore und Karachi.

Die Regierung von Parachinar stellt 3 Millionen pakistanische Rupien (PKR) für Familien von Regierungsbeamten oder Angehörigen der Streitkräfte, die in Ausübung ihres Dienstes getötet wurden, und 300,000 PKR für Zivilpersonen, die im Laufe von Militäroperationen getötet wurden, zur Verfügung. Die Mitglieder des Parlaments der ehemaligen FATA können einem erheblichen kulturellen Druck ausgesetzt sein, um finanzielle Unterstützung für die Wähler zu leisten. Vor Ort sind fünf Waisenhäuser in Parachinar für Turis und andere ethnische und religiöse Minderheiten zugänglich.

Turis, welche die Kurram Agency verlassen, siedeln sich tendenziell in anderen schiitischen Regionen an, ohne Rücksicht auf Sprachbarrieren, wie etwa Wah Kant, Islamabad, Rawalpindi, Lahore und Karachi. Eine Wiederansiedlung in Khyber Pakhtunkhwa ist nicht durchführbar, da Turis dort diskriminiert werden, ihre Sicherheit gefährdet ist, sie keinen angemessenen Zugang zu Dienstleistungen habe und es wahrscheinlich ist, dass die gezwungen werden, Vermögenswerte zu verkaufen.

DFAT gelangt zu der Einschätzung, dass die Turis aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit einem ähnlichen Risiko offizieller Diskriminierung ausgesetzt sind, wie andere Paschtunen und kein zusätzliches Risiko einer offiziellen Diskriminierung aufgrund ihrer Religion besteht.

Turis leben in der Regel untereinander in Enklaven, wodurch gesellschaftliche Diskriminierungen eingedämmt werden. Außerhalb dieser Gebiete sind die Turis einem gemäßigten Risiko ausgesetzt, aufgrund ihrer schiitischen Religion und historisch bestehenden Feindseligkeiten gegenüber dem Stamm der Bangash gesellschaftlichen Diskriminierungen ausgesetzt zu sein.

DFAT weist darauf hin, dass aufgrund der verbesserten Sicherheitslage in Parachinar und Kurram Agency die Zahl der Berichte über Angriffe gegen Turis im Jahr 2018 zurückgegangen ist. Obwohl sich dieser Trend voraussichtlich 2019 fortsetzen wird, kann und wird es möglicherweise weiterhin zu Angriffen und Gewalt gegen die Turis kommen. DFAT gelangt daher zu der Bewertung, dass Turis in der Kurram Agency wegen ihres schiitischen Glaubens nach wie vor einem gemäßigten Risiko, religiöse Gewalt durch militante Gruppen zu erleiden, ausgesetzt sind. Turis in anderen Teilen des Landes sind in der Regel mit einem ähnlichen Risiko konfrontiert wie andere schiitische Gruppen, die keine Hazara sind.

[Beweisquelle: Australian Government, Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT), Country Information Report Pakistan 20.02.2019].

Kurram Agency

Kurram grenzt weitgehend an Afghanistan (Provinz Nangarhar und Provinz Paktia). Im Osten grenzt diese Agency an Orakzai, Khyber und Nordwaziristan im Süden. Sie ist in drei Verwaltungseinheiten unterteilt: Lower Kurram, Upper Kurram und Central Kurram. Parachinar ist die Hauptstadt der Kurram Agency. Kurram hat eine große schiitische Population. Die Kurram Agency hat eine Geschichte religiöser Gewalt zwischen der sunnitischen und der schiitischen Bevölkerung. Der Stammesbezirk Kurram hat eine Bevölkerung von 619 553.

Im Jahr 2018 verzeichnete das Fata Research Centre (FRC) in diesem Stammesbezirk im Vergleich zu 2017 einen „erheblichen“ Rückgang der gewalttätigen Zwischenfälle. Insgesamt zählte FRC im Jahr 2018 drei gewalttätige Zwischenfälle im Vergleich zu 52 im Jahr 2017. Der gleiche Abwärtstrend war bei der Zahl der Opfer im Jahr 2018 zu beobachten. FRC zählte 2018 21 Todesopfer (8 getötet, 13 verletzt) gegenüber 664 Todesopfern (197 getötet, 467 verletzt) im Jahr 2017. Das Pak Institute for Peace Studies (PIPS) zählte einen „Terroranschlag“ im Jahr 2018 in Kurram, bei dem sieben Menschen getötet und eine Person verletzt wurden. Es ist nicht bekannt, ob es sich um denselben Vorfall handelt wie im Januar 2018, als ein IED (improvised explosive device) explodierte und ein Fahrzeug einer Familie von acht Personen in Upper Kurram traf.

Vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2019 zählte PIPS keine „Terroranschläge“ im Stammesbezirk Kurram. Am 12. Juni 2019 wurden bei einem Konflikt mit Aktivisten im Gebiet Marghan Ali Sherzai in Kurram zwei Frontier Corps (FC) und Polizeibeamte verletzt.

[Beweisquelle: EASO, Country of Origin Information Report: Pakistan Security Situation, Oktober 2019]

Stammesbezirk Khyber

Khyber grenzt im Westen an Afghanistan, im Stammesbezirk Orakzai im Süden, im Stammesbezirk Kurram im Südwesten und im Osten an Peshawar. Dieser Bezirk ist in drei untergeordnete Verwaltungseinheiten unterteilt: Der Stammesbezirk Bara, Jamrud und Landi Kotal. Khyber hat 986 973 Einwohner.

In den letzten Jahren führte die pakistanische Armee vier Militäroperationen in Khyber durch. Die letzte Militäroperation fand im Juli 2017 statt. Die pakistanische Armee kündigte im Juli 2017 an, dass sie im Rajgal Valley der Khyber Agency eine neue Militäroperation, die Operation Khyber-IV, eingeleitet habe. Bei dieser Offensive wurden Verstecke und Trainingslager von Militanten zerstört.

Im Jahr 2018 gab das FRC (Fata Research Centre) an, dass es 17 gewaltsame Zwischenfälle im Stammesbezirk Khyber gegeben habe. Dies ist ein erheblicher Rückgang um 85 % gegenüber 2017, als die FRC 115 gewaltsame Zwischenfälle meldete. Laut FRC wurden im Jahr 2018 24 Todesopfer gezählt (11 getötet und 13 verletzt). PIPS zählte 11 „Terroranschläge“ in Khyber, bei denen 7 getötet und 20 im Jahr 2018 verletzt wurden. Im Dezember 2018 beklagten sich die Stammesführer der Stammesbezirke Khyber über Razzien, die von den Sicherheitskräften auf der Suche nach Waffen durchgeführt wurden.

Vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2019 zählte die PIPS zwei „Terroranschläge“ im Stammesbezirk Khyber. Es wurden zwei Todesopfer gezählt (ein Todesopfer und ein Verletzter).

[Beweisquelle: EASO, Country of Origin Information Report: Pakistan Security Situation, Oktober 2019]

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Justiz steht weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 21.8.2018). Gerichte sind überlastet, die Judikative ist nicht in der Lage, Menschenrechte besser zu schützen (AA 1.2.2019). Laut NGOs und Rechtsexperten ist die Justiz in der Praxis oft von externen Einflüssen, wie der Angst vor Repressionen durch extremistische Elemente bei Fällen von Terrorismus, Blasphemie oder öffentlichkeitswirksamen politischen Fällen beeinträchtigt (USDOS 13.3.2019). Die im Rahmen des nationalen Anti-Terror-Aktionsplans vom 24.12.2014 vorgesehene grundlegende Reform des Systems der Strafjustiz kommt bislang nicht voran (AA 21.8.2018).

Viele Gerichte unterer Instanzen bleiben korrupt, ineffizient und anfällig für den Druck von wohlhabenden Personen und einflussreichen religiösen und politischen Akteuren. Es gibt Beispiele, wo Zeugen, Staatsanwälte oder ermittelnde Polizisten in High Profile Fällen von unbekannten Personen bedroht oder getötet wurden. Die oberen Gerichte und der Supreme Court werden allerdings von den Medien und der Öffentlichkeit als glaubwürdig eingestuft (USDO

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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